Mit Khaled al-Asaad hat die Welt einen ihrer großen Archäologen verloren: Am 18. August 2015 wurde er im Alter von 81 Jahren von Schergen des IS ermordet, nachdem er 40 Jahre lang Palmyra erforscht, gepflegt und gehütet hat. Der Baaltempel - Herzstück Palmyras, unersetzliches Denkmal römischmesopotamischer Kultur und eines der bedeutendsten historischen Bauwerke des gesamten Vorderen Orients - wurde von Islamisten dem Erdboden gleichgemacht. Paul Veyne, der Doyen der französischen Antikenforschung, hat mit seinem Buch Khaled al-Asaad und Palmyra ein Denkmal gesetzt. Der international renommierte Spezialist für römische Geschichte widmet sich mit seinem jüngsten Werk einer einzigartigen antiken Stadt - Palmyra. Diese antike Metropole mit Tempeln, Toren und Theater, mit Säulenstraßen, Nekropolen und Palmengärten, die ihr einst den Namen gaben, war die Königin der Wüste. Je weiter man den Ausführungen Paul Veynes folgt, umso klarer wird, weshalb dieser barbarische Doppelmord an einem Menschen und einem Weltkulturerbe begangen wurde: Den Hass der Täter zog Palmyra deshalb auf sich, weil es ein gemeinsames Haus vieler Kulturen und ihrer Götter war - der Aramäer, Mesopotamier, Ägypter, Perser, Griechen, Römer und Araber. Es war ein einzigartiges Beispiel der Einheit in der Vielfalt, wofür in der geistigen Monokultur der Fundamentalisten kein Platz ist. Die Erinnerung an Palmyra, die Paul Veyne stiftet, ist eine Hymne an das Licht in einem dunklen Zeitalter.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.06.2016Es war einmal ein Traum
Wer das einmal gesehen hat, wird es nie vergessen. Nach stundenlanger Fahrt durch eine staubige Wüste tauchte wie eine Fata Morgana ein architektonisches Wunder auf: Tempel und Prozessionsstraßen, ein riesiges Amphitheater, eine Agora, hochragende Säulen und kunstvoll verzierte Kapitelle und über allem eine arabische Burg, gebaut aus einem Stein, der sich tagsüber wie ein Chamäleon verwandelt - grau im Morgenlicht, in strahlendem Weiß am Mittag und golden glühend, wenn die Sonne versinkt. Das alles gibt es so nicht mehr, seit in einem Akt sinnloser Barbarei die Anführer des "Islamischen Staates" große Teile Palmyras zerstören ließen und noch dazu, als sei dies nicht schon Brutalität genug, den zweiundachtzig Jahre alten Khaled al-Asaad umbrachten, der ein halbes Leben lang diesen Schatz gehütet hatte. Man möchte schreien über solch eine Untat an einer Anlage, die tausend Jahre Menschheitsgeschichte repräsentiert, aber inzwischen hat sich der kurze Sturm der Entrüstung schon wieder gelegt angesichts neuer Schrecken, die auf der Tagesordnung stehen. Umso wichtiger ist es, das Andenken wachzuhalten. Auch wenn es fast ein wenig rührend wirkt, wenn der greise französische Althistoriker Paul Veyne die Metropole in der Wüste so beschreibt, als wäre nichts geschehen und nur ein paar Bilder mit dem Vermerk "zerstört" versehen sind, ist sein kleines Buch weit mehr als ein Requiem, weil hier Wissen vermittelt wird. Mit erkennbarer Lust am Erzählen entsteht das Bild einer urbanen Konstruktion, in der nicht nur die Waren der Welt umgeschlagen wurden, sondern sich Kulturen aus Ost und West begegneten und von der Ströme neuer Ideen ausgingen. Und noch ein zweiter Aspekt macht diese knapp hundertfünfzig Seiten über die - wie es im Klappentext heißt - "geschändete Königin der Wüste" bedeutsam: Sollte es irgendwann in Friedenszeiten gelingen, Teile des Zerstörten zu rekonstruieren, wird man für diesen Blick auf Palmyra dankbar sein.
