Die Beschäftigung mit nationalen Minderheiten und ihren politischen Vertretern ist aktueller denn je. So hat gerade im deutschsprachigen Raum die Wahl des Siebenbürger Sachsen Klaus Johannis zum Präsidenten Rumäniens am 16. November 2014 ein enormes Echo in den Medien ausgelöst. Der Vorgang zeigt, dass im 21. Jahrhundert Nationalität bei der Auswahl politischen Führungspersonals kein ausschlaggebendes Kriterium mehr sein muss. Ganz anders in der Zwischenkriegszeit: In der durch den Ersten Weltkrieg zugespitzten Lage waren Minderheitenvertreter in der Exekutive bestenfalls als Minister und in der Legislative bestenfalls in niederen Positionen im Parlamentsvorstand vorstellbar - und auch dies nur in manchen Ländern und nicht zu allen Zeiten. In den Vergleich politischer Strategien von deutschen Minderheitenvertretern werden möglichst viele Parlamente Westeuropas, in denen deutschsprachige Minderheitenabgeordnete vertreten waren.
Der vorliegende Sammelband geht auf eine vom 11. bis 13. April 2013 in Mainz veranstaltete Tagung zurück.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Hans-Christof Kraus betont die Aktualität dieses Bandes mit Beiträgen zu Parlamentariern deutscher Minderheiten in den Volksvertretungen Dänemarks, Ungarns, der baltischen Staaten u. a. zwischen 1925 und 1930. Minderheitenschutz, meint er, ist auch nach 1990 ein Thema. Den Band findet Kraus informativ, zeigt er ihm doch, wie rege das parlamentarische Leben in den damals neu entstandenen Staaten war, welchen Anteil deutschsprachige Parlamentarier daran hatten, über welche Netzwerke und Posten sie verfügten und welchen Einschränkungen sie ausgesetzt waren.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine ZeitungZwischen Abwehr und Anlehnung
Minderheitsvertreter in Parlamenten im Europa der Zwischenkriegszeit
Im Jahr 1907 saßen fast dreißig Abgeordnete nichtdeutscher Nationalität im Deutschen Reichstag - darunter die Herren Grégoire, Labroise und de Wendel aus Lothringen, Hanßen aus Nordschleswig und von Chrzanowski, von Brudzewo-Mielzynski, von Chlapowo-Chlapowski, von Trzcinski, von Czarlinski sowie von Grabski aus der preußischen Provinz Posen. Nach 1919 allerdings kehrte sich die Situation infolge der Gebietsabtrennungen des Versailler Vertrags und besonders nach dem Auseinanderbrechen der Habsburger Monarchie geradewegs um: Nun wiederum waren deutschstämmige Abgeordnete in zahlreichen außerdeutschen Parlamenten vertreten.
Diesem bisher wenig bearbeiteten und kaum beachteten Gegenstand widmet sich ein neuer, inhaltlich sehr instruktiver und informationsreicher Band, der Beiträge zu Parlamentsabgeordneten deutscher Minderheiten in den Volksvertretungen Dänemarks, der Tschechoslowakei, der baltischen Staaten, Ungarns, Rumäniens, Italiens sowie des (später Jugoslawien genannten) "Königreichs der Serben, Kroaten und Slowenen". Leider fehlt das noch in der Einleitung genannte Polen.
Obwohl der Parlamentarismus Ostmitteleuropas (oder auch "Zwischeneuropas", um einen zeitgenössischen Begriff zu gebrauchen) durch die vor allem seit Ende der 1920er Jahre allgemein spürbare Krise der Demokratie in Europa zu leiden hatte, gab es dennoch ein erstaunlich reges parlamentarisches Leben in diesen nach 1918/19 meist neu entstandenen Staaten, an dem nach schwieriger Anfangsphase auch zahlreiche deutsche Abgeordnete der nunmehrigen nationalen Minderheiten ihren Anteil hatten. Und dies keineswegs ohne begrenzte Erfolge: Immerhin gab es nach neueren Berechnungen allein zwischen 1925 und 1930 insgesamt etwa 220 deutschsprachige Parlamentarier in ostmitteleuropäischen Volksvertretungen, dazu ein gut ausgebautes Netz von Parteien, politischen Vereinen und Presseorganen; vereinzelt hatten Angehörige der deutschen Minderheit sogar Ministerposten inne. Hinzu kam sogar eine übernationale Organisation, der "Verband der Deutschen Volksgruppen in Europa", geleitet von zwei Rumäniendeutschen aus Siebenbürgen.
Gleichwohl blieben die Voraussetzungen und auch die Erscheinungsformen des öffentlich-politischen Engagements von Vertretern der deutschen Minderheiten in den ostmitteleuropäischen Ländern höchst unterschiedlich ausgeprägt - je nachdem, ob sie in ihren Wirkungsmöglichkeiten nicht eingeschränkt waren oder eben doch behindert wurden, etwa durch restriktive Wahlrechtssysteme oder auch durch Sprachverordnungen. Denn mehrsprachige Parlamente (wie einst der Wiener Reichsrat der alten Monarchie bis 1918), in denen die Deutschen auch ihre Muttersprache gebrauchen konnten, gab es lediglich in Lettland und in der Tschechoslowakischen Republik.
