Die erste Gesamtgeschichte eines transnationalen Verbandes KZ-Überlebender und dessen erinnerungspolitischer Aktivitäten.Im April 1952 gründeten ehemalige kommunistische Häftlinge des Konzentrationslagers Buchenwald ein Verbindungskomitee,das seit Anfang der sechziger Jahre als »Internationales Komitee Buchenwald-Dora und Kommandos« (IKBD) firmiert. Bis in die Gegenwart aktiv, tritt das Komitee besonders bei Gedenkveranstaltungen und mit Stellungnahmen in die Öffentlichkeit. Seine Themen sind u.a. der Umgang mit NS-Tätern, die Geschichtsschreibung über die Lager sowie der Umgang mit den Verbrechensorten.Dabei agierte das IKBD schon zur Zeit der Teilung Europas stets beiderseits des »Eisernen Vorhangs«.Bereits mit dem Ende Buchenwalds begannen die späteren Protagonisten des Komitees mit der Mythisierung ihrer Lagergeschichte.Die »internationale Solidarität« zwischen den Häftlingen, der unter kommunistischer Führung organisierte Widerstand sowie der kurz nach der Befreiung geleistete »Schwur von Buchenwald« als Vermächtnis aller Überlebenden machten sie zu zentralen Narrativen dieses Mythos.Bis in die sechziger Jahre hinein unterdrückte die SEDFührung wiederholt die Aktivitäten des Komitees. Erst allmählich wurde sein Buchenwald-Mythos zu einem wichtigen Teil des DDR-Antifaschismus. Dennoch agierte das IKBD auch danach stets im Spannungsfeld zwischen Parteidisziplin und Eigenwilligkeit. Das erleichterte die Transformation nach 1989, und es gelang dem IKBD, auch unter den neuen politischen Verhältnissen als Repräsentant der Buchenwald Überlebenden Anerkennung zu finden.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Philipp Neumann-Theins historiografische Studie scheint Christopher Dowe beeindruckend, da sie ihm mit Hinweis auf die netzwerkbildenden Kräfte der Vereinigung bedeutet, welche geschichtspolitischen Inhalte das Internationale Buchenwald-Komitee verfolgte und wie diese sich in die Kultur des Kalten Krieges einfügten. Auch die Motive arbeitet der Autor laut Dowe gut heraus und zeigt überdies, wie die DDR Buchenwald und das Überlebendenkomitee für eigene Zwecke nutzte. Dass der Autor nicht mit dem Ende des Ostblocks schließt, sondern weitere Veränderungen des Komitees seit den 80er Jahren berücksichtigt, findet Dowe bemerkenswert.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.12.2014Ein Schwur und seine Folgen
Geschichte und Wirkung des Internationalen Buchenwald-Komitees
"Wir Buchenwalder, Russen, Franzosen, Polen, Tschechen, Slovaken und Deutsche, Spanier, Italiener und Österreicher, Belgier und Holländer, Engländer, Luxemburger, Rumänen, Jugoslawen und Ungarn, kämpften gemeinsam gegen die SS, gegen die nazistischen Verbrecher, für unsere eigene Befreiung. Uns beseelte eine Idee: Unsere Sache ist gerecht - Der Sieg muss unser sein! Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel." So lauten zentrale Passagen des "Schwurs von Buchenwald". Diese Worte verlasen am 19. April 1945 befreite Häftlinge des Konzentrationslagers auf dem Ettersberg in mehreren europäischen Sprachen, nachdem sie zu einer ersten Trauerfeier für die Toten des Lagers auf dem Appelplatz zusammengekommen waren. In den folgenden Jahrzehnten sollte der Schwur zu einem zentralen Bezugspunkt des Erinnerns werden. Dafür sorgte in einem oft schwierigen Ringen das "Internationale Komitee Buchenwald-Dora und Kommandos", das auf den kommunistischen Widerstand zurückgeht. In einer beeindruckenden Synthese stellt Philipp Neumann-Thein heraus, welche geschichtspolitischen Botschaften diese lange Zeit rein kommunistische Gruppe internationaler Erinnerungsarbeiter vertrat.
