Sie kiffen, klauen, hängen ab. Der Anführer Zarco, der allen Angst einjagt, die verführerische Tere mit den grausam grünen Augen, und all die anderen, die kein Zuhause haben. Als Ignacio dazustößt, werden aus Kleinkriminellen bewaffnete Gangster. Banküberfälle, Nutten und harte Drogen sind jetzt ihr Alltag. Dann gibt es den ersten Toten, und Ignacio weiß: wenn er leben will, muss er aussteigen, auch wenn er die schöne Tere nie wiedersehen wird. Jahre später treffen sie sich vor Gericht wieder: Zarco als Angeklagter und Ignacio als Strafverteidiger. Aufwühlend und sehr einfühlsam erzählt Javier Cercas von den zerrissenen Freundschaften einer verlorenen Jugend in Spanien.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Die Menschlichkeit dieses Buches erstaunt Ralph Hammerthaler. Der Held Zarco, ein Outlaw der spanischen Transición nach Francos Tod, einen kleinen Gangster , der sein ganzes Leben lang nicht aus dem Milieu rauskommt und den die Vergangenheit einholt, scheint dem Rezensenten, wie auch die anderen Figuren im Buch, zwar durchaus unzuverlässig, aber umso spannungsfördernder und in seiner Banalität genau gezeichnet. Schwungvoll findet er die Gangstersaga von Javier Cercas entworfen, wortkarge Szenen scheinen ihm stark, die Lektüre als Ganzes genussvoll. Bitter auch: Von den beutezügen des jungen Zarco und seiner Bande haben weder er noch andere etwas. Alles werde gleich auf den Kopf gehauen: "Großes Besäufnis, geile Drogen, geile Nutten."
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.05.2014Böse Buben für die schönsten Mädchen
Leben am Limit: Javier Cercas zeichnet in seinem Roman "Outlaws" ein düsteres Sittenbild Spaniens vom Postfranquismus bis zur Gegenwart.
Was machen die Spanier nur besser als wir? Ihre Wirtschaft steckt seit Jahren in einer kratertiefen Krise, ihre Wohnungen werden zu Zehntausenden zwangsversteigert, ihr Land leidet unter apokalyptischer Jugendarbeitslosigkeit, und trotzdem lassen sie sich ihre Laune nicht verderben. Diese Gelassenheit wirkt nur aus der Distanz verblüffend und erklärt sich aus der Innenansicht des Landes: Die Spanier haben vor nicht allzu langer, noch längst nicht historischer Zeit, nach dem Tod des faschistischen Diktators Franco 1975, viel Schlimmeres erlebt als heute. Und der Schrecken jener existentiellen Krise steckt noch immer vielen Menschen in Köpfen und Knochen. Damals ging eine gefühlte halbe Generation in den postfranquistischen Wirren verloren, die eben nicht nur aus dem Partyleben der berühmten "movida" bestand, sondern auch aus Drogen, Gewalt, Kriminalität und Aids.
Dieser verlorenen Generation hat Javier Cercas seinen neuen Roman gewidmet, der im Deutschen den etwas irreführenden Cowboy-Filmtitel "Outlaws" trägt und im Original deutlich passender, wenn auch wesentlich sperriger "Die Gesetze der Grenze" heißt. An der Grenze zwischen Gesetz und Verbrechen, Hoffnung und Fatalismus, Liebe und Verrat leben die drei Protagonisten des Buches: der Gangster Zarco, seine Freundin Tere und Ignacio, genannt Gafitas, die Brillenschlange, drei Jugendliche aus Cercas' Heimatstadt Girona, die sich im Sommer 1978 kennenlernen, obwohl sie aus diametralen Welten kommen. Zarco und Tere sind in den anarchistischen Slums der katalanischen Stadt aufgewachsen, in denen die Arbeitsimmigranten aus dem Süden wie menschlicher Abfall hausen, während Ignacio aus einem besseren Viertel und einer bürgerlichen Familie stammt. Er schließt sich Zarcos Bande an, die sich nicht lange mit Kleinkriminalität aufhält, sondern bald ins Erpressungsgeschäft einsteigt, en gros mit Drogen handelt und Banken ausraubt. Bei einem solchen Überfall wird Zarco geschnappt, womit seine Karriere als Schwerverbrecher zementiert ist. Ignacio aber kann wundersamerweise entkommen und einen anderen Lebensweg einschlagen.
