Die erste Biographie über den Begründer der Chemotherapie auf quellenkritischer Basis.Paul Ehrlich gilt als einer der bedeutendsten Lebenswissenschaftler des 19. und 20. Jahrhunderts. Seine Forschungen berührten Aspekte der Histologie und Farbenchemie, Hämatologie, Pharmakologie, Immunologie und Krebsforschung. 1908 erhielt er für seine immunologischen Arbeiten den Nobelpreis für Medizin. Mit der Chemotherapie entwarf er basierend auf seiner Seitenkettentheorie ein eigenes Forschungsfeld an der Schnittstelle zwischen Medizin, Chemie und Biologie. Sein Ruhm als »Wohltäter der Menschheit« wurde mit der Entwicklung des Salvarsans verewigt - dem ersten systematisch entwickelten Chemotherapeutikum gegen Syphilis. Axel C. Hüntelmann verfolgt Ehrlichs wissenschaftlichen Werdegang, seinen verschlungenen Lebensweg. Er zeigt, wie Ehrlich durch die Knüpfung eines umfassenden Netzwerks und eine rationale Arbeitsorganisation sein beeindruckendes Lebenswerk vollbringen konnte.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.04.2011Netzwerke braucht die Biomedizin
Rückblick auf einen Pionier: Axel Hüntelmanns exzellente Biographie des Lebenswissenschaftlers Paul Ehrlich
Biographien von Wissenschaftlern sind seltsame Geschöpfe. Einerseits hat sich die Wissenschaftsgeschichte in den vergangenen Jahrzehnten verabschiedet vom Feiern großer "Helden". Andererseits schreiben jedoch mehr und mehr Wissenschaftshistoriker Biographien "großer" Individuen. Dafür mag es zwei Erklärungen geben. Biographien bieten eine hervorragende Gelegenheit, aufzuzeigen, wie individuelle und soziale Einflüsse in der Genese wissenschaftlicher Neuerungen zusammenwirken. Sie erlauben es Wissenschaftshistorikern aber auch, sich aus ihrem Elfenbeinturm hinauszulehnen und ein breiteres Publikum anzusprechen.
Eine Balance zwischen der Individualität der Porträtierten und dem oft außergewöhnlich hohen persönlichen und institutionellen Vernetzungsgrad wissenschaftlicher Arbeit zu finden und somit die disziplinären Standards der Wissenschaftsgeschichte zu wahren ist nicht immer einfach. In seiner Biographie Paul Ehrlichs (1854 bis 1915) gelingt Axel Hüntelmann dieser Balanceakt indes vorzüglich.
Paul Ehrlich ist neben Forschern wie Robert Koch, Rudolf Virchow oder Emil von Behring einer der großen deutschen Lebenswissenschaftler des neunzehnten und frühen zwanzigsten Jahrhunderts und wird aufgrund der Entwicklung des Salvarsans - des ersten in systematischer Laborarbeit entwickelten Chemotherapeutikums gegen Syphilis - unter die "Wohltäter der Menschheit" gereiht. 1908 erhielt er für seine immunologischen Arbeiten zusammen mit Ilja Metschnikoff den Nobelpreis für Medizin.
Ehrlich kann ohne jede Einschränkung als interdisziplinärer Forscher beschrieben werden. Seine Arbeiten berührten eine Vielzahl von Disziplinen wie etwa Histologie und Farbenchemie, Hämatologie, Pharmakologie, Immunologie und Krebsforschung. Mit der auf seiner Seitenkettentheorie fußenden Chemotherapie entwarf er ein eigenes Forschungsfeld an der Schnittstelle zwischen Medizin, Chemie und Biologie. Als Jude blieb Ehrlich jedoch zeit seines Lebens stets am Rande der medizinischen "scientific community" und konnte in Deutschland nie mit der vorbehaltlosen Anerkennung seiner Errungenschaften rechnen.
Der erste Teil von Hüntelmanns Buch erzählt chronologisch das private und wissenschaftliche Leben Ehrlichs. Anders als viele seiner berühmten wissenschaftlichen Zeitgenossen hinterließ Ehrlich keine Autobiographie, und nur wenige Berichte zu seinem Leben sind überliefert, vor allem von Mitgliedern seiner Familie, von früheren Mitarbeitern oder von Forscherkollegen, die zur Glorifizierung Ehrlichs und seiner Leistungen neigten. So entstanden Bilder, die Ehrlich schon als Kind dabei zeigten, die Zukunft vorwegnehmende chemische Experimente in der heimischen Küche im schlesischen Strehlen anzustellen, oder ihn als zerstreuten, weltvergessenen und gutmütigen Professor zeichneten, der nur das Wohl der Menschheit im Auge hatte.
