Ausgelöst wurde die sogenannte 'Goll-Affäre' durch einen ungeheuerlichen Vorwurf von Yvan Golls Witwe Claire: Celan habe das Werk ihres Mannes plagiiert. Dieser Vorwurf erschütterte Celan zutiefst. Den Kampf um seine poetische Integrität führte er bis zum Tod. Zugleich aber durchschaute er das Exemplarische der Affäre und wehrte sich heftig dagegen, sie aufs Persönliche zu reduzieren.
Erstmals wird nun das äußerst schwer erreichbare Material zu diesen - in ihrer Bedeutung für das Werk Paul Celans kaum zu überschätzenden - Vorgängen lückenlos aufgedeckt. Enthalten sind die frühen Zeugnisse der Begegnung beider Dichter, die bislang unveröffentlichten Goll-Übertragungen Celans, sein Briefwechsel mit Claire Goll, die (zum großen Teil unpublizierten) Briefe, Texte, Entwürfe und Notizen Celans zu den Plagiatvorwürfen. Die Sammlung dokumentiert die von Claire Goll entfesselte Pressekampagne, die Ausläufer der Affäre und das polemische Wiederaufflackern nach Celans Tod. Kenntlich wird, wie Claire Golls Vorwürfe mit ihren manipulativen Editionsverfahren am Nachlaß Yvan Golls zusammenhängen, vor allem aber, warum Celan diese Auseinandersetzung mit ihrer antisemitischen Stoßrichtung als einen Vernichtungsfeldzug, als seine persönliche Dreyfus-Affäre verstehen mußte. Kenntlich wird schließlich auch, weit über den engeren Plagiatvorwurf hinaus, welche Mentalitäten im Deutschland der 50er und 60er Jahre meinungsbildend am Werk waren.
Barbara Wiedemann hat das umfangreiche, oft verborgene Material in vieljähriger detektivischer Arbeit zusammengetragen und durch einen Kommentar erschlossen, der die Hintergründe der Affäre ausleuchtet und die Motive der Handelnden zu begreifen sucht.
Erstmals wird nun das äußerst schwer erreichbare Material zu diesen - in ihrer Bedeutung für das Werk Paul Celans kaum zu überschätzenden - Vorgängen lückenlos aufgedeckt. Enthalten sind die frühen Zeugnisse der Begegnung beider Dichter, die bislang unveröffentlichten Goll-Übertragungen Celans, sein Briefwechsel mit Claire Goll, die (zum großen Teil unpublizierten) Briefe, Texte, Entwürfe und Notizen Celans zu den Plagiatvorwürfen. Die Sammlung dokumentiert die von Claire Goll entfesselte Pressekampagne, die Ausläufer der Affäre und das polemische Wiederaufflackern nach Celans Tod. Kenntlich wird, wie Claire Golls Vorwürfe mit ihren manipulativen Editionsverfahren am Nachlaß Yvan Golls zusammenhängen, vor allem aber, warum Celan diese Auseinandersetzung mit ihrer antisemitischen Stoßrichtung als einen Vernichtungsfeldzug, als seine persönliche Dreyfus-Affäre verstehen mußte. Kenntlich wird schließlich auch, weit über den engeren Plagiatvorwurf hinaus, welche Mentalitäten im Deutschland der 50er und 60er Jahre meinungsbildend am Werk waren.
