Paris, September 1940. Nach drei Monaten unter Nazi-Besatzung kann Inspecteur Eddie Giral eigentlich nicht mehr viel schocken. Denkt er zumindest, bis er auf ein Mordopfer trifft, das eigentlich im Gefängnis sitzen sollte. Giral weiß das deswegen so genau, weil er ihn erst kürzlich selbst eingebuchtet hat ...
Dieser Tote ist weder der erste noch der letzte Kriminelle, der aus dem Gefängnis und auf die Straße gelassen wird. Aber wer zieht die Fäden, und warum? Diese Fragen führen Giral von Jazzclubs zu Opernsälen, von alten Flammen zu neuen Freunden, von den Lichtern von Paris zu den dunkelsten Landstrichen und zu der höchst beunruhigenden Erkenntnis, dass man, um das Richtige zu tun, sich manchmal auf die falsche Seite schlagen muss.
Dieser Tote ist weder der erste noch der letzte Kriminelle, der aus dem Gefängnis und auf die Straße gelassen wird. Aber wer zieht die Fäden, und warum? Diese Fragen führen Giral von Jazzclubs zu Opernsälen, von alten Flammen zu neuen Freunden, von den Lichtern von Paris zu den dunkelsten Landstrichen und zu der höchst beunruhigenden Erkenntnis, dass man, um das Richtige zu tun, sich manchmal auf die falsche Seite schlagen muss.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.02.2024Praktische Vernunft
Krimis in Kürze: Marcel Häußler, Max Annas, Chris Lloyd
Ein Philosophieseminar ließe sich so ankündigen - und zugleich auch wieder ironisch unterlaufen: "Kant und das Leben nach dem Tod" (Heyne, 304 S., br., 16,- Euro). Für einen Kriminalroman ist das ebenfalls kein schlechter Titel, dessen Hauptfigur ein Kommissar mit dem Namen des Vernunftkritikers ist und der von alten Menschen erzählt, die Rente beziehen, ordnungsgemäß gemeldet, aber längst verstorben sind.
Marcel Häußler hat seinen Kommissar, den er zum dritten Mal losschickt, auch wegen der Irritation so getauft, aber ihm mehr als das auf den Weg gegeben. Kant ermittelt in München, er hat Probleme mit seiner erwachsenen Tochter, die ausziehen will, sein langjähriger Partner will in den Vorruhestand, als ein Arm unweit der Autobahn entdeckt wird. Und bald dann auch noch eine Hüfte. Die Spur führt dahin, wo München sehr trist ist, in eine Hochhaussiedlung im Stadtteil Hasenbergl.
Häußler hat einen angenehm unprätentiösen Tonfall, er kann das graue Sozialbauelend anschaulich schildern und das Schicksal der alten Leute, die einfach unsichtbar werden. Niemand kümmert es, wenn schon lange kein Lebenszeichen mehr aus einer Wohnung dringt. Auch das Team um Kant ist gut und sinnvoll zusammengesetzt, ohne zwanghaft skurrile Typen. Und wie Häußler den Fall langsam entwickelt, aus dem dann mehrere Fälle werden, wie Kants praktische Vernunft sie auch ohne metaphysische Grundlegung löst, ist unbedingt lesenswert.
Max Annas ist mittlerweile in der oberen Gewichtsklasse der deutschen Krimiautoren angekommen. Er hat seinen eigenen, klaren und schnörkellosen Stil entwickelt, ob er nun über Südafrika schreibt oder über Morde in der DDR. Und zu diesem Habitus gehört, dass er auch immer wieder etwas Neues ausprobiert. "Berlin, Siegesallee" (Rowohlt, 288 S., geb., 22,- Euro) spielt im Juni 1914, kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Joseph und Friedrich, zwei junge schwarze Männer, Ernst, ein etwas älterer schwarzer Mann, und die junge weiße Florentine aus gutem Hause bilden ein unwahrscheinliches, aber überzeugendes Quartett.
