Das aktuelle alltägliche Grauen
„Overkill – Tod der Schwalben“ von Astrid Korten ist der dritte Band der Reihe mit Hauptkommissarin Mo Celta als Protagonistin.
Worum geht es?
In der Ukraine wird eine grausam zugerichtete Leiche gefunden. Es handelt sich um den Sohn des Ex-Ministers Kanyukov.
Sowohl die ukrainische Polizei, Hauptmann Felix Bojko und die deutsche Austausch-Kommissarin Mo…mehrDas aktuelle alltägliche Grauen
„Overkill – Tod der Schwalben“ von Astrid Korten ist der dritte Band der Reihe mit Hauptkommissarin Mo Celta als Protagonistin.
Worum geht es?
In der Ukraine wird eine grausam zugerichtete Leiche gefunden. Es handelt sich um den Sohn des Ex-Ministers Kanyukov. Sowohl die ukrainische Polizei, Hauptmann Felix Bojko und die deutsche Austausch-Kommissarin Mo Celta, als auch der russischer Polizist Alexander Markow, der vom Vater des Ermordeten angeheuert wurde, begeben sich unabhängig voneinander in die verbotene Zone Tschernobyl, um den Mörder zu fangen. Und immer wieder finden sie präparierte Tiere, vorrangig Schwalben – quasi die Signatur des Mörders.
Das Cover versinnbildlicht durch Stacheldraht die gesperrte Zone, die Schwalbe im Mittelpunkt unterstreicht deren Bedeutung im Roman. Der Thriller erschien 2023. Die Handlung spielt knapp nach Ausbruch des russischen Angriffskrieges. Die Kapitel sind mit Ortsangaben übertitelt, exakte Zeitangaben sind nicht vorhanden; die angenehm kurzen Kapitel sind auch noch thematisch in Abschnitten zusammengefasst. Dass ich die ersten beiden Bände dieser Reihe noch nicht kannte, hatte keinerlei Belang. Es steht wohl jeder Roman für sich.
Das Buch liest sich flüssig vom Schreibstil her, vom Inhalt her benötigt man des Öfteren Pausen, um das Gelesene sickern zu lassen. Denn nicht nur die fiktiven grausamen Morde schockieren, sondern was mich vor allem betroffen machte, sind die Zustände in der heutigen Ukraine. Die Recherchen der Autorin sind beachtenswert, sowohl was die Gegenwart anbelangt, als auch die detaillierten Beschreibungen des Reaktorunfalls 1986 und dessen Folgen. Ich persönlich hätte mir auch eine Landkarte der Ukraine, insbesondere des Gebietes rund um Tschernobyl, gewünscht, um besser nachvollziehen zu können, in welchen Regionen sich die Protagonisten in etwa bewegt haben.
Es ist der Autorin auf faszinierende Weise gelungen, die Fakten mit fiktiven Ereignissen zu verweben. Das Buch ist vom Beginn bis zum dramatischen Ende aufwühlend und packend. Nicht nur die Spannung beginnt ab der ersten Seite und hält bis zur letzten an, auch das Grauen zieht sich durch den gesamten Roman. Wobei es für mich nicht einmal so sehr die doch recht detailliert beschriebenen übel zugerichteten Mordopfer waren, die mich am meisten schockierten, denn letztlich waren es fiktive Morde. Sondern was ich als so erschreckend, so beklemmend empfand, waren die Schilderungen der Realität, dass nach wie vor Menschen an den Folgen der Strahlenbelastung erkranken und sterben, behinderte Kinder zur Welt kommen, des Weiteren die Zustände in dem radioaktiv verseuchten (Sperr-)Gebiet, wo tatsächlich wieder Menschen unter unzumutbaren Lebensbedingungen hausen, und dass kontaminierte Waren von dort in alle Welt gelangen. Und nicht nur das. Generell machen die Lebensumstände der Menschen, ob in Russland oder in der Ukraine, betroffen. Wie unfrei sie sind, wie Korruption vorherrscht, wie schlecht die Ausrüstung der Soldaten ist, u.v.a.m.
Im Prinzip sind es zwei sich erst gegen Ende vereinigende Handlungsstränge, einerseits der offiziell ermittelnde Hauptmann Bojko mit Mo Celta, andererseits Alexej, der über geheime Wege und mit Hilfe von Insidern ins Sperrgebiet gelangt. Zu welchen Erkenntnissen sie auch gelangen, als Leser verfügt man immer wieder über einen Wissensvorsprung. Durch die stetigen Perspektiven- und Ortswechsel wird die Spannung zusätzlich erhöht. Cliffhanger, dramatische Szenen tun ihr Übriges dazu, dass man das Buch gar nicht mehr zur Seite legen möchte. Zudem ist so vieles rätselhaft – die Symbolik der Schwalben, die Zusammenhänge der aktuellen Mordfälle mit jenem alten Mordfall, der am Tag des Reaktorunfalls geschah. Die Spannung steigert sich von Abschnitt zu Abschnitt, bis in einem dramatischen Showdown die wahren Begebenheiten ans Licht kommen.
Die Charaktere der handelnden Personen sind sehr ausführlich und daher gut vorstellbar dargestellt. Sowohl Bojko als auch Alexej sind außergewöhnliche Menschen, schicksalsbehaftet, geprägt durch ihre Herkunft, ihren Werdegang, ihre familiäre Situation. Beide beweisen Stärke und Mut, indem sie in dem verseuchten Territorium tätig sind, sie wirken ehrenhaft und verlässlich, zeigen aber durchaus auch Schwächen; wirken dadurch authentisch und lebendig. Mo Celta wirkt kompetent, engagiert und strebsam, ist jedoch eher eine Nebenfigur.
„Overkill – Tod der Schwalben“ ist für mich der beste Thriller, den ich je gelesen habe, nicht der bestialischen Morde wegen, sondern aufgrund des höchst aktuellen Umfelds, in dem die Ereignisse spielen und der Art und Weise, wie umfassend darüber berichtet wird. Dieses Buch lässt einen nicht unberührt, macht nachdenklich und dankbar, dass man woanders leben darf.
Eine unbedingte Leseempfehlung und selbstverständlich 5 Sterne!