Barbara Wiedemann hat das umfangreiche, oft verborgene Material in vieljähriger detektivischer Arbeit zusammengetragen und durch einen Kommentar erschlossen, der die Hintergründe der Affäre ausleuchtet und die Motive der Handelnden zu begreifen sucht.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.01.2001Thomas Blaubart reitet nach Neapel
Wenn die Literaturwissenschaft sich ein Wappentier suchen müßte, sollte sie sich für das Pferd entscheiden. Aber nicht für irgendein Pferd, nicht für einen feurigen Araber oder einen eleganten Trakehner, sondern für ein langsames und gutmütiges Tier mit breitem Rücken, für ein Pferd knapp vor dem Übergang zum Maulesel gewissermaßen. Jacques der Fatalist, der Held in Denis Diderots gleichnamigem Roman aus dem Jahr 1792, besaß ein solches Pferd, das der Literaturwissenschaft als Wappentier dienen könnte. Beharrlich zieht es seinen Weg über die staubigen Landstraßen der Provinz in den Zeiten der Aufklärung, und ohne sich zu sträuben trägt es sein Gepäck und seinen Jacques - einen Mann, den man sich immer als einen etwas dicklichen Menschen vorgestellt hat -, während dieser in ein unendliches philosophisches Gespräch mit seinem Herrn verwickelt ist. Gewiß, in jüngster Zeit hat das Gepäck des Dieners zugenommen bis an die Grenze des Erträglichen, noch vor kurzem hat man ihm das ganze Gewicht einer neuen, alle Proportionen und alle Vernunft überschreitenden Büchner-Ausgabe und einer Boehlendorff-Edition aufgebürdet. Aber noch immer schleppt es sich weiter. Nun hat aber das Pferd von Jacques dem Fatalisten, jedenfalls das, was sein Herr ihm zu Beginn des Romans kauft, eine Eigenheit: "Es ging plötzlich durch, und sprang mit ihm in einen Erdfall. Vergebens setzte Jakob sich fest in den Sattel, und hielt die Zügel kurz; das störrische Roß machte einen Satz aus der Tiefe des Erdfalls heraus, und rannte, was es nur rennen konnte, einen kleinen Hügel hinan, wo es mit einemmale still stand, und wo Jakob, als er aufblickte, sich unter Galgen und Rädern sah." Man sieht es gleichsam vor sich, dieses mit schwankenden, rumpelnden Paketen beladene, eher kalt- als warmblütige Pferd der Literaturwissenschaft, wie es vor Erregung dampfend unter dem Galgen steht und in wiehernder Freude sein Gebiß entblößt. Später stellt sich heraus, daß dieses Pferd einem Scharfrichter gehört hatte, bevor es Jacques als Reittier diente. Und was ist mit der Literaturwissenschaft? Tatsächlich hat auch diese eine Neigung, unerwartet den staubigen Pfad des philologischen Fleißes zu verlassen, sich krachend in die Büsche zu schlagen - und plötzlich triumphierend unter einem Galgen zu stehen. War nicht schon die "Goll-Affäre", der wenig feine Vorwurf Claire Golls, Paul Celan habe das Werk ihres verstorbenen Mannes Yvan kopiert, ein solcher literaturwissenschaftlicher Ritt zum Galgen - auf elfhundert Seiten herausgegeben und dokumentiert von Barbara Wiedemann (Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2000), ergänzt um eine philologische Kritik an den zweifelhaften Techniken, mit denen die Witwe das Werk von Yvan Goll edierte und beflügelt durch einen Hieb gegen Peter Rühmkorf, eines angeblichen antisemitischen Ressentiments gegen Paul Celan wegen? Noch forscher allerdings läßt Michael Maar den alten, schwerbepackten Gaul zum Galgen jagen: In "Das Blaubartzimmer" (Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2000) spürt er mit äußerster philologischer Akribie und in unendlich wohlgesetzten Worten einem nach Pier Paolo Pasolini klingenden Verbrechen nach, das Thomas Mann in seiner Jugend begangen haben soll und das den Menschen und das Werke bis ins tiefste geprägt haben soll: "Wenn man es von irgendwoher geflüstert bekäme; wenn ein verläßlicher und solider spirit uns auf die Tischplatte die Botschaft klopfte: in Neapels Stadtpark bei einer Bluttat unter Strichern ist er Zeuge - oder: im malavita-Viertel folgt er einem Mädchen, versagt und braust auf nach ihrem Spott - oder: wird er Opfer einer versuchten Vergewaltigung und rächt sich - oder: sticht er auf den Hund eines Zuhälters ein -, die Belegstellen schössen sofort zusammen. Aber in jedem Fall eben andere, und ein paar bleiben immer übrig." Am tiefsten Grund einer zu äußersten Leistungen angespornten Philologie haust offenbar das Trivialste, und am Ende allen literaturwissenschaftlichen Feinsinns soll sich die Welt um Phantasien von Neid, sinnlicher Liebe und Gewalt drehen. Beides aber, die äußerste Steigerung der philologischen Anstrengungen und den Pakt mit der Seifenoper muß man als Zeichen einer untergehenden Disziplin begreifen. Am Ende des Romans jedenfalls fängt das Tier auf offener Straße an zu rennen, jagt mit rasender Geschwindigkeit nach Hause, in eine Tür hinein, und die war niedrig - Jacques aber, sich noch immer auf dem Gaule haltend, knallt mit dem Kopf an den Balken und sinkt bewußtlos zu Boden.
