Ergreifend und ungeschönt erzählt Elliot Page von seinem langen Weg zu sich selbst.
Mit seiner Hauptrolle in »Juno« hat Elliot Page die Welt in seinen Bann gezogen. In seinem ersten Buch erzählt er endlich seine Wahrheit: vom Aufwachsen in der kanadischen Hafenstadt Halifax, vom Erwachsenwerden im von traditionellen Geschlechterrollen besessenen Hollywood. Von Sex, Liebe, Trauma und phantastisch anmutenden Erfolgen. »Pageboy« ist die Geschichte eines Lebens, das an den Rand des Abgrunds gedrängt wurde - und eine Feier des Moments, in dem wir, frei von den Erwartungen anderer, mit Trotz, Mut und Freude uns selbst entgegentreten. Ein Buch von aufwühlender Schönheit und politischer Schlagkraft.
»Dies ist die Geschichte von jemandem, der sich selbst findet - inmitten von Hindernissen, Scham, Hoffnungslosigkeit und Schmerz. Der daraus auftaucht und auf eine Weise erblüht, die er nie für möglich gehalten hätte.« Elliot Page
Mit seiner Hauptrolle in »Juno« hat Elliot Page die Welt in seinen Bann gezogen. In seinem ersten Buch erzählt er endlich seine Wahrheit: vom Aufwachsen in der kanadischen Hafenstadt Halifax, vom Erwachsenwerden im von traditionellen Geschlechterrollen besessenen Hollywood. Von Sex, Liebe, Trauma und phantastisch anmutenden Erfolgen. »Pageboy« ist die Geschichte eines Lebens, das an den Rand des Abgrunds gedrängt wurde - und eine Feier des Moments, in dem wir, frei von den Erwartungen anderer, mit Trotz, Mut und Freude uns selbst entgegentreten. Ein Buch von aufwühlender Schönheit und politischer Schlagkraft.
»Dies ist die Geschichte von jemandem, der sich selbst findet - inmitten von Hindernissen, Scham, Hoffnungslosigkeit und Schmerz. Der daraus auftaucht und auf eine Weise erblüht, die er nie für möglich gehalten hätte.« Elliot Page
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Elliot Pages Mantra "bloß nicht stehen bleiben" als Flucht vor den Gedankenspiralen der Geschlechtsdysphorie ist auch eine treffende Beschreibung seines Buchs, meint Rezensentin Elisa Schüler. Denn "gehetzt" bewege der Schauspieler sich hier durch die lange Reise bis zu seinem Coming-Out: von der unfreiwilligen Mädchenkindheit mit religiös-dominanter Stiefmutter über den "Katalysator" der Fantasie- und Kunsttätigkeit bis hin zu Anfeindungen und Belästigungen an Hollywood-Filmsets und der "streng reglementierten" Kultur der roten Teppiche - von all dem liest Schüler entsetzt und mitleidend. Zwar fällt ihr auf, dass Page sich in den kritischsten Momenten an "vage" Formulierungen und Worthülsen halte; der Name eines weltberühmten Schauspielers etwa, der Page sogar nach dem Coming-Out mit Vergewaltigungsphantasien belästigte, bleibe eine "enttäuschende" Leerstelle. Dennoch nimmt das dem Buch kaum etwas von seiner "aufreibenden" Wucht, vermittelt Schüler.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 17.06.2023Das Spiel ist aus
Elliot Page war mal als Schauspielerin namens Ellen Page bekannt. In seiner Autobiografie erzählt er vom Kampf um Selbstbestimmung und dem Coming-out als trans Mann
Oft sind es die kleinen Sätze, in denen sich eine ganze Welt versteckt. Oder ein Abgrund. „Wäre ich nicht geboren worden, wüsste ich auch nicht, was mir entgangen wäre, und kein Mensch würde mich vermissen“, schreibt Elliot Page in seiner gerade erschienenen Autobiografie „Pageboy“. Und dann: „Hätte ich auch nichts dagegen.“ Traurig, denkt man, dann sickert ein: Die Person, die diese Worte formuliert, ist ein weltberühmter Filmstar, war mit 20 Jahren für den Oscar als beste Hauptdarstellerin nominiert und auf den Covern von Time Magazine und Esquire zu sehen.
Es gibt also offenbar sehr viele Menschen, denen es nicht egal ist, ob Elliot Page geboren wurde oder nicht. Er gehört nicht dazu. Das ist nicht nur traurig. Es ist tragisch.
