"Meine Lieben, habt Dank für alles, habt Dank dafür, daß Ihr da seid, daß Ihr dieses weite Tor der Freundschaft geöffnet habt -: Ihr seid meine endlich wirklich gewordene Welt." Paul Celan an Klaus und Nani Demus
Als "Bruder" hat Paul Celan Klaus Demus bezeichnet, niemandem hat er sich stärker geöffnet als dem Wiener Freund. Ingeborg Bachmann war es, die diese Freundschaft stiftete, 1948 in Wien. Aus dem Zusammentreffen des Dichters aus der Bukowina mit dem jungen Wiener Dichter und Studenten der Kunstgeschichte entwickelt sich die einzig "wahre" Freundschaft Celans, in die später auch Nani Demus geb. Maier und Celans Ehefrau Gisèle Celan-Lestrange miteinbezogen werden.
Ihr gemeinsamer Briefwechsel nimmt unter den Korrespondenzen Paul Celans eine herausragende Stellung ein, sowohl dem Umfang nach (ca. 400 Briefe) als auch in seiner Bedeutung: Wie keine andere seiner Korrespondenzen offenbart dieser Dichterbriefwechsel den Menschen Paul Celan hinter dem Werk und ermöglicht dabei zugleich einen Einblick in seinen oft mühevollen Pariser Alltag. Auf die Verbindung zwischen Ingeborg Bachmann und Paul Celan wirft er ein neues und eindringlich scharfes Licht.Und doch wird selbst diese Beziehung zweier Dichter, die größte Nähe und Zuneigung miteinander verbindet, durch die Goll-Affäre und Celans Krankheit 1962 für Jahre getrennt. 1968 aber nimmt Klaus Demus den Faden wieder auf: So hinterlassen diese Briefe zum Schluß auch ein berührendes Dokument von Paul Celans letzten Jahren.
Als "Bruder" hat Paul Celan Klaus Demus bezeichnet, niemandem hat er sich stärker geöffnet als dem Wiener Freund. Ingeborg Bachmann war es, die diese Freundschaft stiftete, 1948 in Wien. Aus dem Zusammentreffen des Dichters aus der Bukowina mit dem jungen Wiener Dichter und Studenten der Kunstgeschichte entwickelt sich die einzig "wahre" Freundschaft Celans, in die später auch Nani Demus geb. Maier und Celans Ehefrau Gisèle Celan-Lestrange miteinbezogen werden.
Ihr gemeinsamer Briefwechsel nimmt unter den Korrespondenzen Paul Celans eine herausragende Stellung ein, sowohl dem Umfang nach (ca. 400 Briefe) als auch in seiner Bedeutung: Wie keine andere seiner Korrespondenzen offenbart dieser Dichterbriefwechsel den Menschen Paul Celan hinter dem Werk und ermöglicht dabei zugleich einen Einblick in seinen oft mühevollen Pariser Alltag. Auf die Verbindung zwischen Ingeborg Bachmann und Paul Celan wirft er ein neues und eindringlich scharfes Licht.Und doch wird selbst diese Beziehung zweier Dichter, die größte Nähe und Zuneigung miteinander verbindet, durch die Goll-Affäre und Celans Krankheit 1962 für Jahre getrennt. 1968 aber nimmt Klaus Demus den Faden wieder auf: So hinterlassen diese Briefe zum Schluß auch ein berührendes Dokument von Paul Celans letzten Jahren.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 16.11.2009„Du bist der größte aller Abendkönige”
Ein Dokument, das erschütternde Beobachtungen erlaubt: Der Briefwechsel von Paul Celan mit Klaus und Nani Demus
Das Leben Paul Celans ist längst kein Geheimnis mehr. Fast alles aus seinem Nachlass ist mittlerweile veröffentlicht worden, Zentrales und Peripheres, und jetzt erscheint schon wieder ein Briefwechsel von 675 Druckseiten – kann es da noch Überraschungen geben? Klaus Demus ist ein früher Freund, der Celan schon in dessen kurzer Wiener Zeit 1948 kennengelernt hat, und bereits auf den ersten Seiten entsteht ein Bild, das die spätere Mythisierung Celans vorwegzunehmen scheint. Der sieben Jahren jüngere Demus gerät sofort in den Bann des 27-jährigen Dichters aus Czernowitz, der in Wien ziemlich schnell Eindruck macht und Anschluss an die jüngere Literatenszene findet. Als Celan bald nach Paris weiterreist, schreibt Demus: „Ich denke so sehr an Sie wie an eine Person im Traum. Immer und immer.”
