Outline ist ein so wagemutiger wie eleganter Roman über Liebe, Verlust, Erinnerung und den elementaren Drang, den anderen und sich selbst Geschichten zu erzählen.
Eine Schriftstellerin reist im Hochsommer nach Athen, um dort einen Schreibkurs zu geben. Während ihre eigenen Verhältnisse vorerst im Dunkeln bleiben, wird sie zur Zuhörerin einer Reihe von Lebensgeschichten und -beichten. Beginnend mit dem Sitznachbarn auf dem Hinflug, seinen Schilderungen von schnellen Booten und gescheiterten Ehen, erzählen ihre Bekanntschaften von Ängsten, Begierden, Versäumnissen und Lieblingstheorien. In der erstickenden Hitze und dem Lärm der Stadt erschaffen diese verschiedenen Stimmen ein komplexes Tableau menschlichen Lebens. Und dabei wird, zunächst in Umrissen, zugleich das Bild einer Frau - der Schriftstellerin - kenntlich, die zu lernen beginnt, einem einschneidenden Verlust zu begegnen.
Eine Schriftstellerin reist im Hochsommer nach Athen, um dort einen Schreibkurs zu geben. Während ihre eigenen Verhältnisse vorerst im Dunkeln bleiben, wird sie zur Zuhörerin einer Reihe von Lebensgeschichten und -beichten. Beginnend mit dem Sitznachbarn auf dem Hinflug, seinen Schilderungen von schnellen Booten und gescheiterten Ehen, erzählen ihre Bekanntschaften von Ängsten, Begierden, Versäumnissen und Lieblingstheorien. In der erstickenden Hitze und dem Lärm der Stadt erschaffen diese verschiedenen Stimmen ein komplexes Tableau menschlichen Lebens. Und dabei wird, zunächst in Umrissen, zugleich das Bild einer Frau - der Schriftstellerin - kenntlich, die zu lernen beginnt, einem einschneidenden Verlust zu begegnen.
buecher-magazin.deDie Schriftstellerin Faye scheint eine ideale Zuhörerin zu sein. Schon vor ihrer Abreise ins hochsommerliche Athen gibt ihr ein Multimillionär Einblicke in sein Leben, dann beginnt ihr Sitznachbar im Flugzeug, von seinen Ehen und Booten zu berichten. Im Verlauf ihrer Reise werden ihr immer wieder Menschen aus ihren Leben erzählen, während Faye es versteht, die wichtigen und richtigen Fragen zu stellen. Rachel Cusk lässt die Figuren von ihrem eigenen Leben sprechen, sie lässt sie es gewissermaßen zusammenfassen, zeigt sie aber niemals in der Vergangenheit. Daher besteht "Outline" fast ausschließlich aus Unterhaltungen. Von der Erzählerin ist nur über ihre Rückmeldungen und wenige wiedergegebene Gedanken etwas zu erfahren. So enthält das Buch eine Vielzahl von Lebensentwürfen und zeigt, welche Rolle Narrationen im eigenen Leben spielen. Wenn beispielsweise eine griechische Schriftstellerin erzählt, wie sie sich aus der inhärenten Unterdrückung durch Ehe und Mutterschaft befreit hat, dann schwingt eine leise Enttäuschung mit, dass ihr Mann und ihr Sohn während ihrer Krankheit ohne sie zurechtgekommen sind. Diese Enttäuschung wandelt sie jedoch durch ihre Erzählung in einen Weg zu ihrem neuen Ich - und entwirft damit ihr eigenes Leben neu.
© BÜCHERmagazin, Sonja Hartl (sh)
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»Ein meisterhaftes Versteckspiel ...« Nicole Althaus NZZ am Sonntag 20241124
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.05.2016Sommertage in Athen
Ist das Zusammenfassen eine Schreibstörung, oder gehört es zum Leben? Rachel Cusks Roman "Outline" bezieht seine Stärke aus einer passiven Erzählerin, die vor allem eines kann: zuhören.
