Paul Kennedys Buch zeichnet das Portrait einer fehlbaren und oft von mächtigen nationalen Regierungen abhängigen Weltorganisation. Anders als etwa die Kritiker der UNO in den Vereinigten Staaten, die sie am liebsten abschaffen möchten, unterstreicht er jedoch die Unverzichtbarkeit einer Institution, die unsere Unterstützung verdient, weil sie letztlich für eine Welt eintritt, in der Frieden, Freiheit, Toleranz und Gerechtigkeit den Maßstab des politischen Handelns bilden. Paul Kennedys Buch eröffnet neue Einsichten in einige der wichtigsten politischen Fragen unserer Zeit.
Die UNO steht beinahe unentwegt in der Kritik, aber sie ist dennoch nur schwer zu ersetzen. Ihre bemerkenswerteste Leistung besteht vermutlich darin, daß sie trotz aller Krisen bis heute überlebt und zugleich ihr Aufgabenspektrum immer mehr erweitert hat. Kein anderes Forum der Welt bietet einen besseren Rahmen zur friedlichen Beilegung von internationalen Konflikten und zur Organisation humanitärer Aufgaben. Auch eine demokratische Weltregierung ist zumindest der Idee nach in den Vereinten Nationen angelegt. Die Zukunft der UNO ist deshalb auch eine Frage nach der Zukunft der einen Menschheit. Paul Kennedy erläutert in seiner konzisen Darstellung die historischen Wurzeln der UNO und ihrer Funktionen, fragt nach der Effizienz der Vereinten Nationen in der Vergangenheit und heute, und er versucht einzuschätzen, inwieweit sie gerüstet ist, um die Herausforderungen der Gegenwart und der Zukunft zu meistern.
Die UNO steht beinahe unentwegt in der Kritik, aber sie ist dennoch nur schwer zu ersetzen. Ihre bemerkenswerteste Leistung besteht vermutlich darin, daß sie trotz aller Krisen bis heute überlebt und zugleich ihr Aufgabenspektrum immer mehr erweitert hat. Kein anderes Forum der Welt bietet einen besseren Rahmen zur friedlichen Beilegung von internationalen Konflikten und zur Organisation humanitärer Aufgaben. Auch eine demokratische Weltregierung ist zumindest der Idee nach in den Vereinten Nationen angelegt. Die Zukunft der UNO ist deshalb auch eine Frage nach der Zukunft der einen Menschheit. Paul Kennedy erläutert in seiner konzisen Darstellung die historischen Wurzeln der UNO und ihrer Funktionen, fragt nach der Effizienz der Vereinten Nationen in der Vergangenheit und heute, und er versucht einzuschätzen, inwieweit sie gerüstet ist, um die Herausforderungen der Gegenwart und der Zukunft zu meistern.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.11.2007Die Botschaft hör ich wohl ...
Weltregierung als Vision
Von Klaus Hildebrand
Im Jahr 1837, als England in das viktorianische Zeitalter eintrat, schwärmte der junge Alfred Lord Tennyson in seinem Gedicht "Locksley Hall" von einem "Parlament der Menschheit", von einem "Zusammenschluss der Welt . . . gehüllt in universelles Recht". In programmatischer Absicht stellt der an der amerikanischen Yale-Universität lehrende Historiker Paul Kennedy die berühmten Verse an den Anfang seiner Geschichte der Vereinten Nationen. Nachdem die Vorläufer des vom Autor so genannten "großen Experiments der Weltregierung" skizziert sind, wird die Entwicklung der UN vom Ende des Zweiten Weltkriegs bis in die Gegenwart hinein betrachtet.
