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Auch wenn es manchmal danach aussieht: Kunst muß nicht unwissend, Gelehrsamkeit nicht öde sein. Anita Albus lädt mit diesem Buch zu einem Spaziergang durch fünf Jahrhunderte ein, auf dem es zu wunderbaren Begegnungen zwischen Malern und Philosophen, Schriftstellern und Forschern kommt.
Dieser Parcours beginnt in der Spätrenaissance. Dort trifft sich der Miniaturist Joris Hoefnagel mit dem Kosmographen Abraham Ortelius, dem christlichen Kabbalisten Guillaume Postel und anderen Gelehrten, Sammlern und Nomaden des 16. Jahrhunderts. Im 17. Jahrhundert folgt Maria Sibylla Merian ihren "Grillen"…mehr

Produktbeschreibung
Auch wenn es manchmal danach aussieht: Kunst muß nicht unwissend, Gelehrsamkeit nicht öde sein. Anita Albus lädt mit diesem Buch zu einem Spaziergang durch fünf Jahrhunderte ein, auf dem es zu wunderbaren Begegnungen zwischen Malern und Philosophen, Schriftstellern und Forschern kommt.
Dieser Parcours beginnt in der Spätrenaissance. Dort trifft sich der Miniaturist Joris Hoefnagel mit dem Kosmographen Abraham Ortelius, dem christlichen Kabbalisten Guillaume Postel und anderen Gelehrten, Sammlern und Nomaden des 16. Jahrhunderts. Im 17. Jahrhundert folgt Maria Sibylla Merian ihren "Grillen" bis nach Surinam. Was Gott schuf, ordnete Carl von Linné im 18. Jahrhundert. Biographische Skizzen berühmter Botaniker schließen sich an. Wie Naturforscher beobachten die Brüder Goncourt ihre Zeitgenossen im 19. Jahrhundert. In der Suche nach der verlorenen Zeit von Marcel Proust geht Anita Albus den Geheimnissen Vermeers nach, und am Ende erscheint der junge Vladimir Nabokov im Spiegel einer Sperbereule, um die zwei Schmetterlinge von Hoefnagel flattern.

Im Geiste Panofskys legen diese Geschichten verschüttete Traditionen frei. Die Autorin selber erweist sich als brillante Vertreterin der Spezies, die sie beschreibt: indem sie schreibt und malt, betreibt sie eine fröhliche Wissenschaft, die manches Rätsel löst und überraschende Entdeckungen macht.

Der Band ist üppig illustriert, mit vielen Bildern, die man noch nie gesehen hat.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.12.2002

Auf den Spuren der Sperbereule
Von Gelehrten, Sammlern und Nomaden: Die Essays von Anita Albus / Von Henning Ritter

In Winckelmanns "Geschichte der Kunst des Altertums" findet sich eine leidenschaftliche Eruption von Haß und Feindschaft: "Da im vorigen Jahrhundert eine schädliche Seuche in Italien, so wie in allen Ländern, wo Wissenschaften geübet werden, überhand nahm, welche das Gehirn der Gelehrten mit üblen Dünsten anfüllete, und ihr Geblüt in fiebermäßige Wallung brachte, woraus der Schwulst und ein mit Mühe gesuchter Witz der Schreibart entstand . . ." Daß damit in der Kunst, auf die sich diese Seuche übertragen habe, Bernini, Borromini und der Barock gemeint waren, hat Winckelmann selbst ausgesprochen.

Wer mit dem Angriff auf die Gelehrten gemeint war, ist weniger deutlich. Man geht wohl nicht fehl in der Annahme, daß es sich um jene Welt der antiquarischen Gelehrsamkeit und der Wunderkammern handelte, aus denen Winckelmann selbst noch schöpfte, und zu deren Ende die europäische Verbreitung seiner Schriften entscheidend beitrug. Wenig später waren die Wunderkammern und die antiquarischen und kuriosen Gelehrten, all die Phantasten und Häretiker des Geistes für fast zwei Jahrhunderte nahezu spurlos verschwunden.

