Bizarre weather. Unprecedented economic disparity. Artists employed by corporations as consultants. And the ultimate work of art: Oval, a pill that increases generosity. This unforgettable debut novel asks questions of empathy and power on every scale-from bodies to bureaucracies-to create an unsettling portrait of the future of Berlin.
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 13.10.2020Aristokratisches
Fußgewölbe
Aus und durch und über Berlin: Elvia Wilks „Oval“
Das absurde Landschaftsmotiv, um das Elvia Wilk ihren Roman „Oval“ gestrickt hat, ist als satirische Zuspitzung ein unmögliches Ding: „The Berg“, eine auf der Fläche des Tempelhofer Feldes aufgeschüttete, künstliche Erhebung, offenbar mehr als tausend Meter hoch. Die witzige Vision des Architekten Jakob Tigges geistert tatsächlich seit 2009 durchs Netz. Nur: So was Abgefahrenes würde selbst im unwirklichsten Berlin nie gebaut, weil, erstens, in Berlin grundsätzlich erst mal nichts gebaut wird und, zweitens, wenn doch, ein aus Fantastilliarden Kubikmeter Erdreich bestehender Kunsthaufen frühestens zehn Jahre nach dem Atommüllendlager fertig würde. Wir sind schließlich nicht im Silicon Valley. Statt des ultimativen Simulacrums gibt’s in der Hauptstadt höchstens Simulakrumen.
Sei’s drum. Wilk hat ihren Haufen hemmungslos auf den alten Flughafen gesetzt. Er ist matschig. Um ihn kreisen Drohnen. Auf ihm steht, großzügig verteilt, ein „Sortiment experimenteller Architektur“, eine „sechs Haushalte umfassende Ökosiedlung“. Alles soll nachhaltig, energieneutral, kurzum: vollkommen weltrettend sein. Hier wohnen Anja und Louis. Sie ein Spross des europäischen Jetsets, ihren ererbten Reichtum meidend; er ein aus kleinbürgerlichen Verhältnissen im Mittleren Westen stammender Künstler – supersmart, supersexy. Beide jung und erfolgreich. Nur das Haus stinkt. Schwitzt. Der Toilettengang sei wohlerwogen, den Müll muss man heimlich den Berg runtertragen, weil das Abfallsystem versagt. Und Louis’ Mutter ist gestorben. Gerade kehrt er von der Beerdigung aus den USA zurück und tut so, als sei alles völlig okay. Ist es natürlich nicht.
Damit zieht sich ein Haarriss durchs detoxsmoothe und drogenzäpfchengesalbte Wonderland des perfect couple. Wird er die Beziehung kollabieren lassen? Wird „The Berg“ sich in einer Mure biblischen Ausmaßes über Berlin ergießen? Auch Letzteres wäre denkbar, denn das Wetter spinnt – schon bei Shakespeare ein sicheres Zeichen für das Böse. Jahreszeiten sind passé, den einen Tag ist’s heiß, dann fällt etwas Halbgefrorenes, entfernt mit Schneeregen Verwandtes vom Himmel, das Anjas schwuler Freund Dam, in seiner Freizeit passionierter Wetterverschwörungstheoretiker, nur „Haferschleim“ nennt. Die Apokalypse scheint nah. Aber noch ist sie nicht greifbar. Louis fixiert sich derweil auf ein Projekt, das sich als „pharmakologische Utopie“ entpuppen wird. Man weiß ja, wo es hinführt, wenn das Wort Utopie ins Spiel kommt.
