Universelle Musikalität, unermüdliche Arbeitslust, Leichtigkeit, Witz und Humor kennzeichnen eine der einflussreichsten Musikerinnen des 19. Jahrhunderts. Pauline Viardot-Garcia (1821-1910) war Sängerin, Gesangslehrerin, Komponistin, Arrangeurin, Pianistin, Organistin, Volksmusiksammlerin, Herausgeberin und Veranstalterin. Als eine wahrhaft europäische Erscheinung verknüpfte sie unterschiedliche Kulturen und musikalische Sprachen miteinander. Hineingeboren in die Familie des spanischen Tenors Manuel del Pópulo García führte sie deren musikalische Tradition weiter. Auf den großen Opernbühnen Europas - in Paris, London, Berlin oder Sankt Petersburg - feierte die Viardot triumphale Erfolge. Als Mitschaffende war sie nicht nur an zahlreichen Kompositionen von Zeitgenossen wie Gounod, Berlioz, Meyerbeer, Massenet, Fauré u.a. beteiligt, sondern auch an literarischen Werken. Mit dem russischen Schriftsteller Ivan Turgenev, der sein Leben und seine Arbeit untrennbar mit ihr verknüpfte, lebte sie eine Schaffensgemeinschaft, an der auch ihr Mann Louis Viardot beteiligt war. Für dieses Buch sind eine Fülle bisher unbekannter Quellen aufgespürt und ausgewertet worden, vor allem Kompositionen, Bearbeitungen, Niederschriften, Skizzen und Briefe. Sie erlauben einen neuen Blick auf das Leben und die Arbeit von Pauline Viardot-Garcia.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.04.2016Darf es vielleicht noch eine Kadenz mehr sein?
Beatrix Borchard entwirft ein materialreiches Lebensbild der Primadonna und Komponistin Pauline Viardot
Sie ist eine der bedeutendsten Primadonnen des neunzehnten Jahrhunderts, war aber auch Komponistin und Arrangeurin, aufgewachsen in einer Familie, in der, nach einem Wort des Komponisten Camille Saint-Saëns, "Musik die Luft war, die man atmete": Pauline Viardot-Garcia. Ihr, der Tochter von Manuel Garcia - Tenor und Gesangslehrer, Lebenskünstler und Abenteurer, Vater auch der legendären Maria Malibran -, hat Beatrix Borchard ein Buch gewidmet.
Wie schon in ihrer Biographie Clara Schumanns (1991) hat die Hamburger Musikwissenschaftlerin dafür eine Kombination von biographischer Erzählung, lexikalischer Information und Zeitzeugnissen gewählt. Dominant in den biographischen Abschnitten ist die "condition féminine" im neunzehnten Jahrhundert. Wie viele andere bekannte Hans von Bülow, ihm fehle der Glaube an das komponierende Genie einer Frau, obwohl er in einem Brief schwärmte: "Welch' geniale, herrliche, einzige Person!" Als die wurde Pauline Viardot von vielen Komponisten und Schriftstellern bewundert.
Zu ihnen gehörte Frédéric Chopin, der sie begleitete, wenn sie Transkriptionen seiner Mazurken sang; Robert Schumann, der ihr seinen Liederkreis op. 24 widmete; Giacomo Meyerbeer, der nicht nur für, sondern mit ihrer Zweieinhalb-Oktaven-Stimme (vom tiefen ges bis zum dreigestrichenen c) die herrlichste aller Alt-Partien schrieb: die der Fidès in "Le Prophète"; Camille Saint-Saëns, der ihr "Samson und Dalila" dedizierte; Hector Berlioz, der für sie Glucks "Orphée" in einer italienisch-französischen Mischfassung einrichtete.
