Über zehn Jahre lang reiste der Fotograf Jaroslav Poncar nach Paris, um dort zu fotografieren; die meisten der in diesem Band versammelten Fotografien stammen aus den Jahren 1976 bis 1986. Ende der 90er Jahre fuhr er noch einmal in die Stadt an der Seine, um das Porträt zu aktualisieren. Poncar verwendet eine alte russische Panoramakamera, die durch das rotierende Objektiv die Landschaft genauso aufnimmt, wie der Betrachter dies mit einer Kopfdrehung tut. Wir sehen Motive entlang der Seine, von Les Halles bis zum Canal de l'Ourcq, vom Montmartre bis Montparnasse. Motive, wie man sie kennt und doch nun ganz neu entdecken kann. Ergänzt werden die ungewöhnlichen Aufnahmen durch die poetischen Betrachtungen Jérôme Godeaus, die den Betrachter einer inneren Stimme gleich begleiten und seinen Blick schärfen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.12.2002Einbruch der Natur in eine menschenleere Stadt: Jaroslav Poncars Panoramafotografien zeigen ein ungewohntes Paris
Dies ist nicht der erste Bildband über Paris; es braucht fast Mut oder Leichtsinn, noch einen herauszubringen. Dieser hier kommt mit gewaltigem Anspruch daher, in Leinen gebunden, im Schuber verpackt. Jaroslav Poncar, an der Fachhochschule Köln lehrender, in Prag geborener Fotograf, ist mit einer russischen Panorama-Kamera namens FT-2 zehn Jahre lang durch Paris gezogen, am liebsten im Winter oder im Frühjahr, wenn das Laub der Bäume noch nicht die Sicht auf die Fassaden verdeckt, und meist frühmorgens am Wochenende, wenn die Stadt noch nicht voll von Menschen und Autos ist. Der gebürtige Pariser Jérôme Godeau, der in seiner Heimatstadt heute als Lektor arbeitet, hat die Begleittexte verfaßt.
"Paris im Panorama" versammelt Ansichten im extremen Breitformat aus den unterschiedlichsten Gegenden der Stadt: Eine Sehweise wird auf ganz Paris angewendet, mit durchaus wechselndem Erfolg. Menschen spielen in Poncars Paris-Fotografien nur eine Statistenrolle, dienen der Bevölkerung der architektonischen Szenerie. Manchmal evozieren sie vage das Paris der Vergangenheit, etwa wenn ein Mann mit Mantel und Mütze in Rückenansicht eine Aufnahme vom Jardin du Luxembourg dekoriert, den man durchaus für einen Soldaten vom Beginn des neunzehnten Jahrhunderts halten könnte. Überhaupt arbeitet Poncar häufig mit der Beschwörung solcher images von Paris: Die Bronzetönung mancher seiner Schwarzweißfotografien liefert eine künstliche Patina, die glauben machen könnte, die Bilder seien in der Belle Époque entstanden.
Es sind häufig melancholische Bilder der Einsamkeit, auf denen kein Treiben herrscht; was hier geschieht, geht lautlos vonstatten. Manche der Farbfotografien erinnern von ferne an die Veduten Canalettos: Panoramen im warmen Licht mit lebhaft bewölktem Himmel und schönen Wasserreflexen. In manche bricht die Natur mit ungebührlicher Kraft herein, wenn etwa unter einem dramatischen Himmel sich die Bäume im Sturm biegen. Andere scheinen unnatürlich arrangiert zu sein; dort wirken die Bauwerke wie Modellbauten.
Gemeinhin nimmt man Paris wahr als Stadt des schönen Ornaments, des extravaganten Schnörkels. Panoramen interessieren sich für solche Kleinigkeiten nicht. Der Reiz der zahllosen Details teilt sich nicht mit. So kommt es, daß Paris gerade dort, wo es der Besucher für besonders atmosphärisch halten mag, im Breitformat plötzlich öde wirkt: Die Schönheit der einzelnen Fassaden addiert sich zur schier unendlichen Fensterreihe; das Seine-Ufer beherrschen nun die monotonen Kaimauern.