Wie groß muss der Schmerz sein, den ein Mensch fühlt, wenn er so wenig an seiner eigenen Existenz hängt? Dass er schon als Kind versucht, sich auf dem spitzen Bettpfosten bäuchlings aufzuspießen? Dass er sich selbst schlägt, weil er die Person nicht ertragen kann, die ihn aus dem Spiegel anblickt?
Schwer vorstellbar. Doch der Schauspieler Elliot Page, 36, tut viel dafür, dass man nach der Lektüre der gut 300 Seiten von „Pageboy“ ein bisschen mehr versteht, unter welchem Druck queere Menschen selbst in vermeintlich aufgeklärten Gesellschaften leben. Page schildert dafür Szenen aus seiner Kindheit und Jugend, etwa wie er von anderen Teenagern nach Rumknutschen mit einem Jungen als Schwuchtel beschimpft und gejagt wird, obwohl er damals noch als Mädchen angesprochen wird. Oder als ihn die Stiefmutter bei einem Fantasiespiel verkleidet in seinem Zimmer entdeckt und auslacht.
Vergänglichkeit und Schmerz sind zwei der Leitmotive der Autobiografie und immer wieder fällt es schwer, sie mit der öffentlichen Person Elliot Page zusammen zu bringen. Während diese Person nämlich mit der Rolle der schwangeren Teenagerin Juno, Hauptfigur in der gleichnamigen Drama-Komödie, 2007 quasi über Nacht berühmt wird, leidet der Mensch Page so sehr, dass er gar nicht mehr da sein will. Elliot heißt damals noch Ellen (der Name wird hier genannt, weil Page ihn auch im Buch inklusive altem Pronomen einsetzt, um von der Zeit zu erzählen, bevor er ein trans Mann wurde), ist gerade 20 Jahre alt und hatte kurz zuvor eine Frau öffentlich in einer Bar geküsst. Er habe schon als sechsjähriges Kind die Mutter gefragt, ob er nicht einfach ein Junge sein könne, schreibt Page. Strumpfhosen, Kleider, lange Haare und hohe Schuhe verabscheute er. Nach dem Erfolg von „Juno“ aber wird er als die neue hippe Schauspielerin von Bühne zu Bühne geschleift, muss in Wälder von Mikrofonen sprechen, sich auf den Roten Teppichen präsentieren – und darf dabei nur eines nicht sein: er selbst. „Ich hatte vor, in Jeans und Holzfällerhemd zur Weltpremiere zu gehen“, schreibt Page, „das Team wollte, dass ich Kleid und High Heels trug. Sie besprachen sich mit dem Regisseur, der mich prompt anrief. Er meinte, das Team hätte recht und ich solle einfach mitspielen.“
Mitspielen. Sich selbst verleugnen. So verbringt Elliot Page als Ellen über drei Jahrzehnte seines Lebens. Konnte entweder nur im Geheimen sagen, tun und lieben, was und wen er wollte. Oder sich in seine Fantasiewelt flüchten, in der er ein Junge war, der kurze Haare, lässige Hemden, und der seiner Sehnsucht nachgeben durfte, Frauen zu berühren.
Diese Sehnsüchte und Gefühle beschreibt er detailliert. Mitunter verliert er sich etwas in Details, gerade, wenn es um Episoden aus seiner Kindheit geht, in denen er bis zur Chips-Sorte beim Fernsehabend mit der Mutter alles ins Bild bekommen möchte. Auch wenn diese Erzählungen zu den verschlungenen Pfaden gehören, die Page gehen musste, um sich mit 33 Jahren endgültig zur Transition mit geschlechtsumwandelnden Operationen entscheiden zu können – aus Leserinnensicht haben sie Längen.
Das lässt sich insofern erklären, als Page das Buch nach eigenen Angaben ohne Ghostwriter verfasst hat, also ohne jene Zwischeninstanz, die vor-, um- und auch mal aussortiert. So mäandert und springt die Erzählung immer wieder, sowohl zwischen den Zeitebenen, als auch zwischen den verschiedenen Fokuseinstellungen, die mal sehr nahe Bilder schaffen und dann aber interessante Details aussparen, zum Beispiel, wenn es um konkrete Personen im Filmgeschäft geht.
