Die Ottonen, das vierte große Herrschergeschlecht des deutschen Mittelalters, das zur lezten Jahrtausendwende regierte, zieht zunehmend das Publikum in seinen Bann. Den beiden umstrittensten Herrschern dieser Dynastie zu Beginn unseres Jahrtausend ist der vorliegende Band gewidmet.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 31.03.1998Die Kaiser herrschen nur in den Texten
Jedenfalls für den Historiker: Was eine Wende war, hängt davon ab, wie man das Wort dreht und wendet
Mirabilia mundi, Wunder der Welt, hießen sie Otto III., den Enkel Ottos des Großen, der mit einundzwanzig Jahren ins Grab sank. Ein Wunderkind? "Jüngling im Sternenmantel" gar (G. Bäumer)? So mächtig und seine Welt prägend, die Zeitgenossen so irritierend auch, daß sein Erscheinen als Wunder, sein Tod als Einschnitt wirkte? So umstritten, daß schon sein Nachfolger aus der bisherigen Nebenlinie des liudolfingischen Königsgeschlechts, Kaiser Heinrich II., der Gründer des Bamberger Bistums, zuvor sein treuester Paladin, sich so entschieden von ihm abwandte, daß sein eigener Herrschaftsantritt als Wende gelten könnte, und dies, obwohl er allenthalben die Kontinuität zu seinem Vorgänger betont wissen wollte? Über derartige Fragen zerbrachen sich ein Jahrtausend nach Ottos Kaiserkrönung im Jahre 996 Historiker den Kopf. Acht Referate des Symposions liegen nun im Druck vor, hervorragend und sibyllinisch eingeleitet durch Bernd Schneidmüller ("Wende der Königsherrschaft oder Wende der Mediävistik?"), gedankenreich und weiterführend zusammengefaßt von Stefan Weinfurter.
Schneidmüller hebt auf die "ganz unterschiedlichen Wahrheiten von der Wende des Jahres 1002" ab, evoziert also das Problem der Relativität historischen Erkennens. Er reagiert damit auf eine Diskussion, die in den letzten Jahren in der Mediävistik gerade im Blick auf das zehnte und frühe elfte Jahrhundert ausgebrochen ist. Es geht um die Erkennbarkeit einer zeitfernen und nur durch Texte vermittelten Welt, um divergierende Wahrnehmungspotentiale, Brüchigkeit und Tragfähigkeit historischer Quellen, um empirische Daten und historische Fakten; es geht um die alt-neue Frage nach den Beziehungen zwischen den Dingen und dem wahrnehmenden Bewußtsein. Beteiligt an der Diskussion sind, soweit es den Kontext der ersten Jahrtausendwende betrifft, neben einigen der an dem vorliegenden Band Mitwirkenden auf der "Gegenseite" Autoren wie Michael Borgolte, Otto Gerhard Oexle oder ich selbst, mit scharfer Kritik an bestimmten Ansätzen auch Hartmut Hoffmann, mit wieder anderen Einsichten August Nitschke. Indes, Weinfurters abgewogenes Resümee, das seinerseits vor allem auf die programmatische Hervorhebung des "Königtums" unter Heinrich II. statt des "Kaisertums" wie unter Otto III., auf einen virulenten Wechsel von Deutungsmustern also, verweist, kann von jenen erkenntniskritischen Fragen wenig mehr finden.
