John Felstiners Annäherung an Leben und Werk Paul Celans hat durch ihre Sensibilität und Behutsamkeit Aufsehen erregt. Er folgt dem Lebensweg Celans von der Kindheit in der deutsch-jüdischen Bukowina bis zum Freitod am 20. April 1976 in Paris. Zugleich führt er den Leser in das Werk Celans ein, schärft sein Gehör für den einzigartigen Ton der Gedichte und seine Aufmerksamkeit für ihren Bedeutungsreichtum.
Rezension:
- "Der amerikanische Literaturwissenschaftler hat nach fast 20jähriger Recherche eine ... Celan-Biographie vorgelegt, die sich nicht auf die Irrwege interpretativer Kryptik locken läßt, sondern ... das Werk des Dichters auf seinen biographischen Entstehungshintergrund durchsichtig macht." (Die Woche)
Rezension:
- "Der amerikanische Literaturwissenschaftler hat nach fast 20jähriger Recherche eine ... Celan-Biographie vorgelegt, die sich nicht auf die Irrwege interpretativer Kryptik locken läßt, sondern ... das Werk des Dichters auf seinen biographischen Entstehungshintergrund durchsichtig macht." (Die Woche)
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.03.1997Der Biograph will Vormund sein
John Felstiner schreibt das Leben Paul Celans aus dem Geist des Judentums / Von Lorenz Jäger
Als Paul Celan am 26. Januar 1958 den Literaturpreis der Freien Hansestadt Bremen erhielt, verband er in seiner Ansprache den Dank mit Hinweisen auf drei Autoren der ersten Jahrhunderthälfte: Martin Buber als Erzähler der chassidischen Geschichten wurde zuerst genannt - Celan kam aus der osteuropäischen Landschaft, "in der ein nicht unbeträchtlicher Teil jener . . . Geschichten zu Hause war". Dem Bremer Rudolf Alexander Schröder, dessen achtzigster Geburtstag bei der Preisverleihung gleichfalls gefeiert wurde, galt die zweite Erwähnung. Celan gelang das schöne Kunststück, die Höflichkeit gegenüber der gastgebenden Stadt in ein poetologisches Traditionsfragment zu verweben: "Dort, in dieser nun der Geschichtslosigkeit" - weil Geschichten der Buberschen Art nicht mehr erzählt werden können - "anheimgefallenen ehemaligen Provinz der Habsburgermonarchie, kam zum ersten Mal der Name Rudolf Alexander Schröders auf mich zu: beim Lesen von Rudolf Borchardts ,Ode mit dem Granatapfel'."
Borchardts Ode mit der Widmung "An Schröder" ist ein Herbstgedicht - "Wohl nicht klagend; aber der alten Totenklage gedenkend" -, das für Celans eigene Evokationen des Herbstes als Vorläufer erscheinen konnte: "nicht ohn ein reiferes Zeichen sollst du, / Ohn ein Opfer, das dir gemäßer sei, nicht / Stehn und suchen: Nimm den geheimnisvollen Apfel des Hades." Das Schicksal des Dichters der vierzehn gewaltigen Strophen ist bekannt. Einem der letzten Vernichtungstransporte entronnen, starb er Anfang 1945 in Österreich. Celan fährt fort: "Und dort gewann Bremen auch so Umriß für mich: in der Gestalt der Veröffentlichungen der Bremer Presse." In der Bremer Presse, deren Publikationen zu den Höhepunkten der Buchgestaltung gehören, waren die großen Anthologien Hofmannsthals und Borchardts erschienen, das "Deutsche Lesebuch", "Wert und Ehre deutscher Sprache" und "Der Deutsche in der Landschaft", in denen die Tradition eine zeitkritische Funktion gewann. Auch die "Neuen Deutschen Beiträge" gehörten zur Bremer Presse - gut möglich, daß Celan dem Namen Walter Benjamin hier zum ersten Mal begegnete.