Die von den Minderheitsvertretern jeweils verfochtene parlamentarisch-politische Taktik orientierte sich stark an den nationalen Gegebenheiten: Neben Formen defensiver Abwehr und Verteidigung eigener Rechtspositionen standen manchmal jedoch ebenfalls eine "aktiv-aufbauende Taktik" (Hans-Christian Maner) sowie, als dritte Vorgehensweise, die mehr oder weniger offene Anlehnung an das immer noch keineswegs politisch ohnmächtige Mutterland. Eine gewisse Gegenwartsaktualität ist dem Thema des Bandes und seinen Beiträgen schon insofern zuzusprechen, als Nationalitätenkonflikte und Probleme des Minderheitenschutzes auch im nach 1990/91 entstandenen neuen Europa leider noch keineswegs der Vergangenheit angehören.
HANS-CHRISTOF KRAUS
Benjamin Conrad/Hans-Christian Maner /Jan Kusber (Herausgeber): Parlamentarier der deutschen Minderheit im Europa der Zwischenkriegszeit. Droste Verlag, Düsseldorf 2015. 288 S., 49,80 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Minderheitsvertreter in Parlamenten im Europa der Zwischenkriegszeit
Im Jahr 1907 saßen fast dreißig Abgeordnete nichtdeutscher Nationalität im Deutschen Reichstag - darunter die Herren Grégoire, Labroise und de Wendel aus Lothringen, Hanßen aus Nordschleswig und von Chrzanowski, von Brudzewo-Mielzynski, von Chlapowo-Chlapowski, von Trzcinski, von Czarlinski sowie von Grabski aus der preußischen Provinz Posen. Nach 1919 allerdings kehrte sich die Situation infolge der Gebietsabtrennungen des Versailler Vertrags und besonders nach dem Auseinanderbrechen der Habsburger Monarchie geradewegs um: Nun wiederum waren deutschstämmige Abgeordnete in zahlreichen außerdeutschen Parlamenten vertreten.
Diesem bisher wenig bearbeiteten und kaum beachteten Gegenstand widmet sich ein neuer, inhaltlich sehr instruktiver und informationsreicher Band, der Beiträge zu Parlamentsabgeordneten deutscher Minderheiten in den Volksvertretungen Dänemarks, der Tschechoslowakei, der baltischen Staaten, Ungarns, Rumäniens, Italiens sowie des (später Jugoslawien genannten) "Königreichs der Serben, Kroaten und Slowenen". Leider fehlt das noch in der Einleitung genannte Polen.
Obwohl der Parlamentarismus Ostmitteleuropas (oder auch "Zwischeneuropas", um einen zeitgenössischen Begriff zu gebrauchen) durch die vor allem seit Ende der 1920er Jahre allgemein spürbare Krise der Demokratie in Europa zu leiden hatte, gab es dennoch ein erstaunlich reges parlamentarisches Leben in diesen nach 1918/19 meist neu entstandenen Staaten, an dem nach schwieriger Anfangsphase auch zahlreiche deutsche Abgeordnete der nunmehrigen nationalen Minderheiten ihren Anteil hatten. Und dies keineswegs ohne begrenzte Erfolge: Immerhin gab es nach neueren Berechnungen allein zwischen 1925 und 1930 insgesamt etwa 220 deutschsprachige Parlamentarier in ostmitteleuropäischen Volksvertretungen, dazu ein gut ausgebautes Netz von Parteien, politischen Vereinen und Presseorganen; vereinzelt hatten Angehörige der deutschen Minderheit sogar Ministerposten inne. Hinzu kam sogar eine übernationale Organisation, der "Verband der Deutschen Volksgruppen in Europa", geleitet von zwei Rumäniendeutschen aus Siebenbürgen.
Gleichwohl blieben die Voraussetzungen und auch die Erscheinungsformen des öffentlich-politischen Engagements von Vertretern der deutschen Minderheiten in den ostmitteleuropäischen Ländern höchst unterschiedlich ausgeprägt - je nachdem, ob sie in ihren Wirkungsmöglichkeiten nicht eingeschränkt waren oder eben doch behindert wurden, etwa durch restriktive Wahlrechtssysteme oder auch durch Sprachverordnungen. Denn mehrsprachige Parlamente (wie einst der Wiener Reichsrat der alten Monarchie bis 1918), in denen die Deutschen auch ihre Muttersprache gebrauchen konnten, gab es lediglich in Lettland und in der Tschechoslowakischen Republik.
Die von den Minderheitsvertretern jeweils verfochtene parlamentarisch-politische Taktik orientierte sich stark an den nationalen Gegebenheiten: Neben Formen defensiver Abwehr und Verteidigung eigener Rechtspositionen standen manchmal jedoch ebenfalls eine "aktiv-aufbauende Taktik" (Hans-Christian Maner) sowie, als dritte Vorgehensweise, die mehr oder weniger offene Anlehnung an das immer noch keineswegs politisch ohnmächtige Mutterland. Eine gewisse Gegenwartsaktualität ist dem Thema des Bandes und seinen Beiträgen schon insofern zuzusprechen, als Nationalitätenkonflikte und Probleme des Minderheitenschutzes auch im nach 1990/91 entstandenen neuen Europa leider noch keineswegs der Vergangenheit angehören.
HANS-CHRISTOF KRAUS
Benjamin Conrad/Hans-Christian Maner /Jan Kusber (Herausgeber): Parlamentarier der deutschen Minderheit im Europa der Zwischenkriegszeit. Droste Verlag, Düsseldorf 2015. 288 S., 49,80 [Euro].
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