In diesem für das Verständnis von Weizsäckers Denken zentralen und wissenschaftshistorisch bedeutenden Werk entwirft Weizsäcker eine neue Anthropologie, in der das leidenschaftliche, pathische Wesen des Menschen Ausgang und Ziel einer "an Haupt und Gliedern" reformierten Medizin wird. Aus der pathosophischen Bestimmung des menschlichen Daseins erfolgt in den beiden zentralen Kapiteln die Grundlegung einer allgemeinen und einer speziellen Krankheitslehre. Im Anschluß an die Einführung der biographischen Methode wird eine neue Einteilung und Ordnung von Krankheitseinheiten vorgeschlagen. Der anschließende "Versuch einer Enzyklopädie" stellt in gesonderten Textstücken zentrale Themen der pathischen Existenz heraus - z.B. Schmerz, Wille, Sexualität, Bewußtsein, Staat, Macht, Lüge, Tod - und schließt mit einer Theorie des Menschen.
Diese neue Ausgabe der Pathosophie bietet erstmals den Wortlaut des Manuskripts, kollationiert mit zwei Typoskripten aus dem Nachlaß. Damit wird dieses Werk, das die Summe von Weizsäckers Lebensarbeit darstellt, in der Fassung letzter Hand zugänglich gemacht.
Der Band enthält, neben einem ausführlichen Werkkommentar zur Pathosophie, ein Gesamtinhaltsverzeichnis der Gesammelten Schriften, einen biographischen Abriß und eine umfassende Bibliographie der Publikationen Weizsäckers.
Mit der Veröffentlichung der »Pathosophie« kommt die Edition der »Gesammelten Schriften« Viktor von Weizsäckcrs zum Abschluß. In diesem für das Verständnis seines Denkens zentralen und wissenschaftshistorisch bedeutenden Werk entwirft Weizsäcker eine neue Anthropologie, in der das leidenschaftliche, pathische Wesen des Menschen Ausgang und Ziel einer »an Haupt und Gliedern« reformierten Medizin wird. Aus der pathosophischen Bestimmung des menschlichen Daseins erfolgt in den beiden zentralen Kapiteln die Grundlegung einer allgemeinen und einer speziellen Krankheitslehre.
Diese neue Ausgabe der Pathosophie bietet erstmals den Wortlaut des Manuskripts, kollationiert mit zwei Typoskripten aus dem Nachlaß. Damit wird dieses Werk, das die Summe von Weizsäckers Lebensarbeit darstellt, in der Fassung letzter Hand zugänglich gemacht.
Der Band enthält, neben einem ausführlichen Werkkommentar zur Pathosophie, ein Gesamtinhaltsverzeichnis der Gesammelten Schriften, einen biographischen Abriß und eine umfassende Bibliographie der Publikationen Weizsäckers.
Mit der Veröffentlichung der »Pathosophie« kommt die Edition der »Gesammelten Schriften« Viktor von Weizsäckcrs zum Abschluß. In diesem für das Verständnis seines Denkens zentralen und wissenschaftshistorisch bedeutenden Werk entwirft Weizsäcker eine neue Anthropologie, in der das leidenschaftliche, pathische Wesen des Menschen Ausgang und Ziel einer »an Haupt und Gliedern« reformierten Medizin wird. Aus der pathosophischen Bestimmung des menschlichen Daseins erfolgt in den beiden zentralen Kapiteln die Grundlegung einer allgemeinen und einer speziellen Krankheitslehre.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.05.2005Dürfen als pathetische Kategorie
Viktor von Weizsäckers Bemühungen um den kranken Menschen
"Aber wie kann ich denn ,klein' sagen? Niemandem erscheint eine Krankheit klein, wenn er selbst sie erduldet": Zu dieser Einsicht gelangte bereits Benedikt von Peterborough (gestorben 1193), der Chronist der Wunder des heiligen Thomas Becket. Daß Krankheit relativ ist, gehört auch zu den Grundannahmen der Medizinischen Anthropologie, wie sie aus dem Kreis der Heidelberger Schule vor allem durch Viktor von Weizsäcker (1886 bis 1957) theoretisch fundiert wurde. Zu seinen grundlegenden Schriften gehört ein Werk, das ein Jahr vor seinem Tod erschien, vom Autor aber nicht mehr für den Druck überarbeitet werden konnte. In der jetzt mit dem Erscheinen des zehnten Bandes zum Abschluß gekommenen Werkausgabe liegt nun auch die vielzitierte "Pathosophie" in einer vollständigen, nach der Handschrift editierten Ausgabe vor.