Anders deutet John Felstiner, der neue Biograph des Dichters, die Szene: "Zu Ehren der preisverleihenden Stadt Bremen erwähnt Celan Rudolf Borchardts ,Ode mit dem Granatapfel' von 1907, die von der Bremer Presse veröffentlicht worden war. Borchardt war ein getaufter Jude, der für die Vorherrschaft der arischen Rasse eintrat. Ein derartiger Selbsthaß strafte in Celans Augen die deutsch-jüdische Vorkriegs-,Symbiose' Lügen - freilich mußten Celans Bremer Zuhörer 1958 die Anspielung auf Borchardt als Kompliment an die literarische Kultur ihrer Stadt verstehen." An dieser Darstellung stimmt so gut wie nichts. Weder erschien die Ode in der Bremer Presse, noch hat sich Borchardt, der gewiß manches Anfechtbare gesagt hat, aber politisch und nicht biologistisch dachte, jemals über die "arische Rasse" geäußert. Vor allem aber: Die Idee, in den Dank für eine Gabe, die man soeben annimmt, eine moralische Verächtlichmachung des Gebers einzuflechten, ist neueren Datums. Celan kannte sie nicht.
Felstiners Buch verfolgt eine Tendenz. Der Untertitel der amerikanischen Originalausgabe - "Poet, Survivor, Jew" - deutet an, daß Celan hier erstmals ganz aus dem Judentum verstanden wird. Tatsächlich liegen die Stärken des Buches in der Identifizierung der jüdischen "Ader" (so Felstiners Formulierung) des Dichters. Daß Celan den Völkermord an den Juden überlebte, machte ihn zum lyrischen Zeugen des Furchtbaren, das bis ins Spätwerk hineinwirkte. "Denn tot sind die Engel und blind ward der Herr in der Gegend von Akra, / und keiner ist, der mir betreue im Schlaf die zur Ruhe hier gingen." Celan ist der Dichter einer Schöpfung, in der die Vernichtung gewaltet hat.
Einflüsse des Hebräischen und Jiddischen auf die Sprache, der Geschichte des jüdischen Volkes und der Bibel auf die Stoffe von Celans Gedichten werden mit großer Kenntnis analysiert; die Lektüre jüdischer Denker - Cohen, Rosenzweig, Buber, Landauer, Benjamin, Levinas und Scholem - wird zumindest erwähnt. Daß mit dem Wort "Sulamith" aus dem Hohenlied Celans erstes veröffentlichtes Gedicht endet und mit dem Wort "Sabbath" sein letztes, nennt Felstiner mit Recht symptomatisch. Im Gegenzug unternimmt er es, ökumenische, auf die Gemeinsamkeiten von Christen- und Judentum zielende Interpretationen zurückzuweisen.
Die Vereindeutigung von Zugehörigkeiten und Loyalitäten - für den gegenwärtigen Minoritätendiskurs der Vereinigten Staaten charakteristisch - ist für Dichter fatal, und im Falle von Paul Celan, der mit einer Katholikin verheiratet war und deutsche Gedichte schrieb, hat sie einen zu hohen Preis. Nur zum Briefwechsel mit Nelly Sachs gelingt eine angemessene Darstellung; andere Begegnungen erscheinen merkwürdig verzerrt. 1959 wollte Celan, wie Felstiner schreibt, "den Soziologen Theodor Adorno" kennenlernen. Das geplante Treffen im Engadin kam nicht zustande. Adorno, so legt Felstiner nahe, war ein unsicherer Kantonist, der "den Namen seines jüdischen Vaters unterdrückt und den seiner katholischen Mutter, Adorno, angenommen hatte." Begonnen hatte das Verhältnis mit Celans Lektüre von Adornos Heine-Essay, in dem er Stellen über Heines Fremdheit in der deutschen Sprache angestrichen hatte. Mit Heine fühlte er sich in der dichterischen Behandlung von Sarkasmus und Ironie verwandt.
An die Grenze der Fälschung gerät die Darstellung des Verhältnisses zu Martin Heidegger, dem "Denkenden", wie Celan ihn nannte. Zu ihm bildete Hölderlin die Brücke. Am 25. Juli 1967 besuchte der Dichter Heidegger in seinem schwarzwälderischen Refugium. "Die beiden sprachen auch über zeitgenössische französische Philosophie, aber Celans Aufmerksamkeit war anderswo." Unbefangen macht sich der Biograph zum Vormund, der auch dort Bescheid weiß, wo die Quellen schweigen. In einer späteren Diskussion, so Felstiner, "tadelte (Celan) an einer Stelle Heidegger ob seiner Unaufmerksamkeit". Man muß nur den Bericht Gerhard Baumanns - auch für Felstiner die Hauptquelle - daneben halten, um die Retuschen zu erkennen: "Kaum hatte Celan geendet, sprach Heidegger einige Verse wörtlich nach; dennoch bezichtigte der Dichter ihn wenig später der Unachtsamkeit - ein grundloser Vorwurf, in welchem die Widerstände wie der Unmut zutage traten." Zurück in Paris, ließ Celan das Gedicht "Todtnauberg" in einer bibliophilen Ausgabe drucken und sandte das erste Exemplar an Heidegger. Die Reaktion, so Felstiner, "war ein nichtssagender Brief, der nur konventionelle Dankesfloskeln enthielt. Wie hätte der achtundsiebzigjährige Philosoph schließlich auch reagieren können?" Die Antwort auf diese Frage findet sich wiederum bei Baumann: Heidegger schrieb das Gedicht "Vorwort" - "zum Gedicht ,Todtnauberg'". Daß es allem Anschein nach Celan nicht erreichte, bleibt für Baumann ein Zeichen des Vieldeutigen in dieser Beziehung; Felstiner erspart sich die Interpretation, indem er das Gedicht verschweigt.