Jahrzehnte vergehen, die Zarco weitgehend im Gefängnis oder auf der Flucht verbringt und darüber zum berüchtigsten Verbrecher Spaniens wird, während Ignacio zum bekanntesten Anwalt Gironas aufsteigt. Als Tere, die große, unerreichte Liebe seines Lebens, sich wieder bei ihm meldet, versucht Ignacio alles, um Zarco aus dem Zuchthaus zu holen oder ihm zumindest Freigang zu verschaffen. Schließlich gelingt es ihm, doch für ein Happy End ist es nicht nur in Zarcos Leben längst zu spät.
Javier Cercas erzählt die drei Lebensgeschichten aus den Perspektiven des Anwalts Ignacio, eines damals ermittelnden Polizeiinspektors und eines ehemaligen Gefängnisdirektors, die wiederum viele Jahre nach den Geschehnissen von einem Journalisten befragt werden - und stellt sich mit dieser Interview-Konstruktion selbst eine Falle. Denn zum einen erreicht er dank der Dialoge zwar große sprachliche Lebendigkeit, muss dafür aber eine ebenso große und keineswegs nur zeitliche Distanz zu seinen Figuren in Kauf nehmen.
Cercas gelingt es, dank der Rückschauen seiner Protagonisten das Girona der achtziger Jahre mit all seinem erzkatholischen Muff und seinem bigotten Bürgertum, seiner Ungerechtigkeit und seiner Verlogenheit, seiner Schizophrenie aus franquistischer Glaubenstreue und ungläubigem Taumeln in die neue Zeit der Demokratie wieder zum Leben zu erwecken. Gleichzeitig aber bleiben der Schwerverbrecher Zarco, die sterbensschöne Tere und selbst der innerlich zerrissene Ignacio, der Hauptzeuge der Geschichte, blass und blutleer, Schimären in der prallen Kulisse, als wären sie nur Gespenster der Erinnerung. Es wird immer nur gesagt, was geschah, nie erlebt man es mit, alles ist Rekonstruktion, nichts Aktion. Und es wird - allein schon wegen der Verdreifachung der Perspektive - so oft gesagt, dass man ein ums andere Mal in einen zähen Nebel aus erzählerischen Redundanzen gerät und auch selten in scharfsinnigen Erkenntnissen der Beteiligten Trost findet. Ganz im Gegenteil: Während man als Leser schon nach ein paar Seiten das falsche Spiel von Tere mit Ignacio durchschaut, begreift dieser erst auf den letzten achtzig Seiten, dass er von seiner großen Liebe nur ausgenutzt und nie geliebt wurde. "So sind die Frauen schließlich: Sie verwandeln ihre Absichten in Gefühle. Das haben sie schon immer getan."
Hätte Javier Cercas genau dasselbe getan wie die schöne Tere und seine gute Absicht, den schmerzvollen Übergang Spaniens von der Diktatur zur Demokratie packender, mitreißender, emotionaler beschrieben, wäre ihm ein ganz großes Buch gelungen. So ist es nur ein ziemlich gutes.
JAKOB STROBEL Y SERRA
Javier Cercas: "Outlaws". Roman.
Aus dem Spanischen von Peter Kultzen. S. Fischer Verlag, Frankfurt 2014. 508 S., geb., 24,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Leben am Limit: Javier Cercas zeichnet in seinem Roman "Outlaws" ein düsteres Sittenbild Spaniens vom Postfranquismus bis zur Gegenwart.
Was machen die Spanier nur besser als wir? Ihre Wirtschaft steckt seit Jahren in einer kratertiefen Krise, ihre Wohnungen werden zu Zehntausenden zwangsversteigert, ihr Land leidet unter apokalyptischer Jugendarbeitslosigkeit, und trotzdem lassen sie sich ihre Laune nicht verderben. Diese Gelassenheit wirkt nur aus der Distanz verblüffend und erklärt sich aus der Innenansicht des Landes: Die Spanier haben vor nicht allzu langer, noch längst nicht historischer Zeit, nach dem Tod des faschistischen Diktators Franco 1975, viel Schlimmeres erlebt als heute. Und der Schrecken jener existentiellen Krise steckt noch immer vielen Menschen in Köpfen und Knochen. Damals ging eine gefühlte halbe Generation in den postfranquistischen Wirren verloren, die eben nicht nur aus dem Partyleben der berühmten "movida" bestand, sondern auch aus Drogen, Gewalt, Kriminalität und Aids.