Demus ist in eine ganz andere Tradition hineingeboren worden als Celan. Sein Vater Otto Demus ist ein bekannter Kunsthistoriker. Klaus tritt in die Fußstapfen des Vaters und arbeitet bis 1987 als Kustos im Kunsthistorischen Museum Wien, sein Bruder Jörg ist ein berühmter Konzertpianist. Die Lyrik von Klaus Demus – der heute 82-Jährige hat mittlerweile 15 Gedichtbände veröffentlicht – fühlt sich der Tradition verpflichtet, dem Schauen, Hölderlin, Hofmannsthal, Heidegger. Der Abstand zu Celans Bewusstsein, als deutschjüdischer Dichter im 20. Jahrhundert zu stehen, scheint sehr groß zu sein; das Jüdische wird in der ersten, intensiven Phase dieses Briefwechsels nirgends thematisiert. Aber Celan vertraut Demus, und der Altersunterschied wird im Lauf der Jahre überlagert. Die Unbedingtheit, mit der Demus an den Lyriker Celan glaubt, bildet die Grundlage dafür:„Du bist der größte aller Abendkönige.”
Die Tonlage von Demus scheint aus einer anderen Zeit zu stammen, und Celan ist gerade für solche Töne sehr empfänglich. Einige bisher verschwommene Konturen von Celans Gemütslage, seiner psychischen Verfassung in den fünfziger Jahren werden durch diesen Briefwechsel nun deutlicher. Der enorme Umfang erklärt sich daraus, dass Demus sehr lange Briefe schreibt und daneben auch viele Gedichte und lyrische Prosa sendet. Celan meldet sich über längere Strecken gar nicht, und wenn, eher kurz. Dennoch fühlt er sich Klaus und Nani Demus nah.
Die ersten Jahre in Paris, bis er Ende 1951 seine Frau Giséle kennenlernt, sind für Celan von großer Einsamkeit gekennzeichnet – er hat kaum französische Freunde, noch keine französische Staatsbürgerschaft und versucht verzweifelt, sich im deutschen Literaturbetrieb Gehör zu verschaffen. Es ist diese Zeit, in der für ihn Klaus Demus, der junge, ihn bewundernde Dichter in Wien, zum wichtigsten Bezugspunkt wird. Als die beiden jungen Paare sich begegnen, ist kaum etwas zu spüren von Celans späteren psychischen Ausfallerscheinungen, und dass die beiden Heiratstermine fast zeitgleich, um Weihnachten 1952 liegen, lässt gar einen Hauch von Glück erahnen. Auffällig aber ist von Anfang an eine große Empfindlichkeit Celans gegenüber allen kritischen Reaktionen auf seine Gedichte. Obwohl er relativ schnell einen gewissen Erfolg hat, stehen seine Fassungslosigkeit, seine Gekränktheit, wenn ihn jemand aus Neid oder einfach nur aus Unvermögen links liegen lässt, sofort im Mittelpunkt.
Das betrifft auch die Gruppe 47. Der Brief von Celan an Demus ist neben demjenigen an seine Frau Gisèle jetzt der zweite öffentlich gemachte, in dem von den Erfahrungen des Lyrikers bei der Tagung im Mai 1952 die Rede ist. Gisèle gegenüber ist Celan relativ zurückhaltend und vorsichtig. Im Brief an Klaus Demus aber fühlt er sich vor allem von Ingeborg Bachmann verraten. Der Brief kreist fast ausschließlich darum: „Inge hat mich wieder sehr enttäuscht. Sie hat mich nämlich wieder verleugnet und es sogar so weit gebracht, sich gegen mich ausspielen zu lassen: ihre Gedichte, nicht die meinen, blieben die gültigen, und sie ließ es sich, lächelnd vor Glück, gefallen, als die Dichterin angesprochen zu werden . . . Und dieser Erfolg hat nun keineswegs rein literarische Ursachen.”
Umso verblüffender ist dann die Karte, die Celan nur wenige Tage später an Demus schreibt. Der Ton ist plötzlich ganz verändert, und das hat offenkundig etwas damit zu tun, dass Celan soeben eine erfolgreiche Lesung in Frankfurt am Main absolviert hat: „Kläuschen, mein Brief war im Affekt geschrieben, er war zum Teil ungerecht und dumm. Inge hat eine so schöne silberne Stimme. Und außerdem steht ihr der neue Mantel so gut!”