Seit der Pioniertat Julius von Schlossers ist die Kunst- und Wunderkammerwelt des sechzehnten und siebzehnten Jahrhunderts eines der reichsten Forschungsfelder geworden. Die Entdeckungen häufen sich und wirken, wie einst Winckelmann alarmiert feststellte, ansteckend. Auch Ausstellungen und Museen finden heute zurück zu Präsentationsformen, die Heterogenes aus Naturgeschichte und Kunst collagieren, und suchen verzweifelt nach jenen Effekten, die einst als Mirabilien, als Wunder, bezeichnet wurden. Auch die kuriosen Formen des Wissens werden heute mit wachem Interesse wieder ausgegraben, und die "virtuosi" und "curiosi" jener Zeit finden heute zum ersten Mal wieder ernsthafte Biographen.

Die Essays von Anita Albus gehören in diese mächtige Strömung, die nach und nach rehabilitiert, was ein Vierteljahrtausend lang mit einem Bann belegt war und bloß als Verrücktheit galt. Zu Recht zitiert sie die Historiker Lucien Febvre, der als einer der ersten gesehen hat, daß man mit dem Etikett "folie", Verrücktheit, notwendig verfehlt, was diese Neugierigen umtrieb: Sie seien eben einfach anders, meinte er. Wunderlichkeit ist ein Todesurteil. Aber dieses Etikett blieb allein übrig, als die Gelehrsamkeit nicht mehr als Tugend, als ein heroischer Lebensentwurf galt. Wenn man überall nur Verrücktheit und Wunderlichkeit sieht, versperrt man sich den Zugang zu Gestalten wie dem wie ein Abenteurer durch das Europa der Religionen ziehenden Großhäretiker des sechzehnten Jahrhunderts, Guillaume Postel, dem der erste Essay von Anita Albus gewidmet ist. Und wenn man von den Absonderlichkeiten abzusehen sucht, wird man den Lebensentwurf eines solchen Mannes nie erraten. Die Biographie, und sei es auch nur die kurze biographische Skizze, die von der Autorin in ruhiger, geduldiger Manier Strich für Strich wie eine Porträtzeichnung gehandhabt wird, ist der Königsweg zu diesen Gelehrten des sechzehnten und siebzehnten Jahrhunderts. Nicht worin sie recht hatten, ist die Frage, sondern wie sie ihre Einsichten in einer von ungeheuren Spannungen beherrschten Welt gewinnen und verteidigen konnten.

"Gelehrte, Sammler und Nomaden" nennt Anita Albus die Gestalten, auf deren Spuren sie sich mit besonderer Intensität und Kennerschaft bewegt. Ein gewisser Ortelius und der Miniaturmaler Joris Hoefnagel fesseln sie als Gefährten auf europäischen Reisewegen nicht nur durch den Schwarm anderer Geister, mit denen sie in Berührung kommen, sondern vor allem wegen der köstlichen Bilder Hoefnagels, die als Zeugnisse der Expedition ins Wunderkammerreich überdauert haben. Es ist ein einzigartes Tableau von Religion, Philosophie und Naturkunde, das in dem reichen Essay über Ortelius und Hoefnagel ausgebreitet wird. Es sind Welteroberungen im alten Europa, nicht weniger abenteuerlicher und reicher an Überraschungen als die Expeditionen in die Neute Welt. Alles steht in Hochspannung, aus dem Labyrinth der Erkenntnis wird verzweifelt ein Ausweg in eine ruhige Betrachtung der Dinge gesucht. So wie ein Zeichner die merkwürdigen naturkundlichen Bildungen festhält, so finden die herausfordernden Gedanken der überhitzten religiösen Erfahrungen der Zeit augenblicklich ihren Niederschlag in absonderlichen Konstruktionen. In einem verwirrenden Raum von konkurrierenden Ideen mußte sich der einzelne eine Nische der Ordnung und Verständigkeit schaffen, in der es soviel unterzubringen galt wie in den Albumblättern von Joris Hoefnagel, die Anita Albus einer minutiösen, aber nie übertrieben deutenden Exegese unterzieht. Indem sie Blatt für Blatt umblättert und vor dem Leser die Fülle von Details der so anpassungsfähigen Emblematik ausbreitet, gelingt es ihr, etwas von der Tröstlichkeit einer Kunst mitzuteilen, für die nichts zu unbedeutend war, um nicht mit dem Bedeutendsten in Beziehung zu treten.

