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Mit der Veröffentlichung der »Pathosophie« kommt die Edition der »Gesammelten Schriften« Viktor von Weizsäckcrs zum Abschluß. In diesem für das Verständnis seines Denkens zentralen und wissenschaftshistorisch bedeutenden Werk entwirft Weizsäcker eine neue Anthropologie, in der das leidenschaftliche, pathische Wesen des Menschen Ausgang und Ziel einer »an Haupt und Gliedern« reformierten Medizin wird. Aus der pathosophischen Bestimmung des menschlichen Daseins erfolgt in den beiden zentralen Kapiteln die Grundlegung einer allgemeinen und einer speziellen Krankheitslehre.

Produktbeschreibung
Mit der Veröffentlichung der »Pathosophie« kommt die Edition der »Gesammelten Schriften« Viktor von Weizsäckcrs zum Abschluß. In diesem für das Verständnis seines Denkens zentralen und wissenschaftshistorisch bedeutenden Werk entwirft Weizsäcker eine neue Anthropologie, in der das leidenschaftliche, pathische Wesen des Menschen Ausgang und Ziel einer »an Haupt und Gliedern« reformierten Medizin wird. Aus der pathosophischen Bestimmung des menschlichen Daseins erfolgt in den beiden zentralen Kapiteln die Grundlegung einer allgemeinen und einer speziellen Krankheitslehre.
Autorenporträt
Weizsäcker, Viktor vonViktor von Weizsäcker, geboren 1886, studierte in Freiburg und Heidelberg Medizin und Philosophie. Er habilitierte sich 1917 in Innerer Medizin und übernahm 1920 die Nervenabteilung der Medizinischen Klinik in Heidelberg. Viktor von Weizsäcker wurde vor allem durch seine Konzeption des Gestaltkreises berühmt und gilt als Gründervater der psychosomatischen Medizin. Er starb 1957 in Heidelberg.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.05.2005

Dürfen als pathetische Kategorie
Viktor von Weizsäckers Bemühungen um den kranken Menschen

"Aber wie kann ich denn ,klein' sagen? Niemandem erscheint eine Krankheit klein, wenn er selbst sie erduldet": Zu dieser Einsicht gelangte bereits Benedikt von Peterborough (gestorben 1193), der Chronist der Wunder des heiligen Thomas Becket. Daß Krankheit relativ ist, gehört auch zu den Grundannahmen der Medizinischen Anthropologie, wie sie aus dem Kreis der Heidelberger Schule vor allem durch Viktor von Weizsäcker (1886 bis 1957) theoretisch fundiert wurde. Zu seinen grundlegenden Schriften gehört ein Werk, das ein Jahr vor seinem Tod erschien, vom Autor aber nicht mehr für den Druck überarbeitet werden konnte. In der jetzt mit dem Erscheinen des zehnten Bandes zum Abschluß gekommenen Werkausgabe liegt nun auch die vielzitierte "Pathosophie" in einer vollständigen, nach der Handschrift editierten Ausgabe vor.

Die Medizinische Anthropologie hat nach Meinung Weizsäckers ihren Schwerpunkt eindeutig in der Anthropologie. Das Adjektivattribut bezeichnet für ihn lediglich die "äußere Form". Die Rede ist hier weniger von dem Patienten an sich, sondern vom Menschen als moralischem Wesen, der sich mit der Tatsache abfinden muß, daß er immer wieder von Krankheiten geplagt wird. Weizsäcker geht sogar so weit zu behaupten, daß man sich "das ganze Leben als einen unablässigen Krieg mit der Krankheit vorstellen muß". Das bedeutet in letzter Konsequenz, das Subjekt (wieder) in die Pathologie einzuführen. Denn bis zum Siegeszug der modernen naturwissenschaftlichen Medizin kannte die Krankheitslehre den Patienten nicht nur als Objekt ("Der ,Blinddarm' in Zimmer 6"), sondern als Subjekt, das Geist, Seele und Körper hat. Gerade sein Alterswerk, die "Pathosophie", ist die Quintessenz eines jahrzehntelangen Bemühens, körperliche Krankheiten nicht als isolierte Organstörungen, sondern als Produkt psychosozialer Beziehungen und Bedingungen aufzufassen.

Eine solche Medizinische Anthropologie bedarf nicht zuletzt eines sprachlichen Instrumentariums, das Weizsäcker sich zum Teil aus der Philosophie (von Aristoteles bis Jaspers) und der Weltliteratur (von Homer bis Goethe), vor allem aber aus der Freudschen Psychoanalyse für seine Zwecke zurechtlegt. Originell ist beispielsweise seine Uminterpretation der modalen Hilfsverben (dürfen, müssen, wollen, sollen, können) in sogenannte "pathische Kategorien". Allerdings beläßt es Weizsäcker meist bei vagen Andeutungen, wie diese Kategorien zur Erklärung von Krankheiten aus der sozialen Situation eines Menschen heraus im Einzelfall hilfreich sein können. Hier, wie auch an anderen Stellen dieses nicht nur aufgrund der manchmal mehr verdunkelnden als erhellenden Sprache schwer verständlichen Alterswerkes, erinnert man sich an Weizsäckers einleitende Warnung: "Es handelt sich um eine Art des Denkens, die an sich nicht wirksam ist."

