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Autorenporträt
Petr Horácek ist in Prag aufgewachsen und studierte dort Malerei. Er hat schon viele Kinderbücher illustriert und lebt heute mit seiner Familie in England.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.10.2008

Wenn alle still sind, ist die Gefahr am größten
Greta Gans ist wieder da / Von Silja von Rauchhaupt

Natürlich kann man sie verstehen, die kleine Gans Greta, die sich in der lärmenden Menge nicht wohl fühlt und sich wegwünscht von ihren laut schnatternden Gänsekollegen. Allerdings ist die Einsamkeit nicht ungefährlich. Die ruhesuchende Greta jedenfalls stapft Richtung Wald und merkt gar nicht, wie ihr nach und nach immer mehr Raubtiere folgen, die sich alle auf die Beute freuen.

So fängt Petr Horáceks Bilderbuch "Pass auf, Greta Gans!" an. Wer allerdings die Figur aus dem im vergangenen Jahr erschienenen Band "Greta Gans" kennt, der weiß, dass sie selber ganz schön laut sein kann. Und auch diesmal ist es ihr schrilles Gekreisch, das sie rettet. Der Lärm verärgert eine Eule, die mit ihrem lauten Schrei die Verfolger vertreibt. Greta merkt zwar immer noch nicht, was los ist, fühlt sich aber doch nicht mehr so wohl im dunklen Wald und kehrt schnell zu ihrer Gänseschar zurück.

Das ist im Wesentlichen die Geschichte, und man wird dieses schmale Bilderbuch auch nicht vorwiegend wegen seiner ausgefeilten Handlung schätzen. Viel wichtiger ist, wie die Protagonistin entworfen ist. Denn Greta Gans hat, und das ist in den wenigsten Tierbilderbüchern so, weder Kleidung noch Kindchenschema - und wirkt auf Anhieb anrührend. Die Mimik ist bei aller Einfachheit erstaunlich vielfältig. Und wenn bei der Gestaltung des Bandes die Bilderbuchkünstler Eric Carle und Leo Lionni offensichtlich Pate standen, so ist doch diese genaue Charakterisierung von Tieren in Mimik und Haltung bei ihnen nicht zu finden.

Carle und Lionni stehen bekanntlich für einen kraftvollen, flächigen Umgang mit Farben und Formen, oft unter Verwendung von Papierausschnitten und Frottage. Diese Verbindung von malerischer Struktur und gestochen klaren Formen taucht bei Horácek wieder auf. Er bringt jedoch Räumlichkeit ins Spiel. Greta watschelt tatsächlich tief hinein in den Wald und läuft nicht nur horizontal an ihm entlang. Als Wolf und Fuchs hinter ihr her schleichen, läuft sie, winzig klein geworden, in den Hintergrund, während sich im Vordergrund ein riesiger Bär auftürmt, der alle beobachtet. Als die Eule schließlich von Gretas Geschnatter wach wird, sieht man die ungleiche Gesellschaft wiederum aus der Vogelperspektive.

Ein einfacher Trick, aber er funktioniert: Der Betrachter wird buchstäblich in die Geschichte hineingezogen. Dass er auch emotional Anteil nimmt, daran ist die Farbe nicht unschuldig. Wer hat schon mal einen Wald gesehen, der ganz und gar rot ist? Aber Horáceks Wald ist rot, weil das in diesem Moment die passende Farbe für Gretas Selbstbild als stolze, mutige, überaus besondere Gans ist. Wenn sie dagegen aus der Ferne gesehen wird, in der höchst realen Gefahr, ist die Kulisse wieder grau. Und Greta wirkt auf einmal sehr klein.

So suggestiv also die Farbe bei Horácek verwendet wird, so sparsam wird sie eingesetzt. Auf vielen Seiten dominiert grauweißer Wald, ganz frei gepinselt und gespachtelt, fast abstrakt. Genau konturiert heben sich die sorgfältig aufgeklebten Figuren davon ab, von denen jede anders gestaltet ist. Der Wolf, der nur aus Bleistiftschraffur besteht, die ungleich aufgeklebten Augen, wirkt dadurch äußerst unheimlich. Oder der Fuchs, dessen Fell in Kratztechnik frech orange leuchtet. Und natürlich Greta, die eigensinnige Gans aus blütenweißem, präzise ausgeschnittenen Papier, noch einmal umrandet von feiner Bleistiftkontur. An Plakatkunst hingegen erinnert die Art und Weise, wie Buchstaben in das Bild integriert werden, jedenfalls die lautmalerischen Worte wie "Watsch-watsch" oder "Tipp Tipp", die ständig wiederholt die verschiedenen Schrittgeräusche der Tiere simulieren.

Es fragt sich allerdings, ob diese Idee den Bildern immer guttut. Hier fällt auch die recht unglückliche Übersetzung aus dem Englischen auf. "Tipp Tipp" soll eine Entsprechung für "Tiptoe, Tiptoe" sein, hat aber höchstens lautlich eine Beziehung zum Original. Auch die Sprache im Text könnte schlichter und schöner sein. Aber selbst die ungeschicktesten Sätze können den Bildern nicht ihre Wirkung nehmen. Zumal Eltern es sowieso in der Hand haben: Die Entscheidung zwischen Vorlesen und Nacherzählen liegt bei ihnen.

Petr Horácek: "Pass auf, Greta Gans!" Aus dem Englischen übersetzt von Stephanie Menge. Sauerländer Verlag, Düsseldorf 2008. 32 S., geb., 13,90 [Euro]. Ab 3 J.

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