Seide verbinden wir intuitiv mit China und tatsächlich kommt der kostbare Stoff seit der Antike aus dem Osten. Nicht immer wurden fertig gewebte Textilien gehandelt, sondern auch das Rohmaterial, das dann im Mittelmeergebiet veredelt wurde. Das Spätmittelalter war eine Zeit besonderer
wirtschaftlicher Blüte und politischer Stabilität, das den Handel über die Seidenstraßen sicher und verlässlich…mehrSeide verbinden wir intuitiv mit China und tatsächlich kommt der kostbare Stoff seit der Antike aus dem Osten. Nicht immer wurden fertig gewebte Textilien gehandelt, sondern auch das Rohmaterial, das dann im Mittelmeergebiet veredelt wurde. Das Spätmittelalter war eine Zeit besonderer wirtschaftlicher Blüte und politischer Stabilität, das den Handel über die Seidenstraßen sicher und verlässlich machte. Es ist also kein Wunder, dass sich kostbare Textilien aus dieser Periode vergleichsweise häufig erhalten haben, insbesondere in den Schatzkammern von Kirchen und Klöstern.
„Panni tartarici“ verweist auf die damals gängige Bezeichnung für flächendeckend goldgewirkte Seidentextilien, wobei im Namen bereits eine wichtige Information steckt: China wurde im Spätmittelalter bis 1368 von den fremdländischen Mongolen („Tartaren“) beherrscht, die ein Weltreich schufen, das bis in den Iran reichte. Gerade diese große räumliche Ausdehnung garantierte den sicheren Austausch von Waren, wobei zwischen dem westlichen und dem östlichen Tatarenreich enge kulturelle und politische Bindungen bestanden.
Juliane von Fircks hat ihre 2016 in Mainz verfasste Habilitationsschrift mit Mitteln der Abegg-Stiftung nun in erweiterter Form als Buch veröffentlicht, wobei ich gleich zu Beginn feststellen will, dass diese Habilitation sprachlich außergewöhnlich klar und verständlich geschrieben ist. Die in den Kunstwissenschaften leider sehr ausgeprägte Tendenz, wissenschaftliche Unsicherheiten mit wolkigen Buzzwords oder steilen (aber unbelegten) Thesen zu verschleiern, ist in diesem Band nicht einmal ansatzweise vorhanden. Es ist damit nicht nur für ein Fachpublikum interessant, sondern aufgrund der vielschichtigen wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Bezüge auch für interessierte Laien spannend zu lesen.
Die Autorin untersucht einerseits die materielle Herkunft der Seidentextilien, wobei sie die verschiedenen Herstellungsschritte und beteiligten Kulturkreise differenziert. Auf der anderen Seite steht die europäische (und ansatzweise auch mongolische) Rezeption der kostbaren Stoffe im Spätmittelalter, sowohl aus sakraler als auch weltlicher Sicht. Interessant ist, dass die heute noch erhaltenen, ursprünglich weltlichen Textilien meistens aus einem kirchlichen Überlieferungskontext stammen.
Dass der kulturelle Austausch entlang der Seidenstraßen keine Einbahnstraße war, belegt die Autorin am Beispiel der ersten goldgewirkten Stoffe, die ihren Ursprung in der islamischen Welt hatten, aber am Ende des 13. Jahrhunderts als Technologietransfer nach China wanderten und dort zur Perfektion reiften. Als flächendeckendend gewebte Goldstoffe waren sie eine echte Innovation, die bei den Eliten Europas großen Anklang fand und als „Panni tartarici“ zur Handelsware wurden.
Anhand repräsentativer Fallbeispiele untersucht von Fircks die Funktionen und Kontexte (bzw. deren Veränderung) von sakral und weltlich genutzten Panni tartarici. Hier zeigt sich die Adaptation höfischer Lebensart durch den Klerus, während das bürgerliche Patriziertum die Goldseiden nur für kirchliche Stiftungen verwendete und nicht selbst trug. Erstaunlicherweise ist allen Gesellschaftsschichten die exotische Herkunft der kostbaren Gewänder stets bewusst und deutet sie entsprechend symbolisch um.
Das letzte Kapitel widmet sich der Darstellung von Panni tartarici in der spätmittelalterlichen Tafelmalerei, die fast zeitgleich mit der Verfügbarkeit der Stoffe in Europa einsetzt. Andere Luxusstoffe wurden dagegen erst mit deutlicher Verzögerung als Bildthema entdeckt und stellten somit eine historisierende Verbindung zur glorreichen Vergangenheit dar. Auch das Mittelalter kannte eben seine „gute alte Zeit“.
(Das Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)