Neumann-Thein verknüpft auf innovative Weise akteursbezogene Ansätze der historiographischen Erinnerungsforschung mit Perspektiven der transnationalen Netzwerkforschung. Denn beim "Internationalen Komitee Buchenwald-Dora und Kommandos" und seinen Vorgängern handelte es sich nicht um ein ostdeutsch-sowjetisches Projekt, sondern um eine vor allem von deutschen und französischen Kommunisten getragene Initiative. Deren Mitglieder hatten bis zur Befreiung des Konzentrationslagers zum lagerinternen kommunistischen Widerstand gehört. Zugleich wurden viele von ihnen als Funktionshäftlinge von der SS zur Beherrschung des Lagers benutzt und zu Handlagern nationalsozialistischer Verbrechen gemacht.
Erst die privilegierte Position in der Lagergesellschaft ermöglichte es diesen Kommunisten, ausgewählte, vom Tod bedrohte Kameraden zu verstecken und Waffen zu sammeln, die beim Eintreffen der amerikanischen Truppen auf dem Ettersberg dazu dienten, Teile der Wachmannschaften zu überwältigen. Die Doppelrolle als Funktionshäftlinge und als Mitwirkende im Lagerwiderstand führte sowohl in den Zonen des besetzten Deutschland wie in Frankreich schon bald nach Kriegsende zu Nachfragen, Kritik und Vorwürfen. Darauf reagierten die späteren Gründer des Internationalen Buchenwald-Komitees mit der Bildung eines grenzübergreifenden Netzwerkes. Aussagen ausländischer Kameraden dienten sowohl der Abwehr und Widerlegung von Angriffen wie dazu, das eigene Geschichtsbild durchzusetzen. Letzteres ließ sich hervorragend mit zentralen sowjetischen Ideologemen verbinden und ermöglichte so das Hineinschreiben der eigenen Geschichtsbilder in die politische Kultur des Kalten Krieges.
Die internationale Solidarität des viele Nationen vereinenden kommunistischen Lagerwiderstandes, die Selbstbefreiung der Häftlinge (unter Ausblendung der Rolle der amerikanischen Truppen) sowie die Selbstverpflichtung zum Kampf gegen Nazismus/Faschismus und für einen Weltfrieden waren zentrale Motive dieser Geschichtsdeutung. Im Westen begrenzte nicht nur der verbreitete Antikommunismus die Reichweite dieser Botschaften; auch die mit ihnen verbundene Marginalisierung nichtkommunistischer Buchenwalder Häftlingsgruppen tat ihr Übriges. Im Ostblock ergaben sich, wie Neumann-Thein luzide herausarbeitet, unterschiedliche, zum Teil gegenläufige Entwicklungen. Die DDR machte Buchenwald einerseits zur Nationalen Mahn- und Gedenkstätte, andererseits beäugte die SED bis weit in die 1950er Jahre hinein das international vernetzte Wirken der kommunistischen Lagerüberlebenden kritisch und behinderte phasenweise deren Arbeit.
Erst nach dem Mauerbau von 1961 gelang es dem Internationalen Buchenwald-Komitee, sich fest in der DDR-Geschichtspolitik zu etablieren. In der Sowjetunion, aber auch in anderen Ostblockländern waren kommunistische Überlebende des Lagers auf dem Ettersberg Opfer der spätstalinistischen Säuberungs- und Verfolgungswellen geworden - mit weitreichenden Folgen. So konnte sich das Internationale Buchenwald-Komitee trotz seiner strikten politischen Orientierung an den Maximen der sowjetischen Politik erst 1984 mit einem Treffen in Moskau der Anerkennung durch die Sowjetunion sicher sein.
