Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.09.2018Meine Songs gehören mir
Robert Hilburn kennt Paul Simons lange Karriere
Paul Simons Freundschaft mit Art Garfunkel beginnt in der sechsten Klasse, als die Schulkameraden in einer Musicalproduktion von "Alice im Wunderland" mitspielen. Simon bekommt mit dem White Rabbit die Hauptgesangsrolle des Stücks, Garfunkel nur die grinsende Cheshire Cat - und damit keinen Gesangspart. Was die Dynamik des späteren Folkrock-Duos betrifft, lässt sich das als eine Art Omen lesen. Denn bereits als dieses seine ersten Erfolge verbuchte - zunächst noch als Tom & Jerry und dann, vom Erscheinen ihrer ersten LP "Wednesday Morning, 3 A.M." (1964) an, als Simon & Garfunkel - saß Simon stets am längeren Hebel. Ihm hat Robert Hilburn, langjähriger Pop-Kritiker der "Los Angeles Times", eine Biographie gewidmet.
Nachzulesen ist in ihr, dass es Garfunkel bald missfiel, dass sein Partner die Rolle des Song- und Textschreibers übernahm, während er selbst "nur" die zweite Stimme hinzufügte. Seinen Job als stimmlich ausgezeichneter und doch, wie er fürchtete, entbehrlicher Harmoniesänger empfand er immer als prekär. Wann die Freundschaft endete, lässt sich nicht präzise sagen; jedenfalls endete sie nicht nur einmal. Denn obwohl Simon & Garfunkel nur bis 1970 Bestand hatten, glich ihr Verhältnis auch in den Jahrzehnten danach ein wenig der An-Aus-Beziehung, die Simon in den frühen Achtzigern mit seiner damaligen Ehefrau, der Schauspielerin Carrie Fisher, führte.
Bei einem Konzert im Jahr 1993 unterläuft Simon während "The Boxer" ein kleiner Fehler, der Garfunkel kurz aus dem Takt bringt. Ein paar Songs später, während "Feelin' Groovy", verstummt Garfunkel plötzlich. Als Simon ihn auf den, wie er meint, versehentlich verpassten Einsatz anspricht, giftet Garfunkel ihn an: "I didn't forget. I just wanted you to see what it feels like to be made a fool of." Jahre später gab Garfunkel zu Protokoll, Simon habe ihm schon zu Schulzeiten wegen seiner geringen Körpergröße leidgetan. Simon, nach seiner Reaktion gefragt, antwortete nur, er verfolge Garfunkels Äußerungen nicht mehr.
Den Aufbruch ins Dasein als Solokünstler hat Simon nie bereut. Das - und alles, was davor geschah - beschreibt Robert Hilburn in seiner exzellenten Biographie ausführlich, aber nie langatmig - vom behüteten Aufwachsen in einer säkularen jüdischen Familie im New Yorker Stadtteil Queens über Simons Entschluss, 1985 trotz der ihm entgegenschlagenden Kritik mit Musikern aus Südafrika zusammenzuarbeiten, bis zum nun bald achtzigjährigen Paul Simon, der auf ein erfolgreiches Musikerleben zurückblickt.
Gut hundert Stunden an Interviews, die Robert Hilburn zwischen 2014 und 2017 mit Simon führte, hat Hilburn, der zuvor für seine Johnny-Cash-Biographie viel Lob erhielt (F.A.Z. vom 26. November 2016), in dieses unterhaltsame Buch einfließen lassen. Er präsentiert die Geschichte eines Mannes, der - ganz anders als Cash -, ohne privat im Rampenlicht zu stehen oder Drogenskandale zu verursachen, vor allem eins gemacht hat: Musik.
