Die schönsten Stunden im Leben liegen häufig ein wenig außerhalb der Legalität, sagte Alain Delon. Das gilt auch für den pensionierten Notar Bruno Ziegler, der während eines Arbeitsaufenthaltes im Grand Hotel Garibaldi in den idyllischen Allgäuer Bergen wie zufällig in die Kreise der Mafia gerät. Was ihn mehr und mehr fasziniert, wird ihm schließlich zum Verhängnis. Er wird Zeuge, wie sich eine neue geräuschlose Generation der Ehrenwerten Gesellschaft ausbreitet, die nicht mehr wild um sich schießt und Staatsanwälte in die Luft jagt, sondern diskret und klammheimlich wächst und gedeiht, auch weil ihre Existenz von der offiziellen Politik geleugnet wird. Während einer Zugfahrt schreibt er seine Beobachtungen über die Verschiebung der Palmengrenze ins Allgäu nieder. Er tut dies nicht zuletzt in Hinblick auf seinen neuen Mandanten, einen Mann, den alle nur den Commendatore nennen. Außerdem ist da noch die rätselhafte attraktive Witwe des Hoteliers, die ein Auge auf den Notar geworfen hat: privat, aber auch geschäftlich
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.01.2021Ehrenwerte Gesellschaft mit Blick für Mehrwert
Gerhard Köpfs Mafia-Roman "Palmengrenzen" findet im Bärenmarke-Paradies Allgäu eine ganze Herde Raubtiere
Ein Grundsatz der Mafia 3.0, von der Gerhard Köpf in seinem neuen Buch ebenso kenntnisreich wie virtuos erzählt, ist ihre Geräuschlosigkeit. Gelegentlichen Gebrauch einer Schusswaffe schließt das nicht aus, aber statt wild herumzuballern, kommt es darauf an, möglichst wenig aufzufallen. Das gilt auch für Köpfs Roman, der im Verborgenen blüht und unter dem harmlos klingenden Titel "Palmengrenzen" gleich mehrere Bücher in sich vereint: einen Krimi, der Sogwirkung erzeugt und den Spannungsbogen durchhält bis zum letzten Satz, ein Sachbuch über die sizilianische Mafia, einen Ratgeber über den Umgang mit der Ehrenwerten Gesellschaft und eine die Sucht nach mehr erzeugende Droge - zu Risiken und Nebenwirkungen lesen Sie den Beipackzettel und fragen Sie Ihren Arzt oder Buchhändler.
Den Beipackzettel gibt es wirklich: vom obligatorischen Hinweis auf den fiktiven Charakter der im Text erwähnten Personen und Ereignisse bis zur Leseliste am Schluss des Buches, die alles versammelt, was Rang und Namen hat im weiten Feld der Mafia-Literatur, von Maike Albath bis zu Leonardo Sciascia. Dazwischen eingestreut sind skurrile Rezepte und Exzerpte zur Geschichte der Henkersmahlzeit, die zu schreiben der Protagonist, ein pensionierter Notar, sich vorgenommen hat: "Mahl und Trunk gehören zur gelingenden Hinrichtung. Das Geschick des Scharfrichters ist ebenso Bestandteil dieser Dramaturgie wie die letzten Worte des Geistlichen."
Der Held trägt Züge des Autors Köpf: Beide stammen aus dem Allgäu, beide haben an der Universität der Stadt Duisburg gelehrt, wo im August 2007 sechs Männer nach einem Henkersmahl beim Edelitaliener erschossen wurden - der spektakulärste Mafia-Mord der Bundesrepublik; Opfer und Täter kamen aus demselben Dorf in Kalabrien, einer Hochburg des 'Ndrangheta-Clans. Untrügliches Kennzeichen eines Mafia-Verbrechens ist, dass alle Beteiligten, Auftraggeber wie Mitwisser, deutsche wie italienische Behörden hartnäckig leugnen, dass es die Cosa Nostra überhaupt gibt. Und die Hinterbliebenen der Opfer werden durch Drohungen und/oder Geld zum Schweigen gebracht.
Was Bruno Ziegler, dem pensionierten Juristen im Roman, zum Verhängnis wird, ist sein selbstauferlegter Schreibzwang. Auch den hat er mit dem Autor Gerhard Köpf gemein: "Mein Bleistift trieb mich weiter, die Worte flogen nur so aufs Papier, sie ließen sich nicht länger zurückhalten. Mich erfasste eine Art Schreibrausch, und mich überraschte, was sich da wie von selbst formulierte und unter der Hand zugleich ein Ich entwarf, in dem das Subjekt vom Ego separiert war."
Gerhard Köpf ist ein poeta doctus, der im Zweitstudium Medizin studiert und kenntnisreiche Essays über seine Lieblingsautoren Borges, Ezra Pound und Hemingway publiziert hat. Das vorliegende Buch ist die Fortschreibung seiner Allgäu-Saga, die mit dem Roman "Innerfern" 1983 begann. Worum geht es?
