Ein Meridian verband Paul Celan mit seinen Czernowitzer Freunden Edith und Jacob Silbermann. Seiner Jugendliebe Edith hatte er Gedichte geschenkt, die er in der Bibliothek ihres Vaters verfasst hatte. In jener Nacht des Jahre 1942, als seine Eltern nach Transnistrien deportiert wurden, fand er Zuflucht in Ediths Haus. Als er aus dem Arbeitslager nach Czernowitz zurückkam, nahmen ihn Ediths Eltern auf. Durch Edith lernte er den jüdischen Rechtsanwalt Dr. Jacob Silbermann kennen, der ihm 1945 dazu verhalf, das sowjetische Czernowitz zu verlassen; gemeinsam unternahmen die beiden Freunde die gefährliche Reise nach Rumänien. 1947 gelang Celan die Flucht aus dem kommunistischen Rumänien: er ging nach Wien, danach Paris. Siebzehn Jahre später - nach unzähligen missglückten Auswanderungsversuchen - trafen auch Edith und Jakob Silbermann in Wien ein. Obwohl ihre Eltern einst österreichische Staatsbürger waren, verweigerten die österreichischen Beamten Edith und Jakob Silbermann eine Verlängerung der Aufenthaltsgenehmigung und neue Reisedokumente: "Vielleicht wird es uns doch vergönnt sein, sich in der 'freien Welt' auch bewegen zu dürfen - vorderhand sind wir nur ungebetene Zaungäste an den Toren dieser Welt", schrieb Jakob Silbermann an Paul Celan, der ihnen zu helfen suchte. Er bat Dr. Bermann-Fischer, seinen damaligen Verleger, und dessen Mitarbeiter, Cheflektor Janko von Musulin, seinen Freunden beizustehen. "Ich brauche Euch nicht erst zu sagen, wie viel mir daran liegt, daß Ihr Euer Leben so einrichten könnt, wie Ihr es wünscht. Sowohl Dr. Fischer als auch Herr von Musulin wissen, welchen Dank ich Euch schulde", schrieb Celan an seine Freunde. In seinen Briefen klagte er indes auch über eigene bittere Erfahrungen und seinen schweren Stand "als Jude und deutscher Schriftsteller" (Celan). Der vorliegende Band umfasst frühe Gedichte Celans im Besitz seiner Jugendfreundin Edith Silbermann, seinen späteren Briefwechsel mit Edith und Dr. Jacob Silbermann und einen wichtigen Zeitzeugenbericht von Edith Silbermann.
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Frankfurter Allgemeine ZeitungMit Erkennungspfiff
Frühe Freunde: Edith Silbermann erinnert sich an Celan
Wer sich mit Paul Celans Frühwerk auseinandersetzt, kommt an diesem Band nicht mehr vorbei. Erstmals werden hier 22 Handschriften von Gedichten Celans aus dem Besitz der 1921 geborenen Czernowitzer Jugendfreundin Edith Silbermann als Faksimile und Umschriften publiziert. Die Germanistin Amy-Diana Colin hat die Texte vorbildlich ediert und akribisch kommentiert und so ein Versäumnis der Bonner historisch-kritischen Celan-Ausgabe ausgeglichen. Für deren Band "Frühe Gedichte" wurden aus kaum nachvollziehbaren terminlichen Gründen nicht die Originale des Handschriftenkonvoluts, sondern lediglich unzulängliche Kopien berücksichtigt. Abweichungen der Manuskripte aus dem Konvolut Silbermann von anderen Textzeugen sind im Apparatband der historisch-kritischen Ausgabe zum Frühwerk teils lückenhaft, teils falsch wiedergegeben. Durch die vorliegende Edition lassen sich nun innerhalb des Frühwerks schwierige Datierungen genauer bestimmen, textgenetische Befunde präzisieren und Akzentverschiebungen nachvollziehen. Von welcher Relevanz das teilweise unautorisiert publizierte, teils nachgelassene Frühwerk aus der Zeit vor der Übersiedlung nach Paris 1948 für Celans späteres Werk ist, kann nun auf erweiterter Textgrundlage diskutiert werden.
Auch Edith Silbermanns zuerst 1993 erschienenen "Erinnerungen an Paul Celan" liegen nun in leicht veränderter Form aufs Neue vor. Gegenüber der Erstpublikation sind sie ergänzt durch einen umfangreichen Bildteil und eine CD, auf der Silbermann, die auch als Schauspielerin und Rezitatorin tätig war, Gedichte Celans vorträgt. Besonders bei dem in rumänischem Volksliedtypus gesungenen, eindrücklichen Vortrag von "Espenlaub", aber auch bei vier gesprochenen Gedichten lässt sich fragen, ob es wohl jene, auch an den Sprechweisen des Schauspielers Alexander Moissi und Karl Kraus' geschulte Art des für heutige Ohren pathetisch klingenden Deklamierens war, mit der Paul Celan 1952 die Teilnehmer der Gruppe 47 bei seiner Lesung in Niendorf irritiert hatte.
