Paul Claessen hat ein Vierteljahr lang sein Essen dokumentiert. Meistens zu Hause, manchmal auswärts. Er hat daraus ein Bilderbuch gemacht. Gleichzeitig ist es ein Kochbuch für Wenigkocher geworden, mit einer Vorliebe für Drei-Gänge-Menüs.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.08.2008Hauptsache, das Brot ist gut
Ein Buch für Nichtköche: Paul Claessen hat ein echtes Nischenwerk verfasst
Am Anfang war ein Kochbuch, ein vielgelobtes sogar. "Die Kleinmarkthalle kocht", erschienen im vergangenen Jahr, hat der Halle eine Art kulinarisch-fotografisch-künstlerisches Denkmal gesetzt: Geschichten und Gerichte aus dem üppigsten Speisen-Ort der Stadt, gemeinsam produziert von Eva Wolf, Charlotte Schröner, Lothar Krauss und Paul Claessen. Die vier Freunde, die sich seit Jahrzehnten kennen, alle Text- und Bild-Profis, haben die verteilten Aufgaben vom Schreiben über die Graphik bis zu den Fotos übernommen. Außerdem haben sie gleich einen eigenen Verlag, den Nizza Verlag, gegründet, um ihr Werk unters Volk zu bringen, tatkräftig unterstützt von einem befreundeten Verlagsvertreter des Suhrkamp Verlags, der das Buch sozusagen auf seinen Reisen huckepack nahm. Mit Erfolg.
Die erste Auflage ist weg, die zweite, wieder 5000 Exemplare, wird gerade verkauft, eine dritte wird wohl folgen - es war eine gute Idee der vier, die alle durch die Kleinmarkthalle zu Genießern und Hobbyköchen geworden sind. Fast alle.
Claessen, der für das Kleinmarkthallen-Buch fotografiert hat, mag es zwar gerne, wenn Charlotte und Lothar oder Eva für ihn kochen oder ihn zum Essen einladen. Dann gibt es Braten vom schwarzen Schwein mit frischen Erbsen oder "Spaghetti Nr. 5 mit dem Geschmack südländischer Häfen", wie Claessen das nennt, will heißen: mit geriebener Bottarga und Weißwein.
Ein "Verächter der Besserkulinarik" sei er gewiss nicht, verteidigen die Freunde Claessens Ruf. Nicht nur, weil er auch ihre Köstlichkeiten für sein Tagebuch "Pauls Essen" feinsäuberlich aufgenommen hat. Ansonsten aber entspricht die Wahl des Mittels, die bescheidene Digitalkamera seines Handys, der Wahl der Lebensmittel. Drei Monate lang, Mahlzeit für Mahlzeit, hat Claessen seine Teller fotografiert, unprätentiösere Fotos kann man wohl kaum machen.
Claessen, der nach dem Darmstädter Architekturstudium als Gestalter am TAT arbeitete und nun als freischaffender Graphiker und Mobile-Künstler in Frankfurt lebt, ist offenbar ein Freund der, sozusagen, verschärften Lakonie. So entsteht in "Pauls Essen", gewollt oder nicht, eine Ehrlichkeit, die erfrischend wirkt angesichts all der Kochsendungen, teuren Kochbücher und Utensilien, die heutzutage zur Selbstdefinition gerade der Akademiker zwingend zu gehören scheinen - und angesichts der Tatsache, dass dennoch so erstaunlich viel Tiefkühlpizza, Dosenfutter und Toastbrot verkauft wird.
Als er die vielen üppigen Aufnahmen für das Kleinmarkthallen-Buch gemacht habe, sei ihm aufgefallen, dass er selbst nicht so esse, sagt Claessen. Und schon gar nicht so koche, wiewohl er das sogar ein wenig könne. Und weil der Nizza Verlag so schön im Schwung war und nach dem ersten Buch gleich das nächste kommen sollte - mittlerweile ist das dritte in Arbeit -, hat Claessen ein Projekt verwirklicht, das er quasi in der Schublade hatte: "Pauls Essen".
Das ist so übersichtlich wie das Cover des Buchs, das ein leerer Teller ziert. Zum Beispiel Würstchen. Oder Würstchen. Oder auch: Würstchen. Manchmal mit Senf, mal ohne. Es gibt auch Wurstbrot, Spiegelei, Pommes, Fleischsalatbrot oder, als Dessert, Marmeladenbrote. Eine gewisse Abwechslung ist schon geboten, wiewohl "Pauls Essen" mit dem geradezu warnenden Bekenntnis anhebt, "Frühstück und Wiederholungen habe ich nicht aufgenommen, obwohl ich die Wiederholung mag." Das ist nicht zu bestreiten, und kämen nicht ab und an eine geachtelte Tomate oder gar ein Apfel ins Bild, man müsste um die Gesundheit des Verfassers ernste Sorge haben.
