Rémi ist ein junger, erfolgreicher Ministerialbeamter. Seine strenge politische Linie, sein ganzes Leben gerät ins Wanken, als er sich, mitten in einem Aufstand der Straße, mit einer schweren Grippe ins Bett legen muss und einen Anruf seiner Schwester Mireille erhält: Cornélie, seine Mutter, ist gestorben. Krank und erschöpft macht er sich auf den Weg zu ihrem Begräbnis in das kleine französische Bergdorf, das sich die Eltern für ihr Aussteiger-Dasein ausgesucht hatten. Ein Dorf, das ihm verhasst ist, eine Mutter, die eine etwas andere Mutter war, eine, die sich nicht darum kümmerte, was die Leute sagten, Liebhaber hatte und gleichzeitig ein strenges Regiment bei ihren drei Kindern führte, vor allem nach dem tragischen Tod des Vaters. Voller Bitterkeit taucht Rémi in seine Erinnerungen, während der Leser im Rhythmus der Briefe, die die Mutter an den Sohn und an die Tochter Marlène schrieb, eine ganz andere Stimme hört. Briefe, die Rémi und Marlène nie lesen wollten ... In ihrem neuen Roman erzählt Sylvie Schenk mit Leichtigkeit von dem Werdegang dieser 'Parksünder'. Sie lässt die Abgründe hinter der Fassade eines aufstrebenden Karrieristen erahnen und führt ihre Protagonisten fast beiläufig zu der zentralen Frage nach dem Sinn des Lebens.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.11.2010Briefbeschwerer
Ein alleinstehender Mann Anfang vierzig: Die Midlife-Crisis ist programmiert. Als eine Erkältung den Pariser Ministerialbeamten Rémi zum Innehalten zwingt, kommt eine Kette katastrophaler Ereignisse in Gang: Die Mutter stirbt, die begehrte Frau fällt ins Koma. Die Existenz ist aus den Fugen, zumal der Mann alte Briefe der Mutter liest. In diesen teils unsympathischen, teils anrührenden Texten hat das Familienoberhaupt Rémi ihre Sicht auf die Dinge näherbringen wollen: den Entschluss, mit ihrem früh verunglückten Mann nach dem Studium in Paris aufs Land zu ziehen; die Gründe für das strenge Familienleben im engen Häuschen; die Gründe für ein außereheliches Verhältnis. So lauscht man zwei Erzählstimmen, zwei Melodien in unterschiedlichen Molltonarten. Die beiden Figuren werden plastisch, glaubwürdig, exemplarisch. Und die Krise zum Ergebnis so berechtigter wie irriger Entscheidungen. Dass im gesamten Erzählgang unaufgelöst bleibt, ob Rémi die zitierten Briefe tatsächlich liest, während er sich erinnert, und was wohl in den nicht zitierten Briefen stehen könnte, macht die Lektüre fesselnd. Dem Leser bleibt überlassen, welches moralische Urteil am Ende über Mutter und Sohn zu fällen ist. "Parksünder" zeigt, dass Wunsch und Wirklichkeit im Modell der Kleinfamilie oft weit auseinanderklaffen. Und dass man, anders als Orpheus, gelegentlich zurückblicken muss, will man der Unterwelt dieses Modells entkommen. (Sylvie Schenk: "Parksünder". Roman. Picus Verlag, Wien 2009. 222 S., geb., 19,90 [Euro].) btro
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Ein alleinstehender Mann Anfang vierzig: Die Midlife-Crisis ist programmiert. Als eine Erkältung den Pariser Ministerialbeamten Rémi zum Innehalten zwingt, kommt eine Kette katastrophaler Ereignisse in Gang: Die Mutter stirbt, die begehrte Frau fällt ins Koma. Die Existenz ist aus den Fugen, zumal der Mann alte Briefe der Mutter liest. In diesen teils unsympathischen, teils anrührenden Texten hat das Familienoberhaupt Rémi ihre Sicht auf die Dinge näherbringen wollen: den Entschluss, mit ihrem früh verunglückten Mann nach dem Studium in Paris aufs Land zu ziehen; die Gründe für das strenge Familienleben im engen Häuschen; die Gründe für ein außereheliches Verhältnis. So lauscht man zwei Erzählstimmen, zwei Melodien in unterschiedlichen Molltonarten. Die beiden Figuren werden plastisch, glaubwürdig, exemplarisch. Und die Krise zum Ergebnis so berechtigter wie irriger Entscheidungen. Dass im gesamten Erzählgang unaufgelöst bleibt, ob Rémi die zitierten Briefe tatsächlich liest, während er sich erinnert, und was wohl in den nicht zitierten Briefen stehen könnte, macht die Lektüre fesselnd. Dem Leser bleibt überlassen, welches moralische Urteil am Ende über Mutter und Sohn zu fällen ist. "Parksünder" zeigt, dass Wunsch und Wirklichkeit im Modell der Kleinfamilie oft weit auseinanderklaffen. Und dass man, anders als Orpheus, gelegentlich zurückblicken muss, will man der Unterwelt dieses Modells entkommen. (Sylvie Schenk: "Parksünder". Roman. Picus Verlag, Wien 2009. 222 S., geb., 19,90 [Euro].) btro
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