Gewerkschaftsführer der westdeutschen Nachkriegsgeschichte. Unter seiner Ägide wurde die IG Metall, die ihn 1956 zu ihrem Ersten Vorsitzenden wählte, ein wichtiger Machtfaktor. Zum 100. Geburtstag Otto Brenners ist diese dreibändige Würdigung seines Lebens und Schaffens erschienen.
Erstmals analysiert eine umfassende politische Biografie den Lebensweg des "Eisernen Otto". Jens Becker und Harald Jentsch legen dar, wie es Brenner und der IG Metall unter teilweise heftigen Anfeindungen aus Politik und Wirtschaft gelang, Tarif- und Organisationsgeschichte zu schreiben.
Der Auswahlband von Reden macht deutlich, daß Otto Brenner sein Amt als umfassendes gesellschaftspolitisches Mandat sah. Neben seinem Einsatz für klassische Arbeitnehmerinteressen bezog er Stellung zur Atombewaffnung und dem "Bildungsnotstand", zu Mitbestimmung, Rationalisierung, Fragen des Sozialstaats und vielen Themen der Wirtschafts- und Sozialpolitik.
Über Brenners frühe Jahre geben seine Briefe Auskunft. Die von Peter Wald zusammengestellten und kommentierten Briefpassagen veranschaulichen die schwierigen Lebensumstände in der Zeit des Dritten Reichs und die Leiden der Bevölkerung im Bombenkrieg. Brenners Briefe sind zudem ein wichtiges Zeugnis vom Neubeginn in Westdeutschland nach der Befreiung 1945.
Erstmals analysiert eine umfassende politische Biografie den Lebensweg des "Eisernen Otto". Jens Becker und Harald Jentsch legen dar, wie es Brenner und der IG Metall unter teilweise heftigen Anfeindungen aus Politik und Wirtschaft gelang, Tarif- und Organisationsgeschichte zu schreiben.
Der Auswahlband von Reden macht deutlich, daß Otto Brenner sein Amt als umfassendes gesellschaftspolitisches Mandat sah. Neben seinem Einsatz für klassische Arbeitnehmerinteressen bezog er Stellung zur Atombewaffnung und dem "Bildungsnotstand", zu Mitbestimmung, Rationalisierung, Fragen des Sozialstaats und vielen Themen der Wirtschafts- und Sozialpolitik.
Über Brenners frühe Jahre geben seine Briefe Auskunft. Die von Peter Wald zusammengestellten und kommentierten Briefpassagen veranschaulichen die schwierigen Lebensumstände in der Zeit des Dritten Reichs und die Leiden der Bevölkerung im Bombenkrieg. Brenners Briefe sind zudem ein wichtiges Zeugnis vom Neubeginn in Westdeutschland nach der Befreiung 1945.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.07.2008Otto, der Eiserne
Gewerkschaftschef Brenner: Leben, Reden, Briefe
Zum hundertsten Geburtstag Otto Brenners publiziert die nach ihm benannte Stiftung der IG Metall eine Biographie und eine Auswahl seiner Reden, ferner eine Teilbiographie anhand seiner Briefe an Frau und Tochter. Die Bände zeigen, welche Kräfte - zusammenwirkend und widerstreitend - die wirtschaftlich-soziale und politische Ordnung der Bundesrepublik formten. Brenner, Jahrgang 1907, zeitlebens korrekt, bescheiden, zielstrebig, gradlinig und zuverlässig, Nichtraucher und Vegetarier, geprägt durch die hannoversche Arbeiterbewegung, arbeitete sich vom Hilfsarbeiter zum Betriebselektriker und Elektromonteur hoch, wurde Mitglied der Sozialistischen Arbeiterjugend und des Deutschen Metallarbeiterverbandes. 1926 trat er in die SPD ein, wurde 1931 als (zu) radikal ausgeschlossen und engagierte sich in der Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands. 1933 wurde er von der Gestapo verhaftet und wegen Vorbereitung zum Hochverrat zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt, stand anschließend unter Polizeiaufsicht, arbeitete als Tiefbauarbeiter, Monteur, Zeitungsbote.
Seit Kriegsende wieder in der SPD, 1946 bis 1953 im Stadtrat von Hannover, 1951 bis 1954 SPD-Abgeordneter im Niedersächsischen Landtag, beschritt er eine steile Gewerkschaftskarriere. 1947 wurde er Bezirksleiter der IG Metall in Hannover, 1952 gemeinsam mit Hans Brümmer Vorsitzender der IG Metall, von 1956 bis zu seinem Tod 1972 war er alleiniger Vorsitzender. 1961 wurde er Präsident des Internationalen Metallarbeiterbundes, 1971 Präsident des Europäischen Bundes Freier Gewerkschaften. Seine Leute nannten ihn respektvoll "Otto, den Eisernen".
