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Seit ihren Anfängen lehnte die NSDAP den Parlamentarismus als Regierungsform vehement ab. Gleichwohl beteiligten sich die Nationalsozialisten ab 1924 aus taktischen Erwägungen an den Reichstagswahlen der Weimarer Republik, hieß doch "den Reichstag erobern" nicht weniger, als "die Staatsgewalt erobern". Dieses Ziel rückte mit jeder Neuwahl näher; der "parlamentarische Arm der Bewegung" wandelte sich binnen weniger Jahre von einer unbedeutenden Abgeordnetengruppe zur mit Abstand größten, den Parlamentsalltag weitgehend prägenden Fraktion im Wallot-Bau. In seiner unmittelbar aus den Quellen…mehr

Produktbeschreibung
Seit ihren Anfängen lehnte die NSDAP den Parlamentarismus als Regierungsform vehement ab. Gleichwohl beteiligten sich die Nationalsozialisten ab 1924 aus taktischen Erwägungen an den Reichstagswahlen der Weimarer Republik, hieß doch "den Reichstag erobern" nicht weniger, als "die Staatsgewalt erobern". Dieses Ziel rückte mit jeder Neuwahl näher; der "parlamentarische Arm der Bewegung" wandelte sich binnen weniger Jahre von einer unbedeutenden Abgeordnetengruppe zur mit Abstand größten, den Parlamentsalltag weitgehend prägenden Fraktion im Wallot-Bau. In seiner unmittelbar aus den Quellen erarbeiteten Studie zeichnet der Autor nicht nur den beispiellosen Aufstieg der Nationalsozialisten im Reichstag der Weimarer Republik nach, er rückt auch deren parlamentarisches Wirken in allen relevanten Politikbereichen in den Blickpunkt. So ist die erste fundierte Gesamtdarstellung zur Thematik entstanden, die zudem neue wichtige Aufschlüsse über Entwicklung, innere Struktur, ideologische Position und politische Taktik der NSDAP vor 1939 bietet.
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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.10.2001

Kröte mit Geschäftsordnung
Die Reichstagsfraktion der NSDAP in der Weimarer Republik

Martin Döring: "Parlamentarischer Arm der Bewegung". Die Nationalsozialisten im Reichstag der Weimarer Republik. Droste Verlag, Düsseldorf 2001. 492 Seiten, 98,- Mark.

Die historische Forschung hat nachdrücklich herausgearbeitet, daß Hitler seine Reichskanzlerschaft nicht zuletzt dem Umstand verdankte, daß er über die zahlenmäßig bei weitem stärkste Reichstagsfraktion gebot. Welche Rolle die nationalsozialistische Präsenz im Reichstag der Weimarer Republik in der Machteroberungsstrategie Hitlers spielte, ist daher eine Frage von enormer Relevanz.

Martin Döring unternimmt den Versuch, das Wirken der NSDAP im Reichstag systematisch zu untersuchen - ein Vorhaben, das allerdings nur partiell als geglückt bezeichnet werden kann. Denn er verschenkt einen großen Teil des Erkenntnisgewinns dadurch, daß er die Perspektive allein auf das parlamentarische Agieren der NS-Reichstagsfraktion verengt, ohne nach links und rechts zu schauen. Detailversessen referiert er jede auch noch so abseitige parlamentarische Initiative der NSDAP und zeichnet jeden Antrag dieser Fraktion nach. Herausgekommen ist auf diese Weise eine Art kommentiertes Handbuch der NSDAP im Reichstag, eine parlamentarische Leistungsbilanz.

Am ehesten gewinnt die stark in der Deskription steckengebliebene Darstellung dort an analytischer Schärfe, wo Döring die politische Heterogenität der Braunhemden im Reichstag heraushebt. Zwar gelang es der NS-Parteiführung im Regelfall, die Masse der NS-Reichstagsabgeordneten als fügsame Parteisoldaten zu instrumentalisieren. Doch konnte sich die Führungsgruppe der Reichstagsfraktion bis zum Ausscheiden Gregor Strassers aus seinen Parteiämtern am 8. Dezember 1932 zumindest partiell vom Absolutheitsanspruch Hitlers abkoppeln. Die NSDAP-Reichstagsfraktion verkörperte auch politisch die ganze Bandbreite der NS-Führungsgarde, in der sich neben überzeugten Monarchisten (Epp) dezidierte Verächter der alten Gesellschaftsordnung (Goebbels) fanden. Daß sich mit diesen weltanschaulichen Diskrepanzen persönliche Animositäten kreuzten, wird beispielsweise aus den wenig schmeichelhaften Formulierungen ersichtlich, mit denen der "linke Flügelmann" Goebbels seinen Fraktionskollegen Hermann Göring - Hitlers bevorzugten Kontaktmann zu den alten Herrschaftseliten - in seinem Tagebuch betitelte. Göring, das "Fraktionsekel", gilt ihm als "dumm wie Stroh und so faul wie eine Kröte".