Sieht man einmal vom Erhalt des atomaren, von der Existenz der Vereinten Nationen eher unabhängigen Friedens zwischen den Großmächten ab, dann ist die Völkerfamilie - was Paul Kennedy im Einzelnen rekonstruiert - an ihrer zentralen Aufgabe der Kriegsvermeidung alles in allem eher gescheitert. Dagegen haben nach der Einschätzung des Verfassers ihre wirtschaftlichen Initiativen, ihre vielfältigen Programme für "Frauen und Kinder, das internationale Gesundheitswesen, Bevölkerungsprobleme, Umweltschutz, . . . die Förderung von kultureller Vielfalt, das Streben nach sozialen Freiheiten" sowie ihr aktives Eintreten für die Menschenrechte unübersehbar Früchte getragen, auf die gebührend verwiesen wird. Ganz in seinem Element aber ist der Autor, wenn er die zahllosen Nichtregierungsorganisationen, die NGOs, weil diese den Regierungen ebenso wie den UN ein ums andere Mal auf die fortschrittlichen Sprünge geholfen hätten, mit großem Wohlwollen porträtiert. Denn sie bahnen nach der Einschätzung Paul Kennedys den Weg zu einer "internationalen Zivilgesellschaft", weil ihr Handeln, ja ihr "bloßes Dasein die staatszentrierten Grundannahmen der internationalen Ordnung in Frage stellen" und weil sie "auf ihre je eigene Art in einem engeren Verhältnis zu den breiten Volksmassen der Welt stehen als deren Regierungen".
Spätestens an dieser Stelle gerät der Leser dann doch ins kritische Nachdenken: Weit davon entfernt, die Institution am East River, wie der eine oder andere Realpolitiker es zuweilen getan hat, mit herablassender Ironie überziehen zu wollen, stellen sich Fragen über Fragen ein, die der Verfasser kaum angemessen behandelt, teilweise sogar nicht einmal aufwirft: Ist es tatsächlich sinnvoll, von einer "Annäherung an ein ,Parlament der Menschheit'" zu sprechen, wenn eine große Anzahl seiner Mitglieder zutiefst unparlamentarisch konstituiert ist? Tendiert eine globale Verrechtlichung der internationalen Verhältnisse im Sinne westlicher Werte, konsequent praktiziert, nicht automatisch zur universalen, auch militärischen Intervention, also zum metaphysischen Krieg in weltweitem Maßstab? Kann es tatsächlich als Fortschritt gelten, wenn demokratisch nicht legitimierte Einrichtungen, NGOs ebenso wie Medien, demokratisch legitimierte Regierungen aus humanitären Gründen zu Aktionen unter Einsatz von Waffengewalt veranlassen, die sodann, jenseits von Gewissen und Moral, die Frage nach Krieg und Frieden, nach der Verantwortung und dem Interesse eines Nationalstaates, mithin also nach dem Leben und Tod seiner Bürger aufwerfen?
Selbstverständlich gibt es den vom Autor postulierten "Zusammenhang von wirtschaftlicher Not und politischer Gewalt"; die schlichte Schlussfolgerung freilich, die Paul Kennedy daraus zieht, ist bis zum Bestreitbaren fragwürdig: "Faschismus und Kommunismus verfügten zwar über beträchtliche psychologische Anziehungskraft, waren aber hauptsächlich aufgrund wirtschaftlicher Verzweiflung gediehen - das heißt aufgrund von Arbeitslosigkeit, Unterernährung, Armut, Krankheit und gewaltigen gesellschaftlichen Ungleichheiten." Das unzutreffende Urteil übersieht einfach, dass es weit über die ökonomische Dimension hinaus politische Faktoren gewesen sind, die ihre historische Wirkung entfaltet haben. Staaten und Völker, Gesellschaften und Religionen liegt im Übrigen bevorzugt daran, ihre jeweilige nationale und kulturelle Identität, ihre Eigenheit und Unverwechselbarkeit zu bewahren und diese nicht an eine uniforme Weltzivilisation zu verlieren. Dieser Sachverhalt ist es zudem, der das gegenwärtig für die Menschheit entscheidende Problem ihrer Existenz beschreibt.