Der angehende Theologe, der Bote für einen Herrenausstatter, der Gärtner und die Suffragette bringen kaiserliche Soldaten um, die in den Kolonien gedient haben, beim Genozid an den Herero und Nama oder in Ostafrika. Und wundern sich, dass die öffentliche Resonanz auf die Morde ausbleibt. Ein Leutnant ermittelt zusätzlich zur Polizei, aber auch er erreicht nicht viel im damals noch gutbürgerlichen Villenvorort Steglitz. Und die Vier wollen dann höher hinaus: ein Attentat auf den Kaiser, ein Anschlag auf das Schloss.
Der Roman kontrastiert die anarchistischen Aktionen im Sommer 1914 immer wieder mit Briefen aus Kamerun, die bis ins Jahr 1941 führen und von einem der Vier stammen, der Florentines Bruder schreibt. So erfährt man, dass er davongekommen ist - aber nicht, wie oder was aus dem großen Coup geworden ist. Der Schluss bleibt offen, da ist weniger die typische Closure eines Kriminalromans als ein Gedankenspiel: Was wäre gewesen, wenn eine kleine rebellische Gruppe mit ihren gewalttätigen Plänen Erfolg gehabt hätte?
"Paris Requiem" (Suhrkamp, 447 S., br., 18,- Euro) von Chris Lloyd beschert uns ein Wiedersehen mit Eddie Giral. Vor knapp drei Jahren haben wir ihn in "Die Toten vom Gare d'Austerlitz" kennengelernt, einen weitgehend machtlosen Inspecteur im besetzten Paris des Jahres 1940. Seinen Aktionsradius bestimmen die deutsche Abwehr und die Gestapo. Lebensmittel sind knapp, er macht sich Sorgen um seinen Sohn, der nach Südfrankreich geflohen ist, und weiß nicht, wie entschlossen er ermitteln darf, als ein Toter gefunden wird, der eigentlich im Gefängnis hätte sitzen sollen und dessen Mund zugenäht wurde.
Giral beherrscht die Kunst des Lavierens und Durchmogelns, er ist listig und hat eine einschlägige Vergangenheit im Milieu von Montmartre, die eine bessere Schule war als jede Polizeiausbildung. Er ist ein gebrochener Held in harten Zeiten, in denen die moralischen Maßstäbe sich verschoben haben. Und Chris Lloyd hat ihn sehr gekonnt und nahtlos mit den historischen Ereignissen verwoben. Gegen einen weiteren Auftritt von Eddie Giral wäre nichts einzuwenden. PETER KÖRTE
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Krimis in Kürze: Marcel Häußler, Max Annas, Chris Lloyd
Ein Philosophieseminar ließe sich so ankündigen - und zugleich auch wieder ironisch unterlaufen: "Kant und das Leben nach dem Tod" (Heyne, 304 S., br., 16,- Euro). Für einen Kriminalroman ist das ebenfalls kein schlechter Titel, dessen Hauptfigur ein Kommissar mit dem Namen des Vernunftkritikers ist und der von alten Menschen erzählt, die Rente beziehen, ordnungsgemäß gemeldet, aber längst verstorben sind.
Marcel Häußler hat seinen Kommissar, den er zum dritten Mal losschickt, auch wegen der Irritation so getauft, aber ihm mehr als das auf den Weg gegeben. Kant ermittelt in München, er hat Probleme mit seiner erwachsenen Tochter, die ausziehen will, sein langjähriger Partner will in den Vorruhestand, als ein Arm unweit der Autobahn entdeckt wird. Und bald dann auch noch eine Hüfte. Die Spur führt dahin, wo München sehr trist ist, in eine Hochhaussiedlung im Stadtteil Hasenbergl.
