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"Und was war das, die Liebe?" Pauls Fragen zu beantworten ist nicht immer leicht für die Bewohner des Berliner Scheunenviertels. Zwar können der Buchhändler Mosche Sternkukker oder Anna Feuerhahn, die am Laternenpfahl lehnt und große Kringel raucht, manche Probleme des halbjüdischen Kindes lösen. Doch der absolute Held ist und bleibt Großvater Haueisen. Und obwohl er am Tag der Machtergreifung Hitlers stirbt, lebt er in Pauls überbordender Phantasie weiter: Nun haust er eben irgendwo im Erdinnern, dreht an Uhrezeigern und steuert Maschinen, die Gott dort korrigieren, wo dessen Weltplan Pfusch…mehr

Produktbeschreibung
"Und was war das, die Liebe?" Pauls Fragen zu beantworten ist nicht immer leicht für die Bewohner des Berliner Scheunenviertels. Zwar können der Buchhändler Mosche Sternkukker oder Anna Feuerhahn, die am Laternenpfahl lehnt und große Kringel raucht, manche Probleme des halbjüdischen Kindes lösen. Doch der absolute Held ist und bleibt Großvater Haueisen. Und obwohl er am Tag der Machtergreifung Hitlers stirbt, lebt er in Pauls überbordender Phantasie weiter: Nun haust er eben irgendwo im Erdinnern, dreht an Uhrezeigern und steuert Maschinen, die Gott dort korrigieren, wo dessen Weltplan Pfusch ist. Und zu korrigieren gäbe es für den großväterlichen Deus ex machina viel, denn das Viertel beginnt sich allmählich zu leeren...
Autorenporträt
Jan Koneffke, geb. 1960 in Darmstadt, studierte Philosophie und Germanistik in Berlin und lebt als Schriftsteller und Publizist seit seinem Villa-Massimo-Stipendium (1995) in Rom. Er erhielt u.a. den Leonce- und Lena-Preis für Lyrik und den Friedrich-Hölderlin-Förderpreis.
Rezensionen
"Wie ein großes Uhrwerk liest sich Koneffkes Roman: im Innern komplex, nach außen hin aber problemlos funktionstüchtig und so schön erzählt, dass man am Ende keine Figur der jüngeren Literatur mehr so ins Herz geschlossen hat wie Paul Schatz." Gerrit Bartels in der 'taz'

"Mit Michael Kumpfmüller, Katharina Hacker, Marcel Beyer, Josef Haslinger und Jan Koneffke scheint sich ein neues Interesse an der Historie zu formieren. Koneffkes Ton hat dabei das eigenwilligste Buch hervorbracht: ein komplexes erzählerisches Uhrwerk, das perfekt durchs alte Jahrhundert läuft, ohne daß die Mechanik knirscht. Ein Kunst-Stück mit einem Sack voll gelungener märchenhafter Figuren. Und einem Paul Schatz, der zu den originellsten Bücherhelden der letzten Jahre gehört." Hergen Kicker in der 'Berliner Morgenpost'

"'Paul Schatz im Uhrenkasten' ist einer der schönsten Romane der vergangenen Jahre. Koneffke ist ein Ideenzauberer, der eine hochgradig verschrobene Familie porträtiert und zugleich mit Fantasie und trotzigem Galgenhumor das dunkelste Kapitel deutscher Geschichte erzählt." Karin Weber-Duve in der 'Brigitte'

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.12.2000

Hornhaut am Fuß der Tante
Jan Koneffke schaut mit Kinderaugen auf die Vergangenheit · Von Hannelore Schlaffer

Es ist nicht das erste Mal, daß mit dem Motiv "Kindheit im Faschismus" die Historie der Literatur beispringt, um ihre Schönheiten vor dem Untergang zu bewahren. Das neunzehnte Jahrhundert hat sich mit dem historischen Roman, in dem die großen Helden der Vergangenheit alle erdenklichen Gebrauchsgegenstände allein durch ihren Blick und ihre Berührung in Schönheit verwandelten, ein Museum der poetischen Details geschaffen. Dorthin ist der bürgerliche Geschmack geflüchtet, der in der Moderne den Verlust der großen Gefühle und schönen Dinge fürchtete. Das heute beliebte Romansujet eines Lebens im Dritten Reich unterwirft sich nur scheinbar der politisch-moralischen Pflicht zur Vergangenheitsbewältigung. Tatsächlich setzt es die Tradition des historischen Romans fort, auch wenn nun nicht mehr das Schicksal von Helden, sondern das von Opfern den Alltag dramatisiert und solche Ästhetisierung beim Leser nicht mehr heroische, sondern Schuldgefühle, nicht mehr Nationalstolz, sondern Scham hervorrufen soll.

Jan Koneffkes Geschichte von Paul Schatz, einem Kind aus dem Berliner Scheunenviertel, dessen Leben ausführlich in den Jahren des Nationalsozialismus und skizzenhaft in denen danach erzählt, richtet alle Details des Alltagslebens auf den Gang der großen Ereignisse aus; und doch verwandelt sie beides, das Normale und das Brutale, die List der Vernunft und den Plan der Unvernunft, durch die Kinderaugen, die alles beobachten, in ein Wunder. Was das Kind bemerkt, soll den genußsüchtigen Leser faszinieren, den wissenden aber erschrecken. Jedenfalls wird die verblaßte Welt der Gegenwartsliteratur wie eine mißlungene Kulisse beiseite geschoben, und dahinter erscheint die Buntheit einer Knabenzeit im welthistorischen Kontext.

