Oskar von Miller (1855-1934) zählt zu den bemerkenswertesten Persönlichkeiten des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts. Dem visionären und phantasievollen Ingenieur, begnadeten Organisator und geschickten Industrie- und Wissenschaftspolitiker verdanken wir nicht nur die Grundlagen unserer modernen Energieversorgung. Insbesondere das von ihm 1903 gegründete und schnell zu Weltruhm gekommene Deutsche Museum in München machte ihn zu einer der einflußreichsten Personen seiner Zeit. Gilt allein schon seine vorausschauende Konzeption eines deutschlandweiten Stromnetzes als Meisterleistung der Ingenieurskunst, so speist sich Oskar von Millers heutige Bekanntheit wesentlich aus der Bedeutung des Deutschen Museums, zu dem Kaiser Wilhelm II. 1906 den Grundstein legte. Sein mit dem Museum hartnäckig verfolgtes Ziel, der Bevölkerung einen enzyklopädischen Überblick über alle Gebiete der Technik und der exakten Naturwissenschaften zu vermitteln, brachte ein völlig neues und einmaliges Museumskonzept hervor, das weltweit kopiert wurde und dessen Ausstrahlung bis in die heutigen Science Centers reicht. Mit Wilhelm Füßl zeichnet einer der besten Kenner das ungewöhnliche und vielseitige Leben und Wirken Oskar von Millers nach. Ein eindrucksvolles Portrait eines der wichtigsten Begründer der heutigen Kultur- und Industriepolitik und seiner Zeit.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.04.2005Beim Barte des Elektrotechnikers
Wilhelm Füßl folgt Oskar von Miller ins Deutsche Museum
Oskar von Miller war so herrschsüchtig, daß er sogar die Tagebucheintragungen seiner Frau korrigierte. Die Kinder mußten jeden Tag 45 Minuten lang zu Fuß zur Schule gehen, weil er aus Geiz die Tram nicht bezahlen wollte. Seinen Mitarbeitern verweigerte er regelmäßig den Urlaub. Wenn er ein Gutachten erstellte, versuchte er oft, sich dadurch anschließend lukrative Aufträge zu sichern. Potentielle Spender für sein Museum bedrängte er gnadenlos. Und über seinen architektonischen Geschmack ("altdeutsch") schweigt man besser.
Es mag erstaunen, aber in der Biographie "Oskar von Miller 1855-1934" von Wilhelm Füßl kommt Miller ausgesprochen gut weg. Dafür gibt es zwei Gründe. Erstens besaß er viel gesunden Menschenverstand. Was er vorschlug, hatte immer Hand und Fuß. Seine Pläne lagen häufig an der Grenze des Machbaren, aber immer auf der richtigen Seite davon. Zweitens war er ein Altruist. Er achtete darauf, daß er ordentlich verdiente, aber gleichzeitig arbeitete er auch für das Gemeinwohl. In seiner Branche, der Elektrotechnik, war er unbeliebt, weil er die Preise drückte, damit der Strom für alle erschwinglich wurde. An Oskar von Miller ist faszinierend, daß er sich überhaupt nicht zum Vorbild eignet, aber trotzdem unseren Respekt verdient.
Am bekanntesten ist er trotz seiner vielen anderen Verdienste als Gründer des Deutschen Museums. Wilhelm Füßl leitet dort das Archiv. Er hatte deshalb optimale Voraussetzungen für sein Werk, und er hat sie redlich genutzt. Seine Genauigkeit im Detail unterstützt unsere Vorstellungskraft. Wir sehen Einzelheiten, die so wesentlich nicht sind, aber das Bild schärfen.
Füßl geht chronologisch vor. Er handelt Millers berufliche Tätigkeitsfelder nacheinander ab. Davor berichtet er über Millers Familie und seine ersten 25 Lebensjahre. Das Ende bildet ein Kapitel über den Privatmann Miller. Dieses ist kurz ausgefallen, weil Miller ein Workaholic war und kaum ein Privatleben hatte. Immerhin, man erlebt ein bajuwarisches Original, das es nicht nötig hatte, für jemanden feine Lebensart vorzutäuschen. Sein Bart muß auch in dieser bärtigen Zeit rübezahlesk gewirkt haben.
