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Seit der Antike thematisiert die Tragödie unter dem Problemtitel 'Pathos' Extremwerte menschlicher Gemüts- und Körpererfahrung. In Anlehnung an Aby Warburgs Konzept der 'Pathosformel' rekonstruiert die Studie die privilegierte Stellung der Tragödie sowohl problem- als auch faszinationsgeschichtlich und bietet dabei einen historischen Überblick von der Aufklärung bis zu Nietzsche. Ulrich Port rekurriert dabei auf die Dramenliteratur von Lessing bis Büchner und diskutiert unter anderem die Gattungspoetik der Tragödie, die Metaphysik des Tragischen sowie physiologische und philosophische…mehr

Produktbeschreibung
Seit der Antike thematisiert die Tragödie unter dem Problemtitel 'Pathos' Extremwerte menschlicher Gemüts- und Körpererfahrung. In Anlehnung an Aby Warburgs Konzept der 'Pathosformel' rekonstruiert die Studie die privilegierte Stellung der Tragödie sowohl problem- als auch faszinationsgeschichtlich und bietet dabei einen historischen Überblick von der Aufklärung bis zu Nietzsche. Ulrich Port rekurriert dabei auf die Dramenliteratur von Lessing bis Büchner und diskutiert unter anderem die Gattungspoetik der Tragödie, die Metaphysik des Tragischen sowie physiologische und philosophische Affekttheorien. Wenn der privilegierte Zusammenschluss von Tragödie und Pathos im 20. Jahrhundert auch vor der Auflösung steht, so bietet die abschließende Frage nach dem 'Fortleben' von Pathosformeln in den Medien und Künsten der Gegenwart eine weiterführende Perspektive auf neue wie alte Medien.
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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung

Kahn, unser tragischer Held
Ulrich Port untersucht die "Pathosformeln" des modernen Dramas

Der 30. Juni 2002 war ein schwarzer Tag in der Geschichte des deutschen Fußballs. Im Endspiel der Weltmeisterschaft verlor Deutschland null zu zwei gegen Brasilien. Die "Bild"-Zeitung verarbeitete den Schock mit "Pathosformeln": mit einer Großaufnahme von Oliver Kahn, der sich zerknirscht auf dem Rasen wälzt, und mit einem Porträt des Torwarts im Arm seiner Mutter. "Kahn, unser tragischer Held" lautete die Schlagzeile. Sie ziert die letzte Seite von Ulrich Ports Studie über "Pathosformeln".

Wie es einer akademischen Untersuchung geziemt, beginnt diese aber wissenschaftlich seriös, nämlich mit einem Kapitel über Herkunft und Gebrauch des Begriffs "Pathosformel". Port übernimmt ihn von Aby Warburg, dem Privatgelehrten, dessen geistiges Erbe noch heute schützenswerte Forschungsbiotope am Leben hält. Doch Port will nicht nur Warburgs Begriff nachzeichnen, sondern er will ihn auch für eine eigene Untersuchung über die Tragödie gewinnen.

Zu diesem Zweck versteht Port darunter in einem engen Sinne den theatralen Ausdruck von Schmerz und Leid, in einem weiten Sinne den "Problemtitel" für alle Motive, die auf Gefühle, auf Affekte und Passionen verweisen. Im Ergebnis steht zwar kein sonderlich trennscharfer, aber ein tragfähiger moderner Begriff der Pathosformel. Er erlaubt es, die Geschichte des deutschen Dramas unter einem neuen Blickwinkel zu schreiben - unter einem Blickwinkel, der dem Selbstbild vormoderner Epochen weder gerecht werden kann noch will. Vielmehr setzt Port auf eine weitläufig angelegte Entwicklungsgeschichte, auf große historische Wandlungen. Zu diesem Zweck werden drei historische Stationen des Dramas unterschieden: die Aufklärung, die Klassik beziehungsweise der Idealismus und das neunzehnte Jahrhundert.

Die Aufklärung gilt Port als eine Epoche, der das Pathos so zuwider ist, daß sie es im Pathologischen ansiedelt. Doch im Gang durch so unterschiedliche Stücke wie Gotthold Ephraim Lessings "Miss Sara Sampson" und Johann Wolfgang von Goethes umstrittene "Iphigenie" zeigt sich, daß die Aufklärung im Bühnentext und auf dem Theater gar nicht so unpathetisch war, wie es eine populäre aufklärungskritische Forschung vermuten läßt: Die Pathosformeln des Aufklärungsdramas reichen vom "Zerstückelungsfuror" der Marwood, Miss Sampsons Rivalin, bis hin zum "Wahnsinn", der Orest befällt, weil er seine Schwester Iphigenie opfern soll.