Besonders eindrücklich wird die Geschichte, wenn Page die schmerzhaften Schockzustände seines schrittweisen Coming-outs schildert, etwa als rund um die Premiere von „Juno“ ein kanadisches Klatschblatt riesengroß titelt: „IST ELLEN PAGE LESBISCH?“ „Ich konnte es nicht fassen. Ich lag im Bett, die Augen fest geschlossen, und weinte. Bitte, lass es einen Traum sein. Bitte“, schreibt er. Aber je größer der Erfolg, desto unerbittlicher wird auch die Botschaft aus Hollywood: Niemand dürfe davon erfahren, dass Ellen Page queer sei, sonst verbaue sie sich alle Möglichkeiten. 2014 outet Page sich als lesbisch – und erfährt im Anschluss noch mehr Hass und Unverständnis. In Hollywood werde mit Queerness umgegangen, wie es den Leuten in den Kram passe, schreibt er, „wenn nötig, wird sie unter den Teppich gekehrt, und wenn es vorteilhaft ist, wieder hervorgeholt“, dann feiere man sich für die vermeintliche Fortschrittlichkeit.
„Pageboy“ ist aber nicht deshalb ein wichtiges Buch, weil es die Scheinheiligkeit und die sexistischen Machtstrukturen der Filmbranche aufdecken würde. Beides ist nicht überraschend. Was an Elliot Pages Erzählung neu ist, sind die verschiedenen Blickwinkel darauf, die sich in einer Person vereinen: der einer jungen, in ihrer Persönlichkeit unterdrückten Frau. Der einer lesbischen Frau vor und nach ihrem Coming-out. Der einer trans Person und der eines Mannes, der es geschafft hat, sich nach den existenziellsten Zweifeln selbst zu finden, sich selbst zu lieben und nun einfach in dieser Welt sein möchte, wie er schreibt. Dass all diese Perspektiven in einem Menschen stecken können, teilweise gleichzeitig und sich widersprechend, teilweise nacheinander, das muss erzählt werden, auch in Filmen und Büchern. Weil Menschen wie Elliot Page niemals das Gefühl haben dürfen, dass ihr Leben egal ist.
SARA PESCHKE
Schon als sechsjähriges Kind
fragte er die Mutter, ob er nicht
einfach ein Junge sein könne
Elliot Page im Herbst 2021 auf der Fashion Week in Paris.
Foto: Getty Images
Elliot Page: Pageboy - Meine Geschichte.
Aus dem Englischen
von Katrin Harlaß,
Lisa Kögeböhn,
Stefanie Frida Lemke.
S. Fischer Verlag,
Berlin 2023. 336 Seiten,
24 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Elliot Page war mal als Schauspielerin namens Ellen Page bekannt. In seiner Autobiografie erzählt er vom Kampf um Selbstbestimmung und dem Coming-out als trans Mann
Oft sind es die kleinen Sätze, in denen sich eine ganze Welt versteckt. Oder ein Abgrund. „Wäre ich nicht geboren worden, wüsste ich auch nicht, was mir entgangen wäre, und kein Mensch würde mich vermissen“, schreibt Elliot Page in seiner gerade erschienenen Autobiografie „Pageboy“. Und dann: „Hätte ich auch nichts dagegen.“ Traurig, denkt man, dann sickert ein: Die Person, die diese Worte formuliert, ist ein weltberühmter Filmstar, war mit 20 Jahren für den Oscar als beste Hauptdarstellerin nominiert und auf den Covern von Time Magazine und Esquire zu sehen.
Es gibt also offenbar sehr viele Menschen, denen es nicht egal ist, ob Elliot Page geboren wurde oder nicht. Er gehört nicht dazu. Das ist nicht nur traurig. Es ist tragisch.
Wie groß muss der Schmerz sein, den ein Mensch fühlt, wenn er so wenig an seiner eigenen Existenz hängt? Dass er schon als Kind versucht, sich auf dem spitzen Bettpfosten bäuchlings aufzuspießen? Dass er sich selbst schlägt, weil er die Person nicht ertragen kann, die ihn aus dem Spiegel anblickt?
Schwer vorstellbar. Doch der Schauspieler Elliot Page, 36, tut viel dafür, dass man nach der Lektüre der gut 300 Seiten von „Pageboy“ ein bisschen mehr versteht, unter welchem Druck queere Menschen selbst in vermeintlich aufgeklärten Gesellschaften leben. Page schildert dafür Szenen aus seiner Kindheit und Jugend, etwa wie er von anderen Teenagern nach Rumknutschen mit einem Jungen als Schwuchtel beschimpft und gejagt wird, obwohl er damals noch als Mädchen angesprochen wird. Oder als ihn die Stiefmutter bei einem Fantasiespiel verkleidet in seinem Zimmer entdeckt und auslacht.