Der Vater Ferdinand (später: von) Miller war Erzgießer in München. Die "Bavaria" ist sein Werk. Oskar Franz Xaver war das jüngste von vierzehn Kindern. Für die Schule und das Studium des Bauingenieurwesens entwickelte er keine große Begeisterung. Weil er am humanistischen Gymnasium zu scheitern drohte, wechselte er zum Realgymnasium. Der Abschluß ermöglichte ihm den Besuch der Polytechnischen Schule. Damit war er zwar auf dem richtigen Weg, der pragmatische Ansatz des Ingenieurs lag ihm, aber er fing trotzdem noch nicht Feuer. Er hatte mehr Talent zum Befehlen als zum Gehorchen, und die Lehrjahre, die keine Herrenjahre sind, waren für ihn bitter.
Als Bauingenieur im Staatsdienst mußte er langweilige Routineaufgaben ausführen. Wie er darauf kalkulierend reagierte, ist typisch. Füßl legt besonderen Wert auf die Jahre, in denen Miller weitreichende Lebensentscheidungen traf. Der Zeitraum 1881 bis 1883 gehört dazu. Hier gab es einen der "Brüche in der Entwicklung", die frühere Biographen nicht so deutlich herausgearbeitet haben. In Paris fand 1881 die Internationale Elektrotechnische Ausstellung statt. Miller schaffte es mit Mühe, sich als bayerischer Kommissär dorthin schicken zu lassen. Von Elektrotechnik hatte er keine Ahnung, aber er erwarb die nötigen Kenntnisse bald autodidaktisch.
In seinem restlichen Leben erweiterte Miller nur das, was er 1881 in Paris begonnen hatte. Seine Begabung lag im Planen und im Organisieren. 1882 spielte er eine wichtige Rolle bei der "Elektricitäts-Ausstellung" in München. 1891 war er Leiter der "Elektrotechnischen Ausstellung" in Frankfurt. Damals wechselte man von kleinen innerstädtischen Kraftwerken mit Gleichstromtechnik zu stadtfernen Wechselstrom-Kraftwerken. Miller begriff die Überlegenheit der neuen Maschinen und wurde einer der führenden deutschen Elektrotechniker. Von 1883 bis 1889 war er Direktor bei der Deutschen Edison Gesellschaft (später AEG) in Berlin. Danach arbeitete er bis an sein Lebensende als selbständiger Ingenieur in München. Hier war er sein eigener Herr, und das heimatliche Bier schmeckte ihm auch besser. In diesen 45 Jahren wuchs die Elektrotechnik zu dem, was wir heute kennen: Die vielen kleinen Netze wurden durch wenige große ersetzt. Miller war wesentlich an dieser Entwicklung beteiligt.
Sein Opus magnum aber war das Deutsche Museum in München. Hier konnte er alle seine Talente einsetzen. Er plante, organisierte, überredete, bettelte, bis alles beisammen war. Das geschah ehrenamtlich und war gleichzeitig eine gute Reklame für sein Ingenieurbüro. Gründungsjahr war 1903, aber der endgültige Bau auf der Isarinsel - faszinierend wie Ali Babas Höhle - konnte wegen der Kriegswirren erst 1925 eröffnet werden. Miller war, ehrlich gesagt, ein übler Despot, aber seine Autorität beruhte auf Kompetenz. Und er war lernfähig. Auf vielen Reisen sammelte er in anderen Museen manche Anregung. Vor allem sammelte er bei den zahlreichen Industriellen, die er von seiner Ingenieurtätigkeit her kannte, Geld- und Sachspenden.
Die Nationalsozialisten hatten Miller immer für einen Linken gehalten. Damit taten sie ihm wohl unrecht. Miller hatte der Räteregierung genauso treu gedient wie dem Königshaus, mit dem braunen Gesindel konnte er sich nicht anfreunden. Im Jahr 1926 verbot er die Aufstellung eines Bismarck-Denkmals auf Museumsgrund, weil Bismarck sich nicht um die Technik verdient gemacht habe. Nach der Machtergreifung 1933 weigerte er sich zunächst, die Hakenkreuzfahne auf dem Museumsturm hissen zu lassen. Am 30. März 1933 trat er aus offensichtlich vorgeschobenen privaten Gründen von seinem Posten als erster Vorstand zurück. Am 9. April 1934 starb er an einem Herzanfall. Der Staatsakt bei der Beerdigung wurde ihm verweigert.
