Die Korruption im "Dritten Reich" hatte viele Facetten: Reichsminister, die mit öffentlichen Mitteln Schlösser und "Herrensitze" erwarben und beträchtliche Steuerprivilegien genossen; Höhere SS- und Polizeiführer, die Marmorbäder aus französischen Schlössern demontierten, um ihre Diensträume damit auszustatten; Gestapobeamte, die ihre jüdischen Opfer bei "Haussuchungen" ausplünderten; und, nicht zu vergessen, eine riesige Zahl von Parteigenossen und Funktionären, die Mitgliedsbeiträge und Sammlungseinnahmen unterschlugen. Allein von 1934 bis 1941 strengte der NSDAP-Reichsschatzmeister 10.887 Strafverfahren an. Korruption war kein isoliertes Randphänomen, sondern ein zentrales Strukturproblem der NS-Herrschaft. Der Autor macht nicht nur den Umfang der Korruption deutlich, sondern geht vor allem ihren Ursachen nach: der NS-Bewegung, die in Cliquen zerfiel und durch Patronage und materielle Gefälligkeiten zusammengehalten wurde; den diktatorische Verhältnissen, in denen es weder eine wi rksame Machtkontrolle noch eine kritische Öffentlichkeit gab; der engen Verbindung von Rassismus mit absoluter Macht, die ein auf Bereicherung orientiertes "Herrenmenschentum" förderte.
Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
Klaus Hildebrand konstatiert, dass über Korruption in totalitären Systemen meistens geschwiegen wird, obwohl diese, mangels öffentlicher Kontrolle, gerade dort einen besonders fruchtbaren Nährboden finde. Insofern hat das Buch von Bajohr eine neue Perspektive auf den Nationalsozialismus, meint Hildebrand: es stellt Korruption und "Bonzenwirtschaft" im NS-Staat dar. Die Nazis waren angetreten, angeblich gegen diese Missstände der Weimarer Republik vorzugehen und bildeten selbst korrupte Strukturen - basierend auf "Kameraderie und Cliquenwirtschaft" - erfolgreich aus. Hildebrand betont die solide und anschauliche Arbeit Bajohrs, schlägt aber ergänzend einen Vergleich mit anderen Diktaturen des 20. Jahrhunderts vor, um Korruption in totalitären Systemen im Allgemeinen und im Nationalsozialismus im Besonderen zu erarbeiten. Der Rezensent ist auch skeptisch gegenüber einigen Vermutungen, die der Autor am Ende des Buches äußert. Dass der Nationalsozialismus weniger eine Diktatur von oben als eine soziale Praxis war, an der auch "ganz normale Deutsche" beteiligt waren, scheint dem Rezensenten weniger ein Ergebnis der Studie Bajohrs als eher eine weiterführende These zu sein.
© Perlentaucher Medien GmbH
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