Es geht, kaum zu glauben, aber wahr, um die Unterwanderung des Allgäus durch die süditalienische Mafia, von Eisdielen und Pizzerien bis zu Nobelrestaurants und Hotels, die der Geldwäsche dienten. Die Anbindung an Italien und zur nahegelegenen Schweiz war dabei ebenso von Vorteil wie die Hegemonie der Kirche und der CSU, die der Struktur der Cosa Nostra entgegenkam. Aber auch grüne Gutmenschen holten die Mafia-Paten sich ins Boot, als sie ihr Geschäftsfeld erweiterten: von Prostitution und Drogenschmuggel zu Wellness-Spas, Alternativmedizin und ökologischer Landwirtschaft, Entsorgung von Giftmüll und Einschleusung von Migranten, Organhandel inklusive. Mit dem Segen der Kirche entstand so, von der EU subventioniert, lautloser und effektiver als jede vom Volk gewählte Regierung, ein Staat im Staate, der das Allgäuer "Bärenmarke"-Idyll zum Mafia-Paradies werden ließ.
Doch nicht nur, was er erzählt, auch wie er dabei zu Werke geht, macht Köpfs Buch so lesenswert, angefangen bei Wortschöpfungen, die mehr sind als bloße Witzeleien - vom Intrigantenstadel und der Betriebsmilbe bis zur Neidgenossenschaft. Das folgende Zitat spricht für sich: "Mafiosi haben ein unterentwickeltes Sexualleben. Die meisten leiden unter ejaculatio preacox. Ehefrauen sind Mütter und Komplizinnen. Potent ist der Mafioso nur mit der Pistole. Kommandieren ist besser als ficken."
Anders als die von ihm verachteten Prosecco-Künstler von Schwabing, kennt und schätzt der Protagonist des Romans nicht nur die mediterrane Küche, sondern auch Italiens Sprache und Literatur. Er hat lange in Rom gelebt, was dem Autor ermöglicht, einen satirischen Exkurs über die Villa Massimo in den Text einzubauen, aber dieser Ziegler weiß zu viel. Als die Witwe eines Hoteliers, der Mitglied der Ehrenwerten Gesellschaft war, dem professore anbietet, die Nachfolge ihres von der Mafia ermordeten Mannes anzutreten, ist es zu spät.
Was dann passiert, darf hier nicht verraten werden - gemäß dem Motto von Alain Delon, das Gerhard Köpfs Roman voransteht: "Die schönsten Stunden im Leben liegen häufig ein wenig außerhalb der Legalität."
HANS CHRISTOPH BUCH
Gerhard Köpf: "Palmengrenzen". Roman.
Braumüller Verlag, Wien 2020. 240 S., geb., 22,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Gerhard Köpfs Mafia-Roman "Palmengrenzen" findet im Bärenmarke-Paradies Allgäu eine ganze Herde Raubtiere
Ein Grundsatz der Mafia 3.0, von der Gerhard Köpf in seinem neuen Buch ebenso kenntnisreich wie virtuos erzählt, ist ihre Geräuschlosigkeit. Gelegentlichen Gebrauch einer Schusswaffe schließt das nicht aus, aber statt wild herumzuballern, kommt es darauf an, möglichst wenig aufzufallen. Das gilt auch für Köpfs Roman, der im Verborgenen blüht und unter dem harmlos klingenden Titel "Palmengrenzen" gleich mehrere Bücher in sich vereint: einen Krimi, der Sogwirkung erzeugt und den Spannungsbogen durchhält bis zum letzten Satz, ein Sachbuch über die sizilianische Mafia, einen Ratgeber über den Umgang mit der Ehrenwerten Gesellschaft und eine die Sucht nach mehr erzeugende Droge - zu Risiken und Nebenwirkungen lesen Sie den Beipackzettel und fragen Sie Ihren Arzt oder Buchhändler.
Den Beipackzettel gibt es wirklich: vom obligatorischen Hinweis auf den fiktiven Charakter der im Text erwähnten Personen und Ereignisse bis zur Leseliste am Schluss des Buches, die alles versammelt, was Rang und Namen hat im weiten Feld der Mafia-Literatur, von Maike Albath bis zu Leonardo Sciascia. Dazwischen eingestreut sind skurrile Rezepte und Exzerpte zur Geschichte der Henkersmahlzeit, die zu schreiben der Protagonist, ein pensionierter Notar, sich vorgenommen hat: "Mahl und Trunk gehören zur gelingenden Hinrichtung. Das Geschick des Scharfrichters ist ebenso Bestandteil dieser Dramaturgie wie die letzten Worte des Geistlichen."