Sie sagt "ich", aber sie sagt nicht, wie sie heißt. Weit jenseits der Mitte des Buchs nennt sie plötzlich jemand Faye. Auch sonst erfahren wir wenig über die Erzählerin in Rachel Cusks Roman "Outline". Wir haben, was ihr persönliches Leben angeht, nichts Genaues außer den Daten - geschieden, zwei Kinder, Schriftstellerin aus England, allein.
Sie verbringt zwei Wochen in Athen, um einen Schreibkurs zu unterrichten. Menschen öffnen sich ihr. Sie hört zu, beobachtet. Sie kommentiert, was sie hört, fast immer zurückhaltend. Sie spricht nicht von sich. Es ist, als hätte sie kein Leben. Was nicht ganz richtig ist. Sie hat es nur hinter sich gelassen. Einmal schreibt ihr Sohn eine SMS und fragt, wo sein Tennisschläger sei. Ein andermal ruft der andere Sohn an, weil er sich verlaufen hat, damit sie ihm erklärt, wie er zur Schule findet. Das ist ihr Familienleben.
Die Erzählerin nimmt Gestalt an durch die Geschichten, denen sie zuhört, und über die sie nachdenkt. Wird sie dabei eine andere? Schwer zu sagen, da wir nicht wissen, wer sie ist, wenn wir mit ihr den Raum des Romans betreten. Eine Erzählerin, die vor allem zuhört, ist jedenfalls eine Markierung, dass wir es mit einem besonderen Stück Literatur zu tun bekommen.
"Outline" besteht fast vollständig aus Unterhaltungen, wobei die Passivität der Erzählerin einen Redefluss bei ihrem jeweiligen Gegenüber in Gang setzt, der auch Persönlichstes, Intimstes nach oben spült, Fragen der Familienplanung, der Eifersucht, des eigenen Scheiterns an Träumen, die fast schon wahr geworden waren, von Pleiten und Pannen. Faye sagt zu alledem fast nichts. Sie wird auch ihrerseits kaum etwas gefragt.
Über die gesamte Strecke namenlos bleibt die Figur, mit der sie immer wieder zusammentrifft, ihr Sitznachbar auf dem Flug von London nach Athen. "Mein Nachbar", wie er für den Rest des Romans heißt, was sehr komisch ist. Sie trifft ihn im Verlauf ihres Aufenthalts in Athen einige Male, macht Ausfahrten mit ihm auf seinem Boot, hört ihm zu, wie er vom Scheitern seiner Ehen erzählt, betrachtet seinen behaarten Bauch und die goldenen Accessoires, die an Hals, Handgelenk und hinten im Mund blitzen. Es war ihr im Sitzen im Flugzeug nicht aufgefallen, dass er "doppelt so breit" war wie sie. "Unsere erste Begegnung war in gewissem Sinne immateriell gewesen; hoch oben über der Welt zählt das Gegenständliche nicht, treten die Unterschiede zurück. Die körperliche Präsenz meines Nachbarn, die mir dort oben so leicht vorgekommen war, gewann hier unten an Schwere, und in der Folge schien er mir fremd, als wäre Kontext auch nur eine Form von Gefangenschaft."
Es sind solche Beobachtungen, in denen die Erzählerin Kontur gewinnt, verschwommen zunächst wie eine Figur, die aus der Unschärfe eines dunklen Hintergrunds immer näher an den Schärfebereich herantritt, weniger verschwommen wird im Lauf der Zeit, aber niemals scharf gestellt.
Der Nachbar ist zwar dick, aber nicht ohne Charme. Beim zweiten Bootsausflug versucht er, sie zu küssen, was sie zurückweist, peinlich berührt, als hätte sie es nicht kommen sehen. Eine Bekannte, der sie davon erzählt, meint zu der Geschichte, sie sei für brutale Ehrlichkeit zwischen Männern und Frauen. Um Missverständnissen vorzubeugen. Sie wolle gern wissen, wenn ein Mann ihr nur Komplimente machte und ihren Wein bezahlte, weil er sie ins Bett ziehen wollte. Ihr wäre lieber, er sagte es gleich. Hätte Faye ihren Nachbarn wissen lassen, sie fände ihn alt und dick und interessiere sich nur für ihn, weil er ein Auto und ein Boot habe und es heiß sei in Athen, wo sie kaum jemanden sonst kenne, wäre das mit dem ungelenken Kussversuch nicht passiert.
