1938 schrieb Paul Frölich (1884-1953), Mitbegründer der KPD und erster Herausgeber der Werke Rosa Luxemburgs, einen Erfahrungsbericht seines politischen Lebens in der deutschen Arbeiterbewegung. Der Text wurde im Amsterdamer Institut für Sozialgeschichte hinterlegt und sekretiert, um in Deutschland lebende Zeitgenossen nicht zu gefährden.Frölich arbeitete in der SPD, in der Bremer Linken, in der Münchner Räterepublik und 1919-1924 im Vorstand der KPD. Seine Erinnerungen vermitteln ein plastisches Bild der Kämpfe und Möglichkeiten jener enormen Umbruchszeit.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.11.2014Gedanke und Tat
Der 1887 geborene Boris Nikolajewski war schon in den dreißiger Jahren eine Art grauer Eminenz des russischen Exils in Paris. Aus dem 150 Kilometer westlich des Urals gelegenen Ufa stammend, gehörte er der menschewistischen (eher sozialdemokratischen) Partei an und galt als exzellenter Kenner des marxistischen Schrifttums. Nikolajewski, der zutiefst in den Kampf gegen die Totalitarismen der Zwischenkriegszeit involviert war, gelang es 1933, Teile des Berliner SPD-Archivs mit bis dahin unveröffentlichten Werken von Karl Marx und Friedrich Engels vor den Nationalsozialisten in Sicherheit zu bringen.
Im Frühjahr 1936, wenige Monate vor dem Beginn des ersten Moskauer Schauprozesses, traf er in Paris Nikolai Bucharin, den bedeutendsten in Moskau noch in - schon überwachter - Freiheit lebenden Gegner Stalins. Auch korrespondierte Nikolajewski mit Intellektuellen und Oppositionellen, die aus dem faschistischen Italien, dem Jugoslawien der Königsdiktatur oder aus NS-Deutschland geflohen waren. Unter seinen Ansprechpartnern waren Schriftsteller wie Ignazio Silone und Romain Rolland, Wortführer der politischen Linken wie der kroatische Kommunist Ante Ciliga oder der aus Sachsen stammende Paul Frölich. Um ihren Wert als Zeitzeugen der zurückliegenden Periode sozialer Kämpfe wissend, bat Nikolajewski sie im Auftrag des Amsterdamer Internationaal Instituut voor Sociaale Geschiedenis (IISG) um kurze autobiographische Skizzen. Die Beiträge, vorgesehen waren zehn Druckbogen pro Autor, sollten jeweils mit dreißig Gulden vergütet werden.
Von Paul Frölich erhielt Nikolajewski eine Skizze des Vorhabens. Sein Ziel sei es, "die Atmosphäre zu zeichnen, in der sich die Ereignisse abspielten und politische Entschlüsse getroffen wurden". Die Protagonisten werde er so darstellen, "wie ich sie gesehen habe". Damit ist auch schon beschrieben, was die Stärke des Bandes ausmacht. Frölich hielt sich an die Vorgaben Nikolajewskis ebenso wie an die selbstgewählte Darstellungsform; bei der Anzahl der Seiten erfüllte er dann ein Übersoll (Paul Frölich, Im radikalen Lager. Politische Autobiographie 1890-1921. Herausgegeben und mit einem Nachwort von Reiner Tosstorff. In Verbindung mit dem IISG Amsterdam, Berlin Basisdruck Verlag 2013).
Der besondere Wert der Publikation rührt daher, dass Autobiographien kommunistischer Parteiführer aus der Zwischenkriegszeit eine Seltenheit blieben. Die Rastlosigkeit einer politischen Tätigkeit am Rande der Legalität, die Gefängnis- oder Lagerhaft und das oft von materieller Not gekennzeichnete Exil ließen es nicht zu, dass viele Memoiren entstanden wären, die sich mit denjenigen Frölichs messen könnten.
