Im Kongo, diesem endlosen Meer von Bäumen, geschehen seltsame Dinge. Was bedeutet das unheimliche Kreischen aus der Tiefe? Sind das die Klänge der afrikanischen Nacht? Oder der Schrei nach Vergeltung? Thomson ist Ghostwriter und erhält den Auftrag, Garvey's Unschuld zu beweisen. Weshalb ist er angeklagt? Angeblich hat Garvey im Kongo zwei britische Aristokraten und Goldgräber umgebracht. Thomson schreibt dessen Geschichte auf. Der Angeklagte muss unschuldig bleiben, unbedingt. Auf der Suche nach der Wahrheit gerät Thomson immer tiefer in Afrikas Mitte: undurchdringliche Vegetation, emotionale Verstrickungen und ein Netz endloser Lügen.
"Ein literarisches Glanzstück." - Hannoversche Allgemeine
"Ein dunkel leuchtendes Juwel, eine rauschhafte Obsession, ein fantastisches Meisterwerk." - Handelszeitung Zürich
"Ein literarisches Glanzstück." - Hannoversche Allgemeine
"Ein dunkel leuchtendes Juwel, eine rauschhafte Obsession, ein fantastisches Meisterwerk." - Handelszeitung Zürich
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.11.2007Hilfe, ich liebe einen Alien
Traue keinem Erzähler: Der Katalane Albert Sánchez Piñol plündert in seinem neuen Roman ungeniert die Abenteuer-, Horror- und Science-Fiction-Genres.
There's a rumblin' groan / down below / there's a big dark town / - there's a world going on / Underground", brüllte einst Tom Waits unnachahmlich verlebt. Wie schauerlich das Geschehen unter der Erdoberfläche tatsächlich sein mag, ist nun in Albert Sánchez Piñols Roman nachzulesen, der sich zugleich auf die Suche nach dem Begriff einer literarischen Wahrheit begibt. Doch bevor Thomas Thomson, der Ich-Erzähler, den Leser in verzweigte, unterirdische Gefilde, mitten ins Herz der Finsternis führt, schildert er ausführlich die Bösartigkeit der taghellen Oberfläche.
Thomson nämlich fühlt sich im Alter verpflichtet, noch einmal ebenjenes Buch zu schreiben, das ihn so erfolgreich machte und dessen Ursprung 1914 in London zu finden ist. Als Ghostwriter, als "literarischer Neger", verfasst der damals Neunzehnjährige abstruse Groschenromane, darunter eben "Pandora im Kongo", für den gleichermaßen erfolgreichen wie rassistischen Doktor Luther Flag, um schon bald festzustellen, dass er nur das letzte Glied in einer Kette der Ausbeutung ist, der Handlanger eines Handlangers eines Handlangers. Über Umwege engagiert ihn schließlich der Anwalt Edward Norton, mit dessen eigentümlichem Namen schon beinahe zu viel über den weiteren Verlauf der Handlung verraten ist - feierte doch der gleichnamige Hollywood-Schauspieler in Gregory Hoblits Thriller "Zwielicht" seinen Durchbruch, indem er, angeblich schizophren, einen Anwalt in die Irre führte und von seiner Unschuld überzeugte. Ähnlichkeiten der Schlusspointe, die an dieser Stelle nicht vorweggenommen werden soll, scheinen beabsichtigt.
Thomson soll die Aussage des Häftlings Marcus Garvey, der beschuldigt wird, zwei adlige Taugenichtse im Kongo ermordet zu haben, zu einem Roman ausarbeiten, um über die Anschaulichkeit der Kunst wider alle Wahrscheinlichkeit dessen Freispruch zu erwirken. Garvey berichtet ihm von der grausamen Expedition der Brüder William und Richard Craver, die Gewaltexzesse gegen Schwarze - wie die Kolonialmacht dieser Zeit - wenn nicht als selbstverständlich, so zumindest als hinnehmbar erachten. Als sie inmitten des Urwalds auf Gold stoßen, öffnen ihre Grabungen die sprichwörtliche Büchse der Pandora - und eine "scientific romance" im Sinne von H. G. Wells beginnt. Zwar sind es nicht die tyrannischen, in Höhlen lebenden "Morlocks" aus Wells' Dystopie "Die Zeitmaschine", die Schrecken und Faszination zugleich hervorrufen, doch sechsfingrige, weißhäutige "Tektoner", nicht minder gefährlich, bedrohen alsbald die ganze Menschheit.