Diese andere Seite der Geschichte aber wird in Kennedys fortschrittsgewissem Plädoyer für eine im Zeichen des Rechts konstituierte Weltregierung kaum aufgeblättert. Ohne Zweifel, auf den ersten Blick entwirft der Autor eine attraktive Vision, die bei näherem Hinsehen freilich umgehend auch ihre Schattenseite zu erkennen gibt: Denn allzu leicht könnte an die Stelle der Diktatur einzelner Regierungen die universale Tyrannei von Richtern treten. Frieden ergibt sich eben nicht automatisch aus Gerechtigkeit, die ganz im Gegenteil gerade den Krieg zu stiften vermag. Überhaupt sollte man sich bei der Lektüre dieses cum ira et studio verfassten Buches immer daran erinnern, dass Wandel nicht unbedingt mit Verbesserung und Bewegung nicht ohne weiteres mit Fortschritt einhergehen muss.
Paul Kennedy: "Parlament der Menschheit". Die Vereinten Nationen und der Weg zur Weltregierung. Verlag C.H. Beck, München 2007. 400 S., 24,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Weltregierung als Vision
Von Klaus Hildebrand
Im Jahr 1837, als England in das viktorianische Zeitalter eintrat, schwärmte der junge Alfred Lord Tennyson in seinem Gedicht "Locksley Hall" von einem "Parlament der Menschheit", von einem "Zusammenschluss der Welt . . . gehüllt in universelles Recht". In programmatischer Absicht stellt der an der amerikanischen Yale-Universität lehrende Historiker Paul Kennedy die berühmten Verse an den Anfang seiner Geschichte der Vereinten Nationen. Nachdem die Vorläufer des vom Autor so genannten "großen Experiments der Weltregierung" skizziert sind, wird die Entwicklung der UN vom Ende des Zweiten Weltkriegs bis in die Gegenwart hinein betrachtet.
Sieht man einmal vom Erhalt des atomaren, von der Existenz der Vereinten Nationen eher unabhängigen Friedens zwischen den Großmächten ab, dann ist die Völkerfamilie - was Paul Kennedy im Einzelnen rekonstruiert - an ihrer zentralen Aufgabe der Kriegsvermeidung alles in allem eher gescheitert. Dagegen haben nach der Einschätzung des Verfassers ihre wirtschaftlichen Initiativen, ihre vielfältigen Programme für "Frauen und Kinder, das internationale Gesundheitswesen, Bevölkerungsprobleme, Umweltschutz, . . . die Förderung von kultureller Vielfalt, das Streben nach sozialen Freiheiten" sowie ihr aktives Eintreten für die Menschenrechte unübersehbar Früchte getragen, auf die gebührend verwiesen wird. Ganz in seinem Element aber ist der Autor, wenn er die zahllosen Nichtregierungsorganisationen, die NGOs, weil diese den Regierungen ebenso wie den UN ein ums andere Mal auf die fortschrittlichen Sprünge geholfen hätten, mit großem Wohlwollen porträtiert. Denn sie bahnen nach der Einschätzung Paul Kennedys den Weg zu einer "internationalen Zivilgesellschaft", weil ihr Handeln, ja ihr "bloßes Dasein die staatszentrierten Grundannahmen der internationalen Ordnung in Frage stellen" und weil sie "auf ihre je eigene Art in einem engeren Verhältnis zu den breiten Volksmassen der Welt stehen als deren Regierungen".
Spätestens an dieser Stelle gerät der Leser dann doch ins kritische Nachdenken: Weit davon entfernt, die Institution am East River, wie der eine oder andere Realpolitiker es zuweilen getan hat, mit herablassender Ironie überziehen zu wollen, stellen sich Fragen über Fragen ein, die der Verfasser kaum angemessen behandelt, teilweise sogar nicht einmal aufwirft: Ist es tatsächlich sinnvoll, von einer "Annäherung an ein ,Parlament der Menschheit'" zu sprechen, wenn eine große Anzahl seiner Mitglieder zutiefst unparlamentarisch konstituiert ist? Tendiert eine globale Verrechtlichung der internationalen Verhältnisse im Sinne westlicher Werte, konsequent praktiziert, nicht automatisch zur universalen, auch militärischen Intervention, also zum metaphysischen Krieg in weltweitem Maßstab? Kann es tatsächlich als Fortschritt gelten, wenn demokratisch nicht legitimierte Einrichtungen, NGOs ebenso wie Medien, demokratisch legitimierte Regierungen aus humanitären Gründen zu Aktionen unter Einsatz von Waffengewalt veranlassen, die sodann, jenseits von Gewissen und Moral, die Frage nach Krieg und Frieden, nach der Verantwortung und dem Interesse eines Nationalstaates, mithin also nach dem Leben und Tod seiner Bürger aufwerfen?