In der Tat, zwischen aufwühlender Einführung und abschließendem Resümee sieht sich der Leser gänzlich beruhigt. Die Mehrzahl der "Wahrheiten", von denen Schneidmüller einleitend sprach, verteilt sich auf acht verschiedene Gegenstände und verschleiert damit die Brisanz ihrer Unterschiedlichkeit. So dienen die königlichen Grablegen, das herrscherliche Verhalten im politischen Konflikt, die Ostpolitik, der Umgang mit Kirchen und Kirchenrecht, das Mönchtum, die Herrschaftsstruktur des deutsche, westfränkische, slawische und italische Regionen umklammernden Imperiums (Odilo Engels), die Aussagen der Urkunden (J. W. Bernhardt) sowie die Besuche der Pfalzen und sonstigen Orte als unproblematische, erkenntnistheoretisch gleichsam schmerzfreie Wendepunkte oder Durchgangsposten politischen Handelns im früheren Mittelalter. Ungedruckt blieb der Beitrag des Kunsthistorikers Rainer Kahsnitz über die Herrscherbilder in zeitgenössischen Handschriften, der vor allem darauf abhob, die Einflußnahme der Könige auf ihre Darstellung nicht zu überschätzen.
Von Joachim Ehlers abgesehen, der bei der Einrichtung der Grablegen keine Wende konstatieren möchte, beantworten die meisten Autoren die Frage nach einer solchen, wenn auch in unterschiedlichen Graden von Entschiedenheit, positiv. Heinrich habe, wie Gerd Althoff findet, die (von ihm selbst, Gerd Althoff, entwickelten) Spielregeln des Rituals der Konfliktbeendigung durch Milde verheißende Unterwerfung unter den König mißachtet, die alle drei Ottonen zuvor eingehalten hätten. Derselbe König und Kaiser habe weiter, so registriert voll skeptischer Zurückhaltung hinsichtlich einer umfassenden Wende K. Görich, gegenüber dem polnischen Fürsten Boleslaw Chrobry zwar eine andere Politik als sein Vorgänger eingeschlagen, damit aber lediglich auf die durch den unerwarteten Tod Ottos III. veränderten Handlungsspielräume reagiert, um im Kern die durch Boleslaw bedrohte adlige Rangordnung und den königlichen Honor und damit Kontinuität der Handlungsimpulse zu wahren. Anders in der Welt der Klöster. Während Otto griechisches Mönchtum und Eremitentum bevorzugte, förderte sein Nachfolger entschieden das lateinische Benediktinertum (Hubertus Seibert). Anders auch die Durchdringung des Herrschaftsgebiets mit der unmittelbaren Gegenwart des Kaisers oder Königs. Sie sah sich, und zwar keineswegs aufgrund eines Wandels im Wahrnehmungsverhalten der Historiographen, sondern aufgrund einer anderen Selbstdarstellung der Herrscher, unter Heinrich auf mehr Regionen und Orte seines Reiches nördlich der Alpen ausgedehnt und intensiver zur Geltung gebracht als je unter einem Herrscher vor ihm (Thomas Zotz).
Der bedeutendste Beitrag stammt aus der Feder von Ernst-Dieter Hehl, einem Kenner des Kirchenrechts und Synodalwesens der Epoche. Otto strebte danach einen tiefgreifenden kirchlichen Strukturwandel an, wollte in steter Kooperation mit dem Papst die unter Otto dem Großen erwirkte "Präeminenz" des Mainzer Erzbischofs beseitigen und kraft kaiserlicher Gesetzgebungsmacht, vielleicht nach byzantinischem Muster, die Reichskirche entschieden auf Kaiser und Papst hin ausrichten; das Bemühen fand seinen hervorragendsten Ausdruck - so Hehl in kühner Beobachtung - in dem Plan, in Aachen ein Bistum zu gründen. Heinrich hingegen beendete derartige Neuerungen, strebte nach althergebrachter Kooperation mit den Bischöfen und ließ in Bamberg statt in Aachen ein Bistum entstehen.
So weit, so gut. Eine Serie wichtiger Untersuchungen liegt hier vor. Indes, sie betreffen durchweg die erste Hälfte der eingangs von Schneidmüller aufgeworfenen Doppelfrage. Ob eine "Wende der Mediävistik" sich abzeichne und ob die These einer "Wende der Königsherrschaft" von Otto III. zu Heinrich II. dafür als Prüfstein tauge, die Frage also nach metatextueller Erkennbarkeit und Konzeptualisierung von Wende oder Kontinuität und damit von Geschichte überhaupt, die Frage eben nach der Selbstvergewisserung der Disziplin, blieb tatsächlich ausgespart.