Hüntelmanns Ziel ist nun nicht, diese hagiographischen Darstellungen Ehrlichs zu zerpflücken, sondern stattdessen herauszuarbeiten, wie es Ehrlich in der Praxis gelang, seine bahnbrechenden Arbeiten zu verwirklichen, ohne dass ihm ein von Anbeginn seiner Karriere verfolgter "Masterplan" zugeschrieben werden muss. Im Zentrum der Darstellung stehen daher nicht die Psychologie und Persönlichkeit Ehrlichs, die sich aufgrund der Quellenlage wohl nie erschließen lassen werden, sondern die Art und Weise, wie er seine wissenschaftlichen Ziele verwirklichte. Im zweiten Teil beschreibt der Autor dann im Detail, wie Ehrlich seinen Arbeitstag einteilte, die alltägliche Laborarbeit regelte, seine Beziehungen zur preußischen Ministerialbürokratie, zur chemischen Industrie und zu seinen Forscherkollegen pflegte und die Geldmittel für seine Anstrengungen beschaffte.
Ehrlichs inter- und transdisziplinäre Wissenschaft ist ein frühes Beispiel für das, was gegenwärtig als biomedizinische Forschung bezeichnet wird - die Übertragung von Erkenntnissen und Technologien aus den Grundlagenwissenschaften in die medizinische Forschung und Praxis. Ehrlichs enge Zusammenarbeit mit amerikanischen Wissenschaftlern des Rockefeller Institute in New York illustriert diese neue Forschungsstrategie gut. Dieses Institut und die 1913 gegründete Rockefeller-Stiftung förderten insbesondere Forschung, die Wissenschaftler aus einer Vielzahl von Disziplinen zu intensiver Kooperation zusammenbrachte und einen Transfer von Wissen aus der Grundlagenforschung in die Praxis versprach. Der Erfolg des kleinen und feinen Rockefeller Institute - seit 1965 Universität - spricht für sich: Dort wurden weitaus mehr bedeutende Entdeckungen in der biomedizinischen Forschung gemacht als in Harvard, Stanford, Oxford, Cambridge, Paris oder Berlin. In Deutschland scheiterte die Realisierung eines solchen Forschungsmodells an fest etablierten und eifersüchtig verteidigten disziplinären Grenzen.
Ehrlichs Geschick, trotzdem Netzwerke im In- und Ausland aufzubauen, und sein für deutsche Verhältnisse kooperativer Arbeitsstil erklären für Hüntelmann, dass dessen Arbeit dennoch langfristig erfolgreich war. Einige von Ehrlichs Schülern bildeten ein neues Forschungskollektiv auf dem Terrain von experimenteller Therapie und Chemotherapie. Sie trugen seine Ideen weiter und sicherten ihm damit seinen Platz auf den Ehrenrängen der Lebenswissenschaft.
THOMAS WEBER
Axel C. Hüntelmann: "Paul Ehrlich". Leben, Forschung, Ökonomien, Netzwerke.
Wallstein Verlag, Göttingen 2011. 360 S., Abb., geb., 29,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Rückblick auf einen Pionier: Axel Hüntelmanns exzellente Biographie des Lebenswissenschaftlers Paul Ehrlich
Biographien von Wissenschaftlern sind seltsame Geschöpfe. Einerseits hat sich die Wissenschaftsgeschichte in den vergangenen Jahrzehnten verabschiedet vom Feiern großer "Helden". Andererseits schreiben jedoch mehr und mehr Wissenschaftshistoriker Biographien "großer" Individuen. Dafür mag es zwei Erklärungen geben. Biographien bieten eine hervorragende Gelegenheit, aufzuzeigen, wie individuelle und soziale Einflüsse in der Genese wissenschaftlicher Neuerungen zusammenwirken. Sie erlauben es Wissenschaftshistorikern aber auch, sich aus ihrem Elfenbeinturm hinauszulehnen und ein breiteres Publikum anzusprechen.
Eine Balance zwischen der Individualität der Porträtierten und dem oft außergewöhnlich hohen persönlichen und institutionellen Vernetzungsgrad wissenschaftlicher Arbeit zu finden und somit die disziplinären Standards der Wissenschaftsgeschichte zu wahren ist nicht immer einfach. In seiner Biographie Paul Ehrlichs (1854 bis 1915) gelingt Axel Hüntelmann dieser Balanceakt indes vorzüglich.
Paul Ehrlich ist neben Forschern wie Robert Koch, Rudolf Virchow oder Emil von Behring einer der großen deutschen Lebenswissenschaftler des neunzehnten und frühen zwanzigsten Jahrhunderts und wird aufgrund der Entwicklung des Salvarsans - des ersten in systematischer Laborarbeit entwickelten Chemotherapeutikums gegen Syphilis - unter die "Wohltäter der Menschheit" gereiht. 1908 erhielt er für seine immunologischen Arbeiten zusammen mit Ilja Metschnikoff den Nobelpreis für Medizin.
Ehrlich kann ohne jede Einschränkung als interdisziplinärer Forscher beschrieben werden. Seine Arbeiten berührten eine Vielzahl von Disziplinen wie etwa Histologie und Farbenchemie, Hämatologie, Pharmakologie, Immunologie und Krebsforschung. Mit der auf seiner Seitenkettentheorie fußenden Chemotherapie entwarf er ein eigenes Forschungsfeld an der Schnittstelle zwischen Medizin, Chemie und Biologie. Als Jude blieb Ehrlich jedoch zeit seines Lebens stets am Rande der medizinischen "scientific community" und konnte in Deutschland nie mit der vorbehaltlosen Anerkennung seiner Errungenschaften rechnen.