Leider blieb auch dieses Werk unvollendet - Frölichs eigene Darstellung behandelt die Jugend- und Revolutionserinnerungen bis zum Krisenjahr 1921. Doch sorgt der Herausgeber mit einem ausführlichen Nachwort dafür, dass die Rolle Frölichs als Parteiführer und Journalist deutlich wird. Dies gilt auch für die letzte Phase vor dem Einsetzen der Korrespondenz mit Nikolajewski. Ende der zwanziger Jahre aus der KPD ausgeschlossen, war Frölich bald der neu gegründeten Sozialistischen Arbeiterpartei (SAP) beigetreten.
Seit geraumer Zeit auch als Herausgeber der Werke Rosa Luxemburgs bekannt, verfasste Frölich im französischen Exil eine Biographie, deren erste Ausgabe mit dem Titel "Rosa Luxemburg. Gedanke und Tat" im August 1939 wenige Tage vor Kriegsausbruch erschien. Das Buch führte über die bis dahin vorliegenden biographischen Skizzen von Luise Kautsky und Henriette Roland-Holst hinaus, auch wenn Frölich im Vorwort betonte, als ideale Luxemburg-Biographin wäre eigentlich nur Clara Zetkin in Frage gekommen. Doch habe sich diese "bis zu ihrem Tode im Jahre 1933 ganz dem täglichen Kampfe ergeben" und immer wieder versichert, gerade dadurch die Verpflichtung einzulösen, "die sie der gefallenen Kampfgenossin gegenüber empfand".
Während die Luxemburg-Biographie mehrere Neuauflagen erfuhr und in verschiedene Sprachen übersetzt wurde, entdeckten die Archivare des IISG Frölichs lange verschollen geglaubtes Memoirenmanuskript aus den dreißiger Jahren erst 2007 wieder. Die Autobiographie liest sich wie ein Vademekum der Arbeitergeschichte und insbesondere des sozialistischen Journalismus in der Kriegs- und Nachkriegszeit. Willy Brandt, der viele Publikationen Frölichs kannte, attestierte dem Autodidakten ein "bemerkenswertes Sprachempfinden". Packend sind seine Porträts von Persönlichkeiten wie Franz Mehring, Karl Radek, Leo Jogiches oder Paul Levi. Mitten im Krieg war Frölich von Paris aus über Marseille und Martinique nach New York gelangt. Er kehrte 1950 zurück und lebte in Frankfurt am Main, wo er wie viele alte Sozialisten und Kommunisten zuletzt wieder der SPD angehörte und auf dem Hauptfriedhof begraben liegt.
ROLF WÖRSDÖRFER
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Der 1887 geborene Boris Nikolajewski war schon in den dreißiger Jahren eine Art grauer Eminenz des russischen Exils in Paris. Aus dem 150 Kilometer westlich des Urals gelegenen Ufa stammend, gehörte er der menschewistischen (eher sozialdemokratischen) Partei an und galt als exzellenter Kenner des marxistischen Schrifttums. Nikolajewski, der zutiefst in den Kampf gegen die Totalitarismen der Zwischenkriegszeit involviert war, gelang es 1933, Teile des Berliner SPD-Archivs mit bis dahin unveröffentlichten Werken von Karl Marx und Friedrich Engels vor den Nationalsozialisten in Sicherheit zu bringen.
Im Frühjahr 1936, wenige Monate vor dem Beginn des ersten Moskauer Schauprozesses, traf er in Paris Nikolai Bucharin, den bedeutendsten in Moskau noch in - schon überwachter - Freiheit lebenden Gegner Stalins. Auch korrespondierte Nikolajewski mit Intellektuellen und Oppositionellen, die aus dem faschistischen Italien, dem Jugoslawien der Königsdiktatur oder aus NS-Deutschland geflohen waren. Unter seinen Ansprechpartnern waren Schriftsteller wie Ignazio Silone und Romain Rolland, Wortführer der politischen Linken wie der kroatische Kommunist Ante Ciliga oder der aus Sachsen stammende Paul Frölich. Um ihren Wert als Zeitzeugen der zurückliegenden Periode sozialer Kämpfe wissend, bat Nikolajewski sie im Auftrag des Amsterdamer Internationaal Instituut voor Sociaale Geschiedenis (IISG) um kurze autobiographische Skizzen. Die Beiträge, vorgesehen waren zehn Druckbogen pro Autor, sollten jeweils mit dreißig Gulden vergütet werden.
