Marktplatzangebote
Ein Angebot für € 6,75 €
  • Broschiertes Buch

Das Lebensziel bleibt: 'Nachdem wir in der Völkerfamilie nun zum Subjekt geworden sind, das verantwortlich für unser Schicksal handeln kann, sollten wir unsere Selbstbestimmung vollenden, indem wir auf einen Zustand hinwirken, in dem Europa, zusammen mit Russland und unter der Mitwirkung Amerikas, zu dem unverwechselbaren attraktiven Kontinent des stabilen Friedens in der interpolaren Welt wird. Das ist mein Traum. Seit ich erlebt habe, dass ein Traum verwirklicht werden kann, bin ich überzeugt, dass wir das können, wenn wir wollen. Und Glück haben.'Der Warschauer Vertrag 1970'In der Nacht…mehr

Produktbeschreibung
Das Lebensziel bleibt: 'Nachdem wir in der Völkerfamilie nun zum Subjekt geworden sind, das verantwortlich für unser Schicksal handeln kann, sollten wir unsere Selbstbestimmung vollenden, indem wir auf einen Zustand hinwirken, in dem Europa, zusammen mit Russland und unter der Mitwirkung Amerikas, zu dem unverwechselbaren attraktiven Kontinent des stabilen Friedens in der interpolaren Welt wird. Das ist mein Traum. Seit ich erlebt habe, dass ein Traum verwirklicht werden kann, bin ich überzeugt, dass wir das können, wenn wir wollen. Und Glück haben.'Der Warschauer Vertrag 1970'In der Nacht wurde noch lange an der Fernsehansprache des Bundeskanzlers weitergearbeitet. Günter Grass und Siegfried Lenz halfen. Auch wenn nichts preisgegeben wurde, was nicht längst verspielt war, fiel die deutsche Unterschrift schwer. Der endgültige Verlust von Land, den die Sieger verfügt hatten, musste die Landsleute belasten und verletzen, gerade weil ihnen falsche Hoffnungen gemacht worden waren. Wir wussten, hier passierte etwas Definitives. Der rechtliche Vorbehalt des ausstehenden Friedensvertrages war unentbehrlich, gleichzeitig bloße Formsache. Für uns ein bedeutender Kraftakt, für Warschau der Vollzug des längst Selbstverständlichen. Würde man zu Hause verstehen, dass die Aufgabe aller territorialen Ansprüche eine Voraussetzung für die deutsche Einheit ist? Keiner der Sieger, auch nicht die westlichen, würden ihr zustimmen, wenn sie nach der Vereinigung der beiden Staaten deutsche Forderungen zu erwarten hätten.'
Autorenporträt
Egon Bahr, 1922 geboren, war nach 1945 Journalist bei verschiedenen Zeitungen und zehn Jahre beim RIAS. 1960 bis 1966 Senatssprecher und Leiter des Presse- und Informationsamtes in Berlin. 1969 bis 1974 Staatssekretär und Bundesminister für besondere Aufgaben im Bundeskanzleramt. 1974 bis 1976 Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit. 1976 bis 1981 Bundesgeschäftsführer der SPD und bis 1991 Präsidiumsmitglied. 1984 bis 1994 Direktor des Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg. Anlässlich seines 80. Geburtstages wurde Egon Bahr Ehrenbürger von Berlin. Er verstarb im August 2015.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.07.2012

Der entscheidende Rat
Egon Bahrs pointierte und schnörkellose Bilanz

So kennt man ihn. Eloquent, pointiert, schnörkellos. Jetzt zieht Egon Bahr Bilanz. Sein Buch ist der autobiographisch geprägte Bericht eines Mannes, der die deutsche Geschichte über Jahrzehnte hinweg als Journalist und Politiker eng begleitet und ihr hier und da auch seinen Stempel aufgedrückt hat. Wie alle Deutschen seiner Generation ist Egon Bahr, Jahrgang 1922, durch die Zeit des Nationalsozialismus geprägt worden. Als "JM II, jüdischer Mischling zweiten Grades" wurde er im August 1944 aus der Wehrmacht entlassen und in einem Berliner Rüstungsbetrieb dienstverpflichtet. "Welche Ironie: Ich durfte kein Gewehr mehr tragen, war aber verantwortlich für die Verteilung der Waffen an die immer näher kommenden Fronten."

