Die westliche Politik gegenüber der Islamischen Republik Irankann man nur als kollektive Verirrung betrachten. Iran zählt zuden weltweit führenden Energielieferanten; er ist zur Stabilisierungder Verhältnisse im Irak unersetzlich; seine Mitwirkung istBedingung für nachhaltige Friedenslösungen in den meistenNahost-Konflikten.Christoph Bertram leitete acht Jahre das International Institute for StrategicStudies in London, bevor er als außenpolitischer Redakteur zur WochenzeitungDIE ZEIT wechselte. Christoph Bertram war von 1998 bis 2005 Direktor derStiftung Wissenschaft und Politik in Berlin, die die Bundesregierung berät.Aber statt auf der Beteuerung des Iran aufzubauen, es ginge ihmnur um die friedliche Nutzung von Atomenergie, wird Teheranunterstellt, möglichst rasch in den Besitz der Bombe gelangen zuwollen. Mit der Fixierung auf die Einstellung der - dem Iran an sichzustehenden - Uran-Anreicherung wird diese zu einer Frage deriranischen Nationalehre hochgeschaukelt und damit ein Einlenkenerschwert.Diese Politik ist zum Scheitern verurteilt. Bleibt sie unverändert,wird man in zehn Jahren fragen: Wer hat Iran für den Westenverloren? Wer hat die Chance verspielt, das Land in einenregionalen Sicherheitsrahmen des Nahen und Mittleren Ostenseinzubeziehen? Und wer hat jene Kräfte im Iran geschwächt, diezwar die Atomenergie, nicht aber die Atombombe wollten?
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 02.06.2009Wie im Kalten Krieg
Für eine einseitige Entspannungspolitik gegenüber Iran
Noch bleibt etwas Zeit, wenn auch nicht viel: Nach dem „National Intelligence Estimate” vom 4. Dezember 2007, der konsolidierten Einschätzung der amerikanischen Geheimdienste, wird der Iran von 2010 an so viel hoch angereichertes Uran herstellen können, wie für den Bau einer Atombombe nötig ist. Die Frage, wie der Westen damit umgehen soll, stellen sich derzeit Legionen von Sicherheitsexperten, ohne eine befriedigende Antwort gefunden zu haben. Auch die Analyse von Christoph Bertram, der Think-Tanks wie das „International Institute for Strategic Studies” in London oder die „Stiftung Wissenschaft und Politik” in Berlin geleitet hat, schwankt zwischen Optimismus und Pessimismus: Die Inspektionen der IAEA, der Überprüfungsagentur des Atomwaffensperrvertrages, können nicht garantieren, dass sich das iranische Nuklearprogramm auf zivile Energiegewinnung beschränkt. Denn erheblich intensiveren Inspektionen wird Iran nicht zustimmen.
Auch eine umfassende Partnerschaft ist vorerst weder von Washington noch von Teheran zu erwarten. Daher rät Bertram dem Westen zu einem bescheideneren Vorgehen, wie er es schon einmal gegenüber einer Macht erfolgreich angewandt hat, deren innere Verfassung ihm suspekt, deren internationaler Einfluss ihm schädlich und deren mögliche militärische Vorhaben ihm bedrohlich erschienen: die Strategie von Entspannung und Eindämmung gegenüber der Sowjetunion. Selbst in einer einseitigen Entspannung seitens des Westens sieht Bertram den Vorteil, dass die westliche Iran-Politik nicht allein auf die Atomfrage fixiert wäre. Hier zeichnet sich zwar derzeit – am deutlichsten und wichtigsten in den USA – ein Umdenken ab. Aber, wie Bertram zugleich warnt, ist zweifelhaft, ob eine positive Reaktion der iranischen Führung auf ein Entspannungsangebot rechtzeitig zu einer freiwilligen und ausreichenden Begrenzung des Atomprogramms führen würde. Damit sieht Bertram sein Votum für eine andere Iran-Politik jedoch nicht entkräftet. Denn ihre Rechtfertigung stützt er nicht nur mit dem bisherigen Scheitern und den damit einhergehenden Nachteilen: Verlust an Autorität, Stärkung der Hardliner in Teheran, Entfremdung eines dem Westen in vielem verwandten, wichtigen Landes, dessen Bereitschaft zur Zusammenarbeit für dauerhafte Friedenslösungen im Nahen Osten gleichermaßen unerlässlich wie für die weltweite Energiesicherheit wünschenswert ist.