Umgekehrt gewinnen gerade die zersiedelten Vorstadtviertel an Attraktivität: Was aus der Nähe zusammenhanglos wirkt, empfindet man nun als vielgestaltig und interessant. Das Häßliche wird plötzlich schön, während das Schöne verblaßt.
Noch etwas verblaßt bei der Lektüre des Bandes, nämlich Umberto Ecos boshafte Satire "Wie man einen Ausstellungskatalog bevorwortet" angesichts der pompösen Nichtigkeiten des Begleittextes von Jérôme Godeau. "Jaroslav Poncar erwehrt sich der Faszination", formuliert der Lektor mit poetischer Ambition gleich zu Beginn. Und wer hätte ohne seine Hilfe erraten, daß die Fotografien mit einer "unaufdringlichen Fülle tiefer Wirklichkeit" aufwarten können? Solche Hohltönerei rückt das Buch unnötigerweise in die ungute Nähe von coffeetable books. Jaroslav Poncar zeigt, was die panoramatische Fotografie über eine Stadt an Wissen und Atmosphäre zu vermitteln imstande ist, und testet, was sie an solchem Wissen preisgibt. Von Godeau bilanziert, klingt das ehrgeizige Vorhaben dann so: "Die Stadt hinterläßt eine unscharfe Vision ihrer selbst." So ist es. - Unsere Abbildung zeigt einen Faun im Jardin du Luxembourg.
MICHAEL GASSMANN.
Jaroslav Poncar/Jérôme Godeau: "Paris im Panorama". Emons-Verlag, Köln 2002. 144 S., Abb., geb., 59,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Dies ist nicht der erste Bildband über Paris; es braucht fast Mut oder Leichtsinn, noch einen herauszubringen. Dieser hier kommt mit gewaltigem Anspruch daher, in Leinen gebunden, im Schuber verpackt. Jaroslav Poncar, an der Fachhochschule Köln lehrender, in Prag geborener Fotograf, ist mit einer russischen Panorama-Kamera namens FT-2 zehn Jahre lang durch Paris gezogen, am liebsten im Winter oder im Frühjahr, wenn das Laub der Bäume noch nicht die Sicht auf die Fassaden verdeckt, und meist frühmorgens am Wochenende, wenn die Stadt noch nicht voll von Menschen und Autos ist. Der gebürtige Pariser Jérôme Godeau, der in seiner Heimatstadt heute als Lektor arbeitet, hat die Begleittexte verfaßt.
"Paris im Panorama" versammelt Ansichten im extremen Breitformat aus den unterschiedlichsten Gegenden der Stadt: Eine Sehweise wird auf ganz Paris angewendet, mit durchaus wechselndem Erfolg. Menschen spielen in Poncars Paris-Fotografien nur eine Statistenrolle, dienen der Bevölkerung der architektonischen Szenerie. Manchmal evozieren sie vage das Paris der Vergangenheit, etwa wenn ein Mann mit Mantel und Mütze in Rückenansicht eine Aufnahme vom Jardin du Luxembourg dekoriert, den man durchaus für einen Soldaten vom Beginn des neunzehnten Jahrhunderts halten könnte. Überhaupt arbeitet Poncar häufig mit der Beschwörung solcher images von Paris: Die Bronzetönung mancher seiner Schwarzweißfotografien liefert eine künstliche Patina, die glauben machen könnte, die Bilder seien in der Belle Époque entstanden.
Es sind häufig melancholische Bilder der Einsamkeit, auf denen kein Treiben herrscht; was hier geschieht, geht lautlos vonstatten. Manche der Farbfotografien erinnern von ferne an die Veduten Canalettos: Panoramen im warmen Licht mit lebhaft bewölktem Himmel und schönen Wasserreflexen. In manche bricht die Natur mit ungebührlicher Kraft herein, wenn etwa unter einem dramatischen Himmel sich die Bäume im Sturm biegen. Andere scheinen unnatürlich arrangiert zu sein; dort wirken die Bauwerke wie Modellbauten.