Das Buch berichtet nicht ganz erschöpfend über Millers Verhältnis zum Nationalsozialismus. Er war ein Anhänger der internationalen Zusammenarbeit und lehnte deshalb einen kleinlichen Nationalismus ab. Aber wie stand er zu den inhumanen Aspekten der Nazi-Ideologie, insbesondere zum Antisemitismus? Daß er Hitler und Konsorten ablehnte, weil sie dumm waren, ist nach der Lektüre des Buchs offensichtlich. Aber hat er sie auch abgelehnt, weil sie amoralisch waren?
Enthalten sind viele schöne Abbildungen. Leider sind sie größtenteils zu flau reproduziert. Ansonsten gibt es wenig zu kritisieren, außer daß der Autor manchmal zu unnötigen kleinen Wiederholungen neigt. Dabei ist Millers Geschichte so spannend, daß man sie gerne von Anfang bis Ende liest und diese Gedächtnisstützen überhaupt nicht benötigt.
ERNST HORST
Wilhelm Füßl: "Oskar von Miller". 1855-1934. Eine Biographie. C.H. Beck Verlag, München 2005. 452 S., 66 Abb., geb., 29,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wilhelm Füßl folgt Oskar von Miller ins Deutsche Museum
Oskar von Miller war so herrschsüchtig, daß er sogar die Tagebucheintragungen seiner Frau korrigierte. Die Kinder mußten jeden Tag 45 Minuten lang zu Fuß zur Schule gehen, weil er aus Geiz die Tram nicht bezahlen wollte. Seinen Mitarbeitern verweigerte er regelmäßig den Urlaub. Wenn er ein Gutachten erstellte, versuchte er oft, sich dadurch anschließend lukrative Aufträge zu sichern. Potentielle Spender für sein Museum bedrängte er gnadenlos. Und über seinen architektonischen Geschmack ("altdeutsch") schweigt man besser.
Es mag erstaunen, aber in der Biographie "Oskar von Miller 1855-1934" von Wilhelm Füßl kommt Miller ausgesprochen gut weg. Dafür gibt es zwei Gründe. Erstens besaß er viel gesunden Menschenverstand. Was er vorschlug, hatte immer Hand und Fuß. Seine Pläne lagen häufig an der Grenze des Machbaren, aber immer auf der richtigen Seite davon. Zweitens war er ein Altruist. Er achtete darauf, daß er ordentlich verdiente, aber gleichzeitig arbeitete er auch für das Gemeinwohl. In seiner Branche, der Elektrotechnik, war er unbeliebt, weil er die Preise drückte, damit der Strom für alle erschwinglich wurde. An Oskar von Miller ist faszinierend, daß er sich überhaupt nicht zum Vorbild eignet, aber trotzdem unseren Respekt verdient.
Am bekanntesten ist er trotz seiner vielen anderen Verdienste als Gründer des Deutschen Museums. Wilhelm Füßl leitet dort das Archiv. Er hatte deshalb optimale Voraussetzungen für sein Werk, und er hat sie redlich genutzt. Seine Genauigkeit im Detail unterstützt unsere Vorstellungskraft. Wir sehen Einzelheiten, die so wesentlich nicht sind, aber das Bild schärfen.
Füßl geht chronologisch vor. Er handelt Millers berufliche Tätigkeitsfelder nacheinander ab. Davor berichtet er über Millers Familie und seine ersten 25 Lebensjahre. Das Ende bildet ein Kapitel über den Privatmann Miller. Dieses ist kurz ausgefallen, weil Miller ein Workaholic war und kaum ein Privatleben hatte. Immerhin, man erlebt ein bajuwarisches Original, das es nicht nötig hatte, für jemanden feine Lebensart vorzutäuschen. Sein Bart muß auch in dieser bärtigen Zeit rübezahlesk gewirkt haben.