Es geht in den Unterhaltungen der Figuren fast immer um Männer und Frauen. Um den Abgrund zwischen ihnen, der von Ehe, Kindern, Arrangements, die sie miteinander schließen, nicht wirklich überbrückt wird. Ihre Geschichten kreisen um die Frage, ob Beziehungen, Freundschaften, Lieben zwischen Menschen, die sich fremd bleiben müssen, möglich und was sie wert sind. Um die Ehe und ob sie der Kreativität förderlich ist. Um Scheidungen und Gier.
Wir lesen lange Monologe von Figuren, die nur für eine Unterhaltung auftauchen und wieder verschwinden, weil der Abend zu Ende geht. Die griechische Schriftstellerin Angeliki zum Beispiel, die einen Gutteil ihres erwachsenen Lebens als Botschaftergattin verbracht und nun einen Roman geschrieben hat, der "irgendwo in Europa" einen Preis gewonnen hat, wodurch sie (vor allem in ihrem eigenen Bewusstsein) als literarische Berühmtheit gilt. Ryan, einen Kollegen, der einen Band mit Kurzgeschichten veröffentlicht hat, aber beim Unterrichten hängengeblieben ist, statt einen zweiten zu schreiben, und der sich auf nichts festlegen kann, nicht einmal auf eine Verabredung. Panaiotis, einen Freund von früher, der einmal einen Verlag hatte und dann nicht mehr, und der ihr ein Foto aus ihren glücklichen Familientagen in die Hand drückt, das sie nicht haben will. Sie alle erzählen, und die Erzählerin berichtet davon, aber es gibt keine Stimme, mit der die Geschichten abgeglichen würden, keine Objektivität, nur die jeweils eine Seite einer (fast immer gescheiterten) Beziehung, radikal subjektiv, ohne auktoriales Korrektiv. Da ist nur Faye, und sie hört zu.
Auf den letzten Seiten von "Outline" erscheint Anne, auch sie eine Schriftstellerin, die allerdings vor allem Stücke schreibt, auch sie aus England nach Athen gekommen, um einen Schreibkurs zu unterrichten. Fayes Ablösung sozusagen, auch in der Wohnung, in der sie sich treffen. Anne leidet an einer Schreibstörung, die sie "Zusammenfassen" nennt: Sobald sie eine Idee für ein Theaterstück hat, fasst sie diese zusammen. "Spannung", denkt sie dann zum Beispiel, oder "Eifersucht". Und sobald sie die Sache, die noch gar nicht richtig entwickelt ist, bereits zusammengefasst und benannt hat, stirbt die Idee. Bei der Lektüre von Beckett denkt sie "Bedeutungslosigkeit", und ihre Liebe zu dem Autor ist dahin. Selbst bei Menschen geht Anne das inzwischen so. Als sie sich mit einer Freundin trifft, denkt sie "Freundin", und "seither vermutete sie stark, dass es mit der Freundschaft vorbei war".
Zusammenfassung - das ist der Titel des Buchs ("Outline") und eines seiner zentralen Motive. Das ist es, was die Figuren in ihren Erzählungen tun. Zusammenfassen, bevor eine Situation, ein Mensch, eine Beziehung, ein Gefühl etwas ganz eigenes geworden ist. Letztlich ist das Klischeeproduktion. Nichts ist beim Schreiben enttäuschender, ungenügender. Indem sie schweigt, versucht die Erzählerin, dem zu entgehen.
Nichts geschieht, während wir lesen, alles ist bereits vorbei und wird in der Erzählung gegenüber unserer Erzählerin zusammengefasst, die uns davon berichtet. Das ist als Strukturprinzip eines Romans ungewöhnlich, hier ist kein Plot, kaum Aktion, vielmehr die Haltung eines autobiographischen Schreibens.
