„Saint wusste selbst nicht, was schlimmer war: die Begegnung mit dem was man liebte, oder dem, was man über alles fürchtete.“ S.176
Saint ist eine alterslose Schwarze Magierin, die in den 1830er Jahren in der Nähe von St. Louis eine Stadt namens OURS als Zufluchtsort für befreite und
ausgebrochene Sklav:innen gründet. OURS ist unsichtbar und nur seine Bewohner:innen und erwünschte Personen…mehr„Saint wusste selbst nicht, was schlimmer war: die Begegnung mit dem was man liebte, oder dem, was man über alles fürchtete.“ S.176
Saint ist eine alterslose Schwarze Magierin, die in den 1830er Jahren in der Nähe von St. Louis eine Stadt namens OURS als Zufluchtsort für befreite und ausgebrochene Sklav:innen gründet. OURS ist unsichtbar und nur seine Bewohner:innen und erwünschte Personen finden Zugang. Nachrichten von Draußen und die Vorboten des Sezessionskriegs dringen kaum in die Stadt. Saints Zauber ist mächtig und nichts ist ihr so wichtig, wie ihr Refugium zu schützen, das jedoch auf ausgelöschten Vergangenheiten und verlorenen Kulturen gebaut ist. Und so bleibt die Gegenwart eine Geisterbahn, in der die Ahnen den Takt angeben, Grenzen zwischen den Lebenden und den Toten unklar sind, wo Zauber und Flüche zur Realität gehören. Saint wird nicht nur geachtet, sondern auch gefürchtet, denn um Frieden und Sicherheit aufrecht zu erhalten, ruft sie auch dunkle Mächte an. Doch Unheil und Gefahr sind nicht aufzuhalten und vielleicht ist die größte aller Gefahren sogar die Liebe.
Saint ist gerade am Anfang eine Hauptakteurin, allerdings gibt es eigentlich nur EINE zentrale Figur in diesem Roman: DIE STADT OURS. Zahlreiche ihrer Bewohner:innen mit ihren verborgenen Geschichten voller Wunden und Narben der Versklavung, werden uns vorgestellt und in Beziehung gesetzt. Vor uns ersteht eine Welt, die sich wie ein Wimmelbild im Detail der Charaktere verliert, um als ein großes farbenprächtiges Universum aufzuerstehen.
Dieses Universum ist genauso viel oder wenig ein historischer oder philosophischer Roman, wie ein Mystery-Thriller, wie ein Fantasy-Märchen oder eine Parabel. Es ist von allem etwas und es ist GIGANTISCH, die amerikanische Geschichte der Sklaverei noch mal ganz anders erzählt. Zusammengehalten wird sie von einer poetischen, bis ins Detail polierten Sprache, die an Märchen aus 1001 Nacht erinnert.
Ich möchte nicht wissen, wie lange Phillip B. Williams an diesen 700 Seiten modelliert hat. Es blitzt und donnert in allen Farben und Tönen, Schlangen schlängeln, Häuser sprechen, Stimmen wispern und Gerüche vernebeln die Sinne. Es „räkeln sich Zweige kahl und spitz wie der Tod“ oder „strotzen von dichtem, lebendigem Grün“ und es „schält sich ein Flüstern vom Stamm“. S.67
Doch die Stärke ist für mich gleichzeitig eine Schwäche. Bei 700 Seiten bleibt die Freude an schöner Sprache nicht erhalten, wenn sie so dominiert, dass mir die Entwicklung der vielen Charaktere verloren geht. Die Vielstimmigkeit dieser Stadt, die mich anfangs noch fasziniert hat, erschöpft mich zusehends. Andere Rezensionen, die mich ermunterten zu vertrauen, dass sich alles auflöst und zu einem guten Ende kommt, haben mich über den drohenden Abbruch hinweg getragen.
Trotz der persönlichen Kritik empfehle ich es geduldigen Leser:innen mit Freude an großen Epen, in denen es viel zu entdecken gibt. Hier stecken mindestens drei Romane in einem: neben dem großen Spektakel OURS habe ich oft an Mithu Sanyals „Identitti“ gedacht oder an Percival Everetts „James“.