Gemeinhin nimmt man Paris wahr als Stadt des schönen Ornaments, des extravaganten Schnörkels. Panoramen interessieren sich für solche Kleinigkeiten nicht. Der Reiz der zahllosen Details teilt sich nicht mit. So kommt es, daß Paris gerade dort, wo es der Besucher für besonders atmosphärisch halten mag, im Breitformat plötzlich öde wirkt: Die Schönheit der einzelnen Fassaden addiert sich zur schier unendlichen Fensterreihe; das Seine-Ufer beherrschen nun die monotonen Kaimauern.
Umgekehrt gewinnen gerade die zersiedelten Vorstadtviertel an Attraktivität: Was aus der Nähe zusammenhanglos wirkt, empfindet man nun als vielgestaltig und interessant. Das Häßliche wird plötzlich schön, während das Schöne verblaßt.
Noch etwas verblaßt bei der Lektüre des Bandes, nämlich Umberto Ecos boshafte Satire "Wie man einen Ausstellungskatalog bevorwortet" angesichts der pompösen Nichtigkeiten des Begleittextes von Jérôme Godeau. "Jaroslav Poncar erwehrt sich der Faszination", formuliert der Lektor mit poetischer Ambition gleich zu Beginn. Und wer hätte ohne seine Hilfe erraten, daß die Fotografien mit einer "unaufdringlichen Fülle tiefer Wirklichkeit" aufwarten können? Solche Hohltönerei rückt das Buch unnötigerweise in die ungute Nähe von coffeetable books. Jaroslav Poncar zeigt, was die panoramatische Fotografie über eine Stadt an Wissen und Atmosphäre zu vermitteln imstande ist, und testet, was sie an solchem Wissen preisgibt. Von Godeau bilanziert, klingt das ehrgeizige Vorhaben dann so: "Die Stadt hinterläßt eine unscharfe Vision ihrer selbst." So ist es. - Unsere Abbildung zeigt einen Faun im Jardin du Luxembourg.
MICHAEL GASSMANN.
Jaroslav Poncar/Jérôme Godeau: "Paris im Panorama". Emons-Verlag, Köln 2002. 144 S., Abb., geb., 59,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Den "gewaltigen Anspruch", mit dem dieser in Leinen gebundene und im Schuber verpackte Fotoband für Michael Gassmann daherkommt, erfüllt er in seinen Augen nur teilweise. Zwar haben die in den letzten zehn Jahren mit einer "russischen Panorama-Kamera namens FT-2" aufgenommenen Paris-Bilder für den Rezensenten durchaus ihren Reiz. Zum Beispiel wenn sie "vage das Paris der Vergangenheit" evozieren oder schlicht "melancholische Bilder der Einsamkeit" sind. An einzelnen Höhepunkten des Buches fühlte der Rezensent sich sogar an die Veduten Canalettos erinnert. In manche Bilder sieht er auch die Natur "mit ungebührlicher Kraft" hereinbrechen. Selbst die zersiedelten Vorstädte wirkten im Panoramabild auf ihn plötzlich "vielgestaltig und interessant". Doch während das Hässliche schön werde, sah der Rezensent auch das Schöne verblassen. Im Breitwandformat teilten sich ihm die atmosphärischen Details einzelner Gegenden nicht mehr mit, wirkte Paris plötzlich seltsam öde auf ihn. Die Schönheit einzelner Fassaden addierten sich zur "schier unendlichen Fensterreihe", das Seine-Ufer sah Gassmann von monotonen Kaimauern beherrscht. Noch mehr verblasste die Lektüre für ihn durch die pompösen Nichtigkeiten der Begleittexte, deren Hohltönigkeit das Buch für den Rezensenten unnötigerweise in die ungute Nähe von coffeetable books rückte.
© Perlentaucher Medien GmbH
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"Wie ein zärtlicher Verehrer erzählt der Fotograf Jaroslav Poncar in seinen Bildern die Geschichte von der Schönheit der Seine-Stadt. Seine Fotografien sind eine Liebeserklärung an Paris.« (art)