Rachel Cusk hat wiederholt ihre Faszination von radikaler Autobiographie etwa von Knausgård beschrieben. Sie hat in einem Interview mit dem "Guardian" vor einiger Zeit auch ihrer Ermüdung angesichts von fiktionalem Schreiben Ausdruck gegeben, ihrer Ungeduld gegenüber erfundenen Figuren und dem, was Autoren sich ausdenken, was sie dann miteinander treiben. Sie nannte das "lächerlich", was auch sie in ihren frühen Büchern getan hatte. Autobiographie, so ungefähr sagte sie damals, sei mehr und mehr die einzige Form in allen Künsten.
Das ist nicht ganz neu. Neu aber ist die Art, wie Rachel Cusk, deren Erzählerin, als sie schließlich einen Namen bekommt, nicht Rachel heißt, mit ihrem Material in "Outline" umgeht. Wie sie Monologe als Unterhaltungen erscheinen lässt und übers Schreiben reflektiert, indem sie von den Geschichten ihrer Schüler im Schreibkurs erzählt, die ihrerseits mit Beziehungen und Familien und Träumen und ihrem Scheitern zu tun haben, weitere Zusammenfassungen von Leben und Liebe in dieser indirekten Art des Erzählens, das Rachel Cusk hier vorstellt - das ist aufregend und ungewohnt und lässt einen auch nach mehrmaliger Lektüre nicht los.
VERENA LUEKEN
Rachel Cusk: "Outline".
Roman.
Aus dem Englischen von Eva Bonné. Suhrkamp
Verlag, Berlin 2016.
235 S., geb., 19,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ist das Zusammenfassen eine Schreibstörung, oder gehört es zum Leben? Rachel Cusks Roman "Outline" bezieht seine Stärke aus einer passiven Erzählerin, die vor allem eines kann: zuhören.
Sie sagt "ich", aber sie sagt nicht, wie sie heißt. Weit jenseits der Mitte des Buchs nennt sie plötzlich jemand Faye. Auch sonst erfahren wir wenig über die Erzählerin in Rachel Cusks Roman "Outline". Wir haben, was ihr persönliches Leben angeht, nichts Genaues außer den Daten - geschieden, zwei Kinder, Schriftstellerin aus England, allein.
Sie verbringt zwei Wochen in Athen, um einen Schreibkurs zu unterrichten. Menschen öffnen sich ihr. Sie hört zu, beobachtet. Sie kommentiert, was sie hört, fast immer zurückhaltend. Sie spricht nicht von sich. Es ist, als hätte sie kein Leben. Was nicht ganz richtig ist. Sie hat es nur hinter sich gelassen. Einmal schreibt ihr Sohn eine SMS und fragt, wo sein Tennisschläger sei. Ein andermal ruft der andere Sohn an, weil er sich verlaufen hat, damit sie ihm erklärt, wie er zur Schule findet. Das ist ihr Familienleben.
Die Erzählerin nimmt Gestalt an durch die Geschichten, denen sie zuhört, und über die sie nachdenkt. Wird sie dabei eine andere? Schwer zu sagen, da wir nicht wissen, wer sie ist, wenn wir mit ihr den Raum des Romans betreten. Eine Erzählerin, die vor allem zuhört, ist jedenfalls eine Markierung, dass wir es mit einem besonderen Stück Literatur zu tun bekommen.
"Outline" besteht fast vollständig aus Unterhaltungen, wobei die Passivität der Erzählerin einen Redefluss bei ihrem jeweiligen Gegenüber in Gang setzt, der auch Persönlichstes, Intimstes nach oben spült, Fragen der Familienplanung, der Eifersucht, des eigenen Scheiterns an Träumen, die fast schon wahr geworden waren, von Pleiten und Pannen. Faye sagt zu alledem fast nichts. Sie wird auch ihrerseits kaum etwas gefragt.