Vergänglichkeit und Schmerz sind zwei der Leitmotive der Autobiografie und immer wieder fällt es schwer, sie mit der öffentlichen Person Elliot Page zusammen zu bringen. Während diese Person nämlich mit der Rolle der schwangeren Teenagerin Juno, Hauptfigur in der gleichnamigen Drama-Komödie, 2007 quasi über Nacht berühmt wird, leidet der Mensch Page so sehr, dass er gar nicht mehr da sein will. Elliot heißt damals noch Ellen (der Name wird hier genannt, weil Page ihn auch im Buch inklusive altem Pronomen einsetzt, um von der Zeit zu erzählen, bevor er ein trans Mann wurde), ist gerade 20 Jahre alt und hatte kurz zuvor eine Frau öffentlich in einer Bar geküsst. Er habe schon als sechsjähriges Kind die Mutter gefragt, ob er nicht einfach ein Junge sein könne, schreibt Page. Strumpfhosen, Kleider, lange Haare und hohe Schuhe verabscheute er. Nach dem Erfolg von „Juno“ aber wird er als die neue hippe Schauspielerin von Bühne zu Bühne geschleift, muss in Wälder von Mikrofonen sprechen, sich auf den Roten Teppichen präsentieren – und darf dabei nur eines nicht sein: er selbst. „Ich hatte vor, in Jeans und Holzfällerhemd zur Weltpremiere zu gehen“, schreibt Page, „das Team wollte, dass ich Kleid und High Heels trug. Sie besprachen sich mit dem Regisseur, der mich prompt anrief. Er meinte, das Team hätte recht und ich solle einfach mitspielen.“
Mitspielen. Sich selbst verleugnen. So verbringt Elliot Page als Ellen über drei Jahrzehnte seines Lebens. Konnte entweder nur im Geheimen sagen, tun und lieben, was und wen er wollte. Oder sich in seine Fantasiewelt flüchten, in der er ein Junge war, der kurze Haare, lässige Hemden, und der seiner Sehnsucht nachgeben durfte, Frauen zu berühren.
Diese Sehnsüchte und Gefühle beschreibt er detailliert. Mitunter verliert er sich etwas in Details, gerade, wenn es um Episoden aus seiner Kindheit geht, in denen er bis zur Chips-Sorte beim Fernsehabend mit der Mutter alles ins Bild bekommen möchte. Auch wenn diese Erzählungen zu den verschlungenen Pfaden gehören, die Page gehen musste, um sich mit 33 Jahren endgültig zur Transition mit geschlechtsumwandelnden Operationen entscheiden zu können – aus Leserinnensicht haben sie Längen.
Das lässt sich insofern erklären, als Page das Buch nach eigenen Angaben ohne Ghostwriter verfasst hat, also ohne jene Zwischeninstanz, die vor-, um- und auch mal aussortiert. So mäandert und springt die Erzählung immer wieder, sowohl zwischen den Zeitebenen, als auch zwischen den verschiedenen Fokuseinstellungen, die mal sehr nahe Bilder schaffen und dann aber interessante Details aussparen, zum Beispiel, wenn es um konkrete Personen im Filmgeschäft geht.
Besonders eindrücklich wird die Geschichte, wenn Page die schmerzhaften Schockzustände seines schrittweisen Coming-outs schildert, etwa als rund um die Premiere von „Juno“ ein kanadisches Klatschblatt riesengroß titelt: „IST ELLEN PAGE LESBISCH?“ „Ich konnte es nicht fassen. Ich lag im Bett, die Augen fest geschlossen, und weinte. Bitte, lass es einen Traum sein. Bitte“, schreibt er. Aber je größer der Erfolg, desto unerbittlicher wird auch die Botschaft aus Hollywood: Niemand dürfe davon erfahren, dass Ellen Page queer sei, sonst verbaue sie sich alle Möglichkeiten. 2014 outet Page sich als lesbisch – und erfährt im Anschluss noch mehr Hass und Unverständnis. In Hollywood werde mit Queerness umgegangen, wie es den Leuten in den Kram passe, schreibt er, „wenn nötig, wird sie unter den Teppich gekehrt, und wenn es vorteilhaft ist, wieder hervorgeholt“, dann feiere man sich für die vermeintliche Fortschrittlichkeit.
