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Gegenstand des vorliegenden Buches sind Untersuchungen zur Kunst und Musik der letzten 25 Jahre, mit Rückblicken bis ins Ende des 18. Jahrhunderts, dem Beginn der Moderne. Es geht darum, in der gegenwärtigen Situation von Kunst und Musik, die sich uns als eine unübersichtliche, in heterogene Bestandteile aufgesplitterte darstellt, einen eigenen, subjektiven Standort zu finden.

Produktbeschreibung
Gegenstand des vorliegenden Buches sind Untersuchungen zur Kunst und Musik der letzten 25 Jahre, mit Rückblicken bis ins Ende des 18. Jahrhunderts, dem Beginn der Moderne. Es geht darum, in der gegenwärtigen Situation von Kunst und Musik, die sich uns als eine unübersichtliche, in heterogene Bestandteile aufgesplitterte darstellt, einen eigenen, subjektiven Standort zu finden.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.12.1999

Auf Lichtsuche im Maulwurfsbau
Ein vielarmiger Wegweiser durch die Künste der Moderne von Peter Rautmann und Nicolas Schalz

Spezialisierung heißt das Gesetz der modernen Gesellschaft. Wer sich nicht auf die Bedingungen der Arbeitsteiligkeit einlässt, gilt als Dilettant, wer bewusst Grenzen überschreitet, dem wird der Vorwurf zuteil: "Schuster, bleib bei deinem Leisten!" Auch vor der Kunst hat der Zwang zum Expertentum nicht Halt gemacht, die Abschottungstendenzen nehmen zu, analog zur fortschreitenden Segmentierung der Märkte. Dabei ist evident, dass die Avantgarde-Ästhetik seit je gleichermaßen zur Immanenz-Hermetik wie zur Multi-Medialität tendiert. Wenn Lichtenberg spottete: Wer nur etwas von Chemie verstehe, verstehe auch nichts von Chemie, so ist etwa ein Musikkritiker, der die anderen Künste ignoriert, gegenüber vielen musikalischen Phänomenen hilflos. So sehr Adorno auf die Autonomie des Kunstwerks pochte, hat er doch in späten Jahren dem "Altern der Neuen Musik" die "Verfransungstheorie" entgegengesetzt: die Sparten seien zu "vernetzen", ihre Schwierigkeiten nach dem Prinzip kommunizierender Röhren unterschiedlich gemeinsame.

Trotzdem sind Erörterungen, die interdisziplinär eine ästhetische Bestandsaufnahme wagen, höchst rar. Die "neue Unübersichtlichkeit" hat das Streben nach Orientierung nicht begünstigt. Insofern kommt den schier monumentalen "Passagen" des Kunstwissenschaftlers Peter Rautmann und des Musikologen Nicolas Schalz besondere Bedeutung zu: als überaus ambitioniert groß angelegtem Versuch, Bildende Kunst und Musik nicht nur synoptisch, sondern auch im historisch-theoretisch-spekulativen Diskurs aufzuschlüsseln. Dabei geht es ihnen weder um chronologische oder enzyklopädische Darstellung, sondern um die Vermittlung von Ideen-Potentialen und - zum Teil ganz materialorientierter - Beschreibung und Analyse.

Doch nicht nur die Verpflichtung gegenüber Adornos Forderung nach dialektischer Entfaltung des Geistigen im Sinnlichen und umgekehrt treibt die Autoren: Als Ausgangspunkt dient Walter Benjamins "Passagen"-Werk, das den voluminösen Bänden auch den Namen gibt, deren Untertitel auf Kafka verweist: "Ich kann nicht immerfort durch meine Kreuz- und Quergänge galoppieren, um zu sehen, ob alles in richtigem Stande ist." Und so wie das geheimnisvolle Tier-Subjekt in Kafkas "Der Bau" in unablässiger Selbstvergewisserung nur die eigene Verunsicherung betreibt, so sind auch Rautmann/Schalz dialektisch bestrebt, Gänge zu graben auf einer Lichtsuche, die ins Dunkle führt.

Die "Passagen" werden so auch zur "Paysage" des modernen ästhetischen Bewusstseins - allerdings ohne Fortschrittsoptimismus. In einer Sub-Schicht nämlich lässt sich diese Darstellung auch als Kryptobiographie Walter Benjamins lesen, der als Flaneur begann, zum Passanten wurde und als Flüchtling 1940 seinem Leben in Port Bou ein Ende setzte. Der Parcours führt denn auch schließlich zu Dani Karavans Benjamin-Denkmal nach Port Bou: der Gang der Geschichte als Passagen-Passion, ein Katastrophen-Verlauf.

Es versteht sich, dass eine so radikale Ästhetik mit postmodernem "alles geht" inkompatibel ist; dennoch ist eine etwa gegenüber Adornos Rigidität fast revisionistische Position wie die Jean-François Lyotards hier durchaus willkommen. Der Aufbau der Arbeit folgt dem Prinzip der Parallel-Montage: Phänomene der Bildenden Kunst und der Musik werden als Doppel-Exegesen unter bestimmten Mottos vorgestellt. Da werden Goya und Mozarts "Don Giovanni" als Zeugen des gesellschaftlichen Umbruchs zueinander in Beziehung gesetzt, ebenso Edward Kienholz' Environment "Roxys" und Zimmermanns "Soldaten" als Konfigurationen des Deformierten. Manche Überlegungen laufen darauf hinaus, möglichst exakte Analogien aufzuweisen. Dann aber gibt es Beispiele, bei denen es mehr auf die Differenz ankommt. Der Maler Mark Rothko und der Komponist Morton Feldman sind zwar Meister des Leisen, kaum Bewegten; doch wenn Feldman dem Wunder der Rothko Chapel in Houston in seiner gleichnamigem Komposition Reverenz erweist, dann bleibt doch deutlich, wie ausgespart Feldmans Stück auf Rothkos Flächigkeit reagiert.

