Italien und Deutschland stehen sich seit jeher besonders nahe, sie begegnen sich aber auch seit jeher mit gewissen Vorbehalten, die tief in der Geschichte zu wurzeln scheinen. Nach 1945 wurde ein neues Kapitel im Verhältnis der beiden Staaten und Völker aufgeschlagen: In welchem Zeichen stand es? Wie entwickelten sich die beiden Staaten, wie gestalteten sich die bilateralen Beziehungen, und welchen Beitrag leisteten Italien und Deutschland für die Integration Europas?
Das sind die Hauptfragen, denen die Beiträge gewidmet sind. Die Autorinnen und Autoren stammen aus beiden Ländern und gehören hier wie dort zu den renommiertesten ihrer Zunft.
Das sind die Hauptfragen, denen die Beiträge gewidmet sind. Die Autorinnen und Autoren stammen aus beiden Ländern und gehören hier wie dort zu den renommiertesten ihrer Zunft.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.04.2007Der eine Vergleich hinkt, der andere springt
Die parallelen Geschichten Deutschlands und Italiens werden für die Zeit nach 1945 in Frage gestellt
Lange Zeit galt unangefochten das Wort von den "zahlreichen Parallelerscheinungen der politischen und geistigen Geschichte Deutschlands und Italiens" (Carl Schmitt). Vor allem auf deutscher Seite erfreute sich die Rede von der Parallelität dauerhafter Beliebtheit. Sie stützte sich auf markante Etappen der neuesten Geschichte, von der "verspäteten" Nationalstaatsbildung unter Cavour und Bismarck über die Diktaturen Mussolinis und Hitlers bis zur Republikgründung nach 1945. Die "Ähnlichkeit oder Gleichheit im Verlauf der nationalen Geschichte beider Nationen" (Theodor Schieder) schien in der Nachkriegszeit weiter zu gelten: Die Christdemokraten Alcide De Gasperi und Konrad Adenauer standen für die fortdauernde Analogie von italienischer und deutscher Vergangenheit und Gegenwart.
Die jüngere Geschichtswissenschaft stellt das Narrativ der "parallelen Geschichten" in Frage. Sie dekonstruiert die traditionelle Sichtweise als interessegeleitete Geschichtserzählung. Zu klären bliebe allerdings, wessen und welchen Interessen eine solche Parallelkonstruktion von deutscher und italienischer Geschichte diente und wie es kam, dass es sich dabei tatsächlich um eine typisch deutsche Konstruktion handelt(e), die man in italienischen Geschichtsbüchern vergeblich sucht. Die Trendwende hin zur Betonung der Differenzen zwischen italienischem und deutschem Weg hat sich unabhängig von dieser Leerstelle vollzogen. Das zeigt auch der Tenor der meisten Beiträge zur Studienwoche 2002 am Italienisch-Deutschen Historischen Institut in Trient, die nun in beiden Sprachen publiziert vorliegen. Zwar führt die deutsche Ausgabe die "parallele Geschichte" noch im Titel, aber das Fragezeichen dahinter steht für die neue Skepsis gegenüber der alten Ähnlichkeitsseligkeit.
Norbert Frei, Lutz Klinkhammer und Filippo Focardi analysieren jenes Thema, das im deutsch-italienischen Gespräch ebenso beliebt wie umstritten ist: Geschichtspolitik, Erinnerungskultur, Umgang mit der Vergangenheit. Focardi steht dabei für eine jüngere italienische Historikergeneration, die - zum Teil gerade auch dank ihrer ausgezeichneten Kenntnis der deutschen Debatten - eine kritische Neuorientierung der italienischen Zeitgeschichte vorantreibt: weg von der Fixierung auf die Resistenza, hin zu einer strengen, unbequemen Untersuchung der italienischen Diktatur- und Kriegsverbrechen. Focardis Pointe lautet, dass der Vergleich mit Deutschland bis heute in der italienischen Öffentlichkeit einen beliebten, weil entlastenden Topos darstellt: So verbrecherisch wie die tedeschi war man selbst jedenfalls nicht. 1944 hatte Benedetto Croce dafür die rasch kanonisierte Formel gefunden, die Italiener spielten nur Faschisten, die Deutschen aber seien Nationalsozialisten. Tatsächlich hat jeder Vergleich seine Tücken, er kann erhellen oder verstellen. Wolfgang Schieder hat zuletzt ebenso unerbittlich wie überzeugend dargelegt, dass die Kehrseite des für Italien entlastenden Vergleichs mit den Deutschen in der italienischen "Angst vor dem Vergleich" mit dem übrigen Europa besteht und zur Verweigerung oder zumindest Verzögerung der selbstkritischen Auseinandersetzung mit den Untaten des faschistischen Regimes geführt hat.