"Wende" aber, hingenommen oder verworfen, ist ein Analysebegriff mit Experimentcharakter und zugleich ein Deutungsmuster, eine Wahrnehmensschablone und Erkenntnismatrize, wie "Kontinuität" selbstverständlich auch. Wer unkontrolliert experimentiert, weiß nicht, was er findet. Wer willkürlich, gleichsam blindlings zu jenen Matrizen greift, mag manches entdecken, ohne zu ahnen, was; wer sie verschmäht, bleibt blind. Wie also sind derartige Schablonen zu stanzen, um sichtbar zu machen, was sie sichtbar machen sollen? Rituale sind in ein Wahrnehmungssystem eingespannt. Sie lassen sich nicht isoliert von jenem übergreifenden "Ganzen" erfassen, aus dem allein ihnen Sinn zufließt. Der Sprung von einem "Wende"-Muster zur Schablone "Handlungsspielraum" verlagert, "wendet" das Problem aus einem kategorialen Bereich in einen anderen, vom "Tun" nämlich zum "Leiden", und erklärt somit nichts. Auffallen mag, daß Ottos III. "Erneuerung des Römerreiches", die jahrzehntelang das Bild des jugendlichen Kaisers beherrscht hatte, anscheinend sang-und klanglos verabschiedet wurde; nur in der Kargheit gelehrter Anmerkungen fristet sie noch ein schattenhaftes Dasein. Dabei hätte sie eine Verteidigung verdient, wie Hehls Beitrag lehrt. Opfer eines Schablonenwechsels? Einer begrifflichen Experimentserie? Auf jeden Fall rührt die Frage, ob Otto eine derartige "Erneuerung" beabsichtigte oder nicht, abermals an die Erkennbarkeit vergangener Intentionen und Lebenswelten, die heute nur mehr als Textwelten greifbar sind.
Die angesprochenen und von Weinfurter resümierten "Kontinuitäten" bleiben beispielsweise, wissenssoziologisch ein wenig schärfer als in den vorliegenden Aufsätzen gefaßt, keineswegs so evident, wie es auf den ersten Blick erscheinen mag. Ich kann das hier nur an einigen unter beiden Kaisern gepflegten Heiligenkulten illustrieren. Die Verehrung der Apostelfürsten Petrus und Paulus kann nur der oberflächlichste Blick als gleichbleibend wahrnehmen. Otto verband mit ihr, wie erneut Hehls Ausführungen zu zeigen vermögen, ganz andere Intentionen als Heinrich. Zwar wurde der Bischof Ulrich von Augsburg bereits unter Otto III. zur Ehre der Altäre erhoben, doch es geschah, als Ottos Großmutter, die Kaiserin Adelheid, die Repräsentantin der mit der heinrizianischen Linie sympathisierenden Adelsgruppe, die Regierung für den minderjährigen König führte. Volljährig geworden, schenkte der jugendliche Herrscher dem neuen Heiligen keinerlei Aufmerksamkeit; erst Heinrich II. wandte sich ihm dauerhaft zu. Eklatante Diskontinuität im Gewand von Kontinuität also.
Der heilige Mauritius, der Heilige des von Otto dem Großen gegründeten Erzbistums Magdeburg, besaß unter Otto III. eine wesentlich andere Funktion als unter dessen Nachfolger Heinrich. Am Grabesort des großen Kaisers erhob er sich nämlich als einer der Hauptheiligen des regierenden ottonischen Zweiges der Herrscherfamilie; unter dem zweiten Heinrich aber wandelte er sich, worauf Weinfurter zutreffend verweist, zu einem Königsheiligen gerade der erst mit diesem Heinrich den Thron besteigenden heinrizianischen Linie. Sichtbar wird es an dem heiligsten Herrschaftszeichen der Liudolfinger, der bereits von Heinrich I. erworbenen "Heiligen Lanze". Sie wurde zunächst mit Konstantin dem Großen in Verbindung gebracht, galt unter Heinrich II. aber plötzlich als "Lanze des heiligen Mauritius" und machte damit ihren Erwerber, den königlichen Großvater des jetzt regierenden Herrschers, zum Begründer des Mauritiuskults innerhalb der Königsfamilie, was er gewiß nicht war. Derartige Kontinuität verschleierte den tatsächlichen Bruch.