Noch hält Celan eine zwar prekäre, aber einigermaßen stabile Balance. Im Laufe der fünfziger Jahre registriert er jedoch immer sensibler die Wiederkehr der Nazi-Töne in Westdeutschland, vor allem auch die antisemitischen Tendenzen. Das vermischt sich mit seinem Dichtertum. Celan setzt den Juden und den Dichter programmatisch gleich. Er versteht seine Gedichte nicht zuletzt als Grabinschriften für seine von den Nazis umgebrachte Familie. Deshalb sind für ihn die üblichen Machenschaften des Literaturbetriebs, die es bis heute gibt, die üble, versteckte Nachrede, die hämischen und intriganten Stimmen, direkte Angriffe auf seine Person. Celan gelingt es nicht, dies als Mechanismen abzutun, die es jenseits von ihm schon immer gegeben hat. Er ist Überlebender des Massenmords an den europäischen Juden, und das Bewusstsein dafür wird mit jeder neuen Zeitungskritik aktualisiert.
Die weitere Entwicklung ist durch die vielen Veröffentlichungen aus Celans Nachlass bekannt: eine ignorante Kritik Günter Blöckers im Tagesspiegel, die Celan durchaus begründet als antisemitisch empfindet, und der Höhepunkt der Goll-Affäre mit den verleumderischen Plagiatsvorwürfen gegen ihn, die er psychisch nicht verkraftet. Gerade im Briefwechsel mit Klaus Demus, dem lange Zeit engsten und fast einzigen Freund, ist es erschütternd zu beobachten, wie Celan sich zusehends in ein Wahnsystem verstrickt und selbst seine Freunde als Feinde bezichtigt. Er sagt sich auch von Demus los – man kann nicht anders, als dies nach allem Vorangegangenen als tragisch zu empfinden. Nach einer Abweisung im April 1962 schreibt Demus einen bewegenden Brief: „Paul, ich habe den entsetzlichen ganz gewissen Verdacht, dass Du an Paranoia erkrankt bist.”
In diesem Moment reißt der Kontakt ab. Erst sechseinhalb Jahre später, im Dezember 1968, reagiert Celan wieder auf einen Gesprächsversuch. Er ist längst in psychiatrischer Behandlung und steht unter Medikamenten. Ein halbes Jahr vor seinem Selbstmord zieht Celan in ein leeres Apartment und hat Gisèle „ganz verloren”. Eines seiner letzten Zeugnisse in diesem Briefwechsel stammt von Ende November 1969: „Ich bin nun eben so ziemlich zerrissen, ein wenig – ich zitiere: l’homme coupé en tranches. Es war so vieles in mir – und eine Einheit, ein Ganzes.” HELMUT BÖTTIGER
PAUL CELAN, KLAUS und NANI DEMUS: Briefwechsel. Hrsg. von Joachim Seng. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2009. 675 Seiten, 34,80 Euro.
„Inge hat eine so schöne silberne Stimme”
„Paul, ich habe den entsetzlichen ganz gewissen Verdacht, dass Du an Paranoia erkrankt bist.”: Klaus Demus (links) und Paul Celan Foto: Suhrkamp Verlag, dpa
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Ein Dokument, das erschütternde Beobachtungen erlaubt: Der Briefwechsel von Paul Celan mit Klaus und Nani Demus
Das Leben Paul Celans ist längst kein Geheimnis mehr. Fast alles aus seinem Nachlass ist mittlerweile veröffentlicht worden, Zentrales und Peripheres, und jetzt erscheint schon wieder ein Briefwechsel von 675 Druckseiten – kann es da noch Überraschungen geben? Klaus Demus ist ein früher Freund, der Celan schon in dessen kurzer Wiener Zeit 1948 kennengelernt hat, und bereits auf den ersten Seiten entsteht ein Bild, das die spätere Mythisierung Celans vorwegzunehmen scheint. Der sieben Jahren jüngere Demus gerät sofort in den Bann des 27-jährigen Dichters aus Czernowitz, der in Wien ziemlich schnell Eindruck macht und Anschluss an die jüngere Literatenszene findet. Als Celan bald nach Paris weiterreist, schreibt Demus: „Ich denke so sehr an Sie wie an eine Person im Traum. Immer und immer.”