Der Vater Ferdinand (später: von) Miller war Erzgießer in München. Die "Bavaria" ist sein Werk. Oskar Franz Xaver war das jüngste von vierzehn Kindern. Für die Schule und das Studium des Bauingenieurwesens entwickelte er keine große Begeisterung. Weil er am humanistischen Gymnasium zu scheitern drohte, wechselte er zum Realgymnasium. Der Abschluß ermöglichte ihm den Besuch der Polytechnischen Schule. Damit war er zwar auf dem richtigen Weg, der pragmatische Ansatz des Ingenieurs lag ihm, aber er fing trotzdem noch nicht Feuer. Er hatte mehr Talent zum Befehlen als zum Gehorchen, und die Lehrjahre, die keine Herrenjahre sind, waren für ihn bitter.
Als Bauingenieur im Staatsdienst mußte er langweilige Routineaufgaben ausführen. Wie er darauf kalkulierend reagierte, ist typisch. Füßl legt besonderen Wert auf die Jahre, in denen Miller weitreichende Lebensentscheidungen traf. Der Zeitraum 1881 bis 1883 gehört dazu. Hier gab es einen der "Brüche in der Entwicklung", die frühere Biographen nicht so deutlich herausgearbeitet haben. In Paris fand 1881 die Internationale Elektrotechnische Ausstellung statt. Miller schaffte es mit Mühe, sich als bayerischer Kommissär dorthin schicken zu lassen. Von Elektrotechnik hatte er keine Ahnung, aber er erwarb die nötigen Kenntnisse bald autodidaktisch.
In seinem restlichen Leben erweiterte Miller nur das, was er 1881 in Paris begonnen hatte. Seine Begabung lag im Planen und im Organisieren. 1882 spielte er eine wichtige Rolle bei der "Elektricitäts-Ausstellung" in München. 1891 war er Leiter der "Elektrotechnischen Ausstellung" in Frankfurt. Damals wechselte man von kleinen innerstädtischen Kraftwerken mit Gleichstromtechnik zu stadtfernen Wechselstrom-Kraftwerken. Miller begriff die Überlegenheit der neuen Maschinen und wurde einer der führenden deutschen Elektrotechniker. Von 1883 bis 1889 war er Direktor bei der Deutschen Edison Gesellschaft (später AEG) in Berlin. Danach arbeitete er bis an sein Lebensende als selbständiger Ingenieur in München. Hier war er sein eigener Herr, und das heimatliche Bier schmeckte ihm auch besser. In diesen 45 Jahren wuchs die Elektrotechnik zu dem, was wir heute kennen: Die vielen kleinen Netze wurden durch wenige große ersetzt. Miller war wesentlich an dieser Entwicklung beteiligt.
Sein Opus magnum aber war das Deutsche Museum in München. Hier konnte er alle seine Talente einsetzen. Er plante, organisierte, überredete, bettelte, bis alles beisammen war. Das geschah ehrenamtlich und war gleichzeitig eine gute Reklame für sein Ingenieurbüro. Gründungsjahr war 1903, aber der endgültige Bau auf der Isarinsel - faszinierend wie Ali Babas Höhle - konnte wegen der Kriegswirren erst 1925 eröffnet werden. Miller war, ehrlich gesagt, ein übler Despot, aber seine Autorität beruhte auf Kompetenz. Und er war lernfähig. Auf vielen Reisen sammelte er in anderen Museen manche Anregung. Vor allem sammelte er bei den zahlreichen Industriellen, die er von seiner Ingenieurtätigkeit her kannte, Geld- und Sachspenden.
Die Nationalsozialisten hatten Miller immer für einen Linken gehalten. Damit taten sie ihm wohl unrecht. Miller hatte der Räteregierung genauso treu gedient wie dem Königshaus, mit dem braunen Gesindel konnte er sich nicht anfreunden. Im Jahr 1926 verbot er die Aufstellung eines Bismarck-Denkmals auf Museumsgrund, weil Bismarck sich nicht um die Technik verdient gemacht habe. Nach der Machtergreifung 1933 weigerte er sich zunächst, die Hakenkreuzfahne auf dem Museumsturm hissen zu lassen. Am 30. März 1933 trat er aus offensichtlich vorgeschobenen privaten Gründen von seinem Posten als erster Vorstand zurück. Am 9. April 1934 starb er an einem Herzanfall. Der Staatsakt bei der Beerdigung wurde ihm verweigert.