„Pageboy“ ist aber nicht deshalb ein wichtiges Buch, weil es die Scheinheiligkeit und die sexistischen Machtstrukturen der Filmbranche aufdecken würde. Beides ist nicht überraschend. Was an Elliot Pages Erzählung neu ist, sind die verschiedenen Blickwinkel darauf, die sich in einer Person vereinen: der einer jungen, in ihrer Persönlichkeit unterdrückten Frau. Der einer lesbischen Frau vor und nach ihrem Coming-out. Der einer trans Person und der eines Mannes, der es geschafft hat, sich nach den existenziellsten Zweifeln selbst zu finden, sich selbst zu lieben und nun einfach in dieser Welt sein möchte, wie er schreibt. Dass all diese Perspektiven in einem Menschen stecken können, teilweise gleichzeitig und sich widersprechend, teilweise nacheinander, das muss erzählt werden, auch in Filmen und Büchern. Weil Menschen wie Elliot Page niemals das Gefühl haben dürfen, dass ihr Leben egal ist.
SARA PESCHKE
Schon als sechsjähriges Kind
fragte er die Mutter, ob er nicht
einfach ein Junge sein könne
Elliot Page im Herbst 2021 auf der Fashion Week in Paris.
Foto: Getty Images
Elliot Page: Pageboy - Meine Geschichte.
Aus dem Englischen
von Katrin Harlaß,
Lisa Kögeböhn,
Stefanie Frida Lemke.
S. Fischer Verlag,
Berlin 2023. 336 Seiten,
24 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Wenn das nicht ein entwaffnendes Plädoyer für mehr Toleranz ist. Elisa Schüler Frankfurter Allgemeine Zeitung 20231002
Das Spiel ist aus
Elliot Page war mal als Schauspielerin namens Ellen Page bekannt. In seiner Autobiografie erzählt er vom Kampf um Selbstbestimmung und dem Coming-out als trans Mann
Oft sind es die kleinen Sätze, in denen sich eine ganze Welt versteckt. Oder ein Abgrund. „Wäre ich nicht geboren worden, wüsste ich auch nicht, was mir entgangen wäre, und kein Mensch würde mich vermissen“, schreibt Elliot Page in seiner gerade erschienenen Autobiografie „Pageboy“. Und dann: „Hätte ich auch nichts dagegen.“ Traurig, denkt man, dann sickert ein: Die Person, die diese Worte formuliert, ist ein weltberühmter Filmstar, war mit 20 Jahren für den Oscar als beste Hauptdarstellerin nominiert und auf den Covern von Time Magazine und Esquire zu sehen.
Es gibt also offenbar sehr viele Menschen, denen es nicht egal ist, ob Elliot Page geboren wurde oder nicht. Er gehört nicht dazu. Das ist nicht nur traurig. Es ist tragisch.
Wie groß muss der Schmerz sein, den ein Mensch fühlt, wenn er so wenig an seiner eigenen Existenz hängt? Dass er schon als Kind versucht, sich auf dem spitzen Bettpfosten bäuchlings aufzuspießen? Dass er sich selbst schlägt, weil er die Person nicht ertragen kann, die ihn aus dem Spiegel anblickt?
Schwer vorstellbar. Doch der Schauspieler Elliot Page, 36, tut viel dafür, dass man nach der Lektüre der gut 300 Seiten von „Pageboy“ ein bisschen mehr versteht, unter welchem Druck queere Menschen selbst in vermeintlich aufgeklärten Gesellschaften leben. Page schildert dafür Szenen aus seiner Kindheit und Jugend, etwa wie er von anderen Teenagern nach Rumknutschen mit einem Jungen als Schwuchtel beschimpft und gejagt wird, obwohl er damals noch als Mädchen angesprochen wird. Oder als ihn die Stiefmutter bei einem Fantasiespiel verkleidet in seinem Zimmer entdeckt und auslacht.