Wie schon in Sánchez Piñols von H. P. Lovecraft geprägtem Debüt "Im Rausch der Stille", das in seiner katalanischen Heimat zum Bestseller avancierte, geht es also vordergründig um die Begegnung mit unbekannten Lebensformen, was der findige Autor, der darüber hinaus als Anthropologe arbeitet, als vielschichtige Kritik des kolonialen Blicks auf das Fremde und vermeintlich Feindliche inszeniert. Im eigentlichen Zentrum steht allerdings das ambivalente Verhältnis der Literatur zur Realität, das im mehrfach vermittelten und parallelisierten Geschehen thematisiert wird, versinnbildlicht durch die undurchdringliche Vegetation des Kongos.
Während sich etwa Garvey laut seinem Bericht in eine im wahrsten Sinne des Wortes heißblütige Tektonerin - ihre Körpertemperatur ist fünf oder sechs Grad wärmer als die menschliche - namens Amgam verliebt, verfällt ihr zusehends auch Thomson, der wiederum in seinem Roman versucht, dem Leser Amgam als liebenswertes Wesen vorzustellen. Um sich der Wahrheit anzunähern, muss Thomson nun, sechzig Jahre nach der Herausgabe einer ersten Version seiner Aufzeichnungen, einige Passagen korrigieren, da sein naiver Wunsch, "ein unkritisches, kosmisches Ohr" zu sein, der systematischen Lüge allzu viele Schlupflöcher bot, was seinen vorgeblichen Tatsachen-Roman zu einem fragwürdigen Unternehmen macht.
So spannend und humorvoll Sánchez Piñol zu erzählen versteht, allzu freimütig bedient er sich bei den Klassikern des Abenteuer-, Horror- oder Science-Fiction-Genres. Wenn er seine zuweilen drastische und pathetische Anverwandlung dieser Vorbilder ad absurdum führt und die verschachtelte Roman-im-Roman-Konstruktion seines eigenen Schaffens ironisch bricht, ist man bald vom postmodernen Spiel ermüdet. Zumal sich der Autor am Ende selbst auf die Schulter klopft, indem er sein raffiniertes Arrangement, das dem aufmerksamen Leser ohnehin nicht entgangen ist, plakativ von Edward Norton erläutern lässt: "Die größte Lüge ist immer die glaubhafteste Lüge", fasst dieser ein verführerisches Motto der verkaufsträchtigen Trivialliteratur zusammen.
Thomsons anfängliche Skepsis, welche die Absurdität von Groschenromanen durchschaut, dient allein dazu, ihn zunächst als vertrauenswürdigen Erzähler zu installieren, um ihn später an eine umso hanebüchenere Räuberpistole glauben zu lassen, die er frohgemut kolportiert. Allein, die Gesetze und Konventionen der Trivialliteratur unterschwellig zu reflektieren und zu entlarven, macht "Pandora im Kongo" noch nicht zu einem tiefgründigen Werk; gleichwohl ist Sánchez Piñols doppelbödige, nur selten berechenbare Schauerromantik intelligent, aufregend und unterhaltsam.
ALEXANDER MÜLLER.
Albert Sánchez Piñol: "Pandora im Kongo". Roman. Aus dem Katalanischen übersetzt von Charlotte Frei. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2007. 478 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Traue keinem Erzähler: Der Katalane Albert Sánchez Piñol plündert in seinem neuen Roman ungeniert die Abenteuer-, Horror- und Science-Fiction-Genres.
