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Die Arktis ist der Ort, an den der Dichter Levin Westermann in diesen Essays immer wieder zurückkehrt. Sie ist die Heimat der Moschusochsen, die einen Kreis formen, um sich und ihre Jungen vor Angreifern zu schützen, eine Taktik, die gegen den Menschen jedoch zum Scheitern verurteilt ist; das Land der Netsilingmiut (dt.: die NetsilikInuit), die aufgrund der nachlassenden Stärke ihrer Amulette immer mehr davon an ihre Kleidung heften, um die Kraft des Glücks zu erhalten; der Ort des Torpors, jener Starre, die dem Win ter mit dem Erzählen von Geschichten zu trotzen vermag. Genau für diese Macht…mehr

Produktbeschreibung
Die Arktis ist der Ort, an den der Dichter Levin Westermann in diesen Essays immer wieder zurückkehrt. Sie ist die Heimat der Moschusochsen, die einen Kreis formen, um sich und ihre Jungen vor Angreifern zu schützen, eine Taktik, die gegen den Menschen jedoch zum Scheitern verurteilt ist; das Land der Netsilingmiut (dt.: die NetsilikInuit), die aufgrund der nachlassenden Stärke ihrer Amulette immer mehr davon an ihre Kleidung heften, um die Kraft des Glücks zu erhalten; der Ort des Torpors, jener Starre, die dem Win ter mit dem Erzählen von Geschichten zu trotzen vermag. Genau für diese Macht der Fantasie und die Kraft der Sprache plädieren die Texte. "Gib nicht auf", scheinen sie zu flüstern, "mach weiter, auch wenn der Weg aussichts los scheint". Und so erzählen sie auch von persönlichen Krisen, vor allem aber von Wegen, die aus dem Dunkel und zurück in die Sprache führen. Mit einer klaren Stimme und präzisen Bildern spricht Westermann eine Aufforderung aus, mit ihm zu denken und zu spüren - jenseits der Grenzziehung zwischen Natur und Kulturerfahrung und als Einstimmung auf das Besondere, das unsere Welt zusammenhält.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Autorenporträt
Levin Westermann, 1980 in Meerbusch geboren, studierte an der Hochschule der Künste Bern und lebt als freier Schriftsteller in Biel. 2020 wurde er mit dem renommierten Clemens-Brentano-Preis der Stadt Heidelberg ausgezeichnet, 2021 mit den Schweizer Literaturpreis 2022 mit dem Deutschen Preis für Nature Writing.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Christian Metz empfiehlt, die in zwei Bänden erschienenen Essays und Gedichte von Levin Westermann parallel zu lesen. Denn beide sind eng miteinander verzahnt, fährt der Kritiker fort, der sowohl in den essayistischen als auch in den poetischen Texten bewundert, mit welchem Erfindungsreichtum der Autor Verbindungslinien zwischen Menschen, Tieren, Dingen und Artefakten zieht. Auch motivisch macht der Kritiker immer wieder Parallelen aus, kommt dann aber doch vor allem auf Westermanns Lyrik zu sprechen: Wenn der Autor hier in drei Zyklen Identitätsfragen nachgeht, dabei mit viel Fantasie und Magie von Klimakrise, Migration, Krieg und Vertreibung erzählt und in eine "Sprachlandschaft" jenseits unser Logik führt, kommt Metz zu dem Schluss: "Brisanter kann Lyrik kaum sein!"

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.02.2021

Im Angesicht der Faszination
Was hat der Kletterkünstler mit dem Moschusochsen gemein? Levin Westermann lässt auf seine brillante Lyrik nicht minder gelungene Essays folgen

Lyrik und Essayistik sind literaturhistorisch aufs engste miteinander verwoben. Da bildet die Gegenwartsliteratur keine Ausnahme. Auch Levin Westermann hat sich in der Doppelrolle als Lyriker und Essayist hervorgetan. Unmittelbar nach seinem Gedichtband "bezüglich der schatten", der mit dem Clemens-Brentano-Preis der Stadt Heidelberg ausgezeichnet wurde, hat er unter dem Titel "Ovibos moschatus" erstmals Essays publiziert. Mustergültig lässt sich an ihnen beobachten, wie sich die jeweils für sich eigenwilligen essayistischen und poetischen Denkbewegungen ineinander verschränken.

Im titelgebenden Essay etwa erzählt Westermann von Sylvia Plaths Ehemann Ted Hughes. Dieser habe jahrelang versucht, sich Plaths Lebensgeschichte und ihrer literarischen Arbeiten zu bemächtigen, um Teile ihres Schreibens auszulöschen. So weit, so bekannt. Westermanns Coup besteht darin, Hughes' Annihilation in einer fein austarierten Parallelmontage mit der faszinierenden Überlebensfähigkeit des titelgebenden Moschusochsen (Ovibos moschatus) engzuführen: "Der Moschusochse bleibt", lautet der letzte Satz. Der Essay berichtet nun, wie Ted Hughes als letzten Akt seines Lebens eine Übersetzung der "Alkestis" anfertigt und auf befremdliche Weise mit jenem König Admetos sympathisiert, der seine junge Frau an seiner statt in den Tod geschickt hat. Hughes mag sich auf die Seite des Königs schlagen. Westermann jedoch verfasst in seinem Gedichtband "bezüglich der schatten" eine eigene Version des antiken Dramas. In grandioser Engführung von Trauertheorie und -literatur schreibt er Alkestis' leidender Tochter die Hauptrolle zu, um sie mit Roland Barthes und Anne Carson in ein Gespräch zu bringen.

Faszination und Engführung - diese beiden Prinzipien bestimmen den Takt von Westermanns Essayistik wie Poesie. Getragen von der Utopie, für das zukünftige Zusammenleben auf der Erde müssten sich - eben auch nach dem Vorbild der antarktischen Indigenen - erfinderische Verbindungslinien ausfindig machen lassen, die Menschen, Tiere, Dinge und Artefakte gleichwertig miteinander vernetzen lassen. So auch, wenn in einem der Essays der Free-Solo-Kletterer Alexander Honold einen Auftritt hat, man als Leser im Gedichtzyklus "scapula" aber mit der Kletterin Hazel Findlay in Felswänden hängt. Oder wenn die Essays sich in die Schnee- und Eislandschaften der beiden Polregionen wagen und diese Streifzüge durch die Eiswüsten mit dem Vorhaben des Polarforschers Wladislaw korrespondieren, der sich in "bezüglich der schatten" eines Tages entschließt, ein gigantisches Gletscherplateau zu erklimmen.

Wobei Faszination bei Levin Westermann im traditionellen, etwa von Paul Valéry verwendeten Sinne bedeutet: einer Besonderheit unmittelbar in ihr Angesicht (facies) zu blicken. Während gleichzeitig etwas Magisches gegen den eigenen Willen von einem Besitz ergreift. In analoger Weise bewege man sich - so Westermann - als Leser durch poetische Texturen: "Lyrik liest man nicht, um sich abzulenken oder den Alltag zu vergessen. Darin unterscheidet sie sich fundamental von populären Literaturformen, die zumeist in Prosa geschrieben sind." Lyrik fasziniert. Westermann spricht von Inkantation, einer Bezauberung, der man sich nicht entziehen kann.

Diese Vorstellung unterliegt auch seinem beeindruckenden Gedichtband. In dessen zweiter Hälfte setzen drei Zyklen dringliche Identitätsfragen in Szene. Die Kletterin Hazel Findlay und Alkestis' Tochter "Perimele" bilden die Reflexionsfiguren, bevor der dritte Zyklus "Zerrüttung" das Schattendasein einer entwurzelten Person beleuchtet. Etymologisch leitet sich die Wendung "zerrüttet sein" tatsächlich vom Rütteln an Bäumen ab, deren Wurzeln so aus dem Boden gelöst werden.

Glanzstück des Bandes jedoch ist jenes Fluchtgedicht, das sich über siebzig Seiten hinweg entfaltet. Brisanter kann Lyrik kaum sein! Denn Westermanns Verse erzählen zuletzt von Klimakrise, Flut, Krieg, Vertreibung und Migration. Vorbilder dieser politisch-dringlichen Lyrik sind Carolyn Forché und Anne Carson. Eindringlich, hochgradig elaboriert, im Fluss von genuin eigenen Bildern, Rhythmen und Klängen dichtet Westermann hier. Wie feinsinnig diese Verse die Paranoia der Flüchtenden inszenieren, erkennt man schon an den ersten Zeilen: "Über Nacht / Haben sie den Wald / Mit Wald ersetzt / Die Vögel / Mit Vögeln, den Fuchs / Mit einem Fuchs." Der Wald mag noch aussehen wie ein Wald, das Reh wie ein Reh, der Fuchs wie ein Fuchs. Aber sie sind es nicht mehr. Das Bild einer heimlich installierten Scheinwelt inszeniert das Gedicht als Ausgangspunkt eines unausweichlichen Verfolgungswahns.

Westermanns Verse führen in eine Sprachlandschaft, in der - wie schon Platon beklagte - die Sprache nur noch Schatten des Lebendigen ist, um gleichzeitig als einzige Hoffnung auf das Leben zu verbleiben. Nur eine Person überlebt die Flucht: Bewusstlos unter leblosen Körpern findet sie sich wieder. Ein Fuchs (oder ist es sein Scheinbild?) rettet dieses überlebende Ich. Und führt es in eine Welt, in der von jetzt an eine andere Logik herrscht. Eine Ovid'sche Logik könnte man sagen. Denn das Ich wandelt sich zum Reh, um sich gemeinsam mit dem Fuchs auf eine Arche zu retten. Diese poetische Verserzählung ist so gewagt wie der Entschluss, sie durch Parallelmontage mit der Geschichte des Polarforschers Wladislaw kurzzuschließen: Es ist ein wunderbarer Moment freier Phantasie, wenn der Wissenschaftler sich in schwindeligen Eiseshöhen auf einen Kaffeeplausch mit Gott trifft. Faszinierend, diese essayistisch-poetischen Doppelpublikation.

CHRISTIAN METZ

Levin Westermann:

"bezüglich der schatten". Gedichte.

Verlag Matthes & Seitz, Berlin 2020. 158 S., geb., 20,- [Euro].

Levin Westermann: "Ovibos moschatus". Essays.

Verlag Matthes & Seitz,

Berlin 2020. 202 S., geb., 20,- [Euro].

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