Mehr als fünfzehn Jahre hatte sich Edith Silbermann um eine Publikationsgenehmigung für den hier ebenfalls nachzulesenden Briefwechsel, den sie und ihr Mann zwischen 1963 und 1965 mit Paul Celan führten, bemüht. Erst 2007 wurde sie ihr von Eric Celan erteilt. Silbermann selbst kann das nun publizierte Ergebnis ihrer Bemühungen nicht mehr in Händen halten. Sie starb 2008. Biographisch blieb manches aus Celans Czernowitzer Zeit wirksam. Die Jugendfreundin charakterisiert ihn als "Mittelpunkt der Treffen des Freundeskreises", als "hellsichtig", aber auch als "leicht verstimmbares Instrument, von mimosenhafter Empfindsamkeit, narzisstischer Eitelkeit, unduldsam, wenn ihm etwas wider den Strich ging". Vor Edith Silbermanns Fenster in Czernowitz nutzte Celan ein Motiv aus Schuberts "Unvollendeter" als Erkennungspfiff. Als er später in Paris eine Affäre zu Brigitta Eisenreich unterhielt, pfiff er es vor deren Fenster wieder.
BEATE TRÖGER
Amy-Diana Colin/Edith Silbermann (Hrsg.): "Paul Celan - Edith Silbermann".
Wilhelm Fink Verlag, München/Paderborn 2010. 324 S., br., 24,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Frühe Freunde: Edith Silbermann erinnert sich an Celan
Wer sich mit Paul Celans Frühwerk auseinandersetzt, kommt an diesem Band nicht mehr vorbei. Erstmals werden hier 22 Handschriften von Gedichten Celans aus dem Besitz der 1921 geborenen Czernowitzer Jugendfreundin Edith Silbermann als Faksimile und Umschriften publiziert. Die Germanistin Amy-Diana Colin hat die Texte vorbildlich ediert und akribisch kommentiert und so ein Versäumnis der Bonner historisch-kritischen Celan-Ausgabe ausgeglichen. Für deren Band "Frühe Gedichte" wurden aus kaum nachvollziehbaren terminlichen Gründen nicht die Originale des Handschriftenkonvoluts, sondern lediglich unzulängliche Kopien berücksichtigt. Abweichungen der Manuskripte aus dem Konvolut Silbermann von anderen Textzeugen sind im Apparatband der historisch-kritischen Ausgabe zum Frühwerk teils lückenhaft, teils falsch wiedergegeben. Durch die vorliegende Edition lassen sich nun innerhalb des Frühwerks schwierige Datierungen genauer bestimmen, textgenetische Befunde präzisieren und Akzentverschiebungen nachvollziehen. Von welcher Relevanz das teilweise unautorisiert publizierte, teils nachgelassene Frühwerk aus der Zeit vor der Übersiedlung nach Paris 1948 für Celans späteres Werk ist, kann nun auf erweiterter Textgrundlage diskutiert werden.
Auch Edith Silbermanns zuerst 1993 erschienenen "Erinnerungen an Paul Celan" liegen nun in leicht veränderter Form aufs Neue vor. Gegenüber der Erstpublikation sind sie ergänzt durch einen umfangreichen Bildteil und eine CD, auf der Silbermann, die auch als Schauspielerin und Rezitatorin tätig war, Gedichte Celans vorträgt. Besonders bei dem in rumänischem Volksliedtypus gesungenen, eindrücklichen Vortrag von "Espenlaub", aber auch bei vier gesprochenen Gedichten lässt sich fragen, ob es wohl jene, auch an den Sprechweisen des Schauspielers Alexander Moissi und Karl Kraus' geschulte Art des für heutige Ohren pathetisch klingenden Deklamierens war, mit der Paul Celan 1952 die Teilnehmer der Gruppe 47 bei seiner Lesung in Niendorf irritiert hatte.
Mehr als fünfzehn Jahre hatte sich Edith Silbermann um eine Publikationsgenehmigung für den hier ebenfalls nachzulesenden Briefwechsel, den sie und ihr Mann zwischen 1963 und 1965 mit Paul Celan führten, bemüht. Erst 2007 wurde sie ihr von Eric Celan erteilt. Silbermann selbst kann das nun publizierte Ergebnis ihrer Bemühungen nicht mehr in Händen halten. Sie starb 2008. Biographisch blieb manches aus Celans Czernowitzer Zeit wirksam. Die Jugendfreundin charakterisiert ihn als "Mittelpunkt der Treffen des Freundeskreises", als "hellsichtig", aber auch als "leicht verstimmbares Instrument, von mimosenhafter Empfindsamkeit, narzisstischer Eitelkeit, unduldsam, wenn ihm etwas wider den Strich ging". Vor Edith Silbermanns Fenster in Czernowitz nutzte Celan ein Motiv aus Schuberts "Unvollendeter" als Erkennungspfiff. Als er später in Paris eine Affäre zu Brigitta Eisenreich unterhielt, pfiff er es vor deren Fenster wieder.
BEATE TRÖGER
Amy-Diana Colin/Edith Silbermann (Hrsg.): "Paul Celan - Edith Silbermann".
Wilhelm Fink Verlag, München/Paderborn 2010. 324 S., br., 24,90 [Euro].
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