Der erste Teil von Hüntelmanns Buch erzählt chronologisch das private und wissenschaftliche Leben Ehrlichs. Anders als viele seiner berühmten wissenschaftlichen Zeitgenossen hinterließ Ehrlich keine Autobiographie, und nur wenige Berichte zu seinem Leben sind überliefert, vor allem von Mitgliedern seiner Familie, von früheren Mitarbeitern oder von Forscherkollegen, die zur Glorifizierung Ehrlichs und seiner Leistungen neigten. So entstanden Bilder, die Ehrlich schon als Kind dabei zeigten, die Zukunft vorwegnehmende chemische Experimente in der heimischen Küche im schlesischen Strehlen anzustellen, oder ihn als zerstreuten, weltvergessenen und gutmütigen Professor zeichneten, der nur das Wohl der Menschheit im Auge hatte.
Hüntelmanns Ziel ist nun nicht, diese hagiographischen Darstellungen Ehrlichs zu zerpflücken, sondern stattdessen herauszuarbeiten, wie es Ehrlich in der Praxis gelang, seine bahnbrechenden Arbeiten zu verwirklichen, ohne dass ihm ein von Anbeginn seiner Karriere verfolgter "Masterplan" zugeschrieben werden muss. Im Zentrum der Darstellung stehen daher nicht die Psychologie und Persönlichkeit Ehrlichs, die sich aufgrund der Quellenlage wohl nie erschließen lassen werden, sondern die Art und Weise, wie er seine wissenschaftlichen Ziele verwirklichte. Im zweiten Teil beschreibt der Autor dann im Detail, wie Ehrlich seinen Arbeitstag einteilte, die alltägliche Laborarbeit regelte, seine Beziehungen zur preußischen Ministerialbürokratie, zur chemischen Industrie und zu seinen Forscherkollegen pflegte und die Geldmittel für seine Anstrengungen beschaffte.
Ehrlichs inter- und transdisziplinäre Wissenschaft ist ein frühes Beispiel für das, was gegenwärtig als biomedizinische Forschung bezeichnet wird - die Übertragung von Erkenntnissen und Technologien aus den Grundlagenwissenschaften in die medizinische Forschung und Praxis. Ehrlichs enge Zusammenarbeit mit amerikanischen Wissenschaftlern des Rockefeller Institute in New York illustriert diese neue Forschungsstrategie gut. Dieses Institut und die 1913 gegründete Rockefeller-Stiftung förderten insbesondere Forschung, die Wissenschaftler aus einer Vielzahl von Disziplinen zu intensiver Kooperation zusammenbrachte und einen Transfer von Wissen aus der Grundlagenforschung in die Praxis versprach. Der Erfolg des kleinen und feinen Rockefeller Institute - seit 1965 Universität - spricht für sich: Dort wurden weitaus mehr bedeutende Entdeckungen in der biomedizinischen Forschung gemacht als in Harvard, Stanford, Oxford, Cambridge, Paris oder Berlin. In Deutschland scheiterte die Realisierung eines solchen Forschungsmodells an fest etablierten und eifersüchtig verteidigten disziplinären Grenzen.
Ehrlichs Geschick, trotzdem Netzwerke im In- und Ausland aufzubauen, und sein für deutsche Verhältnisse kooperativer Arbeitsstil erklären für Hüntelmann, dass dessen Arbeit dennoch langfristig erfolgreich war. Einige von Ehrlichs Schülern bildeten ein neues Forschungskollektiv auf dem Terrain von experimenteller Therapie und Chemotherapie. Sie trugen seine Ideen weiter und sicherten ihm damit seinen Platz auf den Ehrenrängen der Lebenswissenschaft.
THOMAS WEBER
Axel C. Hüntelmann: "Paul Ehrlich". Leben, Forschung, Ökonomien, Netzwerke.
Wallstein Verlag, Göttingen 2011. 360 S., Abb., geb., 29,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Eine "exzellente" Biografie des Lebenswissenschaftlers Paul Ehrlich hat Axel C. Hüntelmann hier vorgelegt, bekundet Thomas Weber. Denn trotz der relativ schlechten Quellenlage zur Person Ehrlichs gelinge es dem Biografen, dieser ebenso gerecht zu werden wie der hochgradig interdisziplinär vernetzten Forschungspraxis des Medizin-Nobelpreisträgers. Wie der Rezensent mitteilt, bildet eine Chronologie des privaten und wissenschaftlichen Lebens Ehrlichs den ersten Teil des Buches, während der zweite Teil detaillierte Einblicke in seinen beziehungsreichen Arbeitsalltag eröffnet. Dass dabei nicht die Psychologie oder Persönlichkeit Ehrlichs im Vordergund stehen, sondern "die Art und Weise, wie dieser seine wissenschaftlichen Ziele verwirklichte", erfreut den Rezensenten, aus dessen Kritik letztlich ebensoviel Bewunderung für den Lebenswissenschaftler wie für die wissenschaftshistorische Leistung seines Biografen herauszulesen ist.
© Perlentaucher Medien GmbH
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