Eine vergleichbare Vielgesichtigkeit kennzeichnet die zweite historische Station: Friedrich Schillers "Maria Stuart", die gedemütigte Königin, steht als ein Beispiel für "erhabenes", kontrolliertes Leiden. Heinrich von Kleists Amazonenkönigin "Penthesilea" hingegen veranschaulicht das Gegenteil, nämlich Raserei im Angesicht des geliebten und gehaßten Achill - Affekte, die sich nicht mehr mit Hilfe klassischer oder neuhumanistischer Ideale bändigen lassen.

Erwartungsgemäß steigert die dritte Station die unkontrollierbaren Affekte mit Blick auf die Moderne: Ports Studie findet in Friedrich Nietzsches Tragödientheorie ihren Höhepunkt. Nietzsche bestimmt das Pathos als besonderes Merkmal der antiken Tragödie; zugleich ernennt er es zum entscheidenden Parameter für die Kritik an der eigenen Kultur. Deshalb gilt Nietzsches Tragödientheorie Port als exemplarisch für das neunzehnte Jahrhundert.

Zwar überzeugt die Darstellung der einzelnen Stationen in sich, aber gelegentlich fehlt der Reiz des Neuen, Unentdeckten. Nietzsches Tragödientheorie beispielsweise ist gut bekannt. Demgegenüber liegen Tragödientheorie und -praxis des neunzehnten Jahrhunderts noch immer weitgehend im dunkeln. Auf seiner flotten Zeitreise hätte Port sich und seinem Leser hier eine Verschnaufpause gönnen und sein historisches Panorama um wertvolle Texte erweitern können.

Doch gerade durch sein Tempo zeugt Ports Buch auch von dem hohen Niveau, auf dem Literaturwissenschaft heute stattfindet: Port bekennt freimütig, daß seine Studie lückenhaft bleibt und auf die Vorleistungen anderer Wissenschaftler vertrauen muß. Das gilt sowohl für die Textinterpretationen als auch für die ambitionierte Fachsprache, deren sich Port gewandt bedient - mit einer gewissen Vorliebe für die Granden des frühen zwanzigsten Jahrhunderts, nicht nur für Warburg, sondern auch für Ernst Cassirer und Walter Benjamin.

Die Zeit der "großen Individualforscher" und der allumfassenden Werke aus einem Guß ist auch in den Geisteswissenschaften vorbei. Um so erfreulicher, daß sich Ports anregende "Pathosformeln" von den Vorläufern und der Last der Geschichte nicht zu affektfreier "Afterphilologie" verurteilen lassen, sondern ihr pathetisches Thema sportlich nehmen.

SANDRA POTT

Ulrich Port: "Pathosformeln". Die Tragödie und die Geschichte exaltierter Affekte (1755-1888). Wilhelm Fink Verlag, München 2005. 417 S., br., 50,- [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Ulrich Ports Definition für "Pathosformeln", die sich auf Aby Warburgs Theorien beziehen, findet Sandra Pott zwar nicht besonders "trennscharf", doch hält sie sie dennoch für einen "tragfähig", um damit Tragödien von der Aufklärung über die Klassik bis zum modernen Drama des 19. Jahrhunderts zu untersuchen. So gelinge es dem Autor, die Geschichte des deutschen Dramas "unter einem neuen Blickwinkel" zu schreiben, lobt die Rezensentin. Während sie findet, dass die Studie in ihren "einzelnen Stationen" durchaus überzeugend ist, vermisst sie darin dennoch den "Reiz des Neuen". So sei Nietzsches Theorie der Tragödie eigentlich hinlänglich untersucht, die "Tragödientheorie und -praxis des neunzehnten Jahrhunderts" dagegen noch ein Desiderat der Forschung, so Pott ein bisschen enttäuscht. Auf der anderen Seite bewundert sie das "Tempo" von Ports Untersuchung, das sich dabei dennoch auf "hohem Niveau" bewegt, wie sie versichert. Die Zeit der Studien "aus einem Guss" ist "vorbei", konstatiert die Rezensentin, deshalb ist sie froh, dass der Autor sein Thema zumindest "sportlich" nimmt.

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