Produktdetails
- Verlag: London, Fourth Estate 1998.
- ISBN-13: 9781857026764
- Artikelnr.: 26154738
- Herstellerkennzeichnung Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.08.2000Laßt alle in den siebten Himmel
Rock 'n' Rimbaud: Die tönende Poesiemaschine der Patti Smith
Als im Jahr 1971 in der New Yorker Kirche des heiligen Markus die damals 25jährige Lyrikerin Patricia Lee Smith mit schneidendem Ton und kantiger Gebärde vor das Mikrophon trat, waren ihrer rauhen, rabenschwarzen Stimme sämtliche Eisenbahnschienen anzuhören, die von ihrer Heimatstadt New Jersey nach New York führten, wohin die belesene Kunststudentin und ehemalige Fabrikarbeiterin Ende der sechziger Jahre aufgebrochen war. Victor Bockris, ihr Biograph, war unter den Zuhörern und überliefert das Dauerfeuer der markigen, kurzen und schnellen Verse, die der Übersetzer Ekkehard Rolle so treu ins Deutsche übersetzt hat, daß man die unverwechselbare Stimme der künftigen Sängerin nun um so mehr vermißt: "Und Gott schuf den siebten Himmel und sagte, laßt sie / alle rein. Und ließ ihn behüten von der / Schlampe und dem Flugzeug."
An jenem Abend mit dabei war so ziemlich alles, was in der Szene einen Namen oder ein Gesicht hatte, darunter Allen Ginsberg, der Altmeister der Beat Generation, und Gerald Malanga, der Zeremonienmeister am Hofe Andy Warhols, der die Belegschaft der "Factory" gleich mitgebracht hatte. Neben Patti las der Poet Jim Carrol, und beide hatten ihre Freunde um sich geschart: Maler, Musiker und Dichter, insbesondere die Stammbewohner des Künstlerasyls "Chelsea Hotel", wo Patti sich mit ihrem langjährigen Gefährten, dem Fotografen Robert Mapplethorpe, ein Appartement und den Willen zur Kunst teilte. Schließlich waren auch Talentsucher, Journalisten und Verleger zugegen, darunter Victor Bockris, der die Debütantin sofort für seinen kleinen Lyrikverlag unter Vertrag nahm und sich von ihr zu einem Essay unter dem programmatischen Titel "Der Poet ist ein Performer" inspirieren ließ.
Doch Patti wollte ihr eigener Impresario sein und es auch künftig bleiben. Erste Erfahrungen als Publizistin und Musikkritikerin hatte sie beim Schreiben für das Branchenorgan "Rolling Stone" gesammelt. Bockris, dessen Buch sich aufgrund der Ansprüche seines Objekts auf alleinige Selbstdeutung mit dem Untertitel einer "unautorisierten Biographie" bescheiden mußte, gab sie 1972 das erste einer nicht mehr abreißenden Serie von langen Interviews, die ihre Karriere als permanenter Selbstkommentar begleiteten. Es ist im Anhang des Buchs nachzulesen und dokumentiert beredt den historischen Ehebund, den Literatur und Rockkultur in Abwesenheit von Trauzeugen aus Philologie und Kritik miteinander eingegangen sind.
Um Patricias schräger Stimme ein dauerhaftes Echo und ihren Versen die Eindringlichkeit von Ohrwürmern zu verleihen, bedurfte es damals nur noch der betörenden Wirkungen des Gesangs, des Dröhnens der Begleitinstrumente und der bebenden Verstärkertürme aus der Serienproduktion der Firma Marshall. Nach diesem Markennamen beförderte sich die mittelmäßige Dichterin, die zum archaischen Sängertum zurückkehrt war, in den selbsternannten Rang eines "Feldmarschalls des Rock 'n' Roll". Mit ihrer Gruppe kreierte sie eine harte "neue Welle", durchbrach die bislang von männlichem Heldentum besetzten Schallmauern der Rockmusik und erschütterte Amerika und Europa. Drei Alben unter den Titeln "Horses", "Easter" und "Wave" begründeten seit 1975 ihren Ruhm, dem ihr Porträtist Mapplethorpe die Ikonen eines spindeldürren, androgynen und dandyhaften Äußeren hinzufügte.
Acht Jahre, nachdem sie noch vor 250 Zuhörern gelesen hatte, und ein Jahr nach einem Bühnensturz, bei dem sie nur knapp mit dem Leben davonkam, erreichte sie den Gipfel ihrer Karriere. Bei einem infernalischen Konzert in der Fußballarena von Florenz trat die Punkrockerin vor 75 000 Menschen auf und bekam es mit der Angst einer Gladiatorin zu tun, zermalmt zu werden. Nach der Florentiner Nacht trat sie von der Bühne ab und zog sich ins Privatleben zurück. Wie eine ordentliche bürgerliche Künstlerin brachte sie fortan Kinder und eine Reihe von Büchern mit Gedichten, Prosatexten und Illustrationen in die Welt. Doch vor wenigen Jahren trat sie plötzlich wieder auf die Bühne und feierte eine triumphale Rückkehr, wenn auch nach Art eines Requiems für die Legion mittlerweile verstorbener Weggenossen.