Zu Viardots über hundert Aufführungen fanden sich in Paris Bewunderer aus ganz Europa ein, darunter Charles Dickens, der ihr brieflich - "nichts kann herrlicher, wahrer, zarter, schöner, tiefgründiger sein!" - dankte. George Sand, die in der Viardot "das vollkommenste Wesen" sah, huldigte ihr in ihrem Künstler-Entwicklungsroman "Consuelo". Der russische Schriftsteller Iwan Turgenjew verbrachte einen Großteil seines Lebens an der Seite des Ehepaares Viardot - wegen ihr.
Viardots Repertoire umfasste virtuose Partien aus der Sphäre der Belcanto-Oper - Rosina, Amina, Norma und Lucia di Lammermoor -, aber auch dramatische Rollen wie Gounods Sapho, Verdis Lady Macbeth und Leonore in Beethovens "Fidelio". Durch die Entgrenzung des Repertoires, überehrgeizig wie später Maria Callas, verbrannte sie sich und musste mit zweiundvierzig Jahren von der Bühne abtreten. Als Interpretin hatte sie sich nicht der Forderung nach Werktreue unterworfen und für sich Partien des achtzehnten und frühen neunzehnten Jahrhunderts bearbeitet, insbesondere durch Auszierungen und immer neue Kadenzen.
Beatrix Borchard gibt eine Fülle von Informationen, erschwert die Lektüre aber durch Redundanzen, etwa bei den Exkursen in die Familiengeschichte. Auch wird der Rang der Sängerin deutlicher als die Bedeutung der Komponistin. Wie ist zu erklären, dass eine der Komponistin gewidmete Studie auf ein Werkverzeichnis - das OEuvre umfasst mehr als einhundert Lieder, vier Operetten, eine Oper, diverse Klavierstücke und Kammermusik - ebenso verzichtet wie auf diskographische Hinweise, zu denen etwa ein Album der mehrfach erwähnten Marilyn Horne gehört, die ihre internationale Karriere mit einem der Viardot und ihrer Schwester gewidmeten Album begann. Auch liegen inzwischen mehr als ein Dutzend Sammlungen mit Werken der Viardot - insbesondere von Liedern - vor.
Ein weiterer Schwachpunkt ist die gewählte Zitierweise. Statt Fußnoten mit genauen Angaben zu setzen, wird der "Erzähltext" durch Klammern mit oftmals vagen Hinweisen auf Sekundärliteratur unterbrochen. Betrüblich nicht zuletzt die laxe Arbeit des Lektorats, das in Fragen der Interpunktion die Beliebigkeit walten ließ und sich auch nicht die Mühe gemacht hat, dem Tenor Albert Niemann den richtigen Vornamen oder Josef Tichatschek den korrekten Nachnamen zu gewähren. Das ist schade bei einem für die Theater-, Aufführungs-, und Rezeptionsgeschichte so wichtigen Buch.
JÜRGEN KESTING
Beatrix Borchard: "Pauline Viardot-Garcia". Fülle des Lebens. Böhlau-Verlag, Köln-Weimar-Wien 2016. 439 S., Abb., geb., 34,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Beatrix Borchard entwirft ein materialreiches Lebensbild der Primadonna und Komponistin Pauline Viardot
Sie ist eine der bedeutendsten Primadonnen des neunzehnten Jahrhunderts, war aber auch Komponistin und Arrangeurin, aufgewachsen in einer Familie, in der, nach einem Wort des Komponisten Camille Saint-Saëns, "Musik die Luft war, die man atmete": Pauline Viardot-Garcia. Ihr, der Tochter von Manuel Garcia - Tenor und Gesangslehrer, Lebenskünstler und Abenteurer, Vater auch der legendären Maria Malibran -, hat Beatrix Borchard ein Buch gewidmet.
Wie schon in ihrer Biographie Clara Schumanns (1991) hat die Hamburger Musikwissenschaftlerin dafür eine Kombination von biographischer Erzählung, lexikalischer Information und Zeitzeugnissen gewählt. Dominant in den biographischen Abschnitten ist die "condition féminine" im neunzehnten Jahrhundert. Wie viele andere bekannte Hans von Bülow, ihm fehle der Glaube an das komponierende Genie einer Frau, obwohl er in einem Brief schwärmte: "Welch' geniale, herrliche, einzige Person!" Als die wurde Pauline Viardot von vielen Komponisten und Schriftstellern bewundert.