Demus ist in eine ganz andere Tradition hineingeboren worden als Celan. Sein Vater Otto Demus ist ein bekannter Kunsthistoriker. Klaus tritt in die Fußstapfen des Vaters und arbeitet bis 1987 als Kustos im Kunsthistorischen Museum Wien, sein Bruder Jörg ist ein berühmter Konzertpianist. Die Lyrik von Klaus Demus – der heute 82-Jährige hat mittlerweile 15 Gedichtbände veröffentlicht – fühlt sich der Tradition verpflichtet, dem Schauen, Hölderlin, Hofmannsthal, Heidegger. Der Abstand zu Celans Bewusstsein, als deutschjüdischer Dichter im 20. Jahrhundert zu stehen, scheint sehr groß zu sein; das Jüdische wird in der ersten, intensiven Phase dieses Briefwechsels nirgends thematisiert. Aber Celan vertraut Demus, und der Altersunterschied wird im Lauf der Jahre überlagert. Die Unbedingtheit, mit der Demus an den Lyriker Celan glaubt, bildet die Grundlage dafür:„Du bist der größte aller Abendkönige.”
Die Tonlage von Demus scheint aus einer anderen Zeit zu stammen, und Celan ist gerade für solche Töne sehr empfänglich. Einige bisher verschwommene Konturen von Celans Gemütslage, seiner psychischen Verfassung in den fünfziger Jahren werden durch diesen Briefwechsel nun deutlicher. Der enorme Umfang erklärt sich daraus, dass Demus sehr lange Briefe schreibt und daneben auch viele Gedichte und lyrische Prosa sendet. Celan meldet sich über längere Strecken gar nicht, und wenn, eher kurz. Dennoch fühlt er sich Klaus und Nani Demus nah.
Die ersten Jahre in Paris, bis er Ende 1951 seine Frau Giséle kennenlernt, sind für Celan von großer Einsamkeit gekennzeichnet – er hat kaum französische Freunde, noch keine französische Staatsbürgerschaft und versucht verzweifelt, sich im deutschen Literaturbetrieb Gehör zu verschaffen. Es ist diese Zeit, in der für ihn Klaus Demus, der junge, ihn bewundernde Dichter in Wien, zum wichtigsten Bezugspunkt wird. Als die beiden jungen Paare sich begegnen, ist kaum etwas zu spüren von Celans späteren psychischen Ausfallerscheinungen, und dass die beiden Heiratstermine fast zeitgleich, um Weihnachten 1952 liegen, lässt gar einen Hauch von Glück erahnen. Auffällig aber ist von Anfang an eine große Empfindlichkeit Celans gegenüber allen kritischen Reaktionen auf seine Gedichte. Obwohl er relativ schnell einen gewissen Erfolg hat, stehen seine Fassungslosigkeit, seine Gekränktheit, wenn ihn jemand aus Neid oder einfach nur aus Unvermögen links liegen lässt, sofort im Mittelpunkt.
Das betrifft auch die Gruppe 47. Der Brief von Celan an Demus ist neben demjenigen an seine Frau Gisèle jetzt der zweite öffentlich gemachte, in dem von den Erfahrungen des Lyrikers bei der Tagung im Mai 1952 die Rede ist. Gisèle gegenüber ist Celan relativ zurückhaltend und vorsichtig. Im Brief an Klaus Demus aber fühlt er sich vor allem von Ingeborg Bachmann verraten. Der Brief kreist fast ausschließlich darum: „Inge hat mich wieder sehr enttäuscht. Sie hat mich nämlich wieder verleugnet und es sogar so weit gebracht, sich gegen mich ausspielen zu lassen: ihre Gedichte, nicht die meinen, blieben die gültigen, und sie ließ es sich, lächelnd vor Glück, gefallen, als die Dichterin angesprochen zu werden . . . Und dieser Erfolg hat nun keineswegs rein literarische Ursachen.”
Umso verblüffender ist dann die Karte, die Celan nur wenige Tage später an Demus schreibt. Der Ton ist plötzlich ganz verändert, und das hat offenkundig etwas damit zu tun, dass Celan soeben eine erfolgreiche Lesung in Frankfurt am Main absolviert hat: „Kläuschen, mein Brief war im Affekt geschrieben, er war zum Teil ungerecht und dumm. Inge hat eine so schöne silberne Stimme. Und außerdem steht ihr der neue Mantel so gut!”