There's a rumblin' groan / down below / there's a big dark town / - there's a world going on / Underground", brüllte einst Tom Waits unnachahmlich verlebt. Wie schauerlich das Geschehen unter der Erdoberfläche tatsächlich sein mag, ist nun in Albert Sánchez Piñols Roman nachzulesen, der sich zugleich auf die Suche nach dem Begriff einer literarischen Wahrheit begibt. Doch bevor Thomas Thomson, der Ich-Erzähler, den Leser in verzweigte, unterirdische Gefilde, mitten ins Herz der Finsternis führt, schildert er ausführlich die Bösartigkeit der taghellen Oberfläche.
Thomson nämlich fühlt sich im Alter verpflichtet, noch einmal ebenjenes Buch zu schreiben, das ihn so erfolgreich machte und dessen Ursprung 1914 in London zu finden ist. Als Ghostwriter, als "literarischer Neger", verfasst der damals Neunzehnjährige abstruse Groschenromane, darunter eben "Pandora im Kongo", für den gleichermaßen erfolgreichen wie rassistischen Doktor Luther Flag, um schon bald festzustellen, dass er nur das letzte Glied in einer Kette der Ausbeutung ist, der Handlanger eines Handlangers eines Handlangers. Über Umwege engagiert ihn schließlich der Anwalt Edward Norton, mit dessen eigentümlichem Namen schon beinahe zu viel über den weiteren Verlauf der Handlung verraten ist - feierte doch der gleichnamige Hollywood-Schauspieler in Gregory Hoblits Thriller "Zwielicht" seinen Durchbruch, indem er, angeblich schizophren, einen Anwalt in die Irre führte und von seiner Unschuld überzeugte. Ähnlichkeiten der Schlusspointe, die an dieser Stelle nicht vorweggenommen werden soll, scheinen beabsichtigt.
Thomson soll die Aussage des Häftlings Marcus Garvey, der beschuldigt wird, zwei adlige Taugenichtse im Kongo ermordet zu haben, zu einem Roman ausarbeiten, um über die Anschaulichkeit der Kunst wider alle Wahrscheinlichkeit dessen Freispruch zu erwirken. Garvey berichtet ihm von der grausamen Expedition der Brüder William und Richard Craver, die Gewaltexzesse gegen Schwarze - wie die Kolonialmacht dieser Zeit - wenn nicht als selbstverständlich, so zumindest als hinnehmbar erachten. Als sie inmitten des Urwalds auf Gold stoßen, öffnen ihre Grabungen die sprichwörtliche Büchse der Pandora - und eine "scientific romance" im Sinne von H. G. Wells beginnt. Zwar sind es nicht die tyrannischen, in Höhlen lebenden "Morlocks" aus Wells' Dystopie "Die Zeitmaschine", die Schrecken und Faszination zugleich hervorrufen, doch sechsfingrige, weißhäutige "Tektoner", nicht minder gefährlich, bedrohen alsbald die ganze Menschheit.
Wie schon in Sánchez Piñols von H. P. Lovecraft geprägtem Debüt "Im Rausch der Stille", das in seiner katalanischen Heimat zum Bestseller avancierte, geht es also vordergründig um die Begegnung mit unbekannten Lebensformen, was der findige Autor, der darüber hinaus als Anthropologe arbeitet, als vielschichtige Kritik des kolonialen Blicks auf das Fremde und vermeintlich Feindliche inszeniert. Im eigentlichen Zentrum steht allerdings das ambivalente Verhältnis der Literatur zur Realität, das im mehrfach vermittelten und parallelisierten Geschehen thematisiert wird, versinnbildlicht durch die undurchdringliche Vegetation des Kongos.