Gleichwohl nimmt er für seine Medizinische Anthropologie selbstverständlich in Anspruch, in die medizinische Praxis hineinzuwirken, ja diese zu verändern, indem er den behandelnden Ärzten immer wieder einschärft, daß Leib und Seele zwei Seiten einer Medaille sind, die sich in ihrer Aussage ergänzen und vertreten können, wobei der Arzt den Drehtüreffekt erlebt, der es ihm lediglich erlaubt, abwechselnd einen Blick in beide ontologischen Räume zu werfen. Sein theoretisches Bemühen, wozu auch die Konzeption des "Gestaltkreises" gehört, die in diesem Buch in einen größeren Zusammenhang gestellt wird, zielt darauf ab, der "Einheit von Seele und Leib" in der Medizin wieder die ihr gebührende Geltung zu verschaffen - ein durchaus noch zeitgemäßes Unterfangen.

ROBERT JÜTTE

Viktor von Weizsäcker: "Pathosophie". Gesammelte Schriften, Band 10. Bearbeitet von Walter Schindler, Dieter Janz, Peter Achilles. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2005. 647 S., geb., 45,80 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 08.08.2005

Im Käfig der Passionen
Eine Neuausgabe der „Pathosophie” Viktor von Weizsäckers
Mit dem Erscheinen der „Pathosophie” des Heidelberger Internisten Viktor von Weizsäcker (1886-1957) kommt die zehnbändige Edition der „Gesammelten Schriften” dieser für die Entwicklung des ärztlich-anthropologischen Denkens so bemerkenswerten Persönlichkeit zum Abschluss. In diesem für das Verständnis von Weizsäckers Denken zentralen und wissenschaftshistorisch bedeutenden Spätwerk, verfasst in den Jahren 1948 - ’51 und zuerst erschienen 1956, wird eine neue Anthropologie entworfen, in der das leidenschaftliche, pathische Wesen des Menschen Ausgang und Ziel einer „an Haupt und Gliedern” zu reformierenden Medizin werden soll.
Unter „pathischer Anthropologie” versteht Weizsäcker eine Lehre, die den Menschen „von allem Anfang an als unzulänglich, unfertig, ergänzungsbedürftig, veränderungssüchtig, indeterminiert, defekt oder ohnmächtig” charakterisiert. Geleitet von den fünf „pathischen Kategorien” des Wollens, Könnens, Dürfens, Sollens und Müssens ist der Mensch nach Weizsäcker mit seinen Passionen, Affekten und Leidenschaften gleichsam gefangen wie in einem Käfig. Aus der pathosophischen Bestimmung des menschlichen Daseins erfolgt in den beiden zentralen Kapiteln des Werks die Grundlegung einer allgemeinen und einer speziellen Krankheitslehre, die von einem neuen, ganzheitlichen und biographisch-individuellen Krankheitsbegriff ihren Ausgang nimmt.
Krank werden kann nicht nur der menschliche Körper oder die menschliche Seele, krank werden können „alle möglichen Sphären des Lebens”, und jede Krankheit ist ein „kasuistisches Original”. Zwar könne man die klassische, auf anatomischer und physiologischer Systematik beruhende Krankheitslehre nicht ignorieren, bedeutender aber als der aus ihr resultierende „Abstraktionismus” in der Krankheitslehre sei der „Symbolismus” des Krankseins. Und die Welt ist für Weizsäcker ein „einziger Symbolismus”.
Wenn jemand ein Magengeschwür habe, „dann doch nicht darum, weil es Magen und Magenverdauung” gebe. Dies allein beweise noch nicht, dass das Magengeschwür als „Krankheitseinheit” zu Recht bestehe. Um zu ermitteln, was eigentlich dahinter stecke, müsse man die Krankheiten als symbolische „Transformierungen” erkennen, wie sie bei allen „Neurosen, Biosen und Sklerosen” stattfänden. Weder die „Psychogenie”, auch nicht in ihrer Vertiefung zur Tiefenpsychologie und Psychoanalyse, noch die naturwissenschaftliche Krankheitslehre seien aus sich allein in der Lage, die „erwünschte psychosomatische Medizin” herbei zu bringen.
Als ein „ganz guter Weg” zu diesem Ziel allerdings habe sich die „Biographik” erwiesen, durch die die individuelle Lebensgeschichte des Patienten zum Ausgangspunkt der Krankheitsdiagnose und -therapie werde. Sie erlaube, dem Verständnis der Krankheiten an all den Stellen näher zu kommen, zu deren Klärung die klassische Pathologie nicht in der Lage sei, beziehe bei jeder Krankheitserscheinung die zeitliche und lokale Dimension ein und frage „warum gerade jetzt? Und: warum gerade hier?”, um so der Subjektivität des Krankhaften näher zu kommen. Zwar bleibe die Krankheit auch so letztlich Objekt in der Wahrnehmung des Arztes, aber doch ein Objekt, das ein „Subjekt enthält”.Dem „Versuch einer Enzyklopädie" mit Textstücken zu zentralen Themen der pathischen Existenz - Schmerz, Wille, Sexualität, Bewusstsein, Staat, Macht, Lüge, Tod - ist der letzte Teil der Edition gewidmet.