THOMAS STEINFELD
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wenn die Literaturwissenschaft sich ein Wappentier suchen müßte, sollte sie sich für das Pferd entscheiden. Aber nicht für irgendein Pferd, nicht für einen feurigen Araber oder einen eleganten Trakehner, sondern für ein langsames und gutmütiges Tier mit breitem Rücken, für ein Pferd knapp vor dem Übergang zum Maulesel gewissermaßen. Jacques der Fatalist, der Held in Denis Diderots gleichnamigem Roman aus dem Jahr 1792, besaß ein solches Pferd, das der Literaturwissenschaft als Wappentier dienen könnte. Beharrlich zieht es seinen Weg über die staubigen Landstraßen der Provinz in den Zeiten der Aufklärung, und ohne sich zu sträuben trägt es sein Gepäck und seinen Jacques - einen Mann, den man sich immer als einen etwas dicklichen Menschen vorgestellt hat -, während dieser in ein unendliches philosophisches Gespräch mit seinem Herrn verwickelt ist. Gewiß, in jüngster Zeit hat das Gepäck des Dieners zugenommen bis an die Grenze des Erträglichen, noch vor kurzem hat man ihm das ganze Gewicht einer neuen, alle Proportionen und alle Vernunft überschreitenden Büchner-Ausgabe und einer Boehlendorff-Edition aufgebürdet. Aber noch immer schleppt es sich weiter. Nun hat aber das Pferd von Jacques dem Fatalisten, jedenfalls das, was sein Herr ihm zu Beginn des Romans kauft, eine Eigenheit: "Es ging plötzlich durch, und sprang mit ihm in einen Erdfall. Vergebens setzte Jakob sich fest in den Sattel, und hielt die Zügel kurz; das störrische Roß machte einen Satz aus der Tiefe des Erdfalls heraus, und rannte, was es nur rennen konnte, einen kleinen Hügel hinan, wo es mit einemmale still stand, und wo Jakob, als er aufblickte, sich unter Galgen und Rädern sah." Man sieht es gleichsam vor sich, dieses mit schwankenden, rumpelnden Paketen beladene, eher kalt- als warmblütige Pferd der Literaturwissenschaft, wie es vor Erregung dampfend unter dem Galgen steht und in wiehernder Freude sein Gebiß entblößt. Später stellt sich heraus, daß dieses Pferd einem Scharfrichter gehört hatte, bevor es Jacques als Reittier diente. Und was ist mit der Literaturwissenschaft? Tatsächlich hat auch diese eine Neigung, unerwartet den staubigen Pfad des philologischen Fleißes zu verlassen, sich krachend in die Büsche zu schlagen - und plötzlich triumphierend unter einem Galgen zu stehen. War nicht schon die "Goll-Affäre", der wenig feine Vorwurf Claire Golls, Paul Celan habe das Werk ihres verstorbenen Mannes Yvan kopiert, ein solcher literaturwissenschaftlicher Ritt zum Galgen - auf elfhundert Seiten herausgegeben und dokumentiert von Barbara Wiedemann (Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2000), ergänzt um eine philologische Kritik an den zweifelhaften Techniken, mit denen die Witwe das Werk von Yvan Goll edierte und beflügelt durch einen Hieb gegen Peter Rühmkorf, eines angeblichen antisemitischen Ressentiments gegen Paul Celan wegen? Noch forscher allerdings läßt Michael Maar den alten, schwerbepackten Gaul zum Galgen jagen: In "Das Blaubartzimmer" (Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2000) spürt er mit äußerster philologischer Akribie und in unendlich wohlgesetzten Worten einem nach Pier Paolo Pasolini klingenden Verbrechen nach, das Thomas Mann in seiner Jugend begangen haben soll und das den Menschen und das Werke bis ins tiefste geprägt haben soll: "Wenn man es von irgendwoher geflüstert bekäme; wenn ein verläßlicher und solider spirit uns auf die Tischplatte die Botschaft klopfte: in Neapels Stadtpark bei einer Bluttat unter Strichern ist er Zeuge - oder: im malavita-Viertel folgt er einem Mädchen, versagt und braust auf nach ihrem Spott - oder: wird er Opfer einer versuchten Vergewaltigung und rächt sich - oder: sticht er auf den Hund eines Zuhälters ein -, die Belegstellen schössen sofort zusammen. Aber in jedem Fall eben andere, und ein paar bleiben immer übrig." Am tiefsten Grund einer zu äußersten Leistungen angespornten Philologie haust offenbar das Trivialste, und am Ende allen literaturwissenschaftlichen Feinsinns soll sich die Welt um Phantasien von Neid, sinnlicher Liebe und Gewalt drehen. Beides aber, die äußerste Steigerung der philologischen Anstrengungen und den Pakt mit der Seifenoper muß man als Zeichen einer untergehenden Disziplin begreifen. Am Ende des Romans jedenfalls fängt das Tier auf offener Straße an zu rennen, jagt mit rasender Geschwindigkeit nach Hause, in eine Tür hinein, und die war niedrig - Jacques aber, sich noch immer auf dem Gaule haltend, knallt mit dem Kopf an den Balken und sinkt bewußtlos zu Boden.