Noch hält Celan eine zwar prekäre, aber einigermaßen stabile Balance. Im Laufe der fünfziger Jahre registriert er jedoch immer sensibler die Wiederkehr der Nazi-Töne in Westdeutschland, vor allem auch die antisemitischen Tendenzen. Das vermischt sich mit seinem Dichtertum. Celan setzt den Juden und den Dichter programmatisch gleich. Er versteht seine Gedichte nicht zuletzt als Grabinschriften für seine von den Nazis umgebrachte Familie. Deshalb sind für ihn die üblichen Machenschaften des Literaturbetriebs, die es bis heute gibt, die üble, versteckte Nachrede, die hämischen und intriganten Stimmen, direkte Angriffe auf seine Person. Celan gelingt es nicht, dies als Mechanismen abzutun, die es jenseits von ihm schon immer gegeben hat. Er ist Überlebender des Massenmords an den europäischen Juden, und das Bewusstsein dafür wird mit jeder neuen Zeitungskritik aktualisiert.
Die weitere Entwicklung ist durch die vielen Veröffentlichungen aus Celans Nachlass bekannt: eine ignorante Kritik Günter Blöckers im Tagesspiegel, die Celan durchaus begründet als antisemitisch empfindet, und der Höhepunkt der Goll-Affäre mit den verleumderischen Plagiatsvorwürfen gegen ihn, die er psychisch nicht verkraftet. Gerade im Briefwechsel mit Klaus Demus, dem lange Zeit engsten und fast einzigen Freund, ist es erschütternd zu beobachten, wie Celan sich zusehends in ein Wahnsystem verstrickt und selbst seine Freunde als Feinde bezichtigt. Er sagt sich auch von Demus los – man kann nicht anders, als dies nach allem Vorangegangenen als tragisch zu empfinden. Nach einer Abweisung im April 1962 schreibt Demus einen bewegenden Brief: „Paul, ich habe den entsetzlichen ganz gewissen Verdacht, dass Du an Paranoia erkrankt bist.”
In diesem Moment reißt der Kontakt ab. Erst sechseinhalb Jahre später, im Dezember 1968, reagiert Celan wieder auf einen Gesprächsversuch. Er ist längst in psychiatrischer Behandlung und steht unter Medikamenten. Ein halbes Jahr vor seinem Selbstmord zieht Celan in ein leeres Apartment und hat Gisèle „ganz verloren”. Eines seiner letzten Zeugnisse in diesem Briefwechsel stammt von Ende November 1969: „Ich bin nun eben so ziemlich zerrissen, ein wenig – ich zitiere: l’homme coupé en tranches. Es war so vieles in mir – und eine Einheit, ein Ganzes.” HELMUT BÖTTIGER
PAUL CELAN, KLAUS und NANI DEMUS: Briefwechsel. Hrsg. von Joachim Seng. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2009. 675 Seiten, 34,80 Euro.
„Inge hat eine so schöne silberne Stimme”
„Paul, ich habe den entsetzlichen ganz gewissen Verdacht, dass Du an Paranoia erkrankt bist.”: Klaus Demus (links) und Paul Celan Foto: Suhrkamp Verlag, dpa
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Dass es noch immer Überraschendes gibt von und zu Paul Celan, lernt Helmut Böttiger bei der Lektüre dieses umfangreichen Briefwechsels. Allerdings stößt er beim sieben Jahre jüngeren Dichterkollegen Klaus Demus und seiner Frau Nani zunächst auf die bekannten Mythisierungsmechanismen betreffend Celan. Im Verlauf erfährt Böttiger Neues über Celans Gemütsverfassung während der 50er Jahre, über seine Empfindlichkeit gegenüber Kritik, seine Erfahrungen bei der Tagung der Gruppe 47 im Mai 1952 sowie über seine für Böttiger nicht anders als tragisch zu empfindende Lossagung von Demus infolge zunehmender paranoider Vorstellungen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Gerade im Briefwechsel mit Klaus Demus, dem lange Zeit engsten und fast einzigen Freund, ist es erschütternd zu beobachten, wie Celan sich zusehends in ein Wahnsystem verstrickt und selbst seine Freunde als Feinde bezichtigt. Er sagt sich auch von Demus los. Man kann nicht anders, als dies nach allem Vorangegangenen als tragisch zu empfinden.« Helmut Böttiger Süddeutsche Zeitung 20091116