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"OstWind" ist die Geschichte einer Frau, die den Mut hat, ihre Erlebnisse in einer Stadt im Osten Deutschlands zu veröffentlichen und damit eine Lawine von positiven und negativen Reaktionen auslöst: eine Kette neuer und turbulenter Geschichten. "OstWind" ist Fortsetzung und Zuspitzung des Bestsellers und Vorgängers "NeuLand".

Produktbeschreibung
"OstWind" ist die Geschichte einer Frau, die den Mut hat, ihre Erlebnisse in einer Stadt im Osten Deutschlands zu veröffentlichen und damit eine Lawine von positiven und negativen Reaktionen auslöst: eine Kette neuer und turbulenter Geschichten. "OstWind" ist Fortsetzung und Zuspitzung des Bestsellers und Vorgängers "NeuLand".
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 22.03.2000

Von der Wupper an die Oder
Luise Endlichs neues Buch über ihre Schwierigkeiten mit den „Oststädtern” / Von Rita Kuczynski
„OstWind”, das neue Buch von Luise Endlich, ist das alte Buch von Luise Endlich. Es hieß „NeuLand”. Und das alte Buch brachte Frankfurt/Oder, von der Autorin simpel Oststadt genannt, fatal nicht nur in die deutschen Schlagzeilen. Da auch von Fremdenfeindlichkeit, Ausländerhass und Intoleranz die Rede war, nahm selbst die New York Times jene Ereignisse in Frankfurt/Oder besorgt zur Kenntnis.
Was war geschehen? Eine Frau aus Wuppertal war mit ihrer Familie nach Frankfurt/Oder, weil der Mann dort zum Chefarzt aufsteigen konnte. Die Frau, Krankengymnastin, übt ihren Beruf nicht aus. Sie hat Schwierigkeiten, sich in den ostdeutschen Alltag einzufinden, nicht nur weil ihr Erscheinen von den Frankfurtern nicht eben freudig begrüßt wurde. Enttäuscht von ihrem misslungenen Versuchen, zu den Einheimischen heimische Beziehungen herzustellen, schreibt sie sich ihren Frust von der Seele, eigentlich nur um ihrem elfjährigen Sohn ein Dokument zu hinterlassen, wie es damals in Oststadt gewesen war.
Wäre die Autorin nicht nach Frankfurt/Oder gezogen, sondern in ein oberbayerisches Dorf mit zweitausend Seelen, wären die Notizen Notizen einer schwierigen Anpassungsphase im Leben von Luise Endlich geblieben, die der Sohn in einer anderen Zeit wahrscheinlich zur Kenntnis genommen hätte. Die Autorin hätte sich irgendwann ins Oberbayerische eingelebt oder wäre wieder fortgezogen. Da die Autorin jedoch nach Frankfurt/Oder, also nach Oststadt ging, ist alles anders gekommen. Das Buch wurde zum Politikum und Frankfurt/Oder wurde zum Symbol einer fremdenfeindlichen Grenzstadt, in die, folgte man den Überlegungen New Yorker Journale, UN-Truppen zu schicken sinnvoll wäre.
Schon in „NeuLand” hatte Luise Endlich ohne jegliche Reflexion aufgeschrieben, was sie in ihrem Alltag erlebte und was sie bei den Erlebnissen empfand. Darin besteht meines Erachtens der immense Wert des ersten Buches. Dass sie das Erlebte als die Wahrheit über die Ostdeutschen schlechthin begriff und die Ostdeutschen nun Schwarz auf Weiß lesen konnten, dass sie zehn Jahre nach der deutschen Einheit noch immer kulturlose Muffel seien, machte die Brisanz des alten Buches aus: Die Ostdeutschen tragen, hat Luise Endlich beobachtet, nicht nur braune Trainingsanzüge aus alten NVA-Beständen, sie trinken süßen Rotkäppchensekt, interessieren sich nicht für Lasagne und haben keinen Respekt vor trockenem Rotwein.
Die Ostdeutschen in Frankfurt/Oder waren nach Erscheinen des Buches sehr erbost über die Zugereiste aus Wuppertal und reagierten, wenn nicht wütend, dann zumindest doch gekränkt oder beleidigt. Zu einer sachlichen Diskussion über „NeuLand” kam es nicht. Im Gegenteil, zunächst wurde der Verkauf des Buches boykottiert, dann wurde die Autorin ausgegrenzt und als „Chefarzttussi aus dem Westen” in die Ecke gestellt. Flugblätter gegen die Autorin wurden in der Klinik des Mannes verteilt, die Autos der Familie wurden beschädigt, Drohbriefe und anonyme Anrufe häuften sich. „Luise go home”, hieß es unter anderem in einem der Briefe, den die Autorin in ihrem neuen Buch „OstWind” zitiert.