Von Paul Frölich erhielt Nikolajewski eine Skizze des Vorhabens. Sein Ziel sei es, "die Atmosphäre zu zeichnen, in der sich die Ereignisse abspielten und politische Entschlüsse getroffen wurden". Die Protagonisten werde er so darstellen, "wie ich sie gesehen habe". Damit ist auch schon beschrieben, was die Stärke des Bandes ausmacht. Frölich hielt sich an die Vorgaben Nikolajewskis ebenso wie an die selbstgewählte Darstellungsform; bei der Anzahl der Seiten erfüllte er dann ein Übersoll (Paul Frölich, Im radikalen Lager. Politische Autobiographie 1890-1921. Herausgegeben und mit einem Nachwort von Reiner Tosstorff. In Verbindung mit dem IISG Amsterdam, Berlin Basisdruck Verlag 2013).
Der besondere Wert der Publikation rührt daher, dass Autobiographien kommunistischer Parteiführer aus der Zwischenkriegszeit eine Seltenheit blieben. Die Rastlosigkeit einer politischen Tätigkeit am Rande der Legalität, die Gefängnis- oder Lagerhaft und das oft von materieller Not gekennzeichnete Exil ließen es nicht zu, dass viele Memoiren entstanden wären, die sich mit denjenigen Frölichs messen könnten.
Leider blieb auch dieses Werk unvollendet - Frölichs eigene Darstellung behandelt die Jugend- und Revolutionserinnerungen bis zum Krisenjahr 1921. Doch sorgt der Herausgeber mit einem ausführlichen Nachwort dafür, dass die Rolle Frölichs als Parteiführer und Journalist deutlich wird. Dies gilt auch für die letzte Phase vor dem Einsetzen der Korrespondenz mit Nikolajewski. Ende der zwanziger Jahre aus der KPD ausgeschlossen, war Frölich bald der neu gegründeten Sozialistischen Arbeiterpartei (SAP) beigetreten.
Seit geraumer Zeit auch als Herausgeber der Werke Rosa Luxemburgs bekannt, verfasste Frölich im französischen Exil eine Biographie, deren erste Ausgabe mit dem Titel "Rosa Luxemburg. Gedanke und Tat" im August 1939 wenige Tage vor Kriegsausbruch erschien. Das Buch führte über die bis dahin vorliegenden biographischen Skizzen von Luise Kautsky und Henriette Roland-Holst hinaus, auch wenn Frölich im Vorwort betonte, als ideale Luxemburg-Biographin wäre eigentlich nur Clara Zetkin in Frage gekommen. Doch habe sich diese "bis zu ihrem Tode im Jahre 1933 ganz dem täglichen Kampfe ergeben" und immer wieder versichert, gerade dadurch die Verpflichtung einzulösen, "die sie der gefallenen Kampfgenossin gegenüber empfand".
Während die Luxemburg-Biographie mehrere Neuauflagen erfuhr und in verschiedene Sprachen übersetzt wurde, entdeckten die Archivare des IISG Frölichs lange verschollen geglaubtes Memoirenmanuskript aus den dreißiger Jahren erst 2007 wieder. Die Autobiographie liest sich wie ein Vademekum der Arbeitergeschichte und insbesondere des sozialistischen Journalismus in der Kriegs- und Nachkriegszeit. Willy Brandt, der viele Publikationen Frölichs kannte, attestierte dem Autodidakten ein "bemerkenswertes Sprachempfinden". Packend sind seine Porträts von Persönlichkeiten wie Franz Mehring, Karl Radek, Leo Jogiches oder Paul Levi. Mitten im Krieg war Frölich von Paris aus über Marseille und Martinique nach New York gelangt. Er kehrte 1950 zurück und lebte in Frankfurt am Main, wo er wie viele alte Sozialisten und Kommunisten zuletzt wieder der SPD angehörte und auf dem Hauptfriedhof begraben liegt.
ROLF WÖRSDÖRFER
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