Man kann nicht wirklich sagen, dass Paula Straus heute vergessen wäre. Aber das ist das Verdienst einiger weniger Menschen, die mit unermüdlicher Ausdauer ihr Leben und ihre künstlerischen Verdienste rekonstruiert haben. Ein bisschen Glück war auch dabei, denn erst Anfang des Jahrtausends wurde ein
umfangreiches Konvolut entdeckt, das Paula Straus noch selber angelegt hatte, mit hunderten ihrer…mehrMan kann nicht wirklich sagen, dass Paula Straus heute vergessen wäre. Aber das ist das Verdienst einiger weniger Menschen, die mit unermüdlicher Ausdauer ihr Leben und ihre künstlerischen Verdienste rekonstruiert haben. Ein bisschen Glück war auch dabei, denn erst Anfang des Jahrtausends wurde ein umfangreiches Konvolut entdeckt, das Paula Straus noch selber angelegt hatte, mit hunderten ihrer Entwürfe. Spätestens da war klar, welche Bedeutung diese Gold- und Silberschmiedin für die Entwicklung des deutschen Designs hatte. Sie schuf sowohl Unikatschmuck als auch, und dafür ist sie heute hauptsächlich berühmt, entwarf sie industrielle Silberwaren, vor allem für die größte Silberwaren-Manufaktur Deutschlands, Peter Bruckmann & Söhne.
Gleichzeitig ist sie als Jüdin auch tragisches Opfer ihrer Zeit geworden, indem es ihr nicht mehr gelang, Deutschland rechtzeitig zu verlassen. Sie starb 1943 in Auschwitz. Ihren Arbeitsplatz bei Bruckmann verlor sie kurz nach der Machtergreifung bereits im Januar 1933, allerdings scheint auch eigener Antrieb eine Ursache gewesen zu sein, denn das Zeugnis von Bruckmann ist überaus positiv gefasst und bereits im Februar tritt Paula Straus eine Stelle beim Konkurrenten WMF an. Danach ging es allerdings karrieremäßig für sie steil bergab und das ausschließlich aufgrund der zunehmend antisemitischen Gesetzgebung, die eine Berufsausübung bald unmöglich machten.
Das Buch ist die Quintessenz dessen, was über Paula Straus heute bekannt ist, mit zahlreichen Abbildungen aus dem Nachlass und weiteren Dokumenten, die überliefert sind. Neben Reprografien aus zeitgenössischen Publikationen sind Entwürfe, aber auch aktuelle Fotografien vieler ihrer Objekte zu sehen, die ein äußerst sicheres Gespür für die „Form“ belegen, etwas, das auch ihre Industrieprodukte auszeichnet. Anders als seine Konkurrenten band Peter Bruckmann die Künstler direkt in den Herstellungsprozess ein. Es ging ihm ausdrücklich nicht nur um eine gute Form, sondern auch um technische Machbarkeit.
Ein besonderer Fokus des Buchs liegt dementsprechend auf den industriellen Silberwaren, die auch heute noch regelmäßig im Auktionshandel auftauchen. Sie sind selbst nach dem Weltkrieg in großer Stückzahl produziert worden und in ihrer klaren Formensprache immer noch äußerst attraktiv und modern. Die Individualfertigungen, die Paula Straus während ihrer Tätigkeit bei Bruckmann fortführen durfte, sind Thema weiterer Kapitel, darunter Bestecke, aber auch sakrales Silber, das technisch und ästhetisch weit in die Zukunft weist.
Die Texte sind eingängig, anschaulich und ohne akademische Nebelkerzen verfasst. Sie vermitteln nicht nur die informativ-sachlichen Fakten, sondern versuchen Paula Straus als Person fassbar zu machen, indem Zeitzeugen zu Wort kommen oder private Fotos etwas über ihren Seelenzustand verraten. Die Beiträge bauen aufeinander auf und vermeiden weitgehend unnötige Redundanzen, obwohl sie von verschiedenen Autoren stammen. Das spricht für ein ausgereiftes Konzept und gute Koordination.
Wie ich anfangs schon sagte, ist Paula Straus nicht wirklich vergessen, aber in dieser Vollständigkeit ist ihr Werk, Wirken und Leben noch nie dargestellt worden. Die bedeutsamen Vorarbeiten von Joachim Storck und Reinhard Sänger, beide schon verstorben, werden mit dieser umfangreichen Monografie ebenfalls aufgegriffen und gewürdigt.
(Dieses Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)