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Die viel beschworene Chance, das Eigene durch die Auseinandersetzung mit Fremdem neu sehen zu lernen, ist in der neueren Erziehungswissenschaft noch kaum genutzt worden. Der vorliegende Band stellt eine Vergleichende Pädagogik vor, die sich nicht auf Schulleistungsvergleiche beschränkt, sondern systematisch an der Erweiterung des pädagogischen Diskurshorizonts arbeitet. Verdeutlicht werden die Möglichkeiten einer solchen als vergleichende Kulturwissenschaft verstandenen Pädagogik an einer Reihe von Untersuchungen zu Erziehungs- und Bildungsverhältnissen in Japan, die sich um die Themenbereiche…mehr

Produktbeschreibung
Die viel beschworene Chance, das Eigene durch die Auseinandersetzung mit Fremdem neu sehen zu lernen, ist in der neueren Erziehungswissenschaft noch kaum genutzt worden. Der vorliegende Band stellt eine Vergleichende Pädagogik vor, die sich nicht auf Schulleistungsvergleiche beschränkt, sondern systematisch an der Erweiterung des pädagogischen Diskurshorizonts arbeitet. Verdeutlicht werden die Möglichkeiten einer solchen als vergleichende Kulturwissenschaft verstandenen Pädagogik an einer Reihe von Untersuchungen zu Erziehungs- und Bildungsverhältnissen in Japan, die sich um die Themenbereiche pädagogische Arrangements, Lernkultur und das Verhältnis von Individuum und Gruppe zentrieren. Deutlich wird dabei u.a., dass Disziplin und Spontaneität keineswegs unvereinbar sind, dass Leistungsorientierung und soziales Lernen zusammengehören können.
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Autorenporträt
Dr. phil. habil. Volker Schubert ist Direktor des Instituts für Allgemeine Pädagogik der Universität Hildesheim.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.01.2006

Die Kirschblüten über Japans fliegenden Klassenzimmern
Inszenierung von Kindheit und Jugend in den Schulen: Volker Schubert erörtert die Lernkulturen aus Ost und West

Studien wie Pisa und TIMSS machen das Ausland zum Argument. Unabhängig von der Sinnhaftigkeit internationaler Schulleistungsvergleiche sieht Volker Schubert kulturelle Gründe für die guten Zensuren japanischer Schüler. Bereits Kindergärten und Kindertagesstätten, welche die "Kindergesellschaft" der historischen Großfamilie und die spontanen Kindergruppen in der Nachbarschaft rekonstruieren, seien Teil einer "institutionalisierten Kindheit". Der neunjährigen Pflichtschulzeit mit sechsjähriger Grund- und dreijähriger Mittelschule folgt eine dreijährige Oberschulzeit, die allerdings von der großen Mehrheit - seit Mitte der 1970er Jahre von über 90 Prozent - absolviert wird.

In Japan wird Schule - mehr als in Deutschland - "als eine Lebenswelt organisiert". Die schulische Sozialisation umfaßt Bereiche, die hierzulande von den Familien oder Vereinen übernommen werden. Neben dem Unterricht sind die Schüler in Organisationen und Clubs eingebunden. Schubert erkennt eine ausgefeilte Gruppenpädagogik bei der Konformitätssicherung in Japans Schulen, was sich im Senioritätsprinzip (sempai-kôhai) oder in der typisch japanischen Gruppendynamik der Innen- und Außenbeziehungen (uchi-soto) bemerkbar macht.