Ansonsten bauscht der Verfasser manche aparte Trouvaillen zu großartigen Entdeckungen auf. So zeugt es gewiß von berechtigter Entdeckerfreude, auf den bislang unbeachteten Sachverhalt hinzuweisen, daß der nationalsozialistische Reichstagspräsident Göring am Tag der Abstimmung über das Ermächtigungsgesetz (23. März 1933) gegen zwei Paragraphen der Reichstagsgeschäftsordnung verstieß. Denn er gestattete dem wegen einer polizeilichen Vernehmung an der Abstimmung über das Ermächtigungsgesetz verhinderten sozialdemokratischen Abgeordneten Severing nachträglich die Stimmabgabe. Doch es ist eine unzulässige Übersteigerung, daraus den Schluß abzuleiten, daß die Annahme des Ermächtigungsgesetzes durch den Reichstag nicht wegen möglicher anderer Unrechtmäßigkeiten beim Zustandekommen dieser Entscheidung, sondern allein wegen dieser nachträglichen Stimmabgabe eines verhinderten Parlamentariers als "juristisch nichtig" einzustufen sei.

An dieser Stelle kann nur angedeutet werden, welche erkenntnisträchtigen Fragen aus dem angehäuften Material hätten abgeleitet werden können. Gewiß erschwert der Umstand die Aufgabe, daß außer den Goebbels-Tagebüchern keine wirklichen Insiderquellen aufgetaucht sind, die quellengestützte Aussagen über das Machteroberungskalkül Hitlers erlauben. Aber gerade dieser Quellenmangel zwingt dazu, das Agieren der NSDAP-Fraktion einzubetten in den Kontext vor allem der Verfassungspolitik des entscheidenden Zeitraums vom Juni 1932 bis zum Januar 1933. Eine solche Synchronisierung nimmt Döring nicht vor, weil er sich alleine auf eine möglichst detailgenaue Rekonstruktion der nach außen gerichteten Tätigkeit der NS-Fraktion kapriziert und daher die Forschungsliteratur nur am Rande zur Kenntnis nimmt. Die Rolle des nationalsozialistischen Reichstagspräsidenten Göring hätte einer eingehenden Analyse bedurft. Denn ihm fiel eine Schlüsselrolle in der Strategie der NSDAP zu, als nach der vorläufigen Absage des Reichspräsidenten von Hindenburg an die Kanzlerschaft Hitlers (13. August 1932) die parlamentarischen Machtmittel aktiviert wurden, um die Optionen der Präsidialgewalt einzuschränken.

Allein eine systematische Auswertung der beiden Reichstagsreden Görings am 30. August und 6. Dezember 1932 hätte verdeutlichen können, daß das taktische Hauptziel der NSDAP-Reichstagsfraktion darin bestand, eine in greifbare Reichweite gerückte autoritäre Militärherrschaft mit allen parlamentarischen Mitteln zu verhindern. In diesem Zusammenhang wäre ebenfalls von Belang gewesen, die Gespräche zwischen der NSDAP-Fraktion und der Führung der Zentrumspartei im August 1932 unter die Lupe zu nehmen.

WOLFRAM PYTA

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Der Rezensent Wolfram Pyta findet, dass das Projekt des Autors dieser Studie, das Wirken der NSDAP im Reichstag systematisch zu untersuchen, nur teilweise geglückt ist. Dies liege vor allem daran, dass der Autor sich rein auf das parlamentarische Agieren beschränkt, "ohne nach rechts oder links zu schauen". So nehme der Autor auch die Forschungsliteratur nur am Rande wahr und bediene sich der Goebbels-Tagebücher als einziger "wirklicher Insiderquelle", die aber allein kaum den gesamten Kontext der nationalsozialistischen Bewegung zu erklären vermag. Dennoch sei die Frage, die sich das Buch vorgenommen hat zu beantworten, von "enormer Relevanz".

© Perlentaucher Medien GmbH