Den folgenreichsten Fall von interaktiver Diskontinuität stellt der heilige Adalbert dar, der Protomärtyrer Polens. Seinen Kult förderte Otto III. in Kooperation mit dem polnischen Fürsten Boleslaw besonders intensiv; Heinrich II. indessen vollzog zwar die von seinem Vorgänger geplante Gründung eines Adalbertstifts in Aachen, machte damit aber den Heiligen zu einer religiösen Kraft gegen seinen Feind Boleslaw von Polen, der sich denn auch umgehend anschickte, neue polnische Landesheilige zu suchen oder zu küren. Derartige Heiligenkulte verraten mithin mehr an Wendedynamik, als ihre bloße Fortdauer unter dem einen oder anderen König und Kaiser anzuzeigen vermag.
In toto: Die acht Studien wirken nach der gelehrten Streit verheißenden Einführung Schneidmüllers überraschend einträchtig; so, als herrschte eitel Konsens, als gäbe es keine abweichenden Interpretationen, keine konkurrierenden Wahrheiten und Erkenntnisnöte. Signalisieren die hier vorgelegten Forschungen also eine "Wende in der Mediävistik" oder die übliche "Normalwissenschaft" (Thomas Kuhn)? Die Antwort müßte wohl lauten: Es kommt darauf an, was man aus ihnen macht. JOHANNES FRIED
Bernd Schneidmüller, Stefan Weinfurter (Hrsg.): "Otto III. - Heinrich II. Eine Wende?" Mittelalter-Forschungen, Band 1. Jan Thorbecke Verlag, Sigmaringen 1997. 438 S., Abb., geb., 98,- DM.
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Jedenfalls für den Historiker: Was eine Wende war, hängt davon ab, wie man das Wort dreht und wendet
Mirabilia mundi, Wunder der Welt, hießen sie Otto III., den Enkel Ottos des Großen, der mit einundzwanzig Jahren ins Grab sank. Ein Wunderkind? "Jüngling im Sternenmantel" gar (G. Bäumer)? So mächtig und seine Welt prägend, die Zeitgenossen so irritierend auch, daß sein Erscheinen als Wunder, sein Tod als Einschnitt wirkte? So umstritten, daß schon sein Nachfolger aus der bisherigen Nebenlinie des liudolfingischen Königsgeschlechts, Kaiser Heinrich II., der Gründer des Bamberger Bistums, zuvor sein treuester Paladin, sich so entschieden von ihm abwandte, daß sein eigener Herrschaftsantritt als Wende gelten könnte, und dies, obwohl er allenthalben die Kontinuität zu seinem Vorgänger betont wissen wollte? Über derartige Fragen zerbrachen sich ein Jahrtausend nach Ottos Kaiserkrönung im Jahre 996 Historiker den Kopf. Acht Referate des Symposions liegen nun im Druck vor, hervorragend und sibyllinisch eingeleitet durch Bernd Schneidmüller ("Wende der Königsherrschaft oder Wende der Mediävistik?"), gedankenreich und weiterführend zusammengefaßt von Stefan Weinfurter.