Gegen die tönerne Stimmgewalt, die an jenem denkwürdigen New Yorker Abend vor beinahe dreißig Jahren erstmals in Bewegung gesetzt wurde und bald ein Massenpublikum erreichte, wie es noch keinem lebenden und schon gar keinem lesenden Dichter vergönnt war, wirkt Hans Magnus Enzenbergers Poesieautomat wie ein stockheiserer Kastrat. "Patti Lee träumt mit offenen Augen", hatte man der Gassengöre aus New Jersey schon als Kind in die Schulzeugnisse geschrieben, und Bockris zufolge ist die Poesie mit der Sängerin Patti Smith wieder "an den Ort emotionaler Realität" zurückgekehrt, der gewöhnlich "Kunst" heiße. Das ist allzu pathetisch gesagt. Tatsächlich aber hatte Patti Smith der Rockkultur nicht nur die noch fehlenden intellektuellen Weihen verliehen, sondern auch den Traum einer jeden Avantgarde realisiert, daß die Kunst und der Intellekt einmal zu den Massen fänden. Futurismus und Surrealismus brachte sie unters Volk, und wenn die Fans aus ihrem Munde Namen wie Rimbaud, Cendrars oder Brancusi hörten, strömten sie anschließend in die Buchhandlungen und stürmten die Museen.
"I'm an American artist, and I got no feelings of guilt" - so lautet im schrillen Sprechgesang eines ihrer tönenden Manifeste, das Selbstverständnis jenes flatterhaften und sich selbst aus einer Heerschar von künstlerischen und melodramatischen Vorbildern beständig neu erschaffenden Grenzphänomens namens Patti Smith. Victor Bockris, der im flotten Ton eines an der Karriere seines Objekts nicht unbeteiligten Szenejournalisten schreibt, hat schon einige Biographien über andere Größen der amerikanischen Musik-, Literatur- und Popszene vorgelegt. Er schöpft vorwiegend aus Selbstzeugnissen, Kritikerstimmen und Interviews. Die Quellen bezeugen vor allem eines: mit welcher Virtuosität die Sängerin des wohl zackigsten "Gloria" aller Zeiten die Allianz von Publizität und Performance bediente, aus der die moderne Popkultur erst hervorgegangen ist.
VOLKER BREIDECKER
Victor Bockris: "Patti Smith. Die unautorisierte Biographie". Aus dem Amerikanischen übersetzt von Ekkehard Rolle. Wolfgang Krüger Verlag, Frankfurt am Main 2000. 336 S., Abb., br., 39,80 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Rock 'n' Rimbaud: Die tönende Poesiemaschine der Patti Smith
Als im Jahr 1971 in der New Yorker Kirche des heiligen Markus die damals 25jährige Lyrikerin Patricia Lee Smith mit schneidendem Ton und kantiger Gebärde vor das Mikrophon trat, waren ihrer rauhen, rabenschwarzen Stimme sämtliche Eisenbahnschienen anzuhören, die von ihrer Heimatstadt New Jersey nach New York führten, wohin die belesene Kunststudentin und ehemalige Fabrikarbeiterin Ende der sechziger Jahre aufgebrochen war. Victor Bockris, ihr Biograph, war unter den Zuhörern und überliefert das Dauerfeuer der markigen, kurzen und schnellen Verse, die der Übersetzer Ekkehard Rolle so treu ins Deutsche übersetzt hat, daß man die unverwechselbare Stimme der künftigen Sängerin nun um so mehr vermißt: "Und Gott schuf den siebten Himmel und sagte, laßt sie / alle rein. Und ließ ihn behüten von der / Schlampe und dem Flugzeug."
An jenem Abend mit dabei war so ziemlich alles, was in der Szene einen Namen oder ein Gesicht hatte, darunter Allen Ginsberg, der Altmeister der Beat Generation, und Gerald Malanga, der Zeremonienmeister am Hofe Andy Warhols, der die Belegschaft der "Factory" gleich mitgebracht hatte. Neben Patti las der Poet Jim Carrol, und beide hatten ihre Freunde um sich geschart: Maler, Musiker und Dichter, insbesondere die Stammbewohner des Künstlerasyls "Chelsea Hotel", wo Patti sich mit ihrem langjährigen Gefährten, dem Fotografen Robert Mapplethorpe, ein Appartement und den Willen zur Kunst teilte. Schließlich waren auch Talentsucher, Journalisten und Verleger zugegen, darunter Victor Bockris, der die Debütantin sofort für seinen kleinen Lyrikverlag unter Vertrag nahm und sich von ihr zu einem Essay unter dem programmatischen Titel "Der Poet ist ein Performer" inspirieren ließ.