Der Autor erörtert die Grenzen der "Inszenierung der Harmonie" im Klassenzimmer. Von der Wirklichkeit überholt wird die Idee der "Lebensschule" spätestens mit den Aufnahmeprüfungen zu karriererelevanten Oberschulen und Universitäten, von denen große Firmen ihr Personal rekrutieren. Der Wettbewerbsdruck führt zu einem zweigleisigen Schulsystem, denn nach Unterrichtsschluß bilden sich viele Jugendliche in teuren privaten "Paukschulen" (Juku) fort. Nur Kinder aus gutem Hause können sich die "Juku" leisten, wodurch das System soziale Unterschiede trotz des postulierten Gleichheitsprinzips reproduziert. Immer wieder stellt Schubert gängige Dichotomien von West und Ost wie Moderne und Tradition, Individualismus und Gruppenorientierung als einander, hier wie dort, durchdringende und nicht ausschließende Konzepte in Frage. Dabei entlarvt er ethnozentrische Standpunkte in den "Japaner-Theorien" (Nihonjin-ron), die Japans Einzigartigkeit betonen, und in der modernisierungstheoretischen westlichen Sicht.

Die oft als Drill mißverstandenen Begrüßungszeremonien oder die Präzision, mit der Bücher aufgeschlagen werden, dienen, laut Autor, der Orchestrierung der Übergänge. Doch erst die ästhetische Praxis der Rituale und Routinen ermögliche es japanischen Schülern, "sich in den Zwischenräumen zu verlieren". Am Beispiel der sozialen Grammatik des Schulalltags zeigt der Autor, wie die Konstruktion von Fremde mit der Dekonstruktion der eigenen kulturellen Logik einhergehen kann.

Dem Westen falle es schwer, sich Leistung "anders, als auf ein Zentrum bezogen, vorzustellen". Während in Japan der Lehrer moderierend im Hintergrund verweilt und Schüler in Prozessen einer "gemeinsamen Selbstverwirklichung" untereinander Anerkennung, Kritik und Selbstkritik üben, erkennt er im deutschen Schulsystem einen am Bewertungsmonopol des Lehrers orientierten, "hierarchisch" strukturierten Individualismus.

Schubert erörtert ferner die Gruppentheorie des Psychoanalytikers Doi Takeo, der mit dem Begriff "Amae" den Wunsch nach Geliebtwerden und die "Freiheit in Geborgenheit" als Wesenszug japanischer Psyche beschreibt. Schließlich wendet er das Amae-Konzept auf das japanische Bildungssystem an, indem er das Geborgensein in der Fürsorge der nächsthöheren Institution, sei es die Hochschule oder der Betrieb, analysiert. Auch wenn beide Lernkulturen voneinander lernen können, warnt Schubert in seiner diskussionswürdigen Studie vor der Nivellierung westlicher und östlicher Bildsamkeit im Sinne eines "Weltmodells Schule", denn dies verkenne die Kontexte erzieherischer Praktiken und Diskurse.

STEFFEN GNAM

Volker Schubert: "Pädagogik als vergleichende Kulturwissenschaft". Erziehung und Bildung in Japan. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2005. 182 S., br., 22,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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"Immer wieder stellt Schubert gängige Dichotomien [...] in Frage." Frankfurter Allgemeine Zeitung, 20.01.2006

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Recht aufschlussreich findet Steffen Gnam diese Studie über Erziehung und Bildung in Japan, die Volker Schubert vorgelegt hat. Ausführlich rekapituliert er die Ergebnisse von Schuberts Arbeit. Dabei betont er den Aspekt der Inszenierung von Kindheit und Jugend in den Schulen Japans sowie die ausgefeilte Gruppenpädagogik bei der Konformitätssicherung, die sich etwa im Senioritätsprinzip oder in der typisch japanischen Gruppendynamik der Innen- und Außenbeziehungen bemerkbar macht. Schubert stelle gängige Dichotomien von West und Ost wie Moderne und Tradition, Individualismus und Gruppenorientierung als einander, hier wie dort, durchdringende und nicht ausschließende Konzepte in Frage. Er entlarve ethnozentrische Standpunkte sowohl in den "Japaner-Theorien", die Japans Einzigartigkeit betonen, als auch in der modernisierungstheoretischen westlichen Sicht. Auch wenn östliche und westliche Lernkulturen voneinander lernen könnten, warne Schubert vor der Nivellierung westlicher und östlicher Bildsamkeit im Sinne eines "Weltmodells Schule", denn dies verkenne die Kontexte erzieherischer Praktiken und Diskurse.

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