Schneidmüller hebt auf die "ganz unterschiedlichen Wahrheiten von der Wende des Jahres 1002" ab, evoziert also das Problem der Relativität historischen Erkennens. Er reagiert damit auf eine Diskussion, die in den letzten Jahren in der Mediävistik gerade im Blick auf das zehnte und frühe elfte Jahrhundert ausgebrochen ist. Es geht um die Erkennbarkeit einer zeitfernen und nur durch Texte vermittelten Welt, um divergierende Wahrnehmungspotentiale, Brüchigkeit und Tragfähigkeit historischer Quellen, um empirische Daten und historische Fakten; es geht um die alt-neue Frage nach den Beziehungen zwischen den Dingen und dem wahrnehmenden Bewußtsein. Beteiligt an der Diskussion sind, soweit es den Kontext der ersten Jahrtausendwende betrifft, neben einigen der an dem vorliegenden Band Mitwirkenden auf der "Gegenseite" Autoren wie Michael Borgolte, Otto Gerhard Oexle oder ich selbst, mit scharfer Kritik an bestimmten Ansätzen auch Hartmut Hoffmann, mit wieder anderen Einsichten August Nitschke. Indes, Weinfurters abgewogenes Resümee, das seinerseits vor allem auf die programmatische Hervorhebung des "Königtums" unter Heinrich II. statt des "Kaisertums" wie unter Otto III., auf einen virulenten Wechsel von Deutungsmustern also, verweist, kann von jenen erkenntniskritischen Fragen wenig mehr finden.
In der Tat, zwischen aufwühlender Einführung und abschließendem Resümee sieht sich der Leser gänzlich beruhigt. Die Mehrzahl der "Wahrheiten", von denen Schneidmüller einleitend sprach, verteilt sich auf acht verschiedene Gegenstände und verschleiert damit die Brisanz ihrer Unterschiedlichkeit. So dienen die königlichen Grablegen, das herrscherliche Verhalten im politischen Konflikt, die Ostpolitik, der Umgang mit Kirchen und Kirchenrecht, das Mönchtum, die Herrschaftsstruktur des deutsche, westfränkische, slawische und italische Regionen umklammernden Imperiums (Odilo Engels), die Aussagen der Urkunden (J. W. Bernhardt) sowie die Besuche der Pfalzen und sonstigen Orte als unproblematische, erkenntnistheoretisch gleichsam schmerzfreie Wendepunkte oder Durchgangsposten politischen Handelns im früheren Mittelalter. Ungedruckt blieb der Beitrag des Kunsthistorikers Rainer Kahsnitz über die Herrscherbilder in zeitgenössischen Handschriften, der vor allem darauf abhob, die Einflußnahme der Könige auf ihre Darstellung nicht zu überschätzen.
Von Joachim Ehlers abgesehen, der bei der Einrichtung der Grablegen keine Wende konstatieren möchte, beantworten die meisten Autoren die Frage nach einer solchen, wenn auch in unterschiedlichen Graden von Entschiedenheit, positiv. Heinrich habe, wie Gerd Althoff findet, die (von ihm selbst, Gerd Althoff, entwickelten) Spielregeln des Rituals der Konfliktbeendigung durch Milde verheißende Unterwerfung unter den König mißachtet, die alle drei Ottonen zuvor eingehalten hätten. Derselbe König und Kaiser habe weiter, so registriert voll skeptischer Zurückhaltung hinsichtlich einer umfassenden Wende K. Görich, gegenüber dem polnischen Fürsten Boleslaw Chrobry zwar eine andere Politik als sein Vorgänger eingeschlagen, damit aber lediglich auf die durch den unerwarteten Tod Ottos III. veränderten Handlungsspielräume reagiert, um im Kern die durch Boleslaw bedrohte adlige Rangordnung und den königlichen Honor und damit Kontinuität der Handlungsimpulse zu wahren. Anders in der Welt der Klöster. Während Otto griechisches Mönchtum und Eremitentum bevorzugte, förderte sein Nachfolger entschieden das lateinische Benediktinertum (Hubertus Seibert). Anders auch die Durchdringung des Herrschaftsgebiets mit der unmittelbaren Gegenwart des Kaisers oder Königs. Sie sah sich, und zwar keineswegs aufgrund eines Wandels im Wahrnehmungsverhalten der Historiographen, sondern aufgrund einer anderen Selbstdarstellung der Herrscher, unter Heinrich auf mehr Regionen und Orte seines Reiches nördlich der Alpen ausgedehnt und intensiver zur Geltung gebracht als je unter einem Herrscher vor ihm (Thomas Zotz).