Das Buch berichtet nicht ganz erschöpfend über Millers Verhältnis zum Nationalsozialismus. Er war ein Anhänger der internationalen Zusammenarbeit und lehnte deshalb einen kleinlichen Nationalismus ab. Aber wie stand er zu den inhumanen Aspekten der Nazi-Ideologie, insbesondere zum Antisemitismus? Daß er Hitler und Konsorten ablehnte, weil sie dumm waren, ist nach der Lektüre des Buchs offensichtlich. Aber hat er sie auch abgelehnt, weil sie amoralisch waren?
Enthalten sind viele schöne Abbildungen. Leider sind sie größtenteils zu flau reproduziert. Ansonsten gibt es wenig zu kritisieren, außer daß der Autor manchmal zu unnötigen kleinen Wiederholungen neigt. Dabei ist Millers Geschichte so spannend, daß man sie gerne von Anfang bis Ende liest und diese Gedächtnisstützen überhaupt nicht benötigt.
ERNST HORST
Wilhelm Füßl: "Oskar von Miller". 1855-1934. Eine Biographie. C.H. Beck Verlag, München 2005. 452 S., 66 Abb., geb., 29,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 28.04.2006Es leuchten die Kirchtürme im sozialen Strom
Wilhelm Füßls gelungene Biographie über Oskar von Miller, den Ingenieur und Gründer des Deutschen Museums in München
Von Oskar von Miller, dessen 150. Geburtstag im vergangenen Jahr begangen wurde, liegt endlich eine moderne, quellengestützte, sehr gut lesbare und umfassende Biographie vor. Dass das üppig und mit klaren Reproduktionen gespickte Buch keine reine Apologetik wurde, ist dem Autor Wilhelm Füßl zu verdanken. Der Archivleiter des Deutschen Museums in München setzt dessen Gründer Oskar von Miller kein Denkmal, vielmehr hat er ihn konsequent historisiert und klug das Gewöhnliche und das Außerordentliche von Millers dargestellt. Zudem hat er die leidige Frage nach dem Zusammenhang von Leben und Werk durch die Dokumente beantworten lassen: Während die Arbeitsleistung gut rekonstruierbar ist, verschwindet die Person nahezu ganz hinter Auslandsreisen, Bauplänen, Ideen und Initiativen. Was es über den Menschen Oskar von Miller zu berichten gibt, kann man nun bei Füßl nachlesen.
Als Oskar von Miller am 7. Mai 1855 als jüngstes von vierzehn Kinder geboren wurde, hat er Glück bei der Wahl seiner Eltern. Der Vater Ferdinand von Miller hatte zu diesem Zeitpunkt in München die bronzene „Bavaria” über der Theresienwiese und die Löwen der Quadriga auf dem „Siegestor” gegossen und sollte bei seinem Tode 1887 eine der weltweit führenden Erzgießereien hinterlassen. Nebenbei: Ferdinand von Miller wartet noch auf seinen Biographen.
In der Münchner Maxvorstadt und in „Protzenhausen”, auch als Niederpöcking am Starnberger See bekannt, spielte sich Oskars bürgerliches Leben ab. Weil es mit dem humanistischen Gymnasium nichts wurde, führte sein Weg über das Realgymnasium zum Ingenieursstudium an der Polytechnischen Schule in München. Aus der Schul- und Studienzeit rührt die Bekanntschaft mit Max Planck und Rudolf Diesel her, die später seine Ambitionen unterstützen werden. Einschneidendes Erlebnis für von Miller wird die Pariser Elektrizitätsausstellung im Jahre 1881.