Besonders hervorzuheben ist, dass Neumann-Thein seine Studie nicht mit dem Zusammenbruch des Ostblocks beendet. Vielmehr analysiert er auch den Transformationsprozess, den das Internationale Buchenwald-Komitee seit den 1980er Jahren durchlief. Dabei zeichnet der Autor nach, welche Positionen die lange Zeit rein kommunistische Organisation ehemaliger KZ-Häftlinge in den 1990er Jahren im geschichtspolitischen Ringen um die Neuausrichtung der Gedenkstätte auf dem Ettersberg bezog und welche Konflikte es um das nun beginnende Erinnern an das dortige NKWD-Speziallager gab. Neumann-Thein zeigt auch unter sorgfältiger Auswertung des Archivs des Internationalen Buchenwald-Komitees, wie sich dieses Gremium schrittweise auch für andere Häftlingsgruppen des KZ Buchenwald öffnete. Dies hatte weitreichende Konsequenzen für die vom Komitee verbreiteten Geschichtsbilder und war mit zahlreichen Konflikten verbunden. Doch gelang es so, aus einer diesseits und jenseits des Eisernen Vorhangs wirkenden geschichtspolitischen Vereinigung verfolgter Kommunisten eine weltweit anerkannte Organisation der Überlebenden des Konzentrationslagers Buchenwald zu machen.
CHRISTOPHER DOWE
Philipp Neumann-Thein: Parteidisziplin und Eigenwilligkeit. Das Internationale Komitee Buchenwald-Dora und Kommandos. Wallstein Verlag, Göttingen 2014. 629 S., 39,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Geschichte und Wirkung des Internationalen Buchenwald-Komitees
"Wir Buchenwalder, Russen, Franzosen, Polen, Tschechen, Slovaken und Deutsche, Spanier, Italiener und Österreicher, Belgier und Holländer, Engländer, Luxemburger, Rumänen, Jugoslawen und Ungarn, kämpften gemeinsam gegen die SS, gegen die nazistischen Verbrecher, für unsere eigene Befreiung. Uns beseelte eine Idee: Unsere Sache ist gerecht - Der Sieg muss unser sein! Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel." So lauten zentrale Passagen des "Schwurs von Buchenwald". Diese Worte verlasen am 19. April 1945 befreite Häftlinge des Konzentrationslagers auf dem Ettersberg in mehreren europäischen Sprachen, nachdem sie zu einer ersten Trauerfeier für die Toten des Lagers auf dem Appelplatz zusammengekommen waren. In den folgenden Jahrzehnten sollte der Schwur zu einem zentralen Bezugspunkt des Erinnerns werden. Dafür sorgte in einem oft schwierigen Ringen das "Internationale Komitee Buchenwald-Dora und Kommandos", das auf den kommunistischen Widerstand zurückgeht. In einer beeindruckenden Synthese stellt Philipp Neumann-Thein heraus, welche geschichtspolitischen Botschaften diese lange Zeit rein kommunistische Gruppe internationaler Erinnerungsarbeiter vertrat.
Neumann-Thein verknüpft auf innovative Weise akteursbezogene Ansätze der historiographischen Erinnerungsforschung mit Perspektiven der transnationalen Netzwerkforschung. Denn beim "Internationalen Komitee Buchenwald-Dora und Kommandos" und seinen Vorgängern handelte es sich nicht um ein ostdeutsch-sowjetisches Projekt, sondern um eine vor allem von deutschen und französischen Kommunisten getragene Initiative. Deren Mitglieder hatten bis zur Befreiung des Konzentrationslagers zum lagerinternen kommunistischen Widerstand gehört. Zugleich wurden viele von ihnen als Funktionshäftlinge von der SS zur Beherrschung des Lagers benutzt und zu Handlagern nationalsozialistischer Verbrechen gemacht.
Erst die privilegierte Position in der Lagergesellschaft ermöglichte es diesen Kommunisten, ausgewählte, vom Tod bedrohte Kameraden zu verstecken und Waffen zu sammeln, die beim Eintreffen der amerikanischen Truppen auf dem Ettersberg dazu dienten, Teile der Wachmannschaften zu überwältigen. Die Doppelrolle als Funktionshäftlinge und als Mitwirkende im Lagerwiderstand führte sowohl in den Zonen des besetzten Deutschland wie in Frankreich schon bald nach Kriegsende zu Nachfragen, Kritik und Vorwürfen. Darauf reagierten die späteren Gründer des Internationalen Buchenwald-Komitees mit der Bildung eines grenzübergreifenden Netzwerkes. Aussagen ausländischer Kameraden dienten sowohl der Abwehr und Widerlegung von Angriffen wie dazu, das eigene Geschichtsbild durchzusetzen. Letzteres ließ sich hervorragend mit zentralen sowjetischen Ideologemen verbinden und ermöglichte so das Hineinschreiben der eigenen Geschichtsbilder in die politische Kultur des Kalten Krieges.