tg
"Palmyra - Requiem für eine Stadt" von Paul Veyne. Verlag C. H. Beck, München 2016. 127 Seiten, 13 Abbildungen. Gebunden, 17,95 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wer das einmal gesehen hat, wird es nie vergessen. Nach stundenlanger Fahrt durch eine staubige Wüste tauchte wie eine Fata Morgana ein architektonisches Wunder auf: Tempel und Prozessionsstraßen, ein riesiges Amphitheater, eine Agora, hochragende Säulen und kunstvoll verzierte Kapitelle und über allem eine arabische Burg, gebaut aus einem Stein, der sich tagsüber wie ein Chamäleon verwandelt - grau im Morgenlicht, in strahlendem Weiß am Mittag und golden glühend, wenn die Sonne versinkt. Das alles gibt es so nicht mehr, seit in einem Akt sinnloser Barbarei die Anführer des "Islamischen Staates" große Teile Palmyras zerstören ließen und noch dazu, als sei dies nicht schon Brutalität genug, den zweiundachtzig Jahre alten Khaled al-Asaad umbrachten, der ein halbes Leben lang diesen Schatz gehütet hatte. Man möchte schreien über solch eine Untat an einer Anlage, die tausend Jahre Menschheitsgeschichte repräsentiert, aber inzwischen hat sich der kurze Sturm der Entrüstung schon wieder gelegt angesichts neuer Schrecken, die auf der Tagesordnung stehen. Umso wichtiger ist es, das Andenken wachzuhalten. Auch wenn es fast ein wenig rührend wirkt, wenn der greise französische Althistoriker Paul Veyne die Metropole in der Wüste so beschreibt, als wäre nichts geschehen und nur ein paar Bilder mit dem Vermerk "zerstört" versehen sind, ist sein kleines Buch weit mehr als ein Requiem, weil hier Wissen vermittelt wird. Mit erkennbarer Lust am Erzählen entsteht das Bild einer urbanen Konstruktion, in der nicht nur die Waren der Welt umgeschlagen wurden, sondern sich Kulturen aus Ost und West begegneten und von der Ströme neuer Ideen ausgingen. Und noch ein zweiter Aspekt macht diese knapp hundertfünfzig Seiten über die - wie es im Klappentext heißt - "geschändete Königin der Wüste" bedeutsam: Sollte es irgendwann in Friedenszeiten gelingen, Teile des Zerstörten zu rekonstruieren, wird man für diesen Blick auf Palmyra dankbar sein.
tg
"Palmyra - Requiem für eine Stadt" von Paul Veyne. Verlag C. H. Beck, München 2016. 127 Seiten, 13 Abbildungen. Gebunden, 17,95 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Bisweilen ähnelt die Lektüre von Paul Veynes Buch der Arbeit eines Archäologen, meint Rezensentin Sonja Zekri: viele Details, die auch schon mal ins Nichts führen. Dass der französische Historiker mitunter abschweift, bedauert die Kritikerin zwar, es scheint ihr Lesevergnügen aber kaum zu schmälern. Zu sehr fasziniert sie die Geschichte der antiken Oasenstadt Palmyra im heutigen Syrien. Dass der IS gerade dort wütete, scheint der Rezensentin fast folgerichtig, schließlich sei die Stadt Veynes Buch zufolge "der Stein gewordene Gegenentwurf für jede Form von Ausgrenzung". Das einstige friedliche Nebeneinander unterschiedlicher Glaubensrichtungen in Palmyra, von dem Veyne erzähle, mute nur aus heutiger Sicht erstaunlich an, in der Antike sei das Fremde ausdrücklich positiv konnotiert gewesen. Heute ist das ein geradezu "verwegener Gedanke", findet Zekri.
© Perlentaucher Medien GmbH
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"Kaum einer könnte berufener davon erzählen als der hochbetagte französische Althistoriker Paul Veyne."
Der Freitag, 3. März 2016
Der Freitag, 3. März 2016