Wenn er von Gott das Angebot erhielte, im Tausch gegen fünf Millionen Dollar mit einem Mal "six foot two" (1,88 Meter) groß zu sein und einen vollen Haarschopf zu haben - er würde sofort einschlagen, sagt Simon. Wäre der Preis aber, dass er zehn seiner Songs weggeben müsste, so ginge das zu weit: "The songs are really a part of you (...) the generous part." Diesen Teil hat auch der Autor zu Gesicht bekommen - obwohl er Simons Krisen und Eitelkeiten genauso ungeschminkt schildert wie die Höhepunkte seiner langen Karriere. Besonders gern liest man die Passagen, in denen Simon den Schaffensprozess von Songs wie "Graceland" und "Questions for the Angels" resümiert.
Die oft gefühlte Distanz zwischen Frühwerk - dem Mythos Simon & Garfunkel - und dem späteren, dem heutigen Paul Simon lässt die Biographie mühelos verschwinden. Sie führt vor Augen, dass der knabenhafte Everly-Brothers-Pastiche "Hey Schoolgirl" (1957) aus derselben Feder stammt wie spätere subtile Stücke wie "Hearts and Bones" (1983) und "Darling Lorraine" (2000). Nicht umsonst sei Simon der einzige Musiker, der in drei verschiedenen Jahrzehnten den Grammy für das beste Album erhalten hat.
Morgen Abend wird Simon seine Abschiedstournee in New York beenden - in der Stadt, für die seine Karriere wie keine zweite steht. Nach dem Reunion-Konzert im Central Park 1981 flüsterte Art Garfunkel seinem Kollegen ins Ohr: "Desaster." Wer das Live-Album des Auftritts gehört hat, weiß, dass Garfunkel irrte - und hofft, dass Simon trotz seines Entschlusses, nach gut sechzig Jahren als aktiver Musiker aufzuhören, mit dieser Selbsteinschätzung richtig liegt: "I don't really have a whole lot of choice about what I do because my mind keeps writing another song."
CORNELIUS DIECKMANN
Robert Hilburn: "Paul Simon". The Life.
Simon & Schuster, London 2018. 448 S., br., 18,50 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Robert Hilburn kennt Paul Simons lange Karriere
Paul Simons Freundschaft mit Art Garfunkel beginnt in der sechsten Klasse, als die Schulkameraden in einer Musicalproduktion von "Alice im Wunderland" mitspielen. Simon bekommt mit dem White Rabbit die Hauptgesangsrolle des Stücks, Garfunkel nur die grinsende Cheshire Cat - und damit keinen Gesangspart. Was die Dynamik des späteren Folkrock-Duos betrifft, lässt sich das als eine Art Omen lesen. Denn bereits als dieses seine ersten Erfolge verbuchte - zunächst noch als Tom & Jerry und dann, vom Erscheinen ihrer ersten LP "Wednesday Morning, 3 A.M." (1964) an, als Simon & Garfunkel - saß Simon stets am längeren Hebel. Ihm hat Robert Hilburn, langjähriger Pop-Kritiker der "Los Angeles Times", eine Biographie gewidmet.
Nachzulesen ist in ihr, dass es Garfunkel bald missfiel, dass sein Partner die Rolle des Song- und Textschreibers übernahm, während er selbst "nur" die zweite Stimme hinzufügte. Seinen Job als stimmlich ausgezeichneter und doch, wie er fürchtete, entbehrlicher Harmoniesänger empfand er immer als prekär. Wann die Freundschaft endete, lässt sich nicht präzise sagen; jedenfalls endete sie nicht nur einmal. Denn obwohl Simon & Garfunkel nur bis 1970 Bestand hatten, glich ihr Verhältnis auch in den Jahrzehnten danach ein wenig der An-Aus-Beziehung, die Simon in den frühen Achtzigern mit seiner damaligen Ehefrau, der Schauspielerin Carrie Fisher, führte.
Bei einem Konzert im Jahr 1993 unterläuft Simon während "The Boxer" ein kleiner Fehler, der Garfunkel kurz aus dem Takt bringt. Ein paar Songs später, während "Feelin' Groovy", verstummt Garfunkel plötzlich. Als Simon ihn auf den, wie er meint, versehentlich verpassten Einsatz anspricht, giftet Garfunkel ihn an: "I didn't forget. I just wanted you to see what it feels like to be made a fool of." Jahre später gab Garfunkel zu Protokoll, Simon habe ihm schon zu Schulzeiten wegen seiner geringen Körpergröße leidgetan. Simon, nach seiner Reaktion gefragt, antwortete nur, er verfolge Garfunkels Äußerungen nicht mehr.