All das könnte zu einem trockenen Unterricht geraten. Doch nichts davon, der Leser bleibt davon verschont. Er hat den Vorzug, sich in Gesellschaft einer Sammlerin und Malerin in die Schätze vertiefen zu dürfen, die Hoefnagel und seine Genossen ausbreiten. Daß die Verfasserin dieser reichen und diszplinierten Essays selbst in dem Fach ihres Lieblings Hoefnagel tätig ist, daß sie mehr als bloße Ahnung von seinem Handwerk hat, nämlich es selbst ausübt, kann für die Wirkung ihrer Essays gar nicht überschätzt werden. Eine Probe ihres Könnens ist auf einer der vielen hervorragenden Illustrationen ihres Buches zu bewundern und doch nicht recht zu fassen: Mit dem "Rücken eines Sperbereulenbalgs" reiht sie sich in die Gesellschaft ihrer Lieblinge ein. Diese Mitarbeit im selben Metier über die Jahrhunderte hinweg bewirkt eine nicht zu übersehende Entspanntheit im Umgang mit diesen entrückten Gestalten: Es sind Gefährten. Der Leser spürt die Leidenschaft für das Metier, eine Vertrautheit, die nicht nur aus dem Studium kommt, sondern aus der Versenkung ins künstlerische Handwerk.

In der neueren Geschichte der Befassung mit den Kunst- und Wunderkammern ist dies eine Novität. Denn gewöhnlich werden sie aktualisiert mit Blick auf Wirkungen unserer modernen Bildwelten, ihrer Brüche und Widersprüche, als Vorgriffe auf die Collage oder auf allerlei "verrückte" Bildnerei. Hier dagegen ist der Zugang ein altmeisterlicher im Sinne eines klassischen Dilettantismus. Und das strahlt auch auf die sprachliche Erschließung dieser Welt aus. Die Erläuterungen, die Anita Albus für Hoefnagels Emblematik gibt, profitieren von ihrem malerischen Handwerk, indem sie mit Augenmaß deuten - als gelte es auch hier die Lehre, nicht das Gelehrte zu erfassen. Die Meisterstücke des Bandes sind die Essays über das sechzehnte und siebzehnte und die Botanikerporträts des achtzehnten Jahrhunderts, Linné, L'Héritier de Brutelle, Salisbury, Sprengel, die alle intimen Umgang mit dem Entlegenen pflegten. Bei den Essays über die Goncourts, über Proust und Nabokov, mit denen die Sammlung schließt, ist demgegenüber etwas von der Anstrengung spürbar, um jeden Preis eine originelle Sicht auf so oft interpretierte Autoren zu gewinnen. Am glücklichsten erfüllt sich dieser Ehrgeiz bei der Nachforschung nach der Bewandtnis, die es mit Nabokovs frühem Pseudonym "Sirin" auf sich hat. Auf den Spuren der Sperbereule findet Anita Albus schließlich zu jener Emblematik des sechzehnten Jahrhunderts zurück, der sie schon so reiche Einsicht abgewonnen hatte: ein Fund ganz von der Art der bedeutsamen Verknüpfungen, denen die alte Emblematik soviel praktischen Wert abgewinnen konnte.

Anita Albus: "Paradies und Paradox". Wunderwerke aus fünf Jahrhunderten. Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2002. 323 S., zahlr. Abb., geb., 32,50 [Euro].

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