Zu ihnen gehörte Frédéric Chopin, der sie begleitete, wenn sie Transkriptionen seiner Mazurken sang; Robert Schumann, der ihr seinen Liederkreis op. 24 widmete; Giacomo Meyerbeer, der nicht nur für, sondern mit ihrer Zweieinhalb-Oktaven-Stimme (vom tiefen ges bis zum dreigestrichenen c) die herrlichste aller Alt-Partien schrieb: die der Fidès in "Le Prophète"; Camille Saint-Saëns, der ihr "Samson und Dalila" dedizierte; Hector Berlioz, der für sie Glucks "Orphée" in einer italienisch-französischen Mischfassung einrichtete.
Zu Viardots über hundert Aufführungen fanden sich in Paris Bewunderer aus ganz Europa ein, darunter Charles Dickens, der ihr brieflich - "nichts kann herrlicher, wahrer, zarter, schöner, tiefgründiger sein!" - dankte. George Sand, die in der Viardot "das vollkommenste Wesen" sah, huldigte ihr in ihrem Künstler-Entwicklungsroman "Consuelo". Der russische Schriftsteller Iwan Turgenjew verbrachte einen Großteil seines Lebens an der Seite des Ehepaares Viardot - wegen ihr.
Viardots Repertoire umfasste virtuose Partien aus der Sphäre der Belcanto-Oper - Rosina, Amina, Norma und Lucia di Lammermoor -, aber auch dramatische Rollen wie Gounods Sapho, Verdis Lady Macbeth und Leonore in Beethovens "Fidelio". Durch die Entgrenzung des Repertoires, überehrgeizig wie später Maria Callas, verbrannte sie sich und musste mit zweiundvierzig Jahren von der Bühne abtreten. Als Interpretin hatte sie sich nicht der Forderung nach Werktreue unterworfen und für sich Partien des achtzehnten und frühen neunzehnten Jahrhunderts bearbeitet, insbesondere durch Auszierungen und immer neue Kadenzen.
Beatrix Borchard gibt eine Fülle von Informationen, erschwert die Lektüre aber durch Redundanzen, etwa bei den Exkursen in die Familiengeschichte. Auch wird der Rang der Sängerin deutlicher als die Bedeutung der Komponistin. Wie ist zu erklären, dass eine der Komponistin gewidmete Studie auf ein Werkverzeichnis - das OEuvre umfasst mehr als einhundert Lieder, vier Operetten, eine Oper, diverse Klavierstücke und Kammermusik - ebenso verzichtet wie auf diskographische Hinweise, zu denen etwa ein Album der mehrfach erwähnten Marilyn Horne gehört, die ihre internationale Karriere mit einem der Viardot und ihrer Schwester gewidmeten Album begann. Auch liegen inzwischen mehr als ein Dutzend Sammlungen mit Werken der Viardot - insbesondere von Liedern - vor.
Ein weiterer Schwachpunkt ist die gewählte Zitierweise. Statt Fußnoten mit genauen Angaben zu setzen, wird der "Erzähltext" durch Klammern mit oftmals vagen Hinweisen auf Sekundärliteratur unterbrochen. Betrüblich nicht zuletzt die laxe Arbeit des Lektorats, das in Fragen der Interpunktion die Beliebigkeit walten ließ und sich auch nicht die Mühe gemacht hat, dem Tenor Albert Niemann den richtigen Vornamen oder Josef Tichatschek den korrekten Nachnamen zu gewähren. Das ist schade bei einem für die Theater-, Aufführungs-, und Rezeptionsgeschichte so wichtigen Buch.
JÜRGEN KESTING
Beatrix Borchard: "Pauline Viardot-Garcia". Fülle des Lebens. Böhlau-Verlag, Köln-Weimar-Wien 2016. 439 S., Abb., geb., 34,99 [Euro].
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