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Produktdetails
  • Verlag: zu Klampen Verlag
  • Seitenzahl: 252
  • Abmessung: 210mm
  • Gewicht: 360g
  • ISBN-13: 9783924245825
  • Artikelnr.: 24824908
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.09.1999

Überleben war Glückssache
Erinnerungen eines jüdischen Partisanen

Harold Werner: Partisan im Zweiten Weltkrieg. Erinnerungen eines polnischen Juden. Aus dem Amerikanischen von Michael Haupt. Mit einem Vorwort von Arno Lustiger. Dietrich zu Klampen Verlag, Lüneburg 1999. 252 Seiten, 38,- Mark.

Anfang der vierziger Jahre räsonierte die aus Deutschland emigrierte Jüdin und Philosophin Hannah Arendt, die sich vehement für eine jüdische Armee engagierte, im fernen New York darüber, dass eigentlich gerade die Deutschen ein besonderes Interesse daran haben müssten, den Widerstand der Juden breit herauszustreichen, denn schließlich sei es eine weitaus größere (nationale) Schande, Wehrlose umzubringen, als Menschen, die einen bekämpft hätten. Doch sie sollte Unrecht behalten. Zwar sah der Naziwahn in den alliierten Mächten allüberall die Juden am Werk, aber der reale Widerstand der Juden blieb im Dunkeln. Er ist nach wie vor in der bundesdeutschen Öffentlichkeit wenig bekannt und dokumentiert.

Unter dem gleichmacherischen Schlagwort "Antifaschismus" hat man nach dem Krieg in vielen Ländern Europas den vorhandenen jüdischen Widerstand für die je eigene Geschichtsschreibung einkassiert, so dass erst in den achtziger Jahren der Kampf der Juden außerhalb von Lager und Ghetto langsam ins öffentliche Blickfeld rückte. 1994 dann veröffentlichte der Auschwitz-Überlebende Arno Lustiger in Deutschland eine erste beeindruckende Gesamtdarstellung jüdischen Überlebens.

Allein in Polen, im Baltikum und in Weißrussland gab es, so Lustiger, 30 000 jüdische Partisanen. Einer von ihnen war Herschel Zuckermann, der die Verfolgung in den Wäldern am Bug, nahe dem Vernichtungslager Sobibor, überlebte. Nach dem Krieg floh er in die Vereinigten Staaten, wo er auch seinen Namen wechselte und erst kurz vor seinem Tode (1989) seine Autobiographie niederschrieb, die jetzt auf auch Deutsch vorliegt. Seine Geschichte in Kürze: Herschel Zuckermann, aus einem rein jüdischen Dorf Ostpolens stammend, kommt mit fünfzehn Jahren nach Warschau, wo er erstmals alltäglichem Antisemitismus begegnet. Nach dem Einmarsch der Deutschen 1939 flieht er zusammen mit seiner Gefährtin Manja gen Osten bis kurz vor den Bug, doch die rettende russische Seite erreichen sie nicht. Sie verdingen sich als Landarbeiter. Als die Nazis 1941, nach dem Überfall auf die Sowjetunion, die Juden auch dort ins Ghetto zwingen, gehen Herschel und seine Gefährtin in die Wälder, wo sie Hunger, Kälte und diversen Feinden ausgeliefert sind: den Deutschen, Ukrainern ebenso wie den einheimischen Bauern, welche die nachts um Essen bettelnden Juden gerne loswerden wollen. Außerdem gab es Wildschweine und Wölfe.

Überleben, so erfahren wir auch bei Harold Werner, war in erster Linie Glückssache, doch es gab Faktoren, die dem Glück hie und da nachhalfen: politischer Spürsinn, die rechte Eingebung zur rechten Zeit, eine gute körperliche Kondition, familiäre Ungebundenheit und jugendliches Alter. Herschel Zuckermanns Gruppe wird im Wald immer aufs Neue überfallen und dezimiert. Jeder ist sich selbst der Nächste. Eine gewisse Zahl von Menschen bietet Schutz, eine zu große Zahl bedeutet Gefahr. Alte und Kinder ganz besonders. Die Überlebensgemeinschaften währen jeweils kurze Zeit. Wenn Harold Werner von "wir" redet, sind das alle paar Seiten völlig andere Menschen. Gemeinsam kann man den Gefahren nicht trotzen. Glückhaft gelingt Herschel bei jedem Überfall das Entkommen: Er rettet sich, so gut er kann. Und nach jedem feindlichen Überfall hofft er, nicht als Einziger übrig geblieben zu sein. Eines Tages ist auch Manja unauffindbar.