Der Band bietet einen eindrucksvollen Rückblick auf die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts aus der Perspektive zweier Protagonisten, die in vielfacher Hinsicht durch die weltpolitische Konstellation konditioniert, gehemmt, ja blockiert waren. Überraschendes darf man von einer solchen Bilanz nicht unbedingt erwarten. Tatsächlich fördert jeder Parameter, den die Beiträge durchspielen - ob Nachkriegssituation, Wirtschaftswunder, "Westernisierung", Christdemokratie, Kommunismus oder das Verhältnis zur DDR -, prägnante Eigentümlichkeiten zutage. Ein schönes Beispiel ist die vielbeschworene Adenauer-De Gasperi-Symbiose, die gern mit Symmetrie verwechselt wird. Dabei unterschieden sich die beiden Staatsmänner in Sachen Weltanschauung, innen- und parteipolitischer Interessenlage sowie außenpolitischem Kalkül erheblich.
Der Turiner Historiker Francesco Traniello rekonstruiert meisterlich die geschichtsphilosophischen Ressourcen, mit deren Hilfe sich De Gasperi dem Druck des Westens, des Vatikans, der Kommunisten und der katholischen Linken aus den Reihen der eigenen Partei widersetzte. So wird erkennbar, dass sich die übereinstimmenden Positionen, die es selbstverständlich zwischen Adenauer und De Gasperi gab, ganz unterschiedlichen Geschichten verdankten. Traniello setzt damit implizit um, was Charles S. Maier in seinem brillanten Einführungsessay fordert: Eine neue "moral history" der Zivilgesellschaft müsse danach fragen, welchen Stellenwert in der italienischen und der deutschen Gesellschaft bestimmte Instanzen - Ideologien, Werte, soziale Aushandlungsprozesse - besäßen, die auf den ersten Blick zwar eine formale Ähnlichkeit aufwiesen, in ihrem jeweiligen Kontext aber eine eigene Wirkung entfalteten. Es ist zu bedauern, dass keiner der Beiträge diesen Zugriff an jenen Bruchstellen erprobt, die Maier als Schlüsselmomente der Nachwirkungsgeschichte von Faschismus und Nationalsozialismus bezeichnet: der 68er Kulturrevolution und dem Terrorismus. Tatsächlich werden die sechziger und siebziger Jahre in dem Band fast komplett ausgeblendet. Während die Gründerväter gebührend gewürdigt werden, fallen die Modernisierer der späteren Jahrzehnte unter den Tisch. So bleiben bedeutende Kapitel deutsch-italienischer Annäherungen unberücksichtigt. Man denke an die Verehrung der deutschen außerparlamentarischen Linken für Italien als Paradies der Anarchie und an die Frühgeschichte der Toskana-Fraktion; man denke umgekehrt an die bewundernd-neidischen Blicke, die Italiens ewig oppositionelle Kommunisten auf die regierungstaugliche deutsche Sozialdemokratie warfen.
Mit dem Sprung über gut ein Vierteljahrhundert hinweg landet der Sammelband bei der Epochenwende von 1989. Die Betonung der politikgeschichtlichen Ebene korrespondiert auch hier mit der Vorliebe für die großen Männer: Am Anfang der Nachkriegszeit stehen Adenauer und De Gasperi; an ihrem Ende Michail Gorbatschow und Helmut Kohl. Dass Italien in diesem Prozess irgendwie verlorengeht, stellt Gian Enrico Rusconi mit einiger Bitterkeit fest. Im Gegenzug rekonstruiert Lucio Caracciolo flott und pointiert, wie Europas politische und intellektuelle Führungsmannschaften aus der uralten und immer wieder angefachten Germanophobie innenpolitisches Kapital und europäische Legitimation zu ziehen wussten. Die Deutschen ihrerseits sperrten sich ausdauernd gegen die Historisierung des Nationalsozialismus und wollten doch so gerne "normal" sein. Caracciolos entspannter Umgang mit den politisch-moralischen Tabus der langen Nachkriegszeit ist doppelt erhellend, erinnert er doch daran, wie lebenskräftig sie sind und wie politisch unklug und wissenschaftlich unredlich es wäre, sie angesichts des derzeit schier übermächtigen Trends zur "Europäisierung" des Geschichtsbewusstseins kurzerhand für überwunden zu halten.