Während sich etwa Garvey laut seinem Bericht in eine im wahrsten Sinne des Wortes heißblütige Tektonerin - ihre Körpertemperatur ist fünf oder sechs Grad wärmer als die menschliche - namens Amgam verliebt, verfällt ihr zusehends auch Thomson, der wiederum in seinem Roman versucht, dem Leser Amgam als liebenswertes Wesen vorzustellen. Um sich der Wahrheit anzunähern, muss Thomson nun, sechzig Jahre nach der Herausgabe einer ersten Version seiner Aufzeichnungen, einige Passagen korrigieren, da sein naiver Wunsch, "ein unkritisches, kosmisches Ohr" zu sein, der systematischen Lüge allzu viele Schlupflöcher bot, was seinen vorgeblichen Tatsachen-Roman zu einem fragwürdigen Unternehmen macht.
So spannend und humorvoll Sánchez Piñol zu erzählen versteht, allzu freimütig bedient er sich bei den Klassikern des Abenteuer-, Horror- oder Science-Fiction-Genres. Wenn er seine zuweilen drastische und pathetische Anverwandlung dieser Vorbilder ad absurdum führt und die verschachtelte Roman-im-Roman-Konstruktion seines eigenen Schaffens ironisch bricht, ist man bald vom postmodernen Spiel ermüdet. Zumal sich der Autor am Ende selbst auf die Schulter klopft, indem er sein raffiniertes Arrangement, das dem aufmerksamen Leser ohnehin nicht entgangen ist, plakativ von Edward Norton erläutern lässt: "Die größte Lüge ist immer die glaubhafteste Lüge", fasst dieser ein verführerisches Motto der verkaufsträchtigen Trivialliteratur zusammen.
Thomsons anfängliche Skepsis, welche die Absurdität von Groschenromanen durchschaut, dient allein dazu, ihn zunächst als vertrauenswürdigen Erzähler zu installieren, um ihn später an eine umso hanebüchenere Räuberpistole glauben zu lassen, die er frohgemut kolportiert. Allein, die Gesetze und Konventionen der Trivialliteratur unterschwellig zu reflektieren und zu entlarven, macht "Pandora im Kongo" noch nicht zu einem tiefgründigen Werk; gleichwohl ist Sánchez Piñols doppelbödige, nur selten berechenbare Schauerromantik intelligent, aufregend und unterhaltsam.
ALEXANDER MÜLLER.
Albert Sánchez Piñol: "Pandora im Kongo". Roman. Aus dem Katalanischen übersetzt von Charlotte Frei. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2007. 478 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Überwiegend lobend äußert sich Uwe Stolzmann über den zweiten Roman des katalanischen Schriftstellers Albert Sanchez Pinol. Wie dessen Debüt "Im Rausch der Stille" hat auch "Pandora im Kongo" eine faszinierende und irritierende Wirkung auf ihn ausgeübt. Der Roman um den jungen Ghostwriter Thomas Thomson, der die im Kongo spielende Geschichte des wegen Doppelmordes angeklagten Marcus Garvey aufschreibt und diesem dabei auf dem Leim geht, scheint ihm überaus komplex. Besonders schätzt er Pinols souveräne Beherrschung von Sprache und Komposition. Auf der anderen Seite mutet ihn der Text bisweilen ein wenig lang, der Stoff "ausgewalzt" an. Dabei hebt er die zahllosen Anleihen bei Jules Verne und Joseph Conrad, bei Märchen und Gruselgeschichten hervor. Zudem bedient sich Pinol ausgiebig bei seinem ersten Roman: Die aggressiven Scheusale aus dunklen Welten und die Besessenheit des Helden für eine betörende Fremde kommen Stolzmann sehr bekannt vor. Gleichwohl gesteht er ein, vom Autor, den er als literarischen "Zauberkünstler" würdigt, in den Bann geschlagen worden zu sein.
© Perlentaucher Medien GmbH
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"Ein literarisches Glanzstück." (Hannoversche Allgemeine)
"Ein dunkel leuchtendes Juwel, eine rauschhafte Obsession, ein fantastisches Meisterwerk." (Handelszeitung Zürich)
"Ein dunkel leuchtendes Juwel, eine rauschhafte Obsession, ein fantastisches Meisterwerk." (Handelszeitung Zürich)