Den Aufbruch ins Dasein als Solokünstler hat Simon nie bereut. Das - und alles, was davor geschah - beschreibt Robert Hilburn in seiner exzellenten Biographie ausführlich, aber nie langatmig - vom behüteten Aufwachsen in einer säkularen jüdischen Familie im New Yorker Stadtteil Queens über Simons Entschluss, 1985 trotz der ihm entgegenschlagenden Kritik mit Musikern aus Südafrika zusammenzuarbeiten, bis zum nun bald achtzigjährigen Paul Simon, der auf ein erfolgreiches Musikerleben zurückblickt.
Gut hundert Stunden an Interviews, die Robert Hilburn zwischen 2014 und 2017 mit Simon führte, hat Hilburn, der zuvor für seine Johnny-Cash-Biographie viel Lob erhielt (F.A.Z. vom 26. November 2016), in dieses unterhaltsame Buch einfließen lassen. Er präsentiert die Geschichte eines Mannes, der - ganz anders als Cash -, ohne privat im Rampenlicht zu stehen oder Drogenskandale zu verursachen, vor allem eins gemacht hat: Musik.
Wenn er von Gott das Angebot erhielte, im Tausch gegen fünf Millionen Dollar mit einem Mal "six foot two" (1,88 Meter) groß zu sein und einen vollen Haarschopf zu haben - er würde sofort einschlagen, sagt Simon. Wäre der Preis aber, dass er zehn seiner Songs weggeben müsste, so ginge das zu weit: "The songs are really a part of you (...) the generous part." Diesen Teil hat auch der Autor zu Gesicht bekommen - obwohl er Simons Krisen und Eitelkeiten genauso ungeschminkt schildert wie die Höhepunkte seiner langen Karriere. Besonders gern liest man die Passagen, in denen Simon den Schaffensprozess von Songs wie "Graceland" und "Questions for the Angels" resümiert.
Die oft gefühlte Distanz zwischen Frühwerk - dem Mythos Simon & Garfunkel - und dem späteren, dem heutigen Paul Simon lässt die Biographie mühelos verschwinden. Sie führt vor Augen, dass der knabenhafte Everly-Brothers-Pastiche "Hey Schoolgirl" (1957) aus derselben Feder stammt wie spätere subtile Stücke wie "Hearts and Bones" (1983) und "Darling Lorraine" (2000). Nicht umsonst sei Simon der einzige Musiker, der in drei verschiedenen Jahrzehnten den Grammy für das beste Album erhalten hat.
Morgen Abend wird Simon seine Abschiedstournee in New York beenden - in der Stadt, für die seine Karriere wie keine zweite steht. Nach dem Reunion-Konzert im Central Park 1981 flüsterte Art Garfunkel seinem Kollegen ins Ohr: "Desaster." Wer das Live-Album des Auftritts gehört hat, weiß, dass Garfunkel irrte - und hofft, dass Simon trotz seines Entschlusses, nach gut sechzig Jahren als aktiver Musiker aufzuhören, mit dieser Selbsteinschätzung richtig liegt: "I don't really have a whole lot of choice about what I do because my mind keeps writing another song."
CORNELIUS DIECKMANN
Robert Hilburn: "Paul Simon". The Life.
Simon & Schuster, London 2018. 448 S., br., 18,50 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
'There are two great storytellers colliding here. There's no tougher a mind, no more tender a voice than Paul Simon, and there's no better man than Robert Hilburn to decipher the hardwiring of this hyperintellect. From the prologue I was sucked in, suckered into a sense that I too might discover the genetic code of some of the greatest songs of any century. By the epilogue, you realize the great songs can never be fully explained, but the great man on his way to find those songs surely can.' Bono