Über die gesamte Strecke namenlos bleibt die Figur, mit der sie immer wieder zusammentrifft, ihr Sitznachbar auf dem Flug von London nach Athen. "Mein Nachbar", wie er für den Rest des Romans heißt, was sehr komisch ist. Sie trifft ihn im Verlauf ihres Aufenthalts in Athen einige Male, macht Ausfahrten mit ihm auf seinem Boot, hört ihm zu, wie er vom Scheitern seiner Ehen erzählt, betrachtet seinen behaarten Bauch und die goldenen Accessoires, die an Hals, Handgelenk und hinten im Mund blitzen. Es war ihr im Sitzen im Flugzeug nicht aufgefallen, dass er "doppelt so breit" war wie sie. "Unsere erste Begegnung war in gewissem Sinne immateriell gewesen; hoch oben über der Welt zählt das Gegenständliche nicht, treten die Unterschiede zurück. Die körperliche Präsenz meines Nachbarn, die mir dort oben so leicht vorgekommen war, gewann hier unten an Schwere, und in der Folge schien er mir fremd, als wäre Kontext auch nur eine Form von Gefangenschaft."
Es sind solche Beobachtungen, in denen die Erzählerin Kontur gewinnt, verschwommen zunächst wie eine Figur, die aus der Unschärfe eines dunklen Hintergrunds immer näher an den Schärfebereich herantritt, weniger verschwommen wird im Lauf der Zeit, aber niemals scharf gestellt.
Der Nachbar ist zwar dick, aber nicht ohne Charme. Beim zweiten Bootsausflug versucht er, sie zu küssen, was sie zurückweist, peinlich berührt, als hätte sie es nicht kommen sehen. Eine Bekannte, der sie davon erzählt, meint zu der Geschichte, sie sei für brutale Ehrlichkeit zwischen Männern und Frauen. Um Missverständnissen vorzubeugen. Sie wolle gern wissen, wenn ein Mann ihr nur Komplimente machte und ihren Wein bezahlte, weil er sie ins Bett ziehen wollte. Ihr wäre lieber, er sagte es gleich. Hätte Faye ihren Nachbarn wissen lassen, sie fände ihn alt und dick und interessiere sich nur für ihn, weil er ein Auto und ein Boot habe und es heiß sei in Athen, wo sie kaum jemanden sonst kenne, wäre das mit dem ungelenken Kussversuch nicht passiert.
Es geht in den Unterhaltungen der Figuren fast immer um Männer und Frauen. Um den Abgrund zwischen ihnen, der von Ehe, Kindern, Arrangements, die sie miteinander schließen, nicht wirklich überbrückt wird. Ihre Geschichten kreisen um die Frage, ob Beziehungen, Freundschaften, Lieben zwischen Menschen, die sich fremd bleiben müssen, möglich und was sie wert sind. Um die Ehe und ob sie der Kreativität förderlich ist. Um Scheidungen und Gier.
Wir lesen lange Monologe von Figuren, die nur für eine Unterhaltung auftauchen und wieder verschwinden, weil der Abend zu Ende geht. Die griechische Schriftstellerin Angeliki zum Beispiel, die einen Gutteil ihres erwachsenen Lebens als Botschaftergattin verbracht und nun einen Roman geschrieben hat, der "irgendwo in Europa" einen Preis gewonnen hat, wodurch sie (vor allem in ihrem eigenen Bewusstsein) als literarische Berühmtheit gilt. Ryan, einen Kollegen, der einen Band mit Kurzgeschichten veröffentlicht hat, aber beim Unterrichten hängengeblieben ist, statt einen zweiten zu schreiben, und der sich auf nichts festlegen kann, nicht einmal auf eine Verabredung. Panaiotis, einen Freund von früher, der einmal einen Verlag hatte und dann nicht mehr, und der ihr ein Foto aus ihren glücklichen Familientagen in die Hand drückt, das sie nicht haben will. Sie alle erzählen, und die Erzählerin berichtet davon, aber es gibt keine Stimme, mit der die Geschichten abgeglichen würden, keine Objektivität, nur die jeweils eine Seite einer (fast immer gescheiterten) Beziehung, radikal subjektiv, ohne auktoriales Korrektiv. Da ist nur Faye, und sie hört zu.