Häußler hat einen angenehm unprätentiösen Tonfall, er kann das graue Sozialbauelend anschaulich schildern und das Schicksal der alten Leute, die einfach unsichtbar werden. Niemand kümmert es, wenn schon lange kein Lebenszeichen mehr aus einer Wohnung dringt. Auch das Team um Kant ist gut und sinnvoll zusammengesetzt, ohne zwanghaft skurrile Typen. Und wie Häußler den Fall langsam entwickelt, aus dem dann mehrere Fälle werden, wie Kants praktische Vernunft sie auch ohne metaphysische Grundlegung löst, ist unbedingt lesenswert.
Max Annas ist mittlerweile in der oberen Gewichtsklasse der deutschen Krimiautoren angekommen. Er hat seinen eigenen, klaren und schnörkellosen Stil entwickelt, ob er nun über Südafrika schreibt oder über Morde in der DDR. Und zu diesem Habitus gehört, dass er auch immer wieder etwas Neues ausprobiert. "Berlin, Siegesallee" (Rowohlt, 288 S., geb., 22,- Euro) spielt im Juni 1914, kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Joseph und Friedrich, zwei junge schwarze Männer, Ernst, ein etwas älterer schwarzer Mann, und die junge weiße Florentine aus gutem Hause bilden ein unwahrscheinliches, aber überzeugendes Quartett.
Der angehende Theologe, der Bote für einen Herrenausstatter, der Gärtner und die Suffragette bringen kaiserliche Soldaten um, die in den Kolonien gedient haben, beim Genozid an den Herero und Nama oder in Ostafrika. Und wundern sich, dass die öffentliche Resonanz auf die Morde ausbleibt. Ein Leutnant ermittelt zusätzlich zur Polizei, aber auch er erreicht nicht viel im damals noch gutbürgerlichen Villenvorort Steglitz. Und die Vier wollen dann höher hinaus: ein Attentat auf den Kaiser, ein Anschlag auf das Schloss.
Der Roman kontrastiert die anarchistischen Aktionen im Sommer 1914 immer wieder mit Briefen aus Kamerun, die bis ins Jahr 1941 führen und von einem der Vier stammen, der Florentines Bruder schreibt. So erfährt man, dass er davongekommen ist - aber nicht, wie oder was aus dem großen Coup geworden ist. Der Schluss bleibt offen, da ist weniger die typische Closure eines Kriminalromans als ein Gedankenspiel: Was wäre gewesen, wenn eine kleine rebellische Gruppe mit ihren gewalttätigen Plänen Erfolg gehabt hätte?
"Paris Requiem" (Suhrkamp, 447 S., br., 18,- Euro) von Chris Lloyd beschert uns ein Wiedersehen mit Eddie Giral. Vor knapp drei Jahren haben wir ihn in "Die Toten vom Gare d'Austerlitz" kennengelernt, einen weitgehend machtlosen Inspecteur im besetzten Paris des Jahres 1940. Seinen Aktionsradius bestimmen die deutsche Abwehr und die Gestapo. Lebensmittel sind knapp, er macht sich Sorgen um seinen Sohn, der nach Südfrankreich geflohen ist, und weiß nicht, wie entschlossen er ermitteln darf, als ein Toter gefunden wird, der eigentlich im Gefängnis hätte sitzen sollen und dessen Mund zugenäht wurde.
Giral beherrscht die Kunst des Lavierens und Durchmogelns, er ist listig und hat eine einschlägige Vergangenheit im Milieu von Montmartre, die eine bessere Schule war als jede Polizeiausbildung. Er ist ein gebrochener Held in harten Zeiten, in denen die moralischen Maßstäbe sich verschoben haben. Und Chris Lloyd hat ihn sehr gekonnt und nahtlos mit den historischen Ereignissen verwoben. Gegen einen weiteren Auftritt von Eddie Giral wäre nichts einzuwenden. PETER KÖRTE
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»Chris Lloyd hat [seinen Protagonisten] sehr gekonnt und nahtlos mit den historischen Ereignissen verwoben. Gegen einen weiteren Auftritt von Eddie Giral wäre nichts einzuwenden.« Peter Körte Frankfurter Allgemeine Zeitung 20240205