Die Medizinische Anthropologie hat nach Meinung Weizsäckers ihren Schwerpunkt eindeutig in der Anthropologie. Das Adjektivattribut bezeichnet für ihn lediglich die "äußere Form". Die Rede ist hier weniger von dem Patienten an sich, sondern vom Menschen als moralischem Wesen, der sich mit der Tatsache abfinden muß, daß er immer wieder von Krankheiten geplagt wird. Weizsäcker geht sogar so weit zu behaupten, daß man sich "das ganze Leben als einen unablässigen Krieg mit der Krankheit vorstellen muß". Das bedeutet in letzter Konsequenz, das Subjekt (wieder) in die Pathologie einzuführen. Denn bis zum Siegeszug der modernen naturwissenschaftlichen Medizin kannte die Krankheitslehre den Patienten nicht nur als Objekt ("Der ,Blinddarm' in Zimmer 6"), sondern als Subjekt, das Geist, Seele und Körper hat. Gerade sein Alterswerk, die "Pathosophie", ist die Quintessenz eines jahrzehntelangen Bemühens, körperliche Krankheiten nicht als isolierte Organstörungen, sondern als Produkt psychosozialer Beziehungen und Bedingungen aufzufassen.
Eine solche Medizinische Anthropologie bedarf nicht zuletzt eines sprachlichen Instrumentariums, das Weizsäcker sich zum Teil aus der Philosophie (von Aristoteles bis Jaspers) und der Weltliteratur (von Homer bis Goethe), vor allem aber aus der Freudschen Psychoanalyse für seine Zwecke zurechtlegt. Originell ist beispielsweise seine Uminterpretation der modalen Hilfsverben (dürfen, müssen, wollen, sollen, können) in sogenannte "pathische Kategorien". Allerdings beläßt es Weizsäcker meist bei vagen Andeutungen, wie diese Kategorien zur Erklärung von Krankheiten aus der sozialen Situation eines Menschen heraus im Einzelfall hilfreich sein können. Hier, wie auch an anderen Stellen dieses nicht nur aufgrund der manchmal mehr verdunkelnden als erhellenden Sprache schwer verständlichen Alterswerkes, erinnert man sich an Weizsäckers einleitende Warnung: "Es handelt sich um eine Art des Denkens, die an sich nicht wirksam ist."
Gleichwohl nimmt er für seine Medizinische Anthropologie selbstverständlich in Anspruch, in die medizinische Praxis hineinzuwirken, ja diese zu verändern, indem er den behandelnden Ärzten immer wieder einschärft, daß Leib und Seele zwei Seiten einer Medaille sind, die sich in ihrer Aussage ergänzen und vertreten können, wobei der Arzt den Drehtüreffekt erlebt, der es ihm lediglich erlaubt, abwechselnd einen Blick in beide ontologischen Räume zu werfen. Sein theoretisches Bemühen, wozu auch die Konzeption des "Gestaltkreises" gehört, die in diesem Buch in einen größeren Zusammenhang gestellt wird, zielt darauf ab, der "Einheit von Seele und Leib" in der Medizin wieder die ihr gebührende Geltung zu verschaffen - ein durchaus noch zeitgemäßes Unterfangen.
ROBERT JÜTTE
Viktor von Weizsäcker: "Pathosophie". Gesammelte Schriften, Band 10. Bearbeitet von Walter Schindler, Dieter Janz, Peter Achilles. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2005. 647 S., geb., 45,80 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Viktor von Weizsäckers Bemühungen um den kranken Menschen
"Aber wie kann ich denn ,klein' sagen? Niemandem erscheint eine Krankheit klein, wenn er selbst sie erduldet": Zu dieser Einsicht gelangte bereits Benedikt von Peterborough (gestorben 1193), der Chronist der Wunder des heiligen Thomas Becket. Daß Krankheit relativ ist, gehört auch zu den Grundannahmen der Medizinischen Anthropologie, wie sie aus dem Kreis der Heidelberger Schule vor allem durch Viktor von Weizsäcker (1886 bis 1957) theoretisch fundiert wurde. Zu seinen grundlegenden Schriften gehört ein Werk, das ein Jahr vor seinem Tod erschien, vom Autor aber nicht mehr für den Druck überarbeitet werden konnte. In der jetzt mit dem Erscheinen des zehnten Bandes zum Abschluß gekommenen Werkausgabe liegt nun auch die vielzitierte "Pathosophie" in einer vollständigen, nach der Handschrift editierten Ausgabe vor.