Selbstverständlich gibt es den vom Autor postulierten "Zusammenhang von wirtschaftlicher Not und politischer Gewalt"; die schlichte Schlussfolgerung freilich, die Paul Kennedy daraus zieht, ist bis zum Bestreitbaren fragwürdig: "Faschismus und Kommunismus verfügten zwar über beträchtliche psychologische Anziehungskraft, waren aber hauptsächlich aufgrund wirtschaftlicher Verzweiflung gediehen - das heißt aufgrund von Arbeitslosigkeit, Unterernährung, Armut, Krankheit und gewaltigen gesellschaftlichen Ungleichheiten." Das unzutreffende Urteil übersieht einfach, dass es weit über die ökonomische Dimension hinaus politische Faktoren gewesen sind, die ihre historische Wirkung entfaltet haben. Staaten und Völker, Gesellschaften und Religionen liegt im Übrigen bevorzugt daran, ihre jeweilige nationale und kulturelle Identität, ihre Eigenheit und Unverwechselbarkeit zu bewahren und diese nicht an eine uniforme Weltzivilisation zu verlieren. Dieser Sachverhalt ist es zudem, der das gegenwärtig für die Menschheit entscheidende Problem ihrer Existenz beschreibt.
Diese andere Seite der Geschichte aber wird in Kennedys fortschrittsgewissem Plädoyer für eine im Zeichen des Rechts konstituierte Weltregierung kaum aufgeblättert. Ohne Zweifel, auf den ersten Blick entwirft der Autor eine attraktive Vision, die bei näherem Hinsehen freilich umgehend auch ihre Schattenseite zu erkennen gibt: Denn allzu leicht könnte an die Stelle der Diktatur einzelner Regierungen die universale Tyrannei von Richtern treten. Frieden ergibt sich eben nicht automatisch aus Gerechtigkeit, die ganz im Gegenteil gerade den Krieg zu stiften vermag. Überhaupt sollte man sich bei der Lektüre dieses cum ira et studio verfassten Buches immer daran erinnern, dass Wandel nicht unbedingt mit Verbesserung und Bewegung nicht ohne weiteres mit Fortschritt einhergehen muss.
Paul Kennedy: "Parlament der Menschheit". Die Vereinten Nationen und der Weg zur Weltregierung. Verlag C.H. Beck, München 2007. 400 S., 24,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Zurückhaltend betrachtet Klaus Hildebrand dieses Buch über die Vereinten Nationen, das der Historiker Paul Kennedy vorgelegt hat. Einverstanden scheint er noch mit der Darstellung der Geschichte der UN und ihrer Vorläufer, mit der kritischen Einschätzung ihrer Aufgabe der Kriegsvermeidung und dem positiven Blick auf wirtschaftliche Initiativen und Programme für Kinder, Frauen, Umwelt, Menschenrechte usw. Bei der Porträtierung von zahllosen NGOs sieht er Kennedy ganz in seinem Element. Allerdings bleiben für ihn eine Menge Fragen offen, gerade wo es um das Ziel einer internationalen Zivilgesellschaft geht. Zweifelhaft scheint ihm auch die zu sehr auf ökonomische Verhältnisse konzentrierte Sicht des Autors, die politische Faktoren vernachlässigt. Er macht geltend, dass viele Staaten, Völker und Gesellschaften ihre kulturelle und nationale Identität nicht aufgeben möchten für eine uniforme Weltgesellschaft. Dieser Aspekt bleibt zu seinem Bedauern unterbelichtet in Kennedys "fortschrittsgewissen Plädoyer für eine Zeichen des Rechts konstituierte Weltregierung".
© Perlentaucher Medien GmbH
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