Vergänglichkeit und Schmerz sind zwei der Leitmotive der Autobiografie und immer wieder fällt es schwer, sie mit der öffentlichen Person Elliot Page zusammen zu bringen. Während diese Person nämlich mit der Rolle der schwangeren Teenagerin Juno, Hauptfigur in der gleichnamigen Drama-Komödie, 2007 quasi über Nacht berühmt wird, leidet der Mensch Page so sehr, dass er gar nicht mehr da sein will. Elliot heißt damals noch Ellen (der Name wird hier genannt, weil Page ihn auch im Buch inklusive altem Pronomen einsetzt, um von der Zeit zu erzählen, bevor er ein trans Mann wurde), ist gerade 20 Jahre alt und hatte kurz zuvor eine Frau öffentlich in einer Bar geküsst. Er habe schon als sechsjähriges Kind die Mutter gefragt, ob er nicht einfach ein Junge sein könne, schreibt Page. Strumpfhosen, Kleider, lange Haare und hohe Schuhe verabscheute er. Nach dem Erfolg von „Juno“ aber wird er als die neue hippe Schauspielerin von Bühne zu Bühne geschleift, muss in Wälder von Mikrofonen sprechen, sich auf den Roten Teppichen präsentieren – und darf dabei nur eines nicht sein: er selbst. „Ich hatte vor, in Jeans und Holzfällerhemd zur Weltpremiere zu gehen“, schreibt Page, „das Team wollte, dass ich Kleid und High Heels trug. Sie besprachen sich mit dem Regisseur, der mich prompt anrief. Er meinte, das Team hätte recht und ich solle einfach mitspielen.“
Mitspielen. Sich selbst verleugnen. So verbringt Elliot Page als Ellen über drei Jahrzehnte seines Lebens. Konnte entweder nur im Geheimen sagen, tun und lieben, was und wen er wollte. Oder sich in seine Fantasiewelt flüchten, in der er ein Junge war, der kurze Haare, lässige Hemden, und der seiner Sehnsucht nachgeben durfte, Frauen zu berühren.
Diese Sehnsüchte und Gefühle beschreibt er detailliert. Mitunter verliert er sich etwas in Details, gerade, wenn es um Episoden aus seiner Kindheit geht, in denen er bis zur Chips-Sorte beim Fernsehabend mit der Mutter alles ins Bild bekommen möchte. Auch wenn diese Erzählungen zu den verschlungenen Pfaden gehören, die Page gehen musste, um sich mit 33 Jahren endgültig zur Transition mit geschlechtsumwandelnden Operationen entscheiden zu können – aus Leserinnensicht haben sie Längen.
Das lässt sich insofern erklären, als Page das Buch nach eigenen Angaben ohne Ghostwriter verfasst hat, also ohne jene Zwischeninstanz, die vor-, um- und auch mal aussortiert. So mäandert und springt die Erzählung immer wieder, sowohl zwischen den Zeitebenen, als auch zwischen den verschiedenen Fokuseinstellungen, die mal sehr nahe Bilder schaffen und dann aber interessante Details aussparen, zum Beispiel, wenn es um konkrete Personen im Filmgeschäft geht.
Besonders eindrücklich wird die Geschichte, wenn Page die schmerzhaften Schockzustände seines schrittweisen Coming-outs schildert, etwa als rund um die Premiere von „Juno“ ein kanadisches Klatschblatt riesengroß titelt: „IST ELLEN PAGE LESBISCH?“ „Ich konnte es nicht fassen. Ich lag im Bett, die Augen fest geschlossen, und weinte. Bitte, lass es einen Traum sein. Bitte“, schreibt er. Aber je größer der Erfolg, desto unerbittlicher wird auch die Botschaft aus Hollywood: Niemand dürfe davon erfahren, dass Ellen Page queer sei, sonst verbaue sie sich alle Möglichkeiten. 2014 outet Page sich als lesbisch – und erfährt im Anschluss noch mehr Hass und Unverständnis. In Hollywood werde mit Queerness umgegangen, wie es den Leuten in den Kram passe, schreibt er, „wenn nötig, wird sie unter den Teppich gekehrt, und wenn es vorteilhaft ist, wieder hervorgeholt“, dann feiere man sich für die vermeintliche Fortschrittlichkeit.
„Pageboy“ ist aber nicht deshalb ein wichtiges Buch, weil es die Scheinheiligkeit und die sexistischen Machtstrukturen der Filmbranche aufdecken würde. Beides ist nicht überraschend. Was an Elliot Pages Erzählung neu ist, sind die verschiedenen Blickwinkel darauf, die sich in einer Person vereinen: der einer jungen, in ihrer Persönlichkeit unterdrückten Frau. Der einer lesbischen Frau vor und nach ihrem Coming-out. Der einer trans Person und der eines Mannes, der es geschafft hat, sich nach den existenziellsten Zweifeln selbst zu finden, sich selbst zu lieben und nun einfach in dieser Welt sein möchte, wie er schreibt. Dass all diese Perspektiven in einem Menschen stecken können, teilweise gleichzeitig und sich widersprechend, teilweise nacheinander, das muss erzählt werden, auch in Filmen und Büchern. Weil Menschen wie Elliot Page niemals das Gefühl haben dürfen, dass ihr Leben egal ist.