Auf den letzten Seiten von "Outline" erscheint Anne, auch sie eine Schriftstellerin, die allerdings vor allem Stücke schreibt, auch sie aus England nach Athen gekommen, um einen Schreibkurs zu unterrichten. Fayes Ablösung sozusagen, auch in der Wohnung, in der sie sich treffen. Anne leidet an einer Schreibstörung, die sie "Zusammenfassen" nennt: Sobald sie eine Idee für ein Theaterstück hat, fasst sie diese zusammen. "Spannung", denkt sie dann zum Beispiel, oder "Eifersucht". Und sobald sie die Sache, die noch gar nicht richtig entwickelt ist, bereits zusammengefasst und benannt hat, stirbt die Idee. Bei der Lektüre von Beckett denkt sie "Bedeutungslosigkeit", und ihre Liebe zu dem Autor ist dahin. Selbst bei Menschen geht Anne das inzwischen so. Als sie sich mit einer Freundin trifft, denkt sie "Freundin", und "seither vermutete sie stark, dass es mit der Freundschaft vorbei war".
Zusammenfassung - das ist der Titel des Buchs ("Outline") und eines seiner zentralen Motive. Das ist es, was die Figuren in ihren Erzählungen tun. Zusammenfassen, bevor eine Situation, ein Mensch, eine Beziehung, ein Gefühl etwas ganz eigenes geworden ist. Letztlich ist das Klischeeproduktion. Nichts ist beim Schreiben enttäuschender, ungenügender. Indem sie schweigt, versucht die Erzählerin, dem zu entgehen.
Nichts geschieht, während wir lesen, alles ist bereits vorbei und wird in der Erzählung gegenüber unserer Erzählerin zusammengefasst, die uns davon berichtet. Das ist als Strukturprinzip eines Romans ungewöhnlich, hier ist kein Plot, kaum Aktion, vielmehr die Haltung eines autobiographischen Schreibens.
Rachel Cusk hat wiederholt ihre Faszination von radikaler Autobiographie etwa von Knausgård beschrieben. Sie hat in einem Interview mit dem "Guardian" vor einiger Zeit auch ihrer Ermüdung angesichts von fiktionalem Schreiben Ausdruck gegeben, ihrer Ungeduld gegenüber erfundenen Figuren und dem, was Autoren sich ausdenken, was sie dann miteinander treiben. Sie nannte das "lächerlich", was auch sie in ihren frühen Büchern getan hatte. Autobiographie, so ungefähr sagte sie damals, sei mehr und mehr die einzige Form in allen Künsten.
Das ist nicht ganz neu. Neu aber ist die Art, wie Rachel Cusk, deren Erzählerin, als sie schließlich einen Namen bekommt, nicht Rachel heißt, mit ihrem Material in "Outline" umgeht. Wie sie Monologe als Unterhaltungen erscheinen lässt und übers Schreiben reflektiert, indem sie von den Geschichten ihrer Schüler im Schreibkurs erzählt, die ihrerseits mit Beziehungen und Familien und Träumen und ihrem Scheitern zu tun haben, weitere Zusammenfassungen von Leben und Liebe in dieser indirekten Art des Erzählens, das Rachel Cusk hier vorstellt - das ist aufregend und ungewohnt und lässt einen auch nach mehrmaliger Lektüre nicht los.
VERENA LUEKEN
Rachel Cusk: "Outline".
Roman.
Aus dem Englischen von Eva Bonné. Suhrkamp
Verlag, Berlin 2016.
235 S., geb., 19,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
Rachel Cusk macht in ihrem Roman "Outline" die oft verpönte indirekte Rede urbar, freut sich Rezensent Burkhard Müller. Das hat mit der ungewöhnlichen Erzählperspektive zu tun, die sie gewählt hat, erklärt der Rezensent: eine Schriftstellerin reist herum und hört zu. Sie nimmt kaum mehr Raum ein als nötig ist, um ihr Umfeld in eine "übergriffige Bekenntniswut" zu stürzen. Dass Cusk dabei trotz all der Unaufrichtigkeiten, Heucheleien und Narzissmen den so naheliegenden "erfahrungsgesättigten Zynismus" vermeidet, indem sie hinter der Fassade ihrer redseligen Figuren echten Schmerz spüren lässt, macht dieses Buch so ungemein großartig, findet der Rezensent.
© Perlentaucher Medien GmbH
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