Poetisierung des Alltags betreibt Jan Koneffke mit großem Fleiß. Sein erstes und einfachstes Hilfsmittel dabei ist die Poesie der jüdischen Namen. Der Reichtum an Assoziationen, den eine Anna Feuerhahn, ein Samuel Butterfaß, der Rabbi Witzig, Mosche Sternkukker und Moische Pufeles allein durch ihre Nennung hervorrufen, zaubert in jeden Satz ein Stück Phantasie, Wärme und Humor hinein. Mit der "Poesie der Armut", die die Schilderung des Viertels ermöglicht, schließt Koneffke sich an die Tradition der Raabeschen humoristischen Idylle an. Günter Grass hat dieses Genre mit der "Blechtrommel" dem zwanzigsten Jahrhundert übermittelt. Koneffke begreift die Idyllisierung der Geschichte als eine Chance, die die Literatur, sobald sie sich mit der jüngsten Vergangenheit beschäftigt, dem Film und dem Fernsehen gegenüber gerade noch hat. Denn die Schrecklichkeit der Bilder, mit der diese optischen Medien aufreizen, wird das Wort nie kopieren können. Koneffke also spaltet seine Welt in einen malerischen Vordergrund, den Kinderaugen wahrnehmen, und in einen Hintergrund, den der Leser kennt, der nun pflichtgemäß für sich den politischen Horizont der Bedrohung und Vernichtung der Juden herstellt.

Personal, Kulisse und Geschehen verleugnen also ihre Nähe zum ersten großen Roman der Bundesrepublik nicht, der die Geschichte des Dritten Reichs in der deutsch-polnischen Kleinbürgerwelt Danzigs en miniature nachbildete: Wie bei Grass schaffen auch bei Koneffke ein lebenslustiger jüdischer Vater, der ein Frauenheld ist, alternde Tanten, die dennoch heiratslustig bleiben, Wirtshäuser, Kolonialwarenläden, zerfallene Hütten, verbrauchte Gegenstände, ein schepperndes Grammophon, die Pferdebahn, Dienstbotenverschläge, Bohnerwachs, Kaffee-Ersatz, Schnupftabak, Plumpsklos und was der romantischen Reminiszenzen mehr sind eine humorige Atmosphäre.

Das Laszive darf in diesem Ambiente nicht fehlen: die Uhrendeckel des Großvaters etwa mit den obszönen Emaillen oder eine Kinderliebe, Doktorspiele und die sexuelle Initiation durch eine Prostituierte: "An einem Tag begegnete er Anna Feuerhahn bei Pufeles. Sie zwinkerte verstohlen, und er wandte sich ab, als kenne er sie nicht. Anna Feuerhahn lebte ein verworfenes Leben (behauptete Tante Else). Es war etwas Verbotenes um Anna Feuerhahn, das Paul verlegen machte. Ja, es kitzelte Paul, zu erfahren, was sie mit einem Mann anstellte, der sich willig ins Kellerloch abschleppen ließ. Er kauerte bei einer Kohlenluke zu Anna Feuerhahns Keller . . ., um etwas zu erkennen." Die Wortkaskaden stürzen nun im erprobten Grassschen Stil: "Stengel, Piephahn, Stecken, Specht! Pauls Specht war rebellisch."

Für den Ekel, den Grass mit der berühmten Szene vom Aalfang in der Nachkriegsliteratur gesellschaftsfähig gemacht hat, ist Koneffke zu schüchtern, deshalb drängt er dieses gattungsnotwendige Motiv auf einen einzigen Satz zusammen, indem er eine Tante sich die Hornhaut vom Fuß ziehen und sie essen läßt.

Komik und Skurrilität sind die Würze in diesem literarischen Rezept, das Gemüt und Gewissen zugleich bedenkt. Der jüdische Vater übernimmt zum Beispiel absurderweise in einem Ufa-Film über Horst Wessel die Rolle eines SA-Mannes, und schließlich wird der Großvater mit seiner kuriosen Uhrensammlung zur allegorischen Figur des historischen Geschehens. Wenn ein Autor so deutlich an sein Vorbild erinnert, wie es Koneffke tut, ist es überflüssig zu sagen, daß er dieses nicht erreicht. Die geringere Qualität des Romans im Unterschied zur "Blechtrommel" liegt aber nicht nur an der Keuschheit der Einfälle: Der Knabe zersingt eben doch kein Glas, und so macht auch sein Schöpfer keine Herzen höher springen. Der eigentliche Mangel von Koneffkes Werk liegt darin, daß Absicht und Wirkung auseinanderklaffen. Koneffke verpflichtet sich der Vergangenheitsbewältigung und meint, dafür gewinne er auch seine Leser, wenn er die Geschichte recht schmackhaft mache. Er dürfte wissen, daß er damit nichts anderes erreicht als die Verharmlosung des Schreckens.

Jan Koneffke: "Paul Schatz im Uhrenkasten". Roman. DuMont Buchverlag, Köln 2000. 276 S., geb., 39,80 DM.

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"'Paul Schatz im Uhrenkasten' ist einer der schönsten Romane der vergangenen Jahre." (Karin Weber-Duve in der "Brigitte")