Dieser verlorenen Generation hat Javier Cercas seinen neuen Roman gewidmet, der im Deutschen den etwas irreführenden Cowboy-Filmtitel "Outlaws" trägt und im Original deutlich passender, wenn auch wesentlich sperriger "Die Gesetze der Grenze" heißt. An der Grenze zwischen Gesetz und Verbrechen, Hoffnung und Fatalismus, Liebe und Verrat leben die drei Protagonisten des Buches: der Gangster Zarco, seine Freundin Tere und Ignacio, genannt Gafitas, die Brillenschlange, drei Jugendliche aus Cercas' Heimatstadt Girona, die sich im Sommer 1978 kennenlernen, obwohl sie aus diametralen Welten kommen. Zarco und Tere sind in den anarchistischen Slums der katalanischen Stadt aufgewachsen, in denen die Arbeitsimmigranten aus dem Süden wie menschlicher Abfall hausen, während Ignacio aus einem besseren Viertel und einer bürgerlichen Familie stammt. Er schließt sich Zarcos Bande an, die sich nicht lange mit Kleinkriminalität aufhält, sondern bald ins Erpressungsgeschäft einsteigt, en gros mit Drogen handelt und Banken ausraubt. Bei einem solchen Überfall wird Zarco geschnappt, womit seine Karriere als Schwerverbrecher zementiert ist. Ignacio aber kann wundersamerweise entkommen und einen anderen Lebensweg einschlagen.
Jahrzehnte vergehen, die Zarco weitgehend im Gefängnis oder auf der Flucht verbringt und darüber zum berüchtigsten Verbrecher Spaniens wird, während Ignacio zum bekanntesten Anwalt Gironas aufsteigt. Als Tere, die große, unerreichte Liebe seines Lebens, sich wieder bei ihm meldet, versucht Ignacio alles, um Zarco aus dem Zuchthaus zu holen oder ihm zumindest Freigang zu verschaffen. Schließlich gelingt es ihm, doch für ein Happy End ist es nicht nur in Zarcos Leben längst zu spät.
Javier Cercas erzählt die drei Lebensgeschichten aus den Perspektiven des Anwalts Ignacio, eines damals ermittelnden Polizeiinspektors und eines ehemaligen Gefängnisdirektors, die wiederum viele Jahre nach den Geschehnissen von einem Journalisten befragt werden - und stellt sich mit dieser Interview-Konstruktion selbst eine Falle. Denn zum einen erreicht er dank der Dialoge zwar große sprachliche Lebendigkeit, muss dafür aber eine ebenso große und keineswegs nur zeitliche Distanz zu seinen Figuren in Kauf nehmen.
Cercas gelingt es, dank der Rückschauen seiner Protagonisten das Girona der achtziger Jahre mit all seinem erzkatholischen Muff und seinem bigotten Bürgertum, seiner Ungerechtigkeit und seiner Verlogenheit, seiner Schizophrenie aus franquistischer Glaubenstreue und ungläubigem Taumeln in die neue Zeit der Demokratie wieder zum Leben zu erwecken. Gleichzeitig aber bleiben der Schwerverbrecher Zarco, die sterbensschöne Tere und selbst der innerlich zerrissene Ignacio, der Hauptzeuge der Geschichte, blass und blutleer, Schimären in der prallen Kulisse, als wären sie nur Gespenster der Erinnerung. Es wird immer nur gesagt, was geschah, nie erlebt man es mit, alles ist Rekonstruktion, nichts Aktion. Und es wird - allein schon wegen der Verdreifachung der Perspektive - so oft gesagt, dass man ein ums andere Mal in einen zähen Nebel aus erzählerischen Redundanzen gerät und auch selten in scharfsinnigen Erkenntnissen der Beteiligten Trost findet. Ganz im Gegenteil: Während man als Leser schon nach ein paar Seiten das falsche Spiel von Tere mit Ignacio durchschaut, begreift dieser erst auf den letzten achtzig Seiten, dass er von seiner großen Liebe nur ausgenutzt und nie geliebt wurde. "So sind die Frauen schließlich: Sie verwandeln ihre Absichten in Gefühle. Das haben sie schon immer getan."
Hätte Javier Cercas genau dasselbe getan wie die schöne Tere und seine gute Absicht, den schmerzvollen Übergang Spaniens von der Diktatur zur Demokratie packender, mitreißender, emotionaler beschrieben, wäre ihm ein ganz großes Buch gelungen. So ist es nur ein ziemlich gutes.
JAKOB STROBEL Y SERRA
Javier Cercas: "Outlaws". Roman.
Aus dem Spanischen von Peter Kultzen. S. Fischer Verlag, Frankfurt 2014. 508 S., geb., 24,99 [Euro].
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Der spanische Autor Javier Cercas hat einen großen Roman über die Macht der Illusion geschrieben. Paul Ingendaay Deutschlandfunk 20150714