Berlin bleibt seine Heimat. Hier erlebt er "hautnah" den Einmarsch der "Russen" - Bahr spricht fast immer von den Russen, kaum von den Sowjets -, hier findet der gelernte Industriekaufmann den Weg in den Journalismus, hier lernt er Ende 1959 Willy Brandt kennen. Der Regierende Bürgermeister ist ein aufmerksamer Hörer der Sendung "Egon Bahr aus Bonn", die jahrelang vom Rias ausgestrahlt wird, und erkennt das Talent des zehn Jahre Jüngeren. Fortan verbindet beide eine berufliche und politische Partnerschaft, die bald zu einer engen Freundschaft wird und bis zum Tode Brandts im Oktober 1992 hält.

Bahr beginnt seine Karriere an der Seite des gerade zum Kanzlerkandidaten der SPD gekürten Brandt als Leiter des Presse- und Informationsamtes des Landes Berlin, folgt ihm 1966 als Leiter des Planungsstabes ins Bonner Auswärtige Amt und von dort 1969 ins Kanzleramt, wo er als Staatssekretär und Bevollmächtigter der Bundesregierung in Berlin amtiert und maßgeblich für die Verhandlungen mit der Sowjetunion und der DDR zuständig ist. Die alte Reichshauptstadt ist der Dreh- und Angelpunkt im Denken und Planen der beiden, weil sie wissen, dass das Schicksal des geteilten Deutschland im geteilten Berlin entschieden wird, weil sie eine geradezu emotionale Bindung an die Stadt verspüren und weil sie dort ihre prägenden Erfahrungen gemacht haben. "Für mein späteres politisches Denken", sagt Bahr heute, "waren die Tage im Juni 1953 ein Schlüsselerlebnis: Mit einer Bewegung von unten kann man nichts machen, alle Versuche, der Sowjetunion ihren Einflussbereich zu entreißen oder sie zu destabilisieren, waren sinnlos." Was bleibt, ist die Anerkennung dieser Realität und die Hoffnung, den "Wandel durch Anerkennung" erwirken zu können. So sagt es Bahr Mitte Juli 1963 in seiner berühmt gewordenen Rede an der Evangelischen Akademie in Tutzing. Der Text findet sich mit anderen Dokumenten, wie dem sogenannten Bahr-Papier vom Frühjahr 1970, also den Ergebnissen seiner Sondierungen mit dem sowjetischen Außenminister Gromyko, im Anhang des Buches. Dass Bahr heute in der Vereinigung Deutschlands eine späte Folge dieser politischen Strategie sieht, wird man ihm nicht verdenken, und dass er den dafür unmittelbar Verantwortlichen, allen voran Helmut Kohl, seinen Respekt nicht versagt, zeugt von seiner Aufrichtigkeit.

So blickt Egon Bahr heute zurück auf ein langes, insgesamt erfolgreiches, von Anfeindungen nicht freies Leben - im Reinen mit sich, seiner Partei und manchen schwierigen Weggefährten, wie Herbert Wehner, und überzeugt davon, dass er im Mai 1974 "Brandt den Rat gegeben" hat, vom Amt des Kanzlers "zurückzutreten", was man bislang nicht wusste. Ein informatives, ein entspanntes Buch.

GREGOR SCHÖLLGEN

Egon Bahr: Ostwärts und nichts vergessen! Kooperation statt Konfrontation. VSA: Verlag, Hamburg 2012. 200 S., 16,80 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr