Wer war Matthew Henson? Als erster Mensch erreichte er 1909 den Nordpol und wurde Teil der Sagenwelt der Inuit, als der Mann, der den Teufel besiegte. Doch der verdiente Ruhm blieb ihm verwehrt - denn Matthew Henson war schwarz.In seinem neuen Buch erzählt der preisgekrönte Comiczeichner und Autor Simon Schwartz die Geschichte des afroamerikanischen Polarforschers Matthew Henson. Auf bewegende Weise berichtet er vom Pioniergeist, Scheitern und Vergessenwerden eines großen Mannes.Auf dem Comicsalon Erlangen 2012 wurde Simon Schwartz für Packeis mit dem Max und Moritz-Preis für den Besten deutschsprachigen Comic ausgezeichnet. Der Blog, der die Entstehung der Graphic Novel dokumentiert, findet sich hier."Mit Packeis ist Simon Schwartz eine beeindruckende Graphic Novel gelungen, die Historisches mit Mythologischem, Sozialkritik und Spannung verbindet." Christian Möller, WDR5 Scala"Eine aufregende literarische Annäherung an die Wirklichkeit." Lars von Törne, tagesspiegel.de"Eine fesselnde Pioniergeschichte, die auch Daniel Kehlmann gefallen würde." STERN
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Thomas von Steinaecker ist nicht unbedingt ein Fan von Comic-Biografien, Simon Schwartz' "Packeis" allerdings reicht für ihn weit über das Trendgenre hinaus und lässt ihn gar auf eine "neue deutsche Comic-Generation" hoffen, die neben der amerikanischen bestehen kann. Es ist Schwartz' zweiter Comic, in dem er die Lebensgeschichte des afroamerikanischen Entdeckers Matthew Henson illustriert, und auch hier überzeugen seine Zeichnungen und sein Bildaufbau den zunächst skeptischen Rezensenten. Sie erinnern Steinaecker mit ihrem nostalgischen Flair und ihrem kräftigen Strich an den kanadischen Comiczeichner Seth und zeichnen sehr plastisch das Leben des Mannes nach, der manchen als Erster am Nordpol gilt, auch wenn Henson das nicht beweisen konnte, so der Rezensent. Großartig findet er, wie der Autor die Geschichte seines Helden immer wieder in die Mythologie der Inuit einbindet und auch im zeichnerischen Stil umsetzt. Damit setzt er klug die "ständige Mythologisierung der Geschichte" in Szene, preist der Rezensent, der nur selten die "Gefahr" sieht, dass Schwartz ob der vielen gewichtigen Themen, die er in seinem Comic anschneidet, zu sehr an der Oberfläche bleibt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 04.04.2012Der erste Mann am Nordpol
Simon Schwarz’ Comic-Biographie „Packeis“ über den Entdecker Matthew Henson
In Zeiten des Infotainments ist die Comic-Biographie zu einer sicheren Nummer geworden. Hier kann man eigentlich wenig falsch machen. Die wichtigsten Fakten werden auf mehr oder weniger unterhaltsame Art, nämlich in prägnanten Bildgeschichten, aufbereitet. Nach der Schnelllektüre, die auch Leser anspricht, die nie zu einer Biographie in Buchform greifen würden, darf man sich schlauer fühlen – und es hat nicht einmal wehgetan. Friedrich Nietzsche, Paul Klee, Anne Frank – die Liste der gezeichneten Lebensläufe ist lang und wächst stetig weiter. Wenn nicht Comic-Aficionados, werden Lehrer ihre Abnehmer sein, die froh sind, auf diesem Weg ihren Schülern in einer vermeintlich jugendgerechten Sprache wichtiges Basiswissen zu vermitteln. Müßig hinzuzufügen, dass hier das unselige Prinzip des Reenactment auf die Spitze getrieben wird, das Nachstellen historischer Szenen mit dem Ziel, dass man sich vorstellen kann, wie es damals wohl zugegangen ist.
Der junge Hamburger Comic-Autor Simon Schwartz hat bereits mit seinem Debüt, „drüben!“, gezeigt, dass er es versteht, eine Strömung wie die der inflationären Coming-of-Age-Comics für sich zu nutzen und daraus etwas Originelles zu machen. Als Erzählung einer Flucht aus der DDR verknüpfte „drüben!“ Zeitgeschichte mit Autobiographie; aus der Fülle sonstiger larmoyanter Darstellungen vom Leben in Berlin oder in der Provinz stach der schmale Band insbesondere wegen seiner charmanten Kinderperspektive auf eine an sich bekannte Konstellation und der hohen Qualität der Zeichnungen heraus, in denen Schwartz von Anfang an einen ganz eigenen klaren Stil kreierte.
Auch in „Packeis“, Schwartz’ zweitem Buch, ist das Niveau der Bilderfolgen und der Seitenarchitektur bezwingend. Die spitzen Nasen und großen Augen der Figuren heben sich klar von flächigen und eindrucksvoll abwechslungsreichen Kulissen ab, amerikanische Großstädte ziehen da vorbei, der südamerikanische Dschungel und schließlich die weißen Wüsten des Nordpols. Die dezent blau eingefärbten Zeichnungen strahlen eine Nostalgie aus, die an die Bilder des kanadischen Comic-Künstlers Seth erinnern. Das kommt nicht von ungefähr. Wie Seth spielt Schwartz’ Biographie, mit der er erneut auf ein momentan boomendes Genre setzt, am Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts; wie in Seths „Clyde Fans“ begegnen wir eingangs einem alten Mann, der sich angesichts der alten Gegenstände, die ihn umgeben, in einer gekonnten Parallelmontage an sein spektakuläres, aber trauriges Leben erinnert.
Es geht um den Afroamerikaner Matthew Henson, von dem es heißt, er sei der erste Mann am Nordpol gewesen, eine nicht allzu bekannte Version der offiziellen Geschichte, die zumal zu einer Zeit der Rassendiskriminierung nicht salonfähig war. Allerdings existieren für die Richtigkeit von Hensons Aussage keine Beweise, und auch der Bericht Robert Edwin Pearys, der die Expedition leitete und später Henson wegen seiner Aussagen bedrohte, ist mehr als zweifelhaft. Schwartz geht es indes auch gar nicht so sehr um historische Akkuratheit, was sich am Schicksal von Hensons Frau Lucy ablesen lässt, die in Wirklichkeit, anders als im Buch, erst nach ihrem Mann starb. Für die Inuit wurde der schwarze Henson zu einer mythischen Gestalt, zum guten Mahri Pahluk, der gegen den Teufel kämpft. So wird die umfangreiche Biographie, die Hensons Leben von seiner Zeit als Schiffsjunge und Assistent Pearys in Nicaragua und in Grönland bis zu seinem Ende als verarmter Putzmann im Naturkundemuseum anschaulich macht, immer wieder unterbrochen von der Pahluk-Legende in einem primitiven Inuit-artigen Zeichenstil; durch diese intelligente Darstellung der ständigen Mythologisierung von Geschichte – die Eskimos verklären Henson, Peary strickt an seiner eigenen Legende als Nordpol-Entdecker – lässt „Packeis“ die meisten Comic-Biographien weit hinter sich.
Wegen der Vielzahl der großen Themen, die Schwartz sich vorgenommen hat, läuft sein Buch hier und da Gefahr, etwas halbherzig und oberflächlich zu wirken. Und doch ist die Entwicklung, die er mit seinen beiden Büchern bislang gemacht hat, symptomatisch für eine Öffnung der jüngeren deutschen Zeichner gegenüber neuen, anspruchsvollen Themen, wie zuletzt etwa Arne Bellstorf in „Baby’s in Black“ über die Beatles in Hamburg. Noch ist manches nicht zu Ende gedacht und stark von US-Vorbildern beeinflusst. Aber wenn man Simon Schwartz als Repräsentant einer neuen deutschen Comic-Generation betrachtet, dann muss einem um die Zukunft der Neunten Kunst hierzulande nicht bange sein.
THOMAS VON STEINAECKER
SIMON SCHWARTZ : Packeis. Avant Verlag, Berlin 2012. 176 S., 19,95 Euro.
Teufelskerl: Für die Inuit wurde der Afroamerikaner Henson zur mythischen Gestalt. Abb. aus dem bespr. Band
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Simon Schwarz’ Comic-Biographie „Packeis“ über den Entdecker Matthew Henson
In Zeiten des Infotainments ist die Comic-Biographie zu einer sicheren Nummer geworden. Hier kann man eigentlich wenig falsch machen. Die wichtigsten Fakten werden auf mehr oder weniger unterhaltsame Art, nämlich in prägnanten Bildgeschichten, aufbereitet. Nach der Schnelllektüre, die auch Leser anspricht, die nie zu einer Biographie in Buchform greifen würden, darf man sich schlauer fühlen – und es hat nicht einmal wehgetan. Friedrich Nietzsche, Paul Klee, Anne Frank – die Liste der gezeichneten Lebensläufe ist lang und wächst stetig weiter. Wenn nicht Comic-Aficionados, werden Lehrer ihre Abnehmer sein, die froh sind, auf diesem Weg ihren Schülern in einer vermeintlich jugendgerechten Sprache wichtiges Basiswissen zu vermitteln. Müßig hinzuzufügen, dass hier das unselige Prinzip des Reenactment auf die Spitze getrieben wird, das Nachstellen historischer Szenen mit dem Ziel, dass man sich vorstellen kann, wie es damals wohl zugegangen ist.
Der junge Hamburger Comic-Autor Simon Schwartz hat bereits mit seinem Debüt, „drüben!“, gezeigt, dass er es versteht, eine Strömung wie die der inflationären Coming-of-Age-Comics für sich zu nutzen und daraus etwas Originelles zu machen. Als Erzählung einer Flucht aus der DDR verknüpfte „drüben!“ Zeitgeschichte mit Autobiographie; aus der Fülle sonstiger larmoyanter Darstellungen vom Leben in Berlin oder in der Provinz stach der schmale Band insbesondere wegen seiner charmanten Kinderperspektive auf eine an sich bekannte Konstellation und der hohen Qualität der Zeichnungen heraus, in denen Schwartz von Anfang an einen ganz eigenen klaren Stil kreierte.
Auch in „Packeis“, Schwartz’ zweitem Buch, ist das Niveau der Bilderfolgen und der Seitenarchitektur bezwingend. Die spitzen Nasen und großen Augen der Figuren heben sich klar von flächigen und eindrucksvoll abwechslungsreichen Kulissen ab, amerikanische Großstädte ziehen da vorbei, der südamerikanische Dschungel und schließlich die weißen Wüsten des Nordpols. Die dezent blau eingefärbten Zeichnungen strahlen eine Nostalgie aus, die an die Bilder des kanadischen Comic-Künstlers Seth erinnern. Das kommt nicht von ungefähr. Wie Seth spielt Schwartz’ Biographie, mit der er erneut auf ein momentan boomendes Genre setzt, am Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts; wie in Seths „Clyde Fans“ begegnen wir eingangs einem alten Mann, der sich angesichts der alten Gegenstände, die ihn umgeben, in einer gekonnten Parallelmontage an sein spektakuläres, aber trauriges Leben erinnert.
Es geht um den Afroamerikaner Matthew Henson, von dem es heißt, er sei der erste Mann am Nordpol gewesen, eine nicht allzu bekannte Version der offiziellen Geschichte, die zumal zu einer Zeit der Rassendiskriminierung nicht salonfähig war. Allerdings existieren für die Richtigkeit von Hensons Aussage keine Beweise, und auch der Bericht Robert Edwin Pearys, der die Expedition leitete und später Henson wegen seiner Aussagen bedrohte, ist mehr als zweifelhaft. Schwartz geht es indes auch gar nicht so sehr um historische Akkuratheit, was sich am Schicksal von Hensons Frau Lucy ablesen lässt, die in Wirklichkeit, anders als im Buch, erst nach ihrem Mann starb. Für die Inuit wurde der schwarze Henson zu einer mythischen Gestalt, zum guten Mahri Pahluk, der gegen den Teufel kämpft. So wird die umfangreiche Biographie, die Hensons Leben von seiner Zeit als Schiffsjunge und Assistent Pearys in Nicaragua und in Grönland bis zu seinem Ende als verarmter Putzmann im Naturkundemuseum anschaulich macht, immer wieder unterbrochen von der Pahluk-Legende in einem primitiven Inuit-artigen Zeichenstil; durch diese intelligente Darstellung der ständigen Mythologisierung von Geschichte – die Eskimos verklären Henson, Peary strickt an seiner eigenen Legende als Nordpol-Entdecker – lässt „Packeis“ die meisten Comic-Biographien weit hinter sich.
Wegen der Vielzahl der großen Themen, die Schwartz sich vorgenommen hat, läuft sein Buch hier und da Gefahr, etwas halbherzig und oberflächlich zu wirken. Und doch ist die Entwicklung, die er mit seinen beiden Büchern bislang gemacht hat, symptomatisch für eine Öffnung der jüngeren deutschen Zeichner gegenüber neuen, anspruchsvollen Themen, wie zuletzt etwa Arne Bellstorf in „Baby’s in Black“ über die Beatles in Hamburg. Noch ist manches nicht zu Ende gedacht und stark von US-Vorbildern beeinflusst. Aber wenn man Simon Schwartz als Repräsentant einer neuen deutschen Comic-Generation betrachtet, dann muss einem um die Zukunft der Neunten Kunst hierzulande nicht bange sein.
THOMAS VON STEINAECKER
SIMON SCHWARTZ : Packeis. Avant Verlag, Berlin 2012. 176 S., 19,95 Euro.
Teufelskerl: Für die Inuit wurde der Afroamerikaner Henson zur mythischen Gestalt. Abb. aus dem bespr. Band
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