Der bedeutendste Beitrag stammt aus der Feder von Ernst-Dieter Hehl, einem Kenner des Kirchenrechts und Synodalwesens der Epoche. Otto strebte danach einen tiefgreifenden kirchlichen Strukturwandel an, wollte in steter Kooperation mit dem Papst die unter Otto dem Großen erwirkte "Präeminenz" des Mainzer Erzbischofs beseitigen und kraft kaiserlicher Gesetzgebungsmacht, vielleicht nach byzantinischem Muster, die Reichskirche entschieden auf Kaiser und Papst hin ausrichten; das Bemühen fand seinen hervorragendsten Ausdruck - so Hehl in kühner Beobachtung - in dem Plan, in Aachen ein Bistum zu gründen. Heinrich hingegen beendete derartige Neuerungen, strebte nach althergebrachter Kooperation mit den Bischöfen und ließ in Bamberg statt in Aachen ein Bistum entstehen.
So weit, so gut. Eine Serie wichtiger Untersuchungen liegt hier vor. Indes, sie betreffen durchweg die erste Hälfte der eingangs von Schneidmüller aufgeworfenen Doppelfrage. Ob eine "Wende der Mediävistik" sich abzeichne und ob die These einer "Wende der Königsherrschaft" von Otto III. zu Heinrich II. dafür als Prüfstein tauge, die Frage also nach metatextueller Erkennbarkeit und Konzeptualisierung von Wende oder Kontinuität und damit von Geschichte überhaupt, die Frage eben nach der Selbstvergewisserung der Disziplin, blieb tatsächlich ausgespart.
"Wende" aber, hingenommen oder verworfen, ist ein Analysebegriff mit Experimentcharakter und zugleich ein Deutungsmuster, eine Wahrnehmensschablone und Erkenntnismatrize, wie "Kontinuität" selbstverständlich auch. Wer unkontrolliert experimentiert, weiß nicht, was er findet. Wer willkürlich, gleichsam blindlings zu jenen Matrizen greift, mag manches entdecken, ohne zu ahnen, was; wer sie verschmäht, bleibt blind. Wie also sind derartige Schablonen zu stanzen, um sichtbar zu machen, was sie sichtbar machen sollen? Rituale sind in ein Wahrnehmungssystem eingespannt. Sie lassen sich nicht isoliert von jenem übergreifenden "Ganzen" erfassen, aus dem allein ihnen Sinn zufließt. Der Sprung von einem "Wende"-Muster zur Schablone "Handlungsspielraum" verlagert, "wendet" das Problem aus einem kategorialen Bereich in einen anderen, vom "Tun" nämlich zum "Leiden", und erklärt somit nichts. Auffallen mag, daß Ottos III. "Erneuerung des Römerreiches", die jahrzehntelang das Bild des jugendlichen Kaisers beherrscht hatte, anscheinend sang-und klanglos verabschiedet wurde; nur in der Kargheit gelehrter Anmerkungen fristet sie noch ein schattenhaftes Dasein. Dabei hätte sie eine Verteidigung verdient, wie Hehls Beitrag lehrt. Opfer eines Schablonenwechsels? Einer begrifflichen Experimentserie? Auf jeden Fall rührt die Frage, ob Otto eine derartige "Erneuerung" beabsichtigte oder nicht, abermals an die Erkennbarkeit vergangener Intentionen und Lebenswelten, die heute nur mehr als Textwelten greifbar sind.