Eine andere Iran-Politik ist für Bertram auch wegen einer Reihe positiver Argumente überfällig: Nur so ist eine der Bedeutung der Islamischen Republik entsprechende langfristige Strategie möglich. Nur so können die atomare Frage in der iranischen Innen- wie Außenpolitik entkrampft, das sicherheitspolitische Motiv für eine militärische Nuklearoption innerhalb der Teheraner Führung entkräftet und der westliche Einfluss auf die Innenpolitik des Landes wenigstens indirekt erhöht werden. Damit fordert Bertram nicht weniger, als die Iran-Politik Amerikas und Europas vom Kopf auf die Füße zu stellen. Das Risiko eines Schwenks zu Entspannung und Eindämmung, wenn nicht gar zu Partnerschaft, erscheint dem ehemaligen Politik-Chef und Autor der ZEIT als gering. Die Gefahr eines nuklear gerüsteten Iran wäre, wenn schon nicht mit Gewissheit abwendbar, so doch zumindest beherrschbar. Denn dann bliebe immer noch das im Kalten Krieg erprobte und bewährte Mittel der Abschreckung, das auch Iran, wie jeder anderen Atommacht, die Zweischneidigkeit der Kernwaffen vor Augen führen wird: Ihr Einsatz bedroht auch die Existenz des Besitzers.
Jacques Chirac hat dies in einem seiner letzten Interviews als Frankreichs Präsident offen ausgesprochen: „Die Gefahr liegt nicht in der Bombe, die der Iran haben wird, denn er kann sie gar nicht einsetzen (. . .). Gegen wen will er sie einsetzen? Gegen Israel? Sie würde noch nicht einmal 200 Meter in die Atmosphäre gelangen, bevor Teheran ausradiert wäre.” Bertram wünscht sich nicht nur von den heutigen Regierungen in Israel, den USA und Europa ähnlich deutliche Erklärungen. Er sieht auch gerade aus der Abschreckungslogik heraus die Chance und den Spielraum für politische Neuanfänge. Der Westen sollte auf einen seiner profiliertesten Vordenker hören. Denn noch bleibt etwas Zeit, wenn auch nicht viel. THOMAS SPECKMANN
CHRISTOPH BERTRAM: Partner, nicht Gegner. Für eine andere Iran-Politik. Edition Körber-Stiftung, Hamburg 2008. 100 Seiten, 10 Euro.
Die künftige Politik Irans hängt vom Ausgang der Präsidentenwahl ab: Hier eine Anhängerin des gemäßigten Reformers Mir Hussein Mussawi (links) und des früheren Präsidenten Mohammed Chatami, der Mussawi unterstützt. Foto: AP
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Für eine einseitige Entspannungspolitik gegenüber Iran
Noch bleibt etwas Zeit, wenn auch nicht viel: Nach dem „National Intelligence Estimate” vom 4. Dezember 2007, der konsolidierten Einschätzung der amerikanischen Geheimdienste, wird der Iran von 2010 an so viel hoch angereichertes Uran herstellen können, wie für den Bau einer Atombombe nötig ist. Die Frage, wie der Westen damit umgehen soll, stellen sich derzeit Legionen von Sicherheitsexperten, ohne eine befriedigende Antwort gefunden zu haben. Auch die Analyse von Christoph Bertram, der Think-Tanks wie das „International Institute for Strategic Studies” in London oder die „Stiftung Wissenschaft und Politik” in Berlin geleitet hat, schwankt zwischen Optimismus und Pessimismus: Die Inspektionen der IAEA, der Überprüfungsagentur des Atomwaffensperrvertrages, können nicht garantieren, dass sich das iranische Nuklearprogramm auf zivile Energiegewinnung beschränkt. Denn erheblich intensiveren Inspektionen wird Iran nicht zustimmen.
Auch eine umfassende Partnerschaft ist vorerst weder von Washington noch von Teheran zu erwarten. Daher rät Bertram dem Westen zu einem bescheideneren Vorgehen, wie er es schon einmal gegenüber einer Macht erfolgreich angewandt hat, deren innere Verfassung ihm suspekt, deren internationaler Einfluss ihm schädlich und deren mögliche militärische Vorhaben ihm bedrohlich erschienen: die Strategie von Entspannung und Eindämmung gegenüber der Sowjetunion. Selbst in einer einseitigen Entspannung seitens des Westens sieht Bertram den Vorteil, dass die westliche Iran-Politik nicht allein auf die Atomfrage fixiert wäre. Hier zeichnet sich zwar derzeit – am deutlichsten und wichtigsten in den USA – ein Umdenken ab. Aber, wie Bertram zugleich warnt, ist zweifelhaft, ob eine positive Reaktion der iranischen Führung auf ein Entspannungsangebot rechtzeitig zu einer freiwilligen und ausreichenden Begrenzung des Atomprogramms führen würde. Damit sieht Bertram sein Votum für eine andere Iran-Politik jedoch nicht entkräftet. Denn ihre Rechtfertigung stützt er nicht nur mit dem bisherigen Scheitern und den damit einhergehenden Nachteilen: Verlust an Autorität, Stärkung der Hardliner in Teheran, Entfremdung eines dem Westen in vielem verwandten, wichtigen Landes, dessen Bereitschaft zur Zusammenarbeit für dauerhafte Friedenslösungen im Nahen Osten gleichermaßen unerlässlich wie für die weltweite Energiesicherheit wünschenswert ist.