Wenn so die menschlichen Beziehungen zurechtgebogen und passend gemacht werden, bleiben andere unterbelichtet. Über Gisèle Celan-Lestrange, die Frau des Dichters, findet sich in der ganzen Biographie nur ein einziger Satz, und er ist von geradezu erschreckender Trivialität: "Sie war Graphikerin und konnte stundenlang zu den Klängen von Barockmusik über einer detailreichen abstrakten Zeichnung sitzen." Keiner der Freunde, weder Rino Sanders noch Hermann Lenz, weder Klaus Demus noch Edmond Lutrand gewinnt Profil. Allein steht der Dichter, um ihn nur "das Westeuropa der Nachkriegszeit mit seinem Mangel an Gewissen". Felstiners Celan ist nicht Gegenstand einer Biographie, sondern eines Erbauungsbuches.
An die Stelle der Gehalte tritt deshalb die Moralisierung des Lesens. Immer neue Appelle zur Hingabe an die Dichtung sind zu einer wahren Poeto-Theologie versammelt. Felstiner nimmt Rilkes lakonisches "Du mußt dein Leben ändern" auf, um es zu überhöhen: "Und du mußt dein Lesen ändern!" Lektüre wird zum "Auftrag" des Dichters an "jeden von uns". "Celans Schriften", so Felstiner in der Einleitung, "mögen den Leser vor Rätsel stellen, der nicht bereit ist, ihnen jene ,Aufmerksamkeit' zuzuwenden, in der Celan das ,natürliche Gebet der Seele' erblickte." Zum Glück findet sich der verdutzte Leser bald in guter Gesellschaft wieder: "Gershom Scholem (der behauptete, die Schriften Celans seien ihm ein Rätsel) gab eine Gesellschaft für ihn." Es verwundert nicht, daß der Band mit einer Auswahl schöner Stellen aus Celans Gedichten schließt.
Immerhin bleibt auch bei diesem Buch ein begrenzter Nutzen. Die Datierungen von Gedichten und Übersetzungen, in Beziehung gesetzt zu biographischen Zäsuren, sind zuverlässig; oft lassen sich zur gleichzeitigen Lektüre Celans, der das Studium von Fachterminologien der unterschiedlichsten Wissenschaften betrieb, überraschende Parallelen herstellen. Bereits ein frühes Gedicht, das wie eine Selbstparodie anmutet - "Wenn nun, mich der Ranunkel zu verbünden, / das Irrlicht meiner Sümpfe wieder blinkt . . ." -, verweist auf die botanische Präzision. Hervorzuheben ist Felstiners Analyse der vielen Wort-Anklänge aus dem Umkreis von Deportation und Vernichtung.
"Deutsches und jüdisches Ideal werden nicht nebeneinander existieren" - so das Resümee, das in diesem Buch aus der "Todesfuge" gezogen wird. Warum Celan gerade diese Konsequenz einer Festschreibung in alle Zukunft nicht gezogen hat, läßt sich begründen, und nicht nur mit dem Diktum über Lessing, das von ihm überliefert ist: "Deutschlands Stolz". Paul Celan war, von der Mitgliedschaft in der sozialistischen Schülergruppe seiner Heimatstadt und der Marx-Übersetzung ins Rumänische bis zur Vergegenwärtigung der linken Tradition in der Sammlung "Schneepart", ein utopisch denkender Dichter. Noch seine Israelreise im Herbst 1969 hatte an jenem Impuls teil: In den Zeiten der "allenthalben wachsenden Selbstentfremdung und Vermassung" - so die Formulierung in der Ansprache vor dem hebräischen Schriftstellerverband - wurde ihm Israel zu einer utopischen Alternative. Den Kontext der Reise bildeten gesellschafts- und kulturkritische Argumente. Im "dankbaren Stolz auf jedes selbstgepflanzte Grün" war das Echo des Landauerschen Genossenschaftssozialismus zu hören. Celan wollte die Welt nicht anders erblicken als "im Lichte der Utopie". Wie seine Dichtung nach dem Untergang dieses Lichts gedeutet wird, läßt sich Felstiners Werk entnehmen.