SARA PESCHKE
Schon als sechsjähriges Kind
fragte er die Mutter, ob er nicht
einfach ein Junge sein könne
Elliot Page im Herbst 2021 auf der Fashion Week in Paris.
Foto: Getty Images
Elliot Page: Pageboy - Meine Geschichte.
Aus dem Englischen
von Katrin Harlaß,
Lisa Kögeböhn,
Stefanie Frida Lemke.
S. Fischer Verlag,
Berlin 2023. 336 Seiten,
24 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Elliot Page war mal als Schauspielerin namens Ellen Page bekannt. In seiner Autobiografie erzählt er vom Kampf um Selbstbestimmung und dem Coming-out als trans Mann
Oft sind es die kleinen Sätze, in denen sich eine ganze Welt versteckt. Oder ein Abgrund. „Wäre ich nicht geboren worden, wüsste ich auch nicht, was mir entgangen wäre, und kein Mensch würde mich vermissen“, schreibt Elliot Page in seiner gerade erschienenen Autobiografie „Pageboy“. Und dann: „Hätte ich auch nichts dagegen.“ Traurig, denkt man, dann sickert ein: Die Person, die diese Worte formuliert, ist ein weltberühmter Filmstar, war mit 20 Jahren für den Oscar als beste Hauptdarstellerin nominiert und auf den Covern von Time Magazine und Esquire zu sehen.
Es gibt also offenbar sehr viele Menschen, denen es nicht egal ist, ob Elliot Page geboren wurde oder nicht. Er gehört nicht dazu. Das ist nicht nur traurig. Es ist tragisch.
Wie groß muss der Schmerz sein, den ein Mensch fühlt, wenn er so wenig an seiner eigenen Existenz hängt? Dass er schon als Kind versucht, sich auf dem spitzen Bettpfosten bäuchlings aufzuspießen? Dass er sich selbst schlägt, weil er die Person nicht ertragen kann, die ihn aus dem Spiegel anblickt?
Schwer vorstellbar. Doch der Schauspieler Elliot Page, 36, tut viel dafür, dass man nach der Lektüre der gut 300 Seiten von „Pageboy“ ein bisschen mehr versteht, unter welchem Druck queere Menschen selbst in vermeintlich aufgeklärten Gesellschaften leben. Page schildert dafür Szenen aus seiner Kindheit und Jugend, etwa wie er von anderen Teenagern nach Rumknutschen mit einem Jungen als Schwuchtel beschimpft und gejagt wird, obwohl er damals noch als Mädchen angesprochen wird. Oder als ihn die Stiefmutter bei einem Fantasiespiel verkleidet in seinem Zimmer entdeckt und auslacht.
Vergänglichkeit und Schmerz sind zwei der Leitmotive der Autobiografie und immer wieder fällt es schwer, sie mit der öffentlichen Person Elliot Page zusammen zu bringen. Während diese Person nämlich mit der Rolle der schwangeren Teenagerin Juno, Hauptfigur in der gleichnamigen Drama-Komödie, 2007 quasi über Nacht berühmt wird, leidet der Mensch Page so sehr, dass er gar nicht mehr da sein will. Elliot heißt damals noch Ellen (der Name wird hier genannt, weil Page ihn auch im Buch inklusive altem Pronomen einsetzt, um von der Zeit zu erzählen, bevor er ein trans Mann wurde), ist gerade 20 Jahre alt und hatte kurz zuvor eine Frau öffentlich in einer Bar geküsst. Er habe schon als sechsjähriges Kind die Mutter gefragt, ob er nicht einfach ein Junge sein könne, schreibt Page. Strumpfhosen, Kleider, lange Haare und hohe Schuhe verabscheute er. Nach dem Erfolg von „Juno“ aber wird er als die neue hippe Schauspielerin von Bühne zu Bühne geschleift, muss in Wälder von Mikrofonen sprechen, sich auf den Roten Teppichen präsentieren – und darf dabei nur eines nicht sein: er selbst. „Ich hatte vor, in Jeans und Holzfällerhemd zur Weltpremiere zu gehen“, schreibt Page, „das Team wollte, dass ich Kleid und High Heels trug. Sie besprachen sich mit dem Regisseur, der mich prompt anrief. Er meinte, das Team hätte recht und ich solle einfach mitspielen.“
Mitspielen. Sich selbst verleugnen. So verbringt Elliot Page als Ellen über drei Jahrzehnte seines Lebens. Konnte entweder nur im Geheimen sagen, tun und lieben, was und wen er wollte. Oder sich in seine Fantasiewelt flüchten, in der er ein Junge war, der kurze Haare, lässige Hemden, und der seiner Sehnsucht nachgeben durfte, Frauen zu berühren.