Die Medizinische Anthropologie hat nach Meinung Weizsäckers ihren Schwerpunkt eindeutig in der Anthropologie. Das Adjektivattribut bezeichnet für ihn lediglich die "äußere Form". Die Rede ist hier weniger von dem Patienten an sich, sondern vom Menschen als moralischem Wesen, der sich mit der Tatsache abfinden muß, daß er immer wieder von Krankheiten geplagt wird. Weizsäcker geht sogar so weit zu behaupten, daß man sich "das ganze Leben als einen unablässigen Krieg mit der Krankheit vorstellen muß". Das bedeutet in letzter Konsequenz, das Subjekt (wieder) in die Pathologie einzuführen. Denn bis zum Siegeszug der modernen naturwissenschaftlichen Medizin kannte die Krankheitslehre den Patienten nicht nur als Objekt ("Der ,Blinddarm' in Zimmer 6"), sondern als Subjekt, das Geist, Seele und Körper hat. Gerade sein Alterswerk, die "Pathosophie", ist die Quintessenz eines jahrzehntelangen Bemühens, körperliche Krankheiten nicht als isolierte Organstörungen, sondern als Produkt psychosozialer Beziehungen und Bedingungen aufzufassen.
Eine solche Medizinische Anthropologie bedarf nicht zuletzt eines sprachlichen Instrumentariums, das Weizsäcker sich zum Teil aus der Philosophie (von Aristoteles bis Jaspers) und der Weltliteratur (von Homer bis Goethe), vor allem aber aus der Freudschen Psychoanalyse für seine Zwecke zurechtlegt. Originell ist beispielsweise seine Uminterpretation der modalen Hilfsverben (dürfen, müssen, wollen, sollen, können) in sogenannte "pathische Kategorien". Allerdings beläßt es Weizsäcker meist bei vagen Andeutungen, wie diese Kategorien zur Erklärung von Krankheiten aus der sozialen Situation eines Menschen heraus im Einzelfall hilfreich sein können. Hier, wie auch an anderen Stellen dieses nicht nur aufgrund der manchmal mehr verdunkelnden als erhellenden Sprache schwer verständlichen Alterswerkes, erinnert man sich an Weizsäckers einleitende Warnung: "Es handelt sich um eine Art des Denkens, die an sich nicht wirksam ist."
Gleichwohl nimmt er für seine Medizinische Anthropologie selbstverständlich in Anspruch, in die medizinische Praxis hineinzuwirken, ja diese zu verändern, indem er den behandelnden Ärzten immer wieder einschärft, daß Leib und Seele zwei Seiten einer Medaille sind, die sich in ihrer Aussage ergänzen und vertreten können, wobei der Arzt den Drehtüreffekt erlebt, der es ihm lediglich erlaubt, abwechselnd einen Blick in beide ontologischen Räume zu werfen. Sein theoretisches Bemühen, wozu auch die Konzeption des "Gestaltkreises" gehört, die in diesem Buch in einen größeren Zusammenhang gestellt wird, zielt darauf ab, der "Einheit von Seele und Leib" in der Medizin wieder die ihr gebührende Geltung zu verschaffen - ein durchaus noch zeitgemäßes Unterfangen.
ROBERT JÜTTE
Viktor von Weizsäcker: "Pathosophie". Gesammelte Schriften, Band 10. Bearbeitet von Walter Schindler, Dieter Janz, Peter Achilles. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2005. 647 S., geb., 45,80 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Als etwas seltsamer Fremdkörper nehme sich der Arzt und Philosoph Viktor von Weizsäcker mit der Gesamtausgabe seiner Schriften im Suhrkamp-Verlag aus, stellt der Rezensent Michael Hagner erst einmal fest. Zum einen wegen der doch sehr problematischen Vergangenheit von Weizsäckers im Dritten Reich, dessen eugenische Bevölkerungspolitik er in Teilen begrüßte. Auch sonst aber reihe sich die wichtige Figur der Psychosomatik nicht recht ein ins linke Umfeld der Suhrkamp-Kultur. Allzu konservativ das Bild vom Menschen, von romantischer Naturphilosophie wie dem Christentum stark beeinflusst, das das Subjekt in scharfer Weise von aller naturwissenschaftlichen Einordnung distanziert sieht. Daraus resultierte für von Weizsäcker eine starke Betonung der Rolle des Arztes. Bedauerlich findet es Hagner, dass die Anordnung der Bände nicht chronologisch erfolgt. Dennoch sei die Platzierung der "Pathosophie" am Ende der Werkausgabe ganz richtig, gerade weil sich dieser Band mit Essays und Aphorismen überraschenderweise gegen das bis dahin so geschlossene System zu wenden scheint. Eine verblüffende Pointe des insgesamt doch sehr problematischen Werks, so Hagner.
© Perlentaucher Medien GmbH
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