Das Nichtkochbuch ist, vielleicht, eines für Nichtköche, die allerdings gerne in mehreren Gängen speisen, möge der erste auch aus Dosensuppe, der zweite aus ein paar gesalzenen Nüssen und der dritte aus einer Nuss-Nougat-Waffel bestehen. Untertitelt ist das karge OEuvre mit adäquater Sparsamkeit. Zuweilen mit Aufwärmanleitungen, zuweilen aber auch mit Selbstbeobachtungen, die angesichts eines rechteckigen, panierten Fischfilets mit Fertig-Püree lauten können: "Ich denke, meine Pommesphase geht zu Ende, und bin gespannt, wie lange es noch geometrische Fischformen gibt."
Das reizt nicht nur zum Lachen - wer in der wunderschönen Welt der Bioleks, Jamie Olivers und Zacherls unterwegs ist, wird auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt: So schaut kulinarischer Alltag in Deutschland aus. Als Claessen jüngst sein Buch auf dem "Yachtclub" von Hans Romanov unterhalb der Alten Brücke vorstellte, gab es, natürlich, die "Gerichte" daraus: Würstchen, Käsebrot, Toastwaffel. Die meisten langten wacker zu: Ein Schuft, wer nicht bekennt, selbst Fischbüchse und Fleischsalat zu feistem Butterbrot zu mögen! Ob Claessen das meint, wenn er sagt, das Buch liege zwar "zwischen allen Stühlen", sei aber "nicht als Witzbuch" zu verstehen?
Das Brot allerdings sollte stets von höchster Qualität sein, bemerkt Claessen, der auch mal quer durch die Stadt fährt, um bei einem bevorzugten Bäcker ein Baguette einzukaufen. Ein Verkaufsschlager wie das Kleinmarkthallen-Buch wird "Pauls Essen" wohl nicht werden - aber ein kurioser und ziemlich entlarvender Gischtstreif auf der postpostmodernen Fresswelle.
EVA-MARIA MAGEL
"Pauls Essen. Eine Fotohandydokumentation", Paul Claessen, Nizza Verlag Frankfurt 2008 ,
79 Seiten, 12 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ein Buch für Nichtköche: Paul Claessen hat ein echtes Nischenwerk verfasst
Am Anfang war ein Kochbuch, ein vielgelobtes sogar. "Die Kleinmarkthalle kocht", erschienen im vergangenen Jahr, hat der Halle eine Art kulinarisch-fotografisch-künstlerisches Denkmal gesetzt: Geschichten und Gerichte aus dem üppigsten Speisen-Ort der Stadt, gemeinsam produziert von Eva Wolf, Charlotte Schröner, Lothar Krauss und Paul Claessen. Die vier Freunde, die sich seit Jahrzehnten kennen, alle Text- und Bild-Profis, haben die verteilten Aufgaben vom Schreiben über die Graphik bis zu den Fotos übernommen. Außerdem haben sie gleich einen eigenen Verlag, den Nizza Verlag, gegründet, um ihr Werk unters Volk zu bringen, tatkräftig unterstützt von einem befreundeten Verlagsvertreter des Suhrkamp Verlags, der das Buch sozusagen auf seinen Reisen huckepack nahm. Mit Erfolg.
Die erste Auflage ist weg, die zweite, wieder 5000 Exemplare, wird gerade verkauft, eine dritte wird wohl folgen - es war eine gute Idee der vier, die alle durch die Kleinmarkthalle zu Genießern und Hobbyköchen geworden sind. Fast alle.
Claessen, der für das Kleinmarkthallen-Buch fotografiert hat, mag es zwar gerne, wenn Charlotte und Lothar oder Eva für ihn kochen oder ihn zum Essen einladen. Dann gibt es Braten vom schwarzen Schwein mit frischen Erbsen oder "Spaghetti Nr. 5 mit dem Geschmack südländischer Häfen", wie Claessen das nennt, will heißen: mit geriebener Bottarga und Weißwein.