Doch Patti wollte ihr eigener Impresario sein und es auch künftig bleiben. Erste Erfahrungen als Publizistin und Musikkritikerin hatte sie beim Schreiben für das Branchenorgan "Rolling Stone" gesammelt. Bockris, dessen Buch sich aufgrund der Ansprüche seines Objekts auf alleinige Selbstdeutung mit dem Untertitel einer "unautorisierten Biographie" bescheiden mußte, gab sie 1972 das erste einer nicht mehr abreißenden Serie von langen Interviews, die ihre Karriere als permanenter Selbstkommentar begleiteten. Es ist im Anhang des Buchs nachzulesen und dokumentiert beredt den historischen Ehebund, den Literatur und Rockkultur in Abwesenheit von Trauzeugen aus Philologie und Kritik miteinander eingegangen sind.
Um Patricias schräger Stimme ein dauerhaftes Echo und ihren Versen die Eindringlichkeit von Ohrwürmern zu verleihen, bedurfte es damals nur noch der betörenden Wirkungen des Gesangs, des Dröhnens der Begleitinstrumente und der bebenden Verstärkertürme aus der Serienproduktion der Firma Marshall. Nach diesem Markennamen beförderte sich die mittelmäßige Dichterin, die zum archaischen Sängertum zurückkehrt war, in den selbsternannten Rang eines "Feldmarschalls des Rock 'n' Roll". Mit ihrer Gruppe kreierte sie eine harte "neue Welle", durchbrach die bislang von männlichem Heldentum besetzten Schallmauern der Rockmusik und erschütterte Amerika und Europa. Drei Alben unter den Titeln "Horses", "Easter" und "Wave" begründeten seit 1975 ihren Ruhm, dem ihr Porträtist Mapplethorpe die Ikonen eines spindeldürren, androgynen und dandyhaften Äußeren hinzufügte.
Acht Jahre, nachdem sie noch vor 250 Zuhörern gelesen hatte, und ein Jahr nach einem Bühnensturz, bei dem sie nur knapp mit dem Leben davonkam, erreichte sie den Gipfel ihrer Karriere. Bei einem infernalischen Konzert in der Fußballarena von Florenz trat die Punkrockerin vor 75 000 Menschen auf und bekam es mit der Angst einer Gladiatorin zu tun, zermalmt zu werden. Nach der Florentiner Nacht trat sie von der Bühne ab und zog sich ins Privatleben zurück. Wie eine ordentliche bürgerliche Künstlerin brachte sie fortan Kinder und eine Reihe von Büchern mit Gedichten, Prosatexten und Illustrationen in die Welt. Doch vor wenigen Jahren trat sie plötzlich wieder auf die Bühne und feierte eine triumphale Rückkehr, wenn auch nach Art eines Requiems für die Legion mittlerweile verstorbener Weggenossen.
Gegen die tönerne Stimmgewalt, die an jenem denkwürdigen New Yorker Abend vor beinahe dreißig Jahren erstmals in Bewegung gesetzt wurde und bald ein Massenpublikum erreichte, wie es noch keinem lebenden und schon gar keinem lesenden Dichter vergönnt war, wirkt Hans Magnus Enzenbergers Poesieautomat wie ein stockheiserer Kastrat. "Patti Lee träumt mit offenen Augen", hatte man der Gassengöre aus New Jersey schon als Kind in die Schulzeugnisse geschrieben, und Bockris zufolge ist die Poesie mit der Sängerin Patti Smith wieder "an den Ort emotionaler Realität" zurückgekehrt, der gewöhnlich "Kunst" heiße. Das ist allzu pathetisch gesagt. Tatsächlich aber hatte Patti Smith der Rockkultur nicht nur die noch fehlenden intellektuellen Weihen verliehen, sondern auch den Traum einer jeden Avantgarde realisiert, daß die Kunst und der Intellekt einmal zu den Massen fänden. Futurismus und Surrealismus brachte sie unters Volk, und wenn die Fans aus ihrem Munde Namen wie Rimbaud, Cendrars oder Brancusi hörten, strömten sie anschließend in die Buchhandlungen und stürmten die Museen.
"I'm an American artist, and I got no feelings of guilt" - so lautet im schrillen Sprechgesang eines ihrer tönenden Manifeste, das Selbstverständnis jenes flatterhaften und sich selbst aus einer Heerschar von künstlerischen und melodramatischen Vorbildern beständig neu erschaffenden Grenzphänomens namens Patti Smith. Victor Bockris, der im flotten Ton eines an der Karriere seines Objekts nicht unbeteiligten Szenejournalisten schreibt, hat schon einige Biographien über andere Größen der amerikanischen Musik-, Literatur- und Popszene vorgelegt. Er schöpft vorwiegend aus Selbstzeugnissen, Kritikerstimmen und Interviews. Die Quellen bezeugen vor allem eines: mit welcher Virtuosität die Sängerin des wohl zackigsten "Gloria" aller Zeiten die Allianz von Publizität und Performance bediente, aus der die moderne Popkultur erst hervorgegangen ist.
VOLKER BREIDECKER
Victor Bockris: "Patti Smith. Die unautorisierte Biographie". Aus dem Amerikanischen übersetzt von Ekkehard Rolle. Wolfgang Krüger Verlag, Frankfurt am Main 2000. 336 S., Abb., br., 39,80 DM.
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