John Felstiner: "Paul Celan". Eine Biographie. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Holger Fliessbach. Verlag C. H. Beck, München 1997. 380 Seiten, Abb., geb., 68,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
John Felstiner schreibt das Leben Paul Celans aus dem Geist des Judentums / Von Lorenz Jäger
Als Paul Celan am 26. Januar 1958 den Literaturpreis der Freien Hansestadt Bremen erhielt, verband er in seiner Ansprache den Dank mit Hinweisen auf drei Autoren der ersten Jahrhunderthälfte: Martin Buber als Erzähler der chassidischen Geschichten wurde zuerst genannt - Celan kam aus der osteuropäischen Landschaft, "in der ein nicht unbeträchtlicher Teil jener . . . Geschichten zu Hause war". Dem Bremer Rudolf Alexander Schröder, dessen achtzigster Geburtstag bei der Preisverleihung gleichfalls gefeiert wurde, galt die zweite Erwähnung. Celan gelang das schöne Kunststück, die Höflichkeit gegenüber der gastgebenden Stadt in ein poetologisches Traditionsfragment zu verweben: "Dort, in dieser nun der Geschichtslosigkeit" - weil Geschichten der Buberschen Art nicht mehr erzählt werden können - "anheimgefallenen ehemaligen Provinz der Habsburgermonarchie, kam zum ersten Mal der Name Rudolf Alexander Schröders auf mich zu: beim Lesen von Rudolf Borchardts ,Ode mit dem Granatapfel'."
Borchardts Ode mit der Widmung "An Schröder" ist ein Herbstgedicht - "Wohl nicht klagend; aber der alten Totenklage gedenkend" -, das für Celans eigene Evokationen des Herbstes als Vorläufer erscheinen konnte: "nicht ohn ein reiferes Zeichen sollst du, / Ohn ein Opfer, das dir gemäßer sei, nicht / Stehn und suchen: Nimm den geheimnisvollen Apfel des Hades." Das Schicksal des Dichters der vierzehn gewaltigen Strophen ist bekannt. Einem der letzten Vernichtungstransporte entronnen, starb er Anfang 1945 in Österreich. Celan fährt fort: "Und dort gewann Bremen auch so Umriß für mich: in der Gestalt der Veröffentlichungen der Bremer Presse." In der Bremer Presse, deren Publikationen zu den Höhepunkten der Buchgestaltung gehören, waren die großen Anthologien Hofmannsthals und Borchardts erschienen, das "Deutsche Lesebuch", "Wert und Ehre deutscher Sprache" und "Der Deutsche in der Landschaft", in denen die Tradition eine zeitkritische Funktion gewann. Auch die "Neuen Deutschen Beiträge" gehörten zur Bremer Presse - gut möglich, daß Celan dem Namen Walter Benjamin hier zum ersten Mal begegnete.
Anders deutet John Felstiner, der neue Biograph des Dichters, die Szene: "Zu Ehren der preisverleihenden Stadt Bremen erwähnt Celan Rudolf Borchardts ,Ode mit dem Granatapfel' von 1907, die von der Bremer Presse veröffentlicht worden war. Borchardt war ein getaufter Jude, der für die Vorherrschaft der arischen Rasse eintrat. Ein derartiger Selbsthaß strafte in Celans Augen die deutsch-jüdische Vorkriegs-,Symbiose' Lügen - freilich mußten Celans Bremer Zuhörer 1958 die Anspielung auf Borchardt als Kompliment an die literarische Kultur ihrer Stadt verstehen." An dieser Darstellung stimmt so gut wie nichts. Weder erschien die Ode in der Bremer Presse, noch hat sich Borchardt, der gewiß manches Anfechtbare gesagt hat, aber politisch und nicht biologistisch dachte, jemals über die "arische Rasse" geäußert. Vor allem aber: Die Idee, in den Dank für eine Gabe, die man soeben annimmt, eine moralische Verächtlichmachung des Gebers einzuflechten, ist neueren Datums. Celan kannte sie nicht.