Die internationale Solidarität des viele Nationen vereinenden kommunistischen Lagerwiderstandes, die Selbstbefreiung der Häftlinge (unter Ausblendung der Rolle der amerikanischen Truppen) sowie die Selbstverpflichtung zum Kampf gegen Nazismus/Faschismus und für einen Weltfrieden waren zentrale Motive dieser Geschichtsdeutung. Im Westen begrenzte nicht nur der verbreitete Antikommunismus die Reichweite dieser Botschaften; auch die mit ihnen verbundene Marginalisierung nichtkommunistischer Buchenwalder Häftlingsgruppen tat ihr Übriges. Im Ostblock ergaben sich, wie Neumann-Thein luzide herausarbeitet, unterschiedliche, zum Teil gegenläufige Entwicklungen. Die DDR machte Buchenwald einerseits zur Nationalen Mahn- und Gedenkstätte, andererseits beäugte die SED bis weit in die 1950er Jahre hinein das international vernetzte Wirken der kommunistischen Lagerüberlebenden kritisch und behinderte phasenweise deren Arbeit.
Erst nach dem Mauerbau von 1961 gelang es dem Internationalen Buchenwald-Komitee, sich fest in der DDR-Geschichtspolitik zu etablieren. In der Sowjetunion, aber auch in anderen Ostblockländern waren kommunistische Überlebende des Lagers auf dem Ettersberg Opfer der spätstalinistischen Säuberungs- und Verfolgungswellen geworden - mit weitreichenden Folgen. So konnte sich das Internationale Buchenwald-Komitee trotz seiner strikten politischen Orientierung an den Maximen der sowjetischen Politik erst 1984 mit einem Treffen in Moskau der Anerkennung durch die Sowjetunion sicher sein.
Besonders hervorzuheben ist, dass Neumann-Thein seine Studie nicht mit dem Zusammenbruch des Ostblocks beendet. Vielmehr analysiert er auch den Transformationsprozess, den das Internationale Buchenwald-Komitee seit den 1980er Jahren durchlief. Dabei zeichnet der Autor nach, welche Positionen die lange Zeit rein kommunistische Organisation ehemaliger KZ-Häftlinge in den 1990er Jahren im geschichtspolitischen Ringen um die Neuausrichtung der Gedenkstätte auf dem Ettersberg bezog und welche Konflikte es um das nun beginnende Erinnern an das dortige NKWD-Speziallager gab. Neumann-Thein zeigt auch unter sorgfältiger Auswertung des Archivs des Internationalen Buchenwald-Komitees, wie sich dieses Gremium schrittweise auch für andere Häftlingsgruppen des KZ Buchenwald öffnete. Dies hatte weitreichende Konsequenzen für die vom Komitee verbreiteten Geschichtsbilder und war mit zahlreichen Konflikten verbunden. Doch gelang es so, aus einer diesseits und jenseits des Eisernen Vorhangs wirkenden geschichtspolitischen Vereinigung verfolgter Kommunisten eine weltweit anerkannte Organisation der Überlebenden des Konzentrationslagers Buchenwald zu machen.
CHRISTOPHER DOWE
Philipp Neumann-Thein: Parteidisziplin und Eigenwilligkeit. Das Internationale Komitee Buchenwald-Dora und Kommandos. Wallstein Verlag, Göttingen 2014. 629 S., 39,90 [Euro].
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»eine beeindruckende Synthese« (Christopher Dowe, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 23.12.2014) »eindruchsvoll, wichtig und auf produktive Weise verstörend« (Sybille Steinbacher, Süddeutsche Zeitung, 09.12.2014) »eine präzise Studie, an der sich nun zu orientieren ist« (Henning Fischer, Werkstatt Geschichte, Heft 77 2017)