Der Held trägt Züge des Autors Köpf: Beide stammen aus dem Allgäu, beide haben an der Universität der Stadt Duisburg gelehrt, wo im August 2007 sechs Männer nach einem Henkersmahl beim Edelitaliener erschossen wurden - der spektakulärste Mafia-Mord der Bundesrepublik; Opfer und Täter kamen aus demselben Dorf in Kalabrien, einer Hochburg des 'Ndrangheta-Clans. Untrügliches Kennzeichen eines Mafia-Verbrechens ist, dass alle Beteiligten, Auftraggeber wie Mitwisser, deutsche wie italienische Behörden hartnäckig leugnen, dass es die Cosa Nostra überhaupt gibt. Und die Hinterbliebenen der Opfer werden durch Drohungen und/oder Geld zum Schweigen gebracht.
Was Bruno Ziegler, dem pensionierten Juristen im Roman, zum Verhängnis wird, ist sein selbstauferlegter Schreibzwang. Auch den hat er mit dem Autor Gerhard Köpf gemein: "Mein Bleistift trieb mich weiter, die Worte flogen nur so aufs Papier, sie ließen sich nicht länger zurückhalten. Mich erfasste eine Art Schreibrausch, und mich überraschte, was sich da wie von selbst formulierte und unter der Hand zugleich ein Ich entwarf, in dem das Subjekt vom Ego separiert war."
Gerhard Köpf ist ein poeta doctus, der im Zweitstudium Medizin studiert und kenntnisreiche Essays über seine Lieblingsautoren Borges, Ezra Pound und Hemingway publiziert hat. Das vorliegende Buch ist die Fortschreibung seiner Allgäu-Saga, die mit dem Roman "Innerfern" 1983 begann. Worum geht es?
Es geht, kaum zu glauben, aber wahr, um die Unterwanderung des Allgäus durch die süditalienische Mafia, von Eisdielen und Pizzerien bis zu Nobelrestaurants und Hotels, die der Geldwäsche dienten. Die Anbindung an Italien und zur nahegelegenen Schweiz war dabei ebenso von Vorteil wie die Hegemonie der Kirche und der CSU, die der Struktur der Cosa Nostra entgegenkam. Aber auch grüne Gutmenschen holten die Mafia-Paten sich ins Boot, als sie ihr Geschäftsfeld erweiterten: von Prostitution und Drogenschmuggel zu Wellness-Spas, Alternativmedizin und ökologischer Landwirtschaft, Entsorgung von Giftmüll und Einschleusung von Migranten, Organhandel inklusive. Mit dem Segen der Kirche entstand so, von der EU subventioniert, lautloser und effektiver als jede vom Volk gewählte Regierung, ein Staat im Staate, der das Allgäuer "Bärenmarke"-Idyll zum Mafia-Paradies werden ließ.
Doch nicht nur, was er erzählt, auch wie er dabei zu Werke geht, macht Köpfs Buch so lesenswert, angefangen bei Wortschöpfungen, die mehr sind als bloße Witzeleien - vom Intrigantenstadel und der Betriebsmilbe bis zur Neidgenossenschaft. Das folgende Zitat spricht für sich: "Mafiosi haben ein unterentwickeltes Sexualleben. Die meisten leiden unter ejaculatio preacox. Ehefrauen sind Mütter und Komplizinnen. Potent ist der Mafioso nur mit der Pistole. Kommandieren ist besser als ficken."
Anders als die von ihm verachteten Prosecco-Künstler von Schwabing, kennt und schätzt der Protagonist des Romans nicht nur die mediterrane Küche, sondern auch Italiens Sprache und Literatur. Er hat lange in Rom gelebt, was dem Autor ermöglicht, einen satirischen Exkurs über die Villa Massimo in den Text einzubauen, aber dieser Ziegler weiß zu viel. Als die Witwe eines Hoteliers, der Mitglied der Ehrenwerten Gesellschaft war, dem professore anbietet, die Nachfolge ihres von der Mafia ermordeten Mannes anzutreten, ist es zu spät.
Was dann passiert, darf hier nicht verraten werden - gemäß dem Motto von Alain Delon, das Gerhard Köpfs Roman voransteht: "Die schönsten Stunden im Leben liegen häufig ein wenig außerhalb der Legalität."
HANS CHRISTOPH BUCH
Gerhard Köpf: "Palmengrenzen". Roman.
Braumüller Verlag, Wien 2020. 240 S., geb., 22,- [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensent Hans Christoph Buch verrät nichts über den Inhalt des neuen Romans von Gerhard Köpf, nur dass es sich um einen attraktiven Mix aus Krimi, Mafia-Sachbuch und Ratgeber handelt. Gut geschrieben zudem, durchweg spannend, voller Wortschöpfungen, "skurriler Rezepte" für die Henkersmahlzeit und intimer Kenntnis der EU-subventionierten Allgäuer Patengesellschaft, meint Buch. Für Buch eine gelungene Fortsetzung von Köpfs Allgäu-Saga.
© Perlentaucher Medien GmbH
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