Felstiners Buch verfolgt eine Tendenz. Der Untertitel der amerikanischen Originalausgabe - "Poet, Survivor, Jew" - deutet an, daß Celan hier erstmals ganz aus dem Judentum verstanden wird. Tatsächlich liegen die Stärken des Buches in der Identifizierung der jüdischen "Ader" (so Felstiners Formulierung) des Dichters. Daß Celan den Völkermord an den Juden überlebte, machte ihn zum lyrischen Zeugen des Furchtbaren, das bis ins Spätwerk hineinwirkte. "Denn tot sind die Engel und blind ward der Herr in der Gegend von Akra, / und keiner ist, der mir betreue im Schlaf die zur Ruhe hier gingen." Celan ist der Dichter einer Schöpfung, in der die Vernichtung gewaltet hat.
Einflüsse des Hebräischen und Jiddischen auf die Sprache, der Geschichte des jüdischen Volkes und der Bibel auf die Stoffe von Celans Gedichten werden mit großer Kenntnis analysiert; die Lektüre jüdischer Denker - Cohen, Rosenzweig, Buber, Landauer, Benjamin, Levinas und Scholem - wird zumindest erwähnt. Daß mit dem Wort "Sulamith" aus dem Hohenlied Celans erstes veröffentlichtes Gedicht endet und mit dem Wort "Sabbath" sein letztes, nennt Felstiner mit Recht symptomatisch. Im Gegenzug unternimmt er es, ökumenische, auf die Gemeinsamkeiten von Christen- und Judentum zielende Interpretationen zurückzuweisen.
Die Vereindeutigung von Zugehörigkeiten und Loyalitäten - für den gegenwärtigen Minoritätendiskurs der Vereinigten Staaten charakteristisch - ist für Dichter fatal, und im Falle von Paul Celan, der mit einer Katholikin verheiratet war und deutsche Gedichte schrieb, hat sie einen zu hohen Preis. Nur zum Briefwechsel mit Nelly Sachs gelingt eine angemessene Darstellung; andere Begegnungen erscheinen merkwürdig verzerrt. 1959 wollte Celan, wie Felstiner schreibt, "den Soziologen Theodor Adorno" kennenlernen. Das geplante Treffen im Engadin kam nicht zustande. Adorno, so legt Felstiner nahe, war ein unsicherer Kantonist, der "den Namen seines jüdischen Vaters unterdrückt und den seiner katholischen Mutter, Adorno, angenommen hatte." Begonnen hatte das Verhältnis mit Celans Lektüre von Adornos Heine-Essay, in dem er Stellen über Heines Fremdheit in der deutschen Sprache angestrichen hatte. Mit Heine fühlte er sich in der dichterischen Behandlung von Sarkasmus und Ironie verwandt.
An die Grenze der Fälschung gerät die Darstellung des Verhältnisses zu Martin Heidegger, dem "Denkenden", wie Celan ihn nannte. Zu ihm bildete Hölderlin die Brücke. Am 25. Juli 1967 besuchte der Dichter Heidegger in seinem schwarzwälderischen Refugium. "Die beiden sprachen auch über zeitgenössische französische Philosophie, aber Celans Aufmerksamkeit war anderswo." Unbefangen macht sich der Biograph zum Vormund, der auch dort Bescheid weiß, wo die Quellen schweigen. In einer späteren Diskussion, so Felstiner, "tadelte (Celan) an einer Stelle Heidegger ob seiner Unaufmerksamkeit". Man muß nur den Bericht Gerhard Baumanns - auch für Felstiner die Hauptquelle - daneben halten, um die Retuschen zu erkennen: "Kaum hatte Celan geendet, sprach Heidegger einige Verse wörtlich nach; dennoch bezichtigte der Dichter ihn wenig später der Unachtsamkeit - ein grundloser Vorwurf, in welchem die Widerstände wie der Unmut zutage traten." Zurück in Paris, ließ Celan das Gedicht "Todtnauberg" in einer bibliophilen Ausgabe drucken und sandte das erste Exemplar an Heidegger. Die Reaktion, so Felstiner, "war ein nichtssagender Brief, der nur konventionelle Dankesfloskeln enthielt. Wie hätte der achtundsiebzigjährige Philosoph schließlich auch reagieren können?" Die Antwort auf diese Frage findet sich wiederum bei Baumann: Heidegger schrieb das Gedicht "Vorwort" - "zum Gedicht ,Todtnauberg'". Daß es allem Anschein nach Celan nicht erreichte, bleibt für Baumann ein Zeichen des Vieldeutigen in dieser Beziehung; Felstiner erspart sich die Interpretation, indem er das Gedicht verschweigt.
