Innerhalb weniger Tage weitete sich im Mai '68 der Aufstand der Pariser Studenten zum Generalstreik von über zehn Millionen Arbeitern und Angestellten in ganz Frankreich aus. Betriebe wurden besetzt, das öffentliche Leben kam weitgehend zum Stillstand, Ansätze von Selbstverwaltung wurden erprobt. Auch die Künstler schlossen sich dem Kampf an. Dieses Buch dokumentiert die kollektive Plakatproduktion des 'Atelier populaire' sowie die Arbeiten der berühmtesten französischen Karikaturisten. Fotos bezeugen die Wirkung der Plakate in den Straßen von Paris. Die politische Kunst des Mai '68 hat auch Jahrzehnte nach der Revolte ihre aggressive Expressivität nicht verloren. Die Ecole Nationale Supérieure des Beaux-Arts in Paris wurde im Mai/Juni 1968 von den Studierenden besetzt und zum 'Atelier populaire' ('Volksatelier') umgewandelt. Ungefähr 350 verschiedene Plakate wurden dort in Hunderttausenden von Exemplaren kollektiv produziert. Auch Frankreichs Karikaturisten unterstützten mit spitzer Feder die Bewegung.Plakate und Karikaturen stießen auf ein weltweites Interesse. Auch in Deutschland fanden sie weite Verbreitung: Die bissige Kritik der bestehenden Verhältnisse faszinierte ebenso wie die Visionen von einer egalitären, emanzipierten Gesellschaft.Dieser Band macht eine repräsentative Auswahl der Plakate und Karikaturen neu zugänglich. Die hinzugefügten Fotos dokumentieren den Raum, in dem die Plakate ihre agitatorische Wirkung besonders entfalteten: die Wände von Paris. Ausführliche Erläuterungen, Übersetzungen und eine Zeittafel erleichtern den Zugang zur politischen Kunst des Mai '68.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.04.2008Schönheit der Straße
Das Pressefoto aus dem Monat Mai 1968 zeigte eine Frau, die einen Pflasterstein in Richtung des Betrachters wirft. Im Plakat wurde daraus eine schwarze Silhouette, nur das Gesicht und der Stein hell, eingefasst von dem Satz "La beauté est dans la rue". Diese Schönheit auf der Straße meinte zwar nicht Baudelaires Passantin, hatte aber ein wenig mir ihr zu tun. Natürlich auch mit dem Pflasterstein, der ein Pariser Pflasterstein aus dem Quartier Latin war und gleich an Victor Hugo und Barrikaden denken ließ. Der Ikonographie ist nicht zu entkommen. Schon gar nicht, wenn die Kunstfertigkeit so unübersehbar ist wie in den Plakaten, die im "Atelier populaire" der bestreikten Pariser Kunsthochschule diskutiert, entworfen und produziert wurden. Aus ihrem Umkreis stammt wohl auch die Steinewerferin, die man in einer kleinen Auswahl von Plakaten, Karikaturen und einigen Fotos der Pariser Ereignisse im Mai 1968 findet. Die Plakate des "Atelier" waren schon einen Monat später in der Münchener Akademie der Bildenden Künste zu sehen, und als eine großformatige Buchausgabe erschien, galt es vorzubauen: Die Arbeiten zu dekorativen Zwecken zu benutzen, an "bürgerlichen Orten der Kultur" auszustellen oder mit ästhetischem Interesse zu betrachten widerspreche ihrer Funktion. Sie auch nur als historische Zeugnisse aufzubewahren sei ein Verrat am mit ihnen geführten Kampf. Ein Hinweis auf solch schöne Strenge wäre in diesem Erinnerungsalbum schicklich gewesen. (Volkhard Brandes: "Paris, Mai 68". Plakate, Karikaturen und Fotos der Revolte. Brandes & Apsel Verlag, Frankfurt am Main 2008. 95 S., Abb., br., 14,90 [Euro].) hmay
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Das Pressefoto aus dem Monat Mai 1968 zeigte eine Frau, die einen Pflasterstein in Richtung des Betrachters wirft. Im Plakat wurde daraus eine schwarze Silhouette, nur das Gesicht und der Stein hell, eingefasst von dem Satz "La beauté est dans la rue". Diese Schönheit auf der Straße meinte zwar nicht Baudelaires Passantin, hatte aber ein wenig mir ihr zu tun. Natürlich auch mit dem Pflasterstein, der ein Pariser Pflasterstein aus dem Quartier Latin war und gleich an Victor Hugo und Barrikaden denken ließ. Der Ikonographie ist nicht zu entkommen. Schon gar nicht, wenn die Kunstfertigkeit so unübersehbar ist wie in den Plakaten, die im "Atelier populaire" der bestreikten Pariser Kunsthochschule diskutiert, entworfen und produziert wurden. Aus ihrem Umkreis stammt wohl auch die Steinewerferin, die man in einer kleinen Auswahl von Plakaten, Karikaturen und einigen Fotos der Pariser Ereignisse im Mai 1968 findet. Die Plakate des "Atelier" waren schon einen Monat später in der Münchener Akademie der Bildenden Künste zu sehen, und als eine großformatige Buchausgabe erschien, galt es vorzubauen: Die Arbeiten zu dekorativen Zwecken zu benutzen, an "bürgerlichen Orten der Kultur" auszustellen oder mit ästhetischem Interesse zu betrachten widerspreche ihrer Funktion. Sie auch nur als historische Zeugnisse aufzubewahren sei ein Verrat am mit ihnen geführten Kampf. Ein Hinweis auf solch schöne Strenge wäre in diesem Erinnerungsalbum schicklich gewesen. (Volkhard Brandes: "Paris, Mai 68". Plakate, Karikaturen und Fotos der Revolte. Brandes & Apsel Verlag, Frankfurt am Main 2008. 95 S., Abb., br., 14,90 [Euro].) hmay
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main