Berlin ist in „Oval“ trotz aller Merkwürdigkeiten zunächst nur sanft ins Dystopische verrückt. Eine Blase, in der sich zwar schöne, coole – und vor allem: kreative Menschen aus der ganzen Welt tummeln, in die aber kaum Außenwelt dringt. Künstler sind fast nur noch als hoch bezahlte „Consultants“ für Investoren oder NGOs tätig, wo sie durch kreative Interventionen die Innovationsprozesse optimieren helfen sollen. Louis beherrscht den Job. Er glänzt für eine ungemein gemeinnützige Organisation mit dem exquisit dämlichen Namen Basquiatt (ja, mit doppeltem t). Anja forscht als Wissenschaftlerin eigentlich an einem von selbst Strukturen aufbauenden biologischen Werkstoff aus Knorpelgewebe, für eben jene undurchsichtige Firma, die auch das Modellprojekt auf „The Berg“ ins Leben gerufen hat, wird kurz vor der entscheidenden Testreihe entlassen und umgehend mit Luxusgehalt als Bullshit-Beraterin neu eingestellt. Hauptaufgabe: Geschwafel um den Begriff Innovation. „So funktioniert Consulting“, erklärt sie später auf einem weiteren obszönen Galerie-Event, „beide Seiten denken, die anderen sind die Dummen.“
Wilks karikiert Sprache und Habitus des Milieus pointiert, manchmal überdreht, scheut den Holzhammer nicht (Schrumpfköpfe von gescheiterten Künstler-Consultants als Ausstellungsstücke), macht aus ihren Hauptfiguren aber keine Knallchargen. Sie sind gebildet, gedankenschnell und emotional extrem reflektiert, Leif Randts „Allegro Pastell“ lässt grüßen. Nur dass immer der Zusammenbruch lauert. Keine unhintergehbare Niceheit nirgends. Anja, aus deren Perspektive erzählt wird, jongliert im sozialen Spiel virtuos mit den Metaebenen, decodiert den Hintersinn des Tonfalls oder einer bestimmten Formulierung ihres Gesprächspartners noch um zehn Ecken. Mit derselben Aufmerksamkeit widmet sie sich ihren vermuteten oder tatsächlichen Unzulänglichkeiten (Schüchternheit). „Oval“ ist nicht zuletzt ihr Entwicklungsroman. Nicht nur die Kündigung als Forscherin, mehr noch die Entfremdung von Louis, den sie als idealen Partner empfindet, und die buchstäbliche Verwesung ihres Hauses (Motive, die zwischen Zerstörung, De- und Rekonstruktion changieren, durchziehen die Handlung), zwingen sie dazu, ihr Leben zu überdenken.
Das geht nicht ganz ohne Klischees über die Bühne. Dennoch folgt man ihr gern, weil sie selbst im derangierten Zustand hellwach beobachtet. Diese intellektuelle Brillanz hält die Erzählung ständig unter Spannung, verhindert, dass sie sich in Albernheiten festfährt, steht aber der Satire im Weg. Denn so sehr das Versprechen „Berlin“ als hoffnungslos untot entlarvt wird – der Spiegel, den die in Berlin und New York lebende Amerikanerin Wilk den „Anywheres“ vorhält, ist einer, der ihnen doch sehr schmeichelt. Sind sie wirklich ungeheuer begabte, noch in ihrer Blödheit geistreiche Menschen, die ihren Ehrgeiz an eine bescheuerte hyperkapitalistische Scheinwelt verschwenden, die sie durchschauen, ohne sich von ihr lösen zu können? Den Dünkel ihrer Protagonistin erfasst die Autorin nur bedingt. Ist sie am Ende der Story so viel klüger als die aufgeblasenen edgy Macher, vor denen sie sich zurückzieht?
Das Buch bleibt, obwohl es sich um den Showdown im etwas bemühteren zweiten Teil nicht herummogelt, in dem Widerspruch gefangen, dass es als fast makelloses Produkt der Kreativblase völlig immanent ist. Da hilft keine Rabulistik. „Wenn es jemals wirklich einen Beweis dafür gab, dass die Realität anders sein könnte als die Simulation“, sagt Anja zu ihrem ebenfalls auf einen Bullshitjob komplimentierten Kollegen, „dann die Tatsache, dass wir am Übergang vom einen zum anderen gefeuert wurden.“ Ein wenig fühlt sich auch „Oval“ beim Lesen an, als würde sich die Autorin immer diesseits der entscheidenden Versuchsreihe bewegen. Sprengstoff ist das nicht. Mehr als Schmunzelstoff allemal. Oder, wie Anja die Körperliebe zwischen Louis und ihr beschreibt: „Dinge, die sie nie für lobenswert gehalten hätte, wie die Weichheit ihrer Haut am Rücken, ihr hohes Fußgewölbe, bemerkte und behandelte er mit Ehrfurcht. Er hatte ihre Fußgewölbe aristokratisch genannt.“ Hätten Romane Fußgewölbe, wir würden „Oval“ von Herzen wünschen, dass er Leserinnen findet, die die seinen aristokratisch nennen.
JULIANE LIEBERT
Elvia Wilk: Oval. Aus dem Englischen von Julia Wolf. Secession, Berlin 2020. 360 Seiten, 28 Euro.