Die Verfahrensweisen der Bildenden Kunst wie der Musik werden wechselseitig nachgewiesen: die Übermalung, die Montage aus Trümmern der Geschichte, die Thematisierung der Körperlichkeit, ob bei Francis Bacon oder Heinz Holliger, die Wandlungen des Mythos bei Beuys wie bei Nonos "Prometeo". Peniblen Partitur-Analysen steht eine ikonographisch multiple Bild-Hermeneutik gegenüber. Wer will, kann die stattlichen 1300 Seiten als Geschichte der Bild- und Ton-Moderne rezipieren. Aber man könnte Rautmanns wie Schalz' hochkomplexe Ausführungen auch jeweils isoliert als unerhört perspektivenreiche Auseinandersetzung mit dem jeweils anderen Medium benutzen. Die Material- und Gedankenfülle ist überwältigend: Wer sich für die nicht nur ästhetische Moderne, vor allem aber für die Labyrinthe des sicht- und Hörbaren interessiert, findet hier ein fundamentales exegetisches Kompendium. Zumal die unzähligen Abbildungen und Notenbeispiele in den beiden Textbänden durch einen Beispielband und zwei CDs ergänzt werden.

Manche Schwierigkeiten müssen ungelöst bleiben: Dass in der Seh-Kunst die Gegenständlichkeit selbst in den extremsten Fällen oft noch erhalten bleibt, während Atonalität in der Hör-Kunst Grundvoraussetzung bleibt, lässt erkennen, dass die Parallelisierbarkeit ihre Grenzen hat. Da hätte sich mancherlei Vernetzung noch intensivieren lassen. Und selbst dieser, gewiß enorm ausgeweitete interdisziplinäre Diskurs lässt Verengungen erkennen, auf dem musikalischen Terrain womöglich gravierender als auf dem anderen Feld. Wer regelmäßig die Kasseler documenta besucht hat, wird immerhin trotz jeweils bestimmter Leitlinien die Erfahrung des in vieler Hinsicht Informellen gemacht haben. Sancta Cäcilias Avantgarde-Glacis weist jedenfalls mehr Zäune auf.

Zu fragen ist denn auch, ob sich so eine bewundernswürdige ästhetische Synopsis nicht stärker vom eurozentrischen Blick hätte lösen können. Und die zahlreichen Analogien zu Benjamins "Passagen" suggerieren mitunter eine Systematik, ja Hermetik, die zu quasi aleatorischen Implikationen, wie sie schon Mallarmés "Livre" exponierte und die - etwa im Zusammenhang mit Cage - auch thematisiert werden, in leisem Widerspruch stehen. Zu leicht orthodoxen Zügen gehört ebenfalls, dass überaus reichlich zitiert wird und ein Netz von Beglaubigungen das Ganze überzieht. Die Kirchenvätergläubigkeit ist erheblich. Ohne Verrenkungen geht das nicht. So heißt ein Kapitel Im "Grand Hotel Abgrund", eine Anspielung auf Georg Lukacs' Häme wider "Kritische Theorie" und ästhetische Moderne, von dessen reaktionärem Affekt sich die Autoren gleichwohl distanzieren. Dann sollte man aber nicht den belasteten Begriff reklamieren. Ist man aber Lukacs' Meinung, dann müsste man nicht so pietätvoll mit der Avantgarde umgehen.

Ein Zeichen dogmatischer Verengung ist auch die Beschränkung auf die West-Avantgarde. Die Ost-Kunst spielt, mit wenigen Ausnahmen, kaum eine Rolle. An Totenkult fehlt es nicht: Zimmermann, Messiaen, Nono, Cage, Feldman sind die Musikheiligen, und die Lebenden sind meist über sechzig. Dass Crossover-Phänomene auf wenig Gegenliebe stoßen, ist klar: Komponisten wie John Zorn oder Heiner Goebbels erfüllen eher Alibi-Funktion. Weill und Eisler werden allenfalls verschämt erwähnt. Unter den Malern wird Emilio Vedova goutiert, der Nono nahestand, während engagierte Künstler wie Renato Guttuso oder Eduardo Arroyo vernachlässigt werden.

So grandios die fachübergreifende ästhetische Diskursleistung ist, dogmatische Abschottungen werden nicht vermieden, bis hin zu einigen genuin Bremer Perspektiven. Doch als Versuch, die zerklüftete ästhetische Moderne hermeneutisch-analytisch zu resümieren, bleiben die "Passagen" eine Tat.

GERHARD R. KOCH

Peter Rautmann, Nicolas Schalz: "Passagen". Kreuz- und Quergänge durch die Moderne. Unter Mitarbeit von Victor Malsy und Uwe Rasch. ConBrio Verlagsgesellschaft, Regensburg 1998. 3 Bde. im Schuber mit Musik-CD und Bildtafeln, 3120 S., geb., 198,- DM.

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