Die nunmehr aus dem Originalmanuskript und zwei Typoskripten aus dem Nachlass kollationierte Neuedition der „Pathosophie” Viktor von Weizsäckers stellt zweifellos die Summe und zugleich den Schlussstein der Lebensarbeit des Heidelberger Internisten an einer anthropologisch-psychosomatischen Medizin dar. An ihr waren neben Weizsäcker maßgeblich auch die Heidelberger Ludolf von Krehl und Richard Siebeck beteiligt. Der spanische Medizinhistoriker Pedro Laín Entralgo hat diese Gruppe und ihr Werk bereits 1950 als „Heidelberger Schule” bezeichnet. Sie habe als „Medizin in Bewegung” (Siebeck) eine „zentrale und wegweisende Bedeutung” in der neueren Heilkunde erlangt. Dies indes wird man heute kritischer sehen müssen.
Internistisches Philosophieren
Es ist wohl richtig, dass Weizsäcker nach dem Krieg wichtig wurde für die Entwicklung der Psychosomatik in Deutschland; sein Konzept einer anthropologischen Medizin allerdings hat sich nicht durchsetzen können. Dies mag verschiedene Ursachen haben, wohl aber auch darin begründet sein, dass sich das Spätwerk dem Leser nur schwer erschließt. Vieles bleibt dunkel und verborgen in der komplizierten Denk- und Ausdruckswelt des Autors, in der auch Mystischem Bedeutung zukommt. Schon Weizsäckers Vorbild Sigmund Freud stand dieser Wesensart des internistischen Philosophierens mehr als skeptisch gegenüber. Auf das Bekenntnis des Heidelbergers, er sei „im Nebenamte wohl auch etwas Mystiker”, entgegnete Freud 1926 in Wien: „ Das ist ja furchtbar!”
Gänzlich dunkel bleibt vor dem Hintergrund der eigenen Biographie auch das dem „Versuch einer Enzyklopädie” integrierte staatsphilosophische Raunen Weizsäckers. Wo eine kritische und ins Positive gewendete Auseinandersetzung mit der gerade durchlebten Diktatur hätte erwartet werden können, ist man überrascht von der Flucht in den die Demokratie verneinenden puren Individualismus der Ich-Form: „Zum Staat habe ich ein überwiegend ablehnendes Verhältnis, kein verehrendes Gefühl, früher nicht und jetzt nicht. Ich passe auch nicht gut zur Demokratie”. Weizsäcker glaubt „nicht an das Geltenlassen anderer Meinungen, etwa im Sinne der Toleranz”. Liberal sein will er „nur aus Anpassung und nicht aus demokratisch-toleranter Überzeugung”. Dass vor diesem Hintergrund die nur wenige Jahre später veröffentlichten Schriften Alexander Mitscherlichs, des anderen Heidelberger Psychosomatikers, den Geist ihrer Entstehungszeit besser trafen und sich bis heute nachhaltigerer Wirkung erfreuen sollten als Weizsäckers Pathosophie, wird vor dieser Folie nur zu verständlich.
WOLFGANG U. ECKART
VIKTOR VON WEIZSÄCKER: Pathosophie. Bearbeitet von W. Schindler, D. Janz, P. Achilles (Gesammelte Schriften, Bd. 10), Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2005. 647 Seiten, 40,80 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Als etwas seltsamer Fremdkörper nehme sich der Arzt und Philosoph Viktor von Weizsäcker mit der Gesamtausgabe seiner Schriften im Suhrkamp-Verlag aus, stellt der Rezensent Michael Hagner erst einmal fest. Zum einen wegen der doch sehr problematischen Vergangenheit von Weizsäckers im Dritten Reich, dessen eugenische Bevölkerungspolitik er in Teilen begrüßte. Auch sonst aber reihe sich die wichtige Figur der Psychosomatik nicht recht ein ins linke Umfeld der Suhrkamp-Kultur. Allzu konservativ das Bild vom Menschen, von romantischer Naturphilosophie wie dem Christentum stark beeinflusst, das das Subjekt in scharfer Weise von aller naturwissenschaftlichen Einordnung distanziert sieht. Daraus resultierte für von Weizsäcker eine starke Betonung der Rolle des Arztes. Bedauerlich findet es Hagner, dass die Anordnung der Bände nicht chronologisch erfolgt. Dennoch sei die Platzierung der "Pathosophie" am Ende der Werkausgabe ganz richtig, gerade weil sich dieser Band mit Essays und Aphorismen überraschenderweise gegen das bis dahin so geschlossene System zu wenden scheint. Eine verblüffende Pointe des insgesamt doch sehr problematischen Werks, so Hagner.

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