Diese Sehnsüchte und Gefühle beschreibt er detailliert. Mitunter verliert er sich etwas in Details, gerade, wenn es um Episoden aus seiner Kindheit geht, in denen er bis zur Chips-Sorte beim Fernsehabend mit der Mutter alles ins Bild bekommen möchte. Auch wenn diese Erzählungen zu den verschlungenen Pfaden gehören, die Page gehen musste, um sich mit 33 Jahren endgültig zur Transition mit geschlechtsumwandelnden Operationen entscheiden zu können – aus Leserinnensicht haben sie Längen.
Das lässt sich insofern erklären, als Page das Buch nach eigenen Angaben ohne Ghostwriter verfasst hat, also ohne jene Zwischeninstanz, die vor-, um- und auch mal aussortiert. So mäandert und springt die Erzählung immer wieder, sowohl zwischen den Zeitebenen, als auch zwischen den verschiedenen Fokuseinstellungen, die mal sehr nahe Bilder schaffen und dann aber interessante Details aussparen, zum Beispiel, wenn es um konkrete Personen im Filmgeschäft geht.
Besonders eindrücklich wird die Geschichte, wenn Page die schmerzhaften Schockzustände seines schrittweisen Coming-outs schildert, etwa als rund um die Premiere von „Juno“ ein kanadisches Klatschblatt riesengroß titelt: „IST ELLEN PAGE LESBISCH?“ „Ich konnte es nicht fassen. Ich lag im Bett, die Augen fest geschlossen, und weinte. Bitte, lass es einen Traum sein. Bitte“, schreibt er. Aber je größer der Erfolg, desto unerbittlicher wird auch die Botschaft aus Hollywood: Niemand dürfe davon erfahren, dass Ellen Page queer sei, sonst verbaue sie sich alle Möglichkeiten. 2014 outet Page sich als lesbisch – und erfährt im Anschluss noch mehr Hass und Unverständnis. In Hollywood werde mit Queerness umgegangen, wie es den Leuten in den Kram passe, schreibt er, „wenn nötig, wird sie unter den Teppich gekehrt, und wenn es vorteilhaft ist, wieder hervorgeholt“, dann feiere man sich für die vermeintliche Fortschrittlichkeit.
„Pageboy“ ist aber nicht deshalb ein wichtiges Buch, weil es die Scheinheiligkeit und die sexistischen Machtstrukturen der Filmbranche aufdecken würde. Beides ist nicht überraschend. Was an Elliot Pages Erzählung neu ist, sind die verschiedenen Blickwinkel darauf, die sich in einer Person vereinen: der einer jungen, in ihrer Persönlichkeit unterdrückten Frau. Der einer lesbischen Frau vor und nach ihrem Coming-out. Der einer trans Person und der eines Mannes, der es geschafft hat, sich nach den existenziellsten Zweifeln selbst zu finden, sich selbst zu lieben und nun einfach in dieser Welt sein möchte, wie er schreibt. Dass all diese Perspektiven in einem Menschen stecken können, teilweise gleichzeitig und sich widersprechend, teilweise nacheinander, das muss erzählt werden, auch in Filmen und Büchern. Weil Menschen wie Elliot Page niemals das Gefühl haben dürfen, dass ihr Leben egal ist.
SARA PESCHKE
Schon als sechsjähriges Kind
fragte er die Mutter, ob er nicht
einfach ein Junge sein könne
Elliot Page im Herbst 2021 auf der Fashion Week in Paris.
Foto: Getty Images
Elliot Page: Pageboy - Meine Geschichte.
Aus dem Englischen
von Katrin Harlaß,
Lisa Kögeböhn,
Stefanie Frida Lemke.
S. Fischer Verlag,
Berlin 2023. 336 Seiten,
24 Euro.
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