CHRISTIANE LIERMANN
Gian Enrico Rusconi/Hans Woller (Herausgeber): Parallele Geschichte? Italien und Deutschland 1945-2000. Verlag Duncker & Humblot, Berlin 2006. 575 S., 118,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die parallelen Geschichten Deutschlands und Italiens werden für die Zeit nach 1945 in Frage gestellt
Lange Zeit galt unangefochten das Wort von den "zahlreichen Parallelerscheinungen der politischen und geistigen Geschichte Deutschlands und Italiens" (Carl Schmitt). Vor allem auf deutscher Seite erfreute sich die Rede von der Parallelität dauerhafter Beliebtheit. Sie stützte sich auf markante Etappen der neuesten Geschichte, von der "verspäteten" Nationalstaatsbildung unter Cavour und Bismarck über die Diktaturen Mussolinis und Hitlers bis zur Republikgründung nach 1945. Die "Ähnlichkeit oder Gleichheit im Verlauf der nationalen Geschichte beider Nationen" (Theodor Schieder) schien in der Nachkriegszeit weiter zu gelten: Die Christdemokraten Alcide De Gasperi und Konrad Adenauer standen für die fortdauernde Analogie von italienischer und deutscher Vergangenheit und Gegenwart.
Die jüngere Geschichtswissenschaft stellt das Narrativ der "parallelen Geschichten" in Frage. Sie dekonstruiert die traditionelle Sichtweise als interessegeleitete Geschichtserzählung. Zu klären bliebe allerdings, wessen und welchen Interessen eine solche Parallelkonstruktion von deutscher und italienischer Geschichte diente und wie es kam, dass es sich dabei tatsächlich um eine typisch deutsche Konstruktion handelt(e), die man in italienischen Geschichtsbüchern vergeblich sucht. Die Trendwende hin zur Betonung der Differenzen zwischen italienischem und deutschem Weg hat sich unabhängig von dieser Leerstelle vollzogen. Das zeigt auch der Tenor der meisten Beiträge zur Studienwoche 2002 am Italienisch-Deutschen Historischen Institut in Trient, die nun in beiden Sprachen publiziert vorliegen. Zwar führt die deutsche Ausgabe die "parallele Geschichte" noch im Titel, aber das Fragezeichen dahinter steht für die neue Skepsis gegenüber der alten Ähnlichkeitsseligkeit.
Norbert Frei, Lutz Klinkhammer und Filippo Focardi analysieren jenes Thema, das im deutsch-italienischen Gespräch ebenso beliebt wie umstritten ist: Geschichtspolitik, Erinnerungskultur, Umgang mit der Vergangenheit. Focardi steht dabei für eine jüngere italienische Historikergeneration, die - zum Teil gerade auch dank ihrer ausgezeichneten Kenntnis der deutschen Debatten - eine kritische Neuorientierung der italienischen Zeitgeschichte vorantreibt: weg von der Fixierung auf die Resistenza, hin zu einer strengen, unbequemen Untersuchung der italienischen Diktatur- und Kriegsverbrechen. Focardis Pointe lautet, dass der Vergleich mit Deutschland bis heute in der italienischen Öffentlichkeit einen beliebten, weil entlastenden Topos darstellt: So verbrecherisch wie die tedeschi war man selbst jedenfalls nicht. 1944 hatte Benedetto Croce dafür die rasch kanonisierte Formel gefunden, die Italiener spielten nur Faschisten, die Deutschen aber seien Nationalsozialisten. Tatsächlich hat jeder Vergleich seine Tücken, er kann erhellen oder verstellen. Wolfgang Schieder hat zuletzt ebenso unerbittlich wie überzeugend dargelegt, dass die Kehrseite des für Italien entlastenden Vergleichs mit den Deutschen in der italienischen "Angst vor dem Vergleich" mit dem übrigen Europa besteht und zur Verweigerung oder zumindest Verzögerung der selbstkritischen Auseinandersetzung mit den Untaten des faschistischen Regimes geführt hat.
Der Band bietet einen eindrucksvollen Rückblick auf die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts aus der Perspektive zweier Protagonisten, die in vielfacher Hinsicht durch die weltpolitische Konstellation konditioniert, gehemmt, ja blockiert waren. Überraschendes darf man von einer solchen Bilanz nicht unbedingt erwarten. Tatsächlich fördert jeder Parameter, den die Beiträge durchspielen - ob Nachkriegssituation, Wirtschaftswunder, "Westernisierung", Christdemokratie, Kommunismus oder das Verhältnis zur DDR -, prägnante Eigentümlichkeiten zutage. Ein schönes Beispiel ist die vielbeschworene Adenauer-De Gasperi-Symbiose, die gern mit Symmetrie verwechselt wird. Dabei unterschieden sich die beiden Staatsmänner in Sachen Weltanschauung, innen- und parteipolitischer Interessenlage sowie außenpolitischem Kalkül erheblich.