Wenn so die menschlichen Beziehungen zurechtgebogen und passend gemacht werden, bleiben andere unterbelichtet. Über Gisèle Celan-Lestrange, die Frau des Dichters, findet sich in der ganzen Biographie nur ein einziger Satz, und er ist von geradezu erschreckender Trivialität: "Sie war Graphikerin und konnte stundenlang zu den Klängen von Barockmusik über einer detailreichen abstrakten Zeichnung sitzen." Keiner der Freunde, weder Rino Sanders noch Hermann Lenz, weder Klaus Demus noch Edmond Lutrand gewinnt Profil. Allein steht der Dichter, um ihn nur "das Westeuropa der Nachkriegszeit mit seinem Mangel an Gewissen". Felstiners Celan ist nicht Gegenstand einer Biographie, sondern eines Erbauungsbuches.
An die Stelle der Gehalte tritt deshalb die Moralisierung des Lesens. Immer neue Appelle zur Hingabe an die Dichtung sind zu einer wahren Poeto-Theologie versammelt. Felstiner nimmt Rilkes lakonisches "Du mußt dein Leben ändern" auf, um es zu überhöhen: "Und du mußt dein Lesen ändern!" Lektüre wird zum "Auftrag" des Dichters an "jeden von uns". "Celans Schriften", so Felstiner in der Einleitung, "mögen den Leser vor Rätsel stellen, der nicht bereit ist, ihnen jene ,Aufmerksamkeit' zuzuwenden, in der Celan das ,natürliche Gebet der Seele' erblickte." Zum Glück findet sich der verdutzte Leser bald in guter Gesellschaft wieder: "Gershom Scholem (der behauptete, die Schriften Celans seien ihm ein Rätsel) gab eine Gesellschaft für ihn." Es verwundert nicht, daß der Band mit einer Auswahl schöner Stellen aus Celans Gedichten schließt.
Immerhin bleibt auch bei diesem Buch ein begrenzter Nutzen. Die Datierungen von Gedichten und Übersetzungen, in Beziehung gesetzt zu biographischen Zäsuren, sind zuverlässig; oft lassen sich zur gleichzeitigen Lektüre Celans, der das Studium von Fachterminologien der unterschiedlichsten Wissenschaften betrieb, überraschende Parallelen herstellen. Bereits ein frühes Gedicht, das wie eine Selbstparodie anmutet - "Wenn nun, mich der Ranunkel zu verbünden, / das Irrlicht meiner Sümpfe wieder blinkt . . ." -, verweist auf die botanische Präzision. Hervorzuheben ist Felstiners Analyse der vielen Wort-Anklänge aus dem Umkreis von Deportation und Vernichtung.
"Deutsches und jüdisches Ideal werden nicht nebeneinander existieren" - so das Resümee, das in diesem Buch aus der "Todesfuge" gezogen wird. Warum Celan gerade diese Konsequenz einer Festschreibung in alle Zukunft nicht gezogen hat, läßt sich begründen, und nicht nur mit dem Diktum über Lessing, das von ihm überliefert ist: "Deutschlands Stolz". Paul Celan war, von der Mitgliedschaft in der sozialistischen Schülergruppe seiner Heimatstadt und der Marx-Übersetzung ins Rumänische bis zur Vergegenwärtigung der linken Tradition in der Sammlung "Schneepart", ein utopisch denkender Dichter. Noch seine Israelreise im Herbst 1969 hatte an jenem Impuls teil: In den Zeiten der "allenthalben wachsenden Selbstentfremdung und Vermassung" - so die Formulierung in der Ansprache vor dem hebräischen Schriftstellerverband - wurde ihm Israel zu einer utopischen Alternative. Den Kontext der Reise bildeten gesellschafts- und kulturkritische Argumente. Im "dankbaren Stolz auf jedes selbstgepflanzte Grün" war das Echo des Landauerschen Genossenschaftssozialismus zu hören. Celan wollte die Welt nicht anders erblicken als "im Lichte der Utopie". Wie seine Dichtung nach dem Untergang dieses Lichts gedeutet wird, läßt sich Felstiners Werk entnehmen.
John Felstiner: "Paul Celan". Eine Biographie. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Holger Fliessbach. Verlag C. H. Beck, München 1997. 380 Seiten, Abb., geb., 68,- DM.
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