Vater hat jetzt Telefon
Bereits ein Jahr später kommt zur ersten Ausstellung dieser Art in Deutschland: Dem unbekannten und mittellosen von Miller gelingt es, in München das Thema Elektrizität auf die Agenda zu setzen. Die Beleuchtung der Türme der Liebfrauenkirche und die speziell für den Vater eingerichtete Telefonleitung waren Ereignisse, über die die Öffentlichkeit sprach. Banken und Industrie erkannten daraufhin von Millers Potential. Bereits im Dezember 1883 wird er Direktor in der von Emil Rathenau gegründeten Berliner „Deutschen Edison Gesellschaft”, die wenig später den Namen AEG trug. Obwohl von Miller er dort nur sechs Jahre aushielt, war vor allem durch die Kooperation mit Siemens & Halske auf Dauer erfolgreich.
Mit finanzieller Hilfe seiner in die Brauereidynastie Sedlmayr eingeheirateten Brüder gründete von Miller in München ein Ingenieursbüro. Bis zu seinem Tode wird er dieses Büro unterhalten, das zeitweise knapp vierzig Angestellte beschäftigt. Was er bei der AEG lernte, setzt er als Selbständiger konsequent um. Von Miller sieht die Zukunft der Elektrizität, ihrer Herstellung und Verbreitung, in der Beteiligung des Staates und der Kommunen und ihrer „natürlicher” Konkurrenten, der Unternehmen, an dieser rasant voranschreitenden Entwicklung. Füßl zeichnet diesen für den Erfolg von Millers wesentlichen Komplex besonders ausführlich nach. Seine Darstellung der „Internationalen Elektrotechnischen Ausstellung” 1891 in Frankfurt am Main und der in der Folge entstandenen Idee des „sozialen Stroms” zeigen, dass der Biograph über den letztlich doch engen Kreis des Ingenieurs von Miller weit hinauszublicken vermag. Klar wird das Konzept des „Netzes” veranschaulicht, werden die politischen Implikationen bei der Durchsetzung des Walchensee- und Bayernwerks in ihren Verästelungen nachgezeichnet.
Gerade in diesen Abschnitten ist die Abgeklärtheit des Autors erkenntniserschließend. Denn er versucht erst gar nicht, von Miller in einer Diskurswelt zu verankern, die im späten 19. Jahrhundert ihren Siegeszug antritt. Mit dem Erscheinen von Ernst Kapps „Grundlinien einer Philosophie der Technik” aus dem Jahr 1877 beginnt eine weitgefächerte Diskussion um die „Entstehungsgeschichte der Cultur aus neuen Gesichtspunkten”, wie es im Untertitel heißt. Später werden die Schriften Walther Rathenaus und der berühmte von Leo Kestenberg herausgegebene Sammelband „Kunst und Technik” (1930) die Diskussion um die Rolle der Technik in der Spätmoderne fortführen. An all diesen Debatten und Fragestellungen ist der Praktiker von Miller gänzlich unbeteiligt.
Das heißt nicht, dass ihm die Veränderungen der Umwelt entgingen. Seine Konzeption des Deutschen Museums, die er kurz nach der Jahrhundertwende beginnt und deren endgültige Realisierung erst 1925 gelingt, würde man heute manchem Haus wünschen: Neben der „Schaffung eines fachübergreifenden Museums”, der „Verbindung von Technik und Wissenschaft”, einem sogenannten „integrativen Sammeln” und dem erzieherischen Motiv der „Volksbildung”, steht die „internationale Ausrichtung des Museums durch den Gedanken der Entwicklungsreihe” im Vordergrund seiner Überlegungen.
Wie Füßl an den Gelenkstellen der Biographie betont, lässt in aus von Millers Leben und Denken keine „lineare” Geschichte konstruieren. So ist das Museumskonzept auf den ersten Blick fortschrittlich, was aber mit dem erklärten Monarchisten nicht unmittelbar in Verbindung zu bringen ist. Und das von Miller den Nationalsozialisten als „Roter” und „Judenfreund” galt, ließ ihn umso stärker an dem Ideal der „Überparteilichkeit” festhalten. So widersprüchlich und eigen blieb er bis zum Schluss. Als von Miller 1934 verstarb, ein Jahr nach seiner Frau Marie mit der er sieben Kinder hatte, war er bereits ein Mann, der aus Hintergrund agierte.