Eine andere Iran-Politik ist für Bertram auch wegen einer Reihe positiver Argumente überfällig: Nur so ist eine der Bedeutung der Islamischen Republik entsprechende langfristige Strategie möglich. Nur so können die atomare Frage in der iranischen Innen- wie Außenpolitik entkrampft, das sicherheitspolitische Motiv für eine militärische Nuklearoption innerhalb der Teheraner Führung entkräftet und der westliche Einfluss auf die Innenpolitik des Landes wenigstens indirekt erhöht werden. Damit fordert Bertram nicht weniger, als die Iran-Politik Amerikas und Europas vom Kopf auf die Füße zu stellen. Das Risiko eines Schwenks zu Entspannung und Eindämmung, wenn nicht gar zu Partnerschaft, erscheint dem ehemaligen Politik-Chef und Autor der ZEIT als gering. Die Gefahr eines nuklear gerüsteten Iran wäre, wenn schon nicht mit Gewissheit abwendbar, so doch zumindest beherrschbar. Denn dann bliebe immer noch das im Kalten Krieg erprobte und bewährte Mittel der Abschreckung, das auch Iran, wie jeder anderen Atommacht, die Zweischneidigkeit der Kernwaffen vor Augen führen wird: Ihr Einsatz bedroht auch die Existenz des Besitzers.
Jacques Chirac hat dies in einem seiner letzten Interviews als Frankreichs Präsident offen ausgesprochen: „Die Gefahr liegt nicht in der Bombe, die der Iran haben wird, denn er kann sie gar nicht einsetzen (. . .). Gegen wen will er sie einsetzen? Gegen Israel? Sie würde noch nicht einmal 200 Meter in die Atmosphäre gelangen, bevor Teheran ausradiert wäre.” Bertram wünscht sich nicht nur von den heutigen Regierungen in Israel, den USA und Europa ähnlich deutliche Erklärungen. Er sieht auch gerade aus der Abschreckungslogik heraus die Chance und den Spielraum für politische Neuanfänge. Der Westen sollte auf einen seiner profiliertesten Vordenker hören. Denn noch bleibt etwas Zeit, wenn auch nicht viel. THOMAS SPECKMANN
CHRISTOPH BERTRAM: Partner, nicht Gegner. Für eine andere Iran-Politik. Edition Körber-Stiftung, Hamburg 2008. 100 Seiten, 10 Euro.
Die künftige Politik Irans hängt vom Ausgang der Präsidentenwahl ab: Hier eine Anhängerin des gemäßigten Reformers Mir Hussein Mussawi (links) und des früheren Präsidenten Mohammed Chatami, der Mussawi unterstützt. Foto: AP
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
Rezensent Bahman Nirumand zählt diese Analyse der iranischen Atompolitik zu den wenigen nüchternen und vernünftigen Stimmen, die sich zu diesem Thema geäußert haben. Im Gegensatz zum aufgeheizten Ton, der diese Debatte und ihre hysterischen Prognosen und Voraussagen sonst dominierten, fällt Christoph Bertram dem Rezensenten mit eher abwägenden Betrachtungen auf, die die Gefahr zwar nicht kleinreden, aber die Warnungen auch nicht propagandistisch zuspitzen würden. Auch überzeugen ihn Bertrams Argumente fast durchweg, dass der Iran mit seiner Atompolitik eher das Ziel der Abschreckung verfolge. Nur manchmal findet auch Nirumand Bertrams Positionen ein wenig unrealistisch, besonders seine Einschätzungen der Bedeutung des Islamismus oder der Beziehungen zu Israel. Dennoch findet der Rezensent den Tenor dieser Untersuchung insgesamt produktiv, weil er auch auf die Veränderung der westlichen Politik dem Iran gegenüber drängt, statt auf dessen einseitige Dämonisierung zu setzen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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