THOMAS STEINFELD
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
In einem großen Aufsatz bespricht Christiane Zintzen drei neue Bücher über Paul Celan.
1) "Die Goll-Affäre. Dokumente zu einer `Infamie`"
Die Plagiatsvorwürfe, die Claire Goll, Witwe des 1950 verstorbenen französischen Dichters Yvan Goll, dessen Werke Celan teilweise ins Deutsche übersetzt hatte, jahrzehntelang verbreitete, gehören zu den hässlichsten Gerüchten, die über Paul Celan kursieren, erzählt die Rezensentin. Hässlich deswegen, weil mit diesen Vorwürfen einerseits die Witwe selbst die Chance ergriff, sich die Rechte auf das erschienene Werk und den Nachlass des Gatten zu sichern. Und andererseits, weil Golls Anschuldigungen im Literaturbetrieb nicht auf taube Ohren stießen und manchem ermöglichten, sich auf Celans Kosten zu profilieren. Das ganze Ausmaß dieser "giftigen Dämpfe von Denunziation, Fama und Verdacht" mag ermessen, wer die mehr als 900-seitige Dokumentation von Barbara Wiedermann liest, schreibt Zintzen. Das Dossier, bestehend aus publizierten und bisher nicht erschienenen Dokumenten (Briefe, Gedichte, Entwürfe, Entgegnungen) zeige Ursprung und Entwicklung einer literarischen Destruktion sowie die Schattenseiten eines Literaturbetriebes voller Profilierungssucht und antisemitischen Ressentiments. Wohnte der Wahrheit dieses Rufmordes nicht eine so bittere Sprache inne, könnte man die "Goll-Affäre" glatt für einen peinsamen Literaturkriminalroman halten, resümiert die Rezensentin.
2) Jean Bollack: "Paul Celan. Eine Poetik der Fremdheit"
Jahrelang stand der französische Philologe Jean Bollack in engem Kontakt zu Paul Celan. Eine "gedankenvolle" Monografie habe er nun rechtzeitig zum 80. Geburtstag des Dichters verfasst, meint Zintzen. "Liebevoll-sorglich" schlägt Bollack eine neue Lesbarkeit der hermetischen Gedichte Celans vor. Die Interpretation des Philologen sei allerdings so dicht und konsequent, dass sie beim Leser keinen Widerspruch mehr zulasse, so die Rezensentin. 300 Seiten "Diskursmanöver", das nicht nicht nur alle anderen Exegeten Celans auszuschalten, sondern Bollack selbst zum einzig wahren Kenner Celans zu erheben trachte, kritisiert Zintzen. Bollack vermag zwar mit "kunstvollem rhetorischen Raunen" den Leser dazu zu bewegen, sich intensiv mit Celans schwer zugänglicher Poetik zu beschäftigen, aber einen Freiraum für Widersprüche gegen seine Auslegung des Werks lässt er nicht zu, so die Rezensentin.
3) Otto Pöggeler: "Der Stein hinterm Aug. Studien zu Celans Gedichten" Anders ist es Zintzen mit Otto Pöggeler ergangen. Auch der deutsche Philosoph stand in persönlichem Kontakt zu Celan, auch er hat sich jahrzehntelang um Celans Werk verdient gemacht, informiert die Rezensentin. Und auch er möchte die wahre Exegese der Werke des Dichters vorlegen. Und hat eine "perspektivenreiche Aufsatzsammlung" zusammengestellt - "eckiger" und "schwerfälliger" formuliert als Bollack. Aber Zintzen war dankbar, während der Lektüre überhaupt Gelegenheit zum Widerspruch gegen Pöggeler erhalten zu haben. So gegen dessen "bemühte, doch höchst fragwürdige, ja mitunter alberne" Illustration von Celans Leben mit Versatzstücken aus dessen Gedichten oder gegen Pöggelers Bemühungen, Celan und Martin Heidegger am Ende doch noch zu versöhnen. Und das wohl eher deswegen, mutmaßt Zintzen, weil Pöggeler selbst im Konflikt der Loyalitäten - hier der philosophische Fixstern. dort der Dichterfürst - stehe.