Nach der Lektüre des schönen Buches von Füßl versteht man gut, warum man ihn noch 2003 auf Platz 10 der beliebtesten Münchner setzte.
THOMAS MEYER
WILHELM FÜSSL: Oskar von Miller (1855-1934). Eine Biographie. Verlag C. H. Beck, München 2005. 452 Seiten, 29,90 Euro.
Elektrische Augen: Oskar von Miller (1855-1934)
Foto: Scherl
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
Wilhelm Füßls gelungene Biographie über Oskar von Miller, den Ingenieur und Gründer des Deutschen Museums in München
Von Oskar von Miller, dessen 150. Geburtstag im vergangenen Jahr begangen wurde, liegt endlich eine moderne, quellengestützte, sehr gut lesbare und umfassende Biographie vor. Dass das üppig und mit klaren Reproduktionen gespickte Buch keine reine Apologetik wurde, ist dem Autor Wilhelm Füßl zu verdanken. Der Archivleiter des Deutschen Museums in München setzt dessen Gründer Oskar von Miller kein Denkmal, vielmehr hat er ihn konsequent historisiert und klug das Gewöhnliche und das Außerordentliche von Millers dargestellt. Zudem hat er die leidige Frage nach dem Zusammenhang von Leben und Werk durch die Dokumente beantworten lassen: Während die Arbeitsleistung gut rekonstruierbar ist, verschwindet die Person nahezu ganz hinter Auslandsreisen, Bauplänen, Ideen und Initiativen. Was es über den Menschen Oskar von Miller zu berichten gibt, kann man nun bei Füßl nachlesen.
Als Oskar von Miller am 7. Mai 1855 als jüngstes von vierzehn Kinder geboren wurde, hat er Glück bei der Wahl seiner Eltern. Der Vater Ferdinand von Miller hatte zu diesem Zeitpunkt in München die bronzene „Bavaria” über der Theresienwiese und die Löwen der Quadriga auf dem „Siegestor” gegossen und sollte bei seinem Tode 1887 eine der weltweit führenden Erzgießereien hinterlassen. Nebenbei: Ferdinand von Miller wartet noch auf seinen Biographen.
In der Münchner Maxvorstadt und in „Protzenhausen”, auch als Niederpöcking am Starnberger See bekannt, spielte sich Oskars bürgerliches Leben ab. Weil es mit dem humanistischen Gymnasium nichts wurde, führte sein Weg über das Realgymnasium zum Ingenieursstudium an der Polytechnischen Schule in München. Aus der Schul- und Studienzeit rührt die Bekanntschaft mit Max Planck und Rudolf Diesel her, die später seine Ambitionen unterstützen werden. Einschneidendes Erlebnis für von Miller wird die Pariser Elektrizitätsausstellung im Jahre 1881.
Vater hat jetzt Telefon
Bereits ein Jahr später kommt zur ersten Ausstellung dieser Art in Deutschland: Dem unbekannten und mittellosen von Miller gelingt es, in München das Thema Elektrizität auf die Agenda zu setzen. Die Beleuchtung der Türme der Liebfrauenkirche und die speziell für den Vater eingerichtete Telefonleitung waren Ereignisse, über die die Öffentlichkeit sprach. Banken und Industrie erkannten daraufhin von Millers Potential. Bereits im Dezember 1883 wird er Direktor in der von Emil Rathenau gegründeten Berliner „Deutschen Edison Gesellschaft”, die wenig später den Namen AEG trug. Obwohl von Miller er dort nur sechs Jahre aushielt, war vor allem durch die Kooperation mit Siemens & Halske auf Dauer erfolgreich.