Das Paar
ist jung,
schön und
sexy, nur
das Haus
stinkt und
schwitzt
ein wenig
Der
Berliner
Kunst-
Jetset
wird hier
karikiert,
aber sehr
freundlich
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Fußgewölbe
Aus und durch und über Berlin: Elvia Wilks „Oval“
Das absurde Landschaftsmotiv, um das Elvia Wilk ihren Roman „Oval“ gestrickt hat, ist als satirische Zuspitzung ein unmögliches Ding: „The Berg“, eine auf der Fläche des Tempelhofer Feldes aufgeschüttete, künstliche Erhebung, offenbar mehr als tausend Meter hoch. Die witzige Vision des Architekten Jakob Tigges geistert tatsächlich seit 2009 durchs Netz. Nur: So was Abgefahrenes würde selbst im unwirklichsten Berlin nie gebaut, weil, erstens, in Berlin grundsätzlich erst mal nichts gebaut wird und, zweitens, wenn doch, ein aus Fantastilliarden Kubikmeter Erdreich bestehender Kunsthaufen frühestens zehn Jahre nach dem Atommüllendlager fertig würde. Wir sind schließlich nicht im Silicon Valley. Statt des ultimativen Simulacrums gibt’s in der Hauptstadt höchstens Simulakrumen.
Sei’s drum. Wilk hat ihren Haufen hemmungslos auf den alten Flughafen gesetzt. Er ist matschig. Um ihn kreisen Drohnen. Auf ihm steht, großzügig verteilt, ein „Sortiment experimenteller Architektur“, eine „sechs Haushalte umfassende Ökosiedlung“. Alles soll nachhaltig, energieneutral, kurzum: vollkommen weltrettend sein. Hier wohnen Anja und Louis. Sie ein Spross des europäischen Jetsets, ihren ererbten Reichtum meidend; er ein aus kleinbürgerlichen Verhältnissen im Mittleren Westen stammender Künstler – supersmart, supersexy. Beide jung und erfolgreich. Nur das Haus stinkt. Schwitzt. Der Toilettengang sei wohlerwogen, den Müll muss man heimlich den Berg runtertragen, weil das Abfallsystem versagt. Und Louis’ Mutter ist gestorben. Gerade kehrt er von der Beerdigung aus den USA zurück und tut so, als sei alles völlig okay. Ist es natürlich nicht.
Damit zieht sich ein Haarriss durchs detoxsmoothe und drogenzäpfchengesalbte Wonderland des perfect couple. Wird er die Beziehung kollabieren lassen? Wird „The Berg“ sich in einer Mure biblischen Ausmaßes über Berlin ergießen? Auch Letzteres wäre denkbar, denn das Wetter spinnt – schon bei Shakespeare ein sicheres Zeichen für das Böse. Jahreszeiten sind passé, den einen Tag ist’s heiß, dann fällt etwas Halbgefrorenes, entfernt mit Schneeregen Verwandtes vom Himmel, das Anjas schwuler Freund Dam, in seiner Freizeit passionierter Wetterverschwörungstheoretiker, nur „Haferschleim“ nennt. Die Apokalypse scheint nah. Aber noch ist sie nicht greifbar. Louis fixiert sich derweil auf ein Projekt, das sich als „pharmakologische Utopie“ entpuppen wird. Man weiß ja, wo es hinführt, wenn das Wort Utopie ins Spiel kommt.