© Perlentaucher Medien GmbH
1) "Die Goll-Affäre. Dokumente zu einer `Infamie`"
Die Plagiatsvorwürfe, die Claire Goll, Witwe des 1950 verstorbenen französischen Dichters Yvan Goll, dessen Werke Celan teilweise ins Deutsche übersetzt hatte, jahrzehntelang verbreitete, gehören zu den hässlichsten Gerüchten, die über Paul Celan kursieren, erzählt die Rezensentin. Hässlich deswegen, weil mit diesen Vorwürfen einerseits die Witwe selbst die Chance ergriff, sich die Rechte auf das erschienene Werk und den Nachlass des Gatten zu sichern. Und andererseits, weil Golls Anschuldigungen im Literaturbetrieb nicht auf taube Ohren stießen und manchem ermöglichten, sich auf Celans Kosten zu profilieren. Das ganze Ausmaß dieser "giftigen Dämpfe von Denunziation, Fama und Verdacht" mag ermessen, wer die mehr als 900-seitige Dokumentation von Barbara Wiedermann liest, schreibt Zintzen. Das Dossier, bestehend aus publizierten und bisher nicht erschienenen Dokumenten (Briefe, Gedichte, Entwürfe, Entgegnungen) zeige Ursprung und Entwicklung einer literarischen Destruktion sowie die Schattenseiten eines Literaturbetriebes voller Profilierungssucht und antisemitischen Ressentiments. Wohnte der Wahrheit dieses Rufmordes nicht eine so bittere Sprache inne, könnte man die "Goll-Affäre" glatt für einen peinsamen Literaturkriminalroman halten, resümiert die Rezensentin.
2) Jean Bollack: "Paul Celan. Eine Poetik der Fremdheit"
Jahrelang stand der französische Philologe Jean Bollack in engem Kontakt zu Paul Celan. Eine "gedankenvolle" Monografie habe er nun rechtzeitig zum 80. Geburtstag des Dichters verfasst, meint Zintzen. "Liebevoll-sorglich" schlägt Bollack eine neue Lesbarkeit der hermetischen Gedichte Celans vor. Die Interpretation des Philologen sei allerdings so dicht und konsequent, dass sie beim Leser keinen Widerspruch mehr zulasse, so die Rezensentin. 300 Seiten "Diskursmanöver", das nicht nicht nur alle anderen Exegeten Celans auszuschalten, sondern Bollack selbst zum einzig wahren Kenner Celans zu erheben trachte, kritisiert Zintzen. Bollack vermag zwar mit "kunstvollem rhetorischen Raunen" den Leser dazu zu bewegen, sich intensiv mit Celans schwer zugänglicher Poetik zu beschäftigen, aber einen Freiraum für Widersprüche gegen seine Auslegung des Werks lässt er nicht zu, so die Rezensentin.
3) Otto Pöggeler: "Der Stein hinterm Aug. Studien zu Celans Gedichten" Anders ist es Zintzen mit Otto Pöggeler ergangen. Auch der deutsche Philosoph stand in persönlichem Kontakt zu Celan, auch er hat sich jahrzehntelang um Celans Werk verdient gemacht, informiert die Rezensentin. Und auch er möchte die wahre Exegese der Werke des Dichters vorlegen. Und hat eine "perspektivenreiche Aufsatzsammlung" zusammengestellt - "eckiger" und "schwerfälliger" formuliert als Bollack. Aber Zintzen war dankbar, während der Lektüre überhaupt Gelegenheit zum Widerspruch gegen Pöggeler erhalten zu haben. So gegen dessen "bemühte, doch höchst fragwürdige, ja mitunter alberne" Illustration von Celans Leben mit Versatzstücken aus dessen Gedichten oder gegen Pöggelers Bemühungen, Celan und Martin Heidegger am Ende doch noch zu versöhnen. Und das wohl eher deswegen, mutmaßt Zintzen, weil Pöggeler selbst im Konflikt der Loyalitäten - hier der philosophische Fixstern. dort der Dichterfürst - stehe.
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