Mit finanzieller Hilfe seiner in die Brauereidynastie Sedlmayr eingeheirateten Brüder gründete von Miller in München ein Ingenieursbüro. Bis zu seinem Tode wird er dieses Büro unterhalten, das zeitweise knapp vierzig Angestellte beschäftigt. Was er bei der AEG lernte, setzt er als Selbständiger konsequent um. Von Miller sieht die Zukunft der Elektrizität, ihrer Herstellung und Verbreitung, in der Beteiligung des Staates und der Kommunen und ihrer „natürlicher” Konkurrenten, der Unternehmen, an dieser rasant voranschreitenden Entwicklung. Füßl zeichnet diesen für den Erfolg von Millers wesentlichen Komplex besonders ausführlich nach. Seine Darstellung der „Internationalen Elektrotechnischen Ausstellung” 1891 in Frankfurt am Main und der in der Folge entstandenen Idee des „sozialen Stroms” zeigen, dass der Biograph über den letztlich doch engen Kreis des Ingenieurs von Miller weit hinauszublicken vermag. Klar wird das Konzept des „Netzes” veranschaulicht, werden die politischen Implikationen bei der Durchsetzung des Walchensee- und Bayernwerks in ihren Verästelungen nachgezeichnet.
Gerade in diesen Abschnitten ist die Abgeklärtheit des Autors erkenntniserschließend. Denn er versucht erst gar nicht, von Miller in einer Diskurswelt zu verankern, die im späten 19. Jahrhundert ihren Siegeszug antritt. Mit dem Erscheinen von Ernst Kapps „Grundlinien einer Philosophie der Technik” aus dem Jahr 1877 beginnt eine weitgefächerte Diskussion um die „Entstehungsgeschichte der Cultur aus neuen Gesichtspunkten”, wie es im Untertitel heißt. Später werden die Schriften Walther Rathenaus und der berühmte von Leo Kestenberg herausgegebene Sammelband „Kunst und Technik” (1930) die Diskussion um die Rolle der Technik in der Spätmoderne fortführen. An all diesen Debatten und Fragestellungen ist der Praktiker von Miller gänzlich unbeteiligt.
Das heißt nicht, dass ihm die Veränderungen der Umwelt entgingen. Seine Konzeption des Deutschen Museums, die er kurz nach der Jahrhundertwende beginnt und deren endgültige Realisierung erst 1925 gelingt, würde man heute manchem Haus wünschen: Neben der „Schaffung eines fachübergreifenden Museums”, der „Verbindung von Technik und Wissenschaft”, einem sogenannten „integrativen Sammeln” und dem erzieherischen Motiv der „Volksbildung”, steht die „internationale Ausrichtung des Museums durch den Gedanken der Entwicklungsreihe” im Vordergrund seiner Überlegungen.
Wie Füßl an den Gelenkstellen der Biographie betont, lässt in aus von Millers Leben und Denken keine „lineare” Geschichte konstruieren. So ist das Museumskonzept auf den ersten Blick fortschrittlich, was aber mit dem erklärten Monarchisten nicht unmittelbar in Verbindung zu bringen ist. Und das von Miller den Nationalsozialisten als „Roter” und „Judenfreund” galt, ließ ihn umso stärker an dem Ideal der „Überparteilichkeit” festhalten. So widersprüchlich und eigen blieb er bis zum Schluss. Als von Miller 1934 verstarb, ein Jahr nach seiner Frau Marie mit der er sieben Kinder hatte, war er bereits ein Mann, der aus Hintergrund agierte.
Nach der Lektüre des schönen Buches von Füßl versteht man gut, warum man ihn noch 2003 auf Platz 10 der beliebtesten Münchner setzte.
THOMAS MEYER
WILHELM FÜSSL: Oskar von Miller (1855-1934). Eine Biographie. Verlag C. H. Beck, München 2005. 452 Seiten, 29,90 Euro.
Elektrische Augen: Oskar von Miller (1855-1934)
Foto: Scherl
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Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Thomas Meyer ist beeindruckt von Wilhelm Füßls Biografie von Oskar von Miller, dem Gründer des Deutschen Museums in München, weil sie "sehr gut lesbar" ist und nichtsdestotrotz einen komplexen Charakter angemessen darstellt - den Privatmenschen ebenso wie die öffentliche Person. Das gelingt auch dank der vielen Quellen, die hier reproduziert wurden. Millers bewegtes Leben und Denken lasse sich in keine geradlinige Erzählung einordnen, teilt der Rezensent die Einschätzung des Biografen. Stattdessen habe dieser "konsequent historisiert" und damit in geschickter Weise das "Gewöhnliche und das Außerordentliche" des Ingenieurs und Museumsgründers dargestellt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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