Geprägt durch die Erfahrungen der Weimarer Zeit und die Verfolgung durch die Nationalsozialisten, kämpfte er für die Einheitsgewerkschaft und setzte sich schon früh in der Nachkriegszeit für die europäische Integration ein, von der er Impulse für die Umgestaltung der Bundespolitik erhoffte. Obgleich Autodidakt, gehörte er für zwei Jahrzehnte zu den wichtigsten programmatischen Köpfen der Gewerkschaftsbewegung. Für Bundeskanzler Adenauer war er ein Marxist und Kommunist. Auf dem linken Flügel der Gewerkschaften stehend, vertraten Brenner und die IG Metall die Auffassung, im Kapitalismus lasse sich keine gerechte Einkommens- und Vermögenspolitik erreichen. Die Gewerkschaften verstand er als Gegenmacht zum Kapitalismus - darin Widerpart des sozialpartnerschaftlich orientierten Flügels um Georg Leber und die IG Bau, Steine, Erden, der in ihnen den Ordnungsfaktor sah, um den Arbeitern einen Anteil am Produktivkapital zu verschaffen, zum Beispiel durch tariflich abgesicherte Vermögensbildung.
Brenner gehörte bei den Auseinandersetzungen um die Wiederbewaffnung in den fünfziger Jahren zu den erbitterten Gegnern der Regierung, ebenso in der "Spiegel"-Affäre 1962 und - ein Schwerpunkt der Biographie und der abgedruckten Reden - beim Widerstand gegen die dann 1968 beschlossenen Notstandsgesetze, von denen er eine Einschränkung der Arbeitnehmerrechte befürchtete. Auch in den sechziger Jahren noch sah Brenner in der Bundesrepublik eine Klassengesellschaft. Er verfocht das Konzept einer umfassenden Wirtschaftsdemokratie, verlangte volkswirtschaftliche Planung und wollte die Schlüsselindustrien in Gemeinwirtschaft überführen. Die Reden Brenners vergegenwärtigen die ganze Wucht der Auseinandersetzungen um die Notstandsgesetze und die Wirtschaftsordnung. Seine Haltung im Rahmen der Konzertierten Aktion charakterisieren die Autoren als "pragmatisch-distanziert".
Die Bände zeigen Brenner zum einen als mächtigen Lobbyisten, der gewaltige Arbeitskämpfe organisierte wie den fast viermonatigen Streik der Metallarbeiter in Schleswig-Holstein 1956/57 für die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall auch für die gewerblichen Arbeitnehmer; der schon früh die 35-Stunden-Woche verfocht und Tarifgeschichte schrieb, unter anderem bei Einführung der 40-Stunden-Woche. Ferner als politisch engagierten Gewerkschaftschef, als Sozialisten, der eine andere Gesellschaftsordnung wollte. Und schließlich als machtbewussten Wahrer von Macht und Eigenständigkeit der IG Metall sowohl in und gegenüber seiner Partei, der SPD, als auch in und gegenüber dem DGB, in dem die IG Metall ein Viertel bis ein Drittel der Mitglieder stellte - wohl wissend, dass sich die Ordnung einer Gesellschaft nicht zum wenigsten durch ihre Institutionen manifestiert.
GÜNTHER SCHULZ
Jens Becker/Harald Jentsch/Peter Wald (Herausgeber): Otto Brenner. Biographie, Reden, Briefe. 3 Bände im Schuber. Steidl Verlag, Göttingen 2007. 967 S., 48,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Gewerkschaftschef Brenner: Leben, Reden, Briefe
Zum hundertsten Geburtstag Otto Brenners publiziert die nach ihm benannte Stiftung der IG Metall eine Biographie und eine Auswahl seiner Reden, ferner eine Teilbiographie anhand seiner Briefe an Frau und Tochter. Die Bände zeigen, welche Kräfte - zusammenwirkend und widerstreitend - die wirtschaftlich-soziale und politische Ordnung der Bundesrepublik formten. Brenner, Jahrgang 1907, zeitlebens korrekt, bescheiden, zielstrebig, gradlinig und zuverlässig, Nichtraucher und Vegetarier, geprägt durch die hannoversche Arbeiterbewegung, arbeitete sich vom Hilfsarbeiter zum Betriebselektriker und Elektromonteur hoch, wurde Mitglied der Sozialistischen Arbeiterjugend und des Deutschen Metallarbeiterverbandes. 1926 trat er in die SPD ein, wurde 1931 als (zu) radikal ausgeschlossen und engagierte sich in der Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands. 1933 wurde er von der Gestapo verhaftet und wegen Vorbereitung zum Hochverrat zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt, stand anschließend unter Polizeiaufsicht, arbeitete als Tiefbauarbeiter, Monteur, Zeitungsbote.