Ein "Verächter der Besserkulinarik" sei er gewiss nicht, verteidigen die Freunde Claessens Ruf. Nicht nur, weil er auch ihre Köstlichkeiten für sein Tagebuch "Pauls Essen" feinsäuberlich aufgenommen hat. Ansonsten aber entspricht die Wahl des Mittels, die bescheidene Digitalkamera seines Handys, der Wahl der Lebensmittel. Drei Monate lang, Mahlzeit für Mahlzeit, hat Claessen seine Teller fotografiert, unprätentiösere Fotos kann man wohl kaum machen.
Claessen, der nach dem Darmstädter Architekturstudium als Gestalter am TAT arbeitete und nun als freischaffender Graphiker und Mobile-Künstler in Frankfurt lebt, ist offenbar ein Freund der, sozusagen, verschärften Lakonie. So entsteht in "Pauls Essen", gewollt oder nicht, eine Ehrlichkeit, die erfrischend wirkt angesichts all der Kochsendungen, teuren Kochbücher und Utensilien, die heutzutage zur Selbstdefinition gerade der Akademiker zwingend zu gehören scheinen - und angesichts der Tatsache, dass dennoch so erstaunlich viel Tiefkühlpizza, Dosenfutter und Toastbrot verkauft wird.
Als er die vielen üppigen Aufnahmen für das Kleinmarkthallen-Buch gemacht habe, sei ihm aufgefallen, dass er selbst nicht so esse, sagt Claessen. Und schon gar nicht so koche, wiewohl er das sogar ein wenig könne. Und weil der Nizza Verlag so schön im Schwung war und nach dem ersten Buch gleich das nächste kommen sollte - mittlerweile ist das dritte in Arbeit -, hat Claessen ein Projekt verwirklicht, das er quasi in der Schublade hatte: "Pauls Essen".
Das ist so übersichtlich wie das Cover des Buchs, das ein leerer Teller ziert. Zum Beispiel Würstchen. Oder Würstchen. Oder auch: Würstchen. Manchmal mit Senf, mal ohne. Es gibt auch Wurstbrot, Spiegelei, Pommes, Fleischsalatbrot oder, als Dessert, Marmeladenbrote. Eine gewisse Abwechslung ist schon geboten, wiewohl "Pauls Essen" mit dem geradezu warnenden Bekenntnis anhebt, "Frühstück und Wiederholungen habe ich nicht aufgenommen, obwohl ich die Wiederholung mag." Das ist nicht zu bestreiten, und kämen nicht ab und an eine geachtelte Tomate oder gar ein Apfel ins Bild, man müsste um die Gesundheit des Verfassers ernste Sorge haben.
Das Nichtkochbuch ist, vielleicht, eines für Nichtköche, die allerdings gerne in mehreren Gängen speisen, möge der erste auch aus Dosensuppe, der zweite aus ein paar gesalzenen Nüssen und der dritte aus einer Nuss-Nougat-Waffel bestehen. Untertitelt ist das karge OEuvre mit adäquater Sparsamkeit. Zuweilen mit Aufwärmanleitungen, zuweilen aber auch mit Selbstbeobachtungen, die angesichts eines rechteckigen, panierten Fischfilets mit Fertig-Püree lauten können: "Ich denke, meine Pommesphase geht zu Ende, und bin gespannt, wie lange es noch geometrische Fischformen gibt."
Das reizt nicht nur zum Lachen - wer in der wunderschönen Welt der Bioleks, Jamie Olivers und Zacherls unterwegs ist, wird auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt: So schaut kulinarischer Alltag in Deutschland aus. Als Claessen jüngst sein Buch auf dem "Yachtclub" von Hans Romanov unterhalb der Alten Brücke vorstellte, gab es, natürlich, die "Gerichte" daraus: Würstchen, Käsebrot, Toastwaffel. Die meisten langten wacker zu: Ein Schuft, wer nicht bekennt, selbst Fischbüchse und Fleischsalat zu feistem Butterbrot zu mögen! Ob Claessen das meint, wenn er sagt, das Buch liege zwar "zwischen allen Stühlen", sei aber "nicht als Witzbuch" zu verstehen?
Das Brot allerdings sollte stets von höchster Qualität sein, bemerkt Claessen, der auch mal quer durch die Stadt fährt, um bei einem bevorzugten Bäcker ein Baguette einzukaufen. Ein Verkaufsschlager wie das Kleinmarkthallen-Buch wird "Pauls Essen" wohl nicht werden - aber ein kurioser und ziemlich entlarvender Gischtstreif auf der postpostmodernen Fresswelle.
EVA-MARIA MAGEL
"Pauls Essen. Eine Fotohandydokumentation", Paul Claessen, Nizza Verlag Frankfurt 2008 ,
79 Seiten, 12 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main