Andere Regeln, andere Riten
Zu den wahren Erlebnissen, die Luise Endlich aufgezeichnet hatte, gesellte sich also die wahre Wut der Frankfurter. Der aber wahrlich nicht demokratische Diskurs in Oststadt ließ die Medienleute aufhorchen und gen Frankfurt/Oder fahren. Die Stadt geriet in die Schlagzeilen. Wobei die Schlagzeilen selbst so alt sind wie die deutsche Einheit. In immer neuen Variationen zeigen sie an, dass sich die innere Einheit zwischen den alten und den neuen Bundesländern (noch immer) nicht eingestellt hat. Denn trotz aller Beschwörungsformeln und Zahlenmagie in deutschen Sozialreporten will gemütliches Beieinandersein im deutschen Alltag nicht gelingen. Und das hat auch mit dem Alltag selbst zu tun, in dem bekanntlich immer wiederkehrende und wenig beachtete Routinetätigkeiten als Verhaltensmuster festgeschrieben werden. Die Kenntnis seiner Regeln und Riten schlagen sich im täglichen Handeln nieder und werden stillschweigend vorausgesetzt.
Gegen diese stillschweigenden Voraussetzungen des Alltagslebens in Oststadt setzte Luise Endlich spätestens in „NeuLand” lauthals ihr Alltagswissen aus Weststadt als das wahre und richtige Alltagsleben und bekam den geballten Zorn der Frankfurter zu spüren. Denn das Lebensgefühl und der Alltag in Frankfurt/Oder ist nun mal ein anderes als in Wuppertal. Und läge Frankfurt/Oder nicht im Osten, würde diese Differenz als Differenz des Alltags auch ohne viel Aufhebens bestehen können.
Aber weil Frankfurt/Oder zu Oststadt generalisiert wurde, ist der Alltag in Frankfurt politisch kontaminiert. Und das im wörtlichen Sinn: Denn das Lebensgefühl und der Alltag in jeder Oststadt ist geprägt durch vierzig Jahre Staatssozialismus, in dem die SED-Führung mit großem Erfolg das Bürgertum beseitigt hatte, wenn es nicht von sich aus die DDR verließ. Das Resultat dieser „erfolgreichen Zerschlagung der Bourgeoisie durch den ersten Arbeiter- und Bauernstaat” war die Beseitigung der bürgerlichen Lebenswelt in Ostdeutschland. In Weststadt lebte weiter, was über mehr als 150 Jahre an Bürgerlichkeit gewachsen war und wurde, wenn überhaupt in der näheren Vergangenheit, nur durch Einwanderung vornehmlich von Türken und Italienern modifiziert. Dazu gehörten erfreulicherweise ihre Küchen, die zum festen Bestandteil der westdeutschen Küche geworden sind.
Da sich bürgerliche Alltagskultur weder verordnen noch mittels Aufklärung, guter Vorsätze oder durch Lasagnenachmittage herstellen lässt, wird sie wachsen müssen in Ostdeutschland. Das kann sie aber nicht ohne die Besitzstände, die zum Bürgertum dazugehören, und die sind auch in Frankfurt/Oder nicht gerade im Aufschwung begriffen.
Die Unterschiede in der Sozialisierung müssen dennoch nicht unabdingbar als „zivilisatorische Lücke” wahrgenommen werden, die unverzüglich zu schließen, Aufgabe der Ostdeutschen sei. Karierte Hausschuhe und Lurexpullover könnte man in Weststadt, entpolitisiert, eben so tolerieren, wie man die bayerischen Trachten gelten lässt. Dort aber, wo tatsächlich zivilisatorische Lücken augenscheinlich werden: bei Fremdenfeindlichkeit, Ausländerhass und der Unfähigkeit zu einem sachlichen Diskurs in der Stadt Frankfurt/Oder, könnte das neue Buch „OstWind” von Luise Endlich zum „Objekt” eines gemeinsamen Lernprozesses gemacht werden (Transit Verlag, 75 Seiten, 34 Mark). Denn es erzählt wieder in Luise Endlichs an Schlichtheit kaum zu übertreffender Art, was ihr als Autorin in Oststadt widerfuhr, nachdem sie „NeuLand” publiziert hatte.
Die Chance des Buches „OstWind” könnte im Zustandekommen des Dialogs liegen, der nach Erscheinen des ersten Buches in Frankfurt/Oder ausgeblieben war. Und die anreisenden Fernsehteams könnten mit leichtem Gepäck kommen, wenn sie all die alten Ostklischees zu Hause ließen. Und aus einem demokratischen Diskurs erwüchse nicht zuletzt für Luise Endlich vielleicht die Chance, in Frankfurt wieder ohne Angst vor Belästigung ins Konzert zu gehen, um aus den „Kinderszenen” von Schumann „Fürchtenmachen” zu hören.
Rita Kuczynski ist Schriftstellerin und lebt in Berlin.
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