Seit Kriegsende wieder in der SPD, 1946 bis 1953 im Stadtrat von Hannover, 1951 bis 1954 SPD-Abgeordneter im Niedersächsischen Landtag, beschritt er eine steile Gewerkschaftskarriere. 1947 wurde er Bezirksleiter der IG Metall in Hannover, 1952 gemeinsam mit Hans Brümmer Vorsitzender der IG Metall, von 1956 bis zu seinem Tod 1972 war er alleiniger Vorsitzender. 1961 wurde er Präsident des Internationalen Metallarbeiterbundes, 1971 Präsident des Europäischen Bundes Freier Gewerkschaften. Seine Leute nannten ihn respektvoll "Otto, den Eisernen".
Geprägt durch die Erfahrungen der Weimarer Zeit und die Verfolgung durch die Nationalsozialisten, kämpfte er für die Einheitsgewerkschaft und setzte sich schon früh in der Nachkriegszeit für die europäische Integration ein, von der er Impulse für die Umgestaltung der Bundespolitik erhoffte. Obgleich Autodidakt, gehörte er für zwei Jahrzehnte zu den wichtigsten programmatischen Köpfen der Gewerkschaftsbewegung. Für Bundeskanzler Adenauer war er ein Marxist und Kommunist. Auf dem linken Flügel der Gewerkschaften stehend, vertraten Brenner und die IG Metall die Auffassung, im Kapitalismus lasse sich keine gerechte Einkommens- und Vermögenspolitik erreichen. Die Gewerkschaften verstand er als Gegenmacht zum Kapitalismus - darin Widerpart des sozialpartnerschaftlich orientierten Flügels um Georg Leber und die IG Bau, Steine, Erden, der in ihnen den Ordnungsfaktor sah, um den Arbeitern einen Anteil am Produktivkapital zu verschaffen, zum Beispiel durch tariflich abgesicherte Vermögensbildung.
Brenner gehörte bei den Auseinandersetzungen um die Wiederbewaffnung in den fünfziger Jahren zu den erbitterten Gegnern der Regierung, ebenso in der "Spiegel"-Affäre 1962 und - ein Schwerpunkt der Biographie und der abgedruckten Reden - beim Widerstand gegen die dann 1968 beschlossenen Notstandsgesetze, von denen er eine Einschränkung der Arbeitnehmerrechte befürchtete. Auch in den sechziger Jahren noch sah Brenner in der Bundesrepublik eine Klassengesellschaft. Er verfocht das Konzept einer umfassenden Wirtschaftsdemokratie, verlangte volkswirtschaftliche Planung und wollte die Schlüsselindustrien in Gemeinwirtschaft überführen. Die Reden Brenners vergegenwärtigen die ganze Wucht der Auseinandersetzungen um die Notstandsgesetze und die Wirtschaftsordnung. Seine Haltung im Rahmen der Konzertierten Aktion charakterisieren die Autoren als "pragmatisch-distanziert".
Die Bände zeigen Brenner zum einen als mächtigen Lobbyisten, der gewaltige Arbeitskämpfe organisierte wie den fast viermonatigen Streik der Metallarbeiter in Schleswig-Holstein 1956/57 für die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall auch für die gewerblichen Arbeitnehmer; der schon früh die 35-Stunden-Woche verfocht und Tarifgeschichte schrieb, unter anderem bei Einführung der 40-Stunden-Woche. Ferner als politisch engagierten Gewerkschaftschef, als Sozialisten, der eine andere Gesellschaftsordnung wollte. Und schließlich als machtbewussten Wahrer von Macht und Eigenständigkeit der IG Metall sowohl in und gegenüber seiner Partei, der SPD, als auch in und gegenüber dem DGB, in dem die IG Metall ein Viertel bis ein Drittel der Mitglieder stellte - wohl wissend, dass sich die Ordnung einer Gesellschaft nicht zum wenigsten durch ihre Institutionen manifestiert.
GÜNTHER SCHULZ
Jens Becker/Harald Jentsch/Peter Wald (Herausgeber): Otto Brenner. Biographie, Reden, Briefe. 3 Bände im Schuber. Steidl Verlag, Göttingen 2007. 967 S., 48,- [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rasend viel berichtet Günther Schulz nicht, was die Machart des von der Otto-Brenner-Stiftung publizierten Bandes angeht. Biografie und Redenauswahl und Briefband in einem, eröffnet ihm das Buch einen Blick auf die Kräfte hinter der wirtschaftlichen, sozialen und politischen bundesrepublikanischen Nachkriegsordnung, indem es die Gewerkschaftskarriere Otto Brenners nachzeichnet. Als einen von den drei Herausgebern gesetzten Schwerpunkt erkennt Schulz Brenners Verhalten gegenüber den 1968 beschlossenen Notstandsgesetzen und der bundesrepublikanischen Wirtschaftsordnung. In der Darstellung der Autoren und in seinen Reden erscheint ihm Brenner als Verfechter einer umfassenden Wirtschaftsdemokratie, als mächtiger Lobbyist und engagierter Sozialist, der "Tarifgeschichte" schrieb.
© Perlentaucher Medien GmbH
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