Die ganze erste - waffenlose - Zeit im Wald wird fast reglos erzählt. Der Ton erinnert an aufgerissene Augen, die gleichwohl das Erlebte nicht eindringen lassen können. "Der Säugling", erzählt Werner an einer Stelle, "schrie auch weiterhin vor Hunger. Als ich eines Morgens aufwachte, war das Kleine tot. Niemand stellte Fragen - wir spürten, wie schwierig es für Ziesel und Mojsche gewesen sein mußte, ihr Kind zu ersticken. Weil wir keine Schaufel hatten, machten wir ein Steingrab, und David, der Großvater, sprach den Kaddisch. Wir alle weinten."

Viele der Waldjuden geben im Winter 1942/43 auf und gehen freiwillig ins Ghetto von Wlodawa. Herschel und fünf jungen Männern gelingt es gemeinsam, mit Hilfe einer ergatterten Schusswaffe das Blatt ihres Daseins zu wenden. Sie gehen in die Offensive, organisieren sich weitere Waffen. Als sie - so gerüstet - das erste Mal ihrerseits erfolgreich einer Gruppe Deutscher auflauern, ist es, als habe sich ein neuer Horizont aufgetan. "Das war unsere erste offensive Aktion, die sich gegen die Deutschen als Gruppe richtete . . . Die Fähigkeit, gegen die Deutschen zurückzuschlagen, stärkte unsere Kampfmoral enorm. Außerdem war es uns wichtig, den Dorfbewohnern zu zeigen, daß bewaffnete Juden zum Gegenangriff übergehen."

Dies ist die emotionale Wende des Berichtes. Mit dem Waffenbesitz gewinnen die Menschen plötzlich Handlungsspielraum. Die Bauern haben Respekt. Die Organisierung von Lebensmitteln wird leichter. Herschels Gruppe wächst zusammen, menschliche Empfindungen werden wieder real, Bindungen sind wieder möglich. Das "Wir" wird stabil. So können sie sich in dieser Zeit auch eines zehnjährigen Jungen annehmen, der ermattet zu ihnen stößt. Sie finden Anschluss an gut organisierte jüdische Partisaneneinheiten, retten Juden aus dem Ghetto, versuchen, Kontakte zu dem nahe gelegenen Todeslager Sobibor zu knüpfen, greifen Waffentransportzüge an, zerstören Nachschubkonvois und halten Getreidetransporte nach Deutschland auf. Doch der Antisemitismus, der auch im Wald und nach dem Krieg nicht verschwunden ist, bewog Herschel Zuckermann 1947 zu einer weiteren Flucht. Mit dem neuen Namen versucht er in Amerika seine Vergangenheit hinter sich zu lassen.

Harold Werner analysiert nicht, doch sein Bericht bezeugt eindrücklich das moralische Dilemma der Nachkriegszeit, welches so viele jüdische Kämpfer dazu bewogen haben mag, nicht vom Waldleben zu reden: Wo jeder sich selbst der Nächste sein musste, um zu überleben, gerät das eigene Überleben nur zu leicht unter Verdacht, als sei es ein Verrat an den eigenen Millionen Toten. Als setze es all jene, die wehrlos gemordet wurden, ins Unrecht. Möglicherweise hat die "Schuld des Überlebens", die Karl Jaspers ( "Die Schuldfrage") 1946 als metaphysische Schuld diagnostizierte, ein jüdisches Pendant: Dort, wo die Juden kämpfen, retten, helfen, verjagen konnten - wo sie handeln konnten also, war das Überlebthaben legitimiert, mithin erzählbar. Dort, wo die Juden nichts als überlebten, ist die Erzählung des Gewesenen zweifach belastet, einerseits von den grausamen Umständen und andererseits von der Frage: Womit habe ich das verdient?

Das Einzige, was das Schicksal der Männer und Frauen in den Wäldern wirklich miteinander verband, war die von den Nazis definierte gemeinsame Rasse. Eine gemeinsame Überzeugung hatten sie nicht, sie wollten überleben. Mit dem Kriegsende verschwand das einigende Band. Eine Eigensinn stiftende jüdische Heldengeschichte hatten deshalb nach dem Krieg nur all jene Überlebenden zu erzählen, die sich als Träger eines politischen Neuanfangs verstanden: die Kommunisten und die Zionisten. Es ist die besondere Qualität von Harold Werners Autobiographie, uns Nachlebenden den tonlosen Zustand, nicht Held und nicht Schaf zu sein, notiert zu haben.

MARIE LUISE KNOTT

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