Berlin ist in „Oval“ trotz aller Merkwürdigkeiten zunächst nur sanft ins Dystopische verrückt. Eine Blase, in der sich zwar schöne, coole – und vor allem: kreative Menschen aus der ganzen Welt tummeln, in die aber kaum Außenwelt dringt. Künstler sind fast nur noch als hoch bezahlte „Consultants“ für Investoren oder NGOs tätig, wo sie durch kreative Interventionen die Innovationsprozesse optimieren helfen sollen. Louis beherrscht den Job. Er glänzt für eine ungemein gemeinnützige Organisation mit dem exquisit dämlichen Namen Basquiatt (ja, mit doppeltem t). Anja forscht als Wissenschaftlerin eigentlich an einem von selbst Strukturen aufbauenden biologischen Werkstoff aus Knorpelgewebe, für eben jene undurchsichtige Firma, die auch das Modellprojekt auf „The Berg“ ins Leben gerufen hat, wird kurz vor der entscheidenden Testreihe entlassen und umgehend mit Luxusgehalt als Bullshit-Beraterin neu eingestellt. Hauptaufgabe: Geschwafel um den Begriff Innovation. „So funktioniert Consulting“, erklärt sie später auf einem weiteren obszönen Galerie-Event, „beide Seiten denken, die anderen sind die Dummen.“
Wilks karikiert Sprache und Habitus des Milieus pointiert, manchmal überdreht, scheut den Holzhammer nicht (Schrumpfköpfe von gescheiterten Künstler-Consultants als Ausstellungsstücke), macht aus ihren Hauptfiguren aber keine Knallchargen. Sie sind gebildet, gedankenschnell und emotional extrem reflektiert, Leif Randts „Allegro Pastell“ lässt grüßen. Nur dass immer der Zusammenbruch lauert. Keine unhintergehbare Niceheit nirgends. Anja, aus deren Perspektive erzählt wird, jongliert im sozialen Spiel virtuos mit den Metaebenen, decodiert den Hintersinn des Tonfalls oder einer bestimmten Formulierung ihres Gesprächspartners noch um zehn Ecken. Mit derselben Aufmerksamkeit widmet sie sich ihren vermuteten oder tatsächlichen Unzulänglichkeiten (Schüchternheit). „Oval“ ist nicht zuletzt ihr Entwicklungsroman. Nicht nur die Kündigung als Forscherin, mehr noch die Entfremdung von Louis, den sie als idealen Partner empfindet, und die buchstäbliche Verwesung ihres Hauses (Motive, die zwischen Zerstörung, De- und Rekonstruktion changieren, durchziehen die Handlung), zwingen sie dazu, ihr Leben zu überdenken.
Das geht nicht ganz ohne Klischees über die Bühne. Dennoch folgt man ihr gern, weil sie selbst im derangierten Zustand hellwach beobachtet. Diese intellektuelle Brillanz hält die Erzählung ständig unter Spannung, verhindert, dass sie sich in Albernheiten festfährt, steht aber der Satire im Weg. Denn so sehr das Versprechen „Berlin“ als hoffnungslos untot entlarvt wird – der Spiegel, den die in Berlin und New York lebende Amerikanerin Wilk den „Anywheres“ vorhält, ist einer, der ihnen doch sehr schmeichelt. Sind sie wirklich ungeheuer begabte, noch in ihrer Blödheit geistreiche Menschen, die ihren Ehrgeiz an eine bescheuerte hyperkapitalistische Scheinwelt verschwenden, die sie durchschauen, ohne sich von ihr lösen zu können? Den Dünkel ihrer Protagonistin erfasst die Autorin nur bedingt. Ist sie am Ende der Story so viel klüger als die aufgeblasenen edgy Macher, vor denen sie sich zurückzieht?
Das Buch bleibt, obwohl es sich um den Showdown im etwas bemühteren zweiten Teil nicht herummogelt, in dem Widerspruch gefangen, dass es als fast makelloses Produkt der Kreativblase völlig immanent ist. Da hilft keine Rabulistik. „Wenn es jemals wirklich einen Beweis dafür gab, dass die Realität anders sein könnte als die Simulation“, sagt Anja zu ihrem ebenfalls auf einen Bullshitjob komplimentierten Kollegen, „dann die Tatsache, dass wir am Übergang vom einen zum anderen gefeuert wurden.“ Ein wenig fühlt sich auch „Oval“ beim Lesen an, als würde sich die Autorin immer diesseits der entscheidenden Versuchsreihe bewegen. Sprengstoff ist das nicht. Mehr als Schmunzelstoff allemal. Oder, wie Anja die Körperliebe zwischen Louis und ihr beschreibt: „Dinge, die sie nie für lobenswert gehalten hätte, wie die Weichheit ihrer Haut am Rücken, ihr hohes Fußgewölbe, bemerkte und behandelte er mit Ehrfurcht. Er hatte ihre Fußgewölbe aristokratisch genannt.“ Hätten Romane Fußgewölbe, wir würden „Oval“ von Herzen wünschen, dass er Leserinnen findet, die die seinen aristokratisch nennen.
JULIANE LIEBERT
Elvia Wilk: Oval. Aus dem Englischen von Julia Wolf. Secession, Berlin 2020. 360 Seiten, 28 Euro.
Das Paar
ist jung,
schön und
sexy, nur
das Haus
stinkt und
schwitzt
ein wenig
Der
Berliner
Kunst-
Jetset
wird hier
karikiert,
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