Der Turiner Historiker Francesco Traniello rekonstruiert meisterlich die geschichtsphilosophischen Ressourcen, mit deren Hilfe sich De Gasperi dem Druck des Westens, des Vatikans, der Kommunisten und der katholischen Linken aus den Reihen der eigenen Partei widersetzte. So wird erkennbar, dass sich die übereinstimmenden Positionen, die es selbstverständlich zwischen Adenauer und De Gasperi gab, ganz unterschiedlichen Geschichten verdankten. Traniello setzt damit implizit um, was Charles S. Maier in seinem brillanten Einführungsessay fordert: Eine neue "moral history" der Zivilgesellschaft müsse danach fragen, welchen Stellenwert in der italienischen und der deutschen Gesellschaft bestimmte Instanzen - Ideologien, Werte, soziale Aushandlungsprozesse - besäßen, die auf den ersten Blick zwar eine formale Ähnlichkeit aufwiesen, in ihrem jeweiligen Kontext aber eine eigene Wirkung entfalteten. Es ist zu bedauern, dass keiner der Beiträge diesen Zugriff an jenen Bruchstellen erprobt, die Maier als Schlüsselmomente der Nachwirkungsgeschichte von Faschismus und Nationalsozialismus bezeichnet: der 68er Kulturrevolution und dem Terrorismus. Tatsächlich werden die sechziger und siebziger Jahre in dem Band fast komplett ausgeblendet. Während die Gründerväter gebührend gewürdigt werden, fallen die Modernisierer der späteren Jahrzehnte unter den Tisch. So bleiben bedeutende Kapitel deutsch-italienischer Annäherungen unberücksichtigt. Man denke an die Verehrung der deutschen außerparlamentarischen Linken für Italien als Paradies der Anarchie und an die Frühgeschichte der Toskana-Fraktion; man denke umgekehrt an die bewundernd-neidischen Blicke, die Italiens ewig oppositionelle Kommunisten auf die regierungstaugliche deutsche Sozialdemokratie warfen.
Mit dem Sprung über gut ein Vierteljahrhundert hinweg landet der Sammelband bei der Epochenwende von 1989. Die Betonung der politikgeschichtlichen Ebene korrespondiert auch hier mit der Vorliebe für die großen Männer: Am Anfang der Nachkriegszeit stehen Adenauer und De Gasperi; an ihrem Ende Michail Gorbatschow und Helmut Kohl. Dass Italien in diesem Prozess irgendwie verlorengeht, stellt Gian Enrico Rusconi mit einiger Bitterkeit fest. Im Gegenzug rekonstruiert Lucio Caracciolo flott und pointiert, wie Europas politische und intellektuelle Führungsmannschaften aus der uralten und immer wieder angefachten Germanophobie innenpolitisches Kapital und europäische Legitimation zu ziehen wussten. Die Deutschen ihrerseits sperrten sich ausdauernd gegen die Historisierung des Nationalsozialismus und wollten doch so gerne "normal" sein. Caracciolos entspannter Umgang mit den politisch-moralischen Tabus der langen Nachkriegszeit ist doppelt erhellend, erinnert er doch daran, wie lebenskräftig sie sind und wie politisch unklug und wissenschaftlich unredlich es wäre, sie angesichts des derzeit schier übermächtigen Trends zur "Europäisierung" des Geschichtsbewusstseins kurzerhand für überwunden zu halten.
CHRISTIANE LIERMANN
Gian Enrico Rusconi/Hans Woller (Herausgeber): Parallele Geschichte? Italien und Deutschland 1945-2000. Verlag Duncker & Humblot, Berlin 2006. 575 S., 118,- [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Aufschlussreich erscheint Henning Klüver dieser aus einer Tagung in Trient hervorgegangene Band über die Entwicklung Deutschlands und Italiens nach 1945, den Gian E. Rusconi und Hans Woller herausgegeben haben. Die Beiträge von Historikern wie Lutz Klinkhammer, Filippo Focardi und Martin Sabrow verdeutlichen für ihn insbesondere die unterschiedliche Auseinandersetzung beider Länder mit ihrer Vergangenheit. Deutlich wird für ihn aber auch, dass die Aufarbeitung der Vergangenheit in Deutschland und Italien trotz asymmetrischer Abläufe zu einem gemeinsamen Versöhnungsprozess führte. Dabei verweist er auch auf den Befund der Historiker, dass unter der Oberfläche zahlreiche Stereotypen überlebt hätten, um schließlich einen Widerspruch zwischen dem positiven kulturellen Prozess der Aufarbeitung und Versöhnung und seiner Vermittlung zum großen Publikum festzustellen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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