Die angesprochenen und von Weinfurter resümierten "Kontinuitäten" bleiben beispielsweise, wissenssoziologisch ein wenig schärfer als in den vorliegenden Aufsätzen gefaßt, keineswegs so evident, wie es auf den ersten Blick erscheinen mag. Ich kann das hier nur an einigen unter beiden Kaisern gepflegten Heiligenkulten illustrieren. Die Verehrung der Apostelfürsten Petrus und Paulus kann nur der oberflächlichste Blick als gleichbleibend wahrnehmen. Otto verband mit ihr, wie erneut Hehls Ausführungen zu zeigen vermögen, ganz andere Intentionen als Heinrich. Zwar wurde der Bischof Ulrich von Augsburg bereits unter Otto III. zur Ehre der Altäre erhoben, doch es geschah, als Ottos Großmutter, die Kaiserin Adelheid, die Repräsentantin der mit der heinrizianischen Linie sympathisierenden Adelsgruppe, die Regierung für den minderjährigen König führte. Volljährig geworden, schenkte der jugendliche Herrscher dem neuen Heiligen keinerlei Aufmerksamkeit; erst Heinrich II. wandte sich ihm dauerhaft zu. Eklatante Diskontinuität im Gewand von Kontinuität also.
Der heilige Mauritius, der Heilige des von Otto dem Großen gegründeten Erzbistums Magdeburg, besaß unter Otto III. eine wesentlich andere Funktion als unter dessen Nachfolger Heinrich. Am Grabesort des großen Kaisers erhob er sich nämlich als einer der Hauptheiligen des regierenden ottonischen Zweiges der Herrscherfamilie; unter dem zweiten Heinrich aber wandelte er sich, worauf Weinfurter zutreffend verweist, zu einem Königsheiligen gerade der erst mit diesem Heinrich den Thron besteigenden heinrizianischen Linie. Sichtbar wird es an dem heiligsten Herrschaftszeichen der Liudolfinger, der bereits von Heinrich I. erworbenen "Heiligen Lanze". Sie wurde zunächst mit Konstantin dem Großen in Verbindung gebracht, galt unter Heinrich II. aber plötzlich als "Lanze des heiligen Mauritius" und machte damit ihren Erwerber, den königlichen Großvater des jetzt regierenden Herrschers, zum Begründer des Mauritiuskults innerhalb der Königsfamilie, was er gewiß nicht war. Derartige Kontinuität verschleierte den tatsächlichen Bruch.
Den folgenreichsten Fall von interaktiver Diskontinuität stellt der heilige Adalbert dar, der Protomärtyrer Polens. Seinen Kult förderte Otto III. in Kooperation mit dem polnischen Fürsten Boleslaw besonders intensiv; Heinrich II. indessen vollzog zwar die von seinem Vorgänger geplante Gründung eines Adalbertstifts in Aachen, machte damit aber den Heiligen zu einer religiösen Kraft gegen seinen Feind Boleslaw von Polen, der sich denn auch umgehend anschickte, neue polnische Landesheilige zu suchen oder zu küren. Derartige Heiligenkulte verraten mithin mehr an Wendedynamik, als ihre bloße Fortdauer unter dem einen oder anderen König und Kaiser anzuzeigen vermag.
In toto: Die acht Studien wirken nach der gelehrten Streit verheißenden Einführung Schneidmüllers überraschend einträchtig; so, als herrschte eitel Konsens, als gäbe es keine abweichenden Interpretationen, keine konkurrierenden Wahrheiten und Erkenntnisnöte. Signalisieren die hier vorgelegten Forschungen also eine "Wende in der Mediävistik" oder die übliche "Normalwissenschaft" (Thomas Kuhn)? Die Antwort müßte wohl lauten: Es kommt darauf an, was man aus ihnen macht. JOHANNES FRIED
Bernd Schneidmüller, Stefan Weinfurter (Hrsg.): "Otto III. - Heinrich II. Eine Wende?" Mittelalter-Forschungen, Band 1. Jan Thorbecke Verlag, Sigmaringen 1997. 438 S., Abb., geb., 98,- DM.
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