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Produktdetails
  • Verlag: Reclam
  • Deutsch
  • ISBN-13: 9783150093658
  • ISBN-10: 3150093651
  • Artikelnr.: 05711078
Rezensionen
Wir lesen hier eine gute Einführung in Leben und Mission des Paulus, in seine Enderwartung und seine Ethik, vor allem aber in seine Auseinandersetzung mit den Themen "Israel" und "Gesetz". Hauptquellen sind der Römer- und der Galaterbrief, mit deutlichem Abstand folgt der erste Korintherbrief.

Die Schrift des hierzulande bereits seit längerem erfolglos gescholtenen britischen, in den Vereinigten Staaten lehrenden Professors ist weder langweilig, noch gibt sie sich mit Nebensächlichem ab. Sie zielt ins Herz des paulinischen Denkens. Und besonders in den Abschnitten über Gesetz und Römerbrief gelingt es Sanders, die Dramatik der paulinischen Denkbewegungen nachzuzeichnen. Der Leser wird unmittelbar einbezogen in die Spannungen und Widersprüche, die Argumentationsnöte und Unausgegorenheiten des Völkerapostels, die wahrhaft Geschichte gemacht haben. Frankfurter Allgemeine Zeitung

Innovativ, erschwinglich, knapp und lebendig geschrieben für LeserInnen ohne Vorkenntnisse. Bibel und Kirche

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 31.07.1995

Der improvisierende Apostel
Ephesus gegen Wittenberg: E. P. Sanders zeigt, daß Paulus kein lutherischer Theologieprofessor war

Es gibt ein todsicheres Mittel, sich den gesammelten Zorn traditionsbewußter und standesgewisser deutscher Gottesgelehrter, protestantischer und zunehmend auch katholischer, zu verdienen: Wenn man die geheiligte Einheit von Paulus und Luther sprengen möchte. Was hängt nicht alles daran, daß sie fast ganz eins waren. Lag die Wartburg nicht doch auf der Akropolis über Korinth? Gab es die Gemengelage des Reichstags zu Worms nicht auch schon vor Zeiten in Ephesus? Läßt Paulus das von Seelenkämpfen heimgesuchte Erfurter Augustinermönchlein nicht brüderlich grüßen?

Und doch lebt man in dieser Hinsicht in Deutschland wie auf einer Insel, so daß eigentlich nur Ausländer es wagen dürfen, diesen geheiligten Seelenfrieden zu stören. So geschieht es denn mit System und Tücke in dem Büchlein von E. P. Sanders. Wir lesen hier eine gute Einführung in Leben und Mission des Paulus, in seine Enderwartung und seine Ethik, vor allem aber in seine Auseinandersetzung mit den Themen "Israel" und "Gesetz". Hauptquellen sind der Römer- und der Galaterbrief, mit deutlichem Abstand folgt der Erste Korintherbrief.

Die Schrift des hierzulande bereits seit längerem erfolglos gescholtenen britischen, in den Vereinigten Staaten lehrenden Professors ist weder langweilig, noch gibt sie sich mit Nebensächlichem ab. Sie zielt ins Herz des paulinischen Denkens. Und besonders in den Abschnitten über Gesetz und Römerbrief gelingt es Sanders, die Dramatik der paulinischen Denkbewegungen nachzuzeichnen. Der Leser wird unmittelbar einbezogen in die Spannungen und Widersprüche, die Argumentationsnöte und Unausgegorenheiten des Völkerapostels, die wahrhaft Geschichte gemacht haben.

Sanders stellt öfters einfach fest: Paulus behauptet etwas, das er zuvor nicht bewiesen hat, die These paßt nicht zu den Argumenten, Paulus hat sie anderswo her. Oder: Er kehrt frühere Ansätze in halsbrecherischer Weise einfach um. So wird etwa der alte Grundsatz, daß "erst die Juden, dann die Heiden" zu missionieren seien, ab Kapitel 9 des Römerbriefes einfach auf den Kopf gestellt. Oder: Paulus verrennt sich in seiner Polemik gegen das Gesetz zu Beginn von Römer 7, er merkt, daß er zu weit gegangen ist, und steckt dann zurück, muß zugeben, das Gesetz sei doch gut und von Gott.

Immer wieder gibt es daher für Sanders Anlaß zu warnen, Paulus in eine systematische Zwangsjacke einzupassen. Er sei eben Missionar, Pragmatiker, ja Opportunist gewesen, nur eben eines nicht: ein gutbürgerlicher, gesetzter, ausgereifter, abgehangener Systemtheologe, der ein stimmiges Mosaik aus tausend Steinchen gefügt habe, eben ein widerspruchsfreier Professor. Denn was ist schlimmer, als wenn man einem Professor sagen kann, seine Lehre kranke an inneren Widersprüchen? Insofern ist Paulus bei seinen Exegeten seit Jahrhunderten in die falschen Hände geraten.

Daß es bei einem solchen Ansatz notwendig wird, heilige Kühe zu schlachten, ja daß es dem gelehrten Autor sichtlich Spaß macht, kann man besonders an seinem gekonnten Verriß der individualistischen protestantischen Deutung des zweiten Teils von Römer 7 ("das Gute, das ich will, das tue ich nicht; sondern das Böse, das ich nicht will, das tue ich") sehen. Mit entwaffnender britischer Nüchternheit zeigt Sanders, daß die gewöhnliche Auslegung auf innere Seelenkämpfe nur einen Neurotiker betreffen würde. Das ist ein Volltreffer gegen die psychologisierende Paulusdeutung. Zudem gegen eine besondere Art von unlauterer Verbalradikalität. Denn wer unter uns wird wirklich zerrissen, weil er das Gute zwar tun möchte, aber es nicht tun kann? Gut auch die Beobachtung, daß die Kategorie der Anteilhabe bei Paulus tiefer geht als das Juristische (sprich: Rechtfertigung). Und daß es bei der "eigenen Gerechtigkeit" der nicht-christlichen Juden nach Römer 10 nicht um individuellen Leistungsstolz, sondern um den fehlenden Glauben an Jesus geht.

Etwas schwindelig wird auch einem weitherzigen Kollegen freilich dann schon, wenn Sanders behauptet, die paulinische Abwertung von Gesetz und altem Bund, insbesondere aber die These von der Sündhaftigkeit aller Menschen vor und außer Christus sei nichts als ein dogmatisches Postulat: Weil alle der Rettung durch den Glauben an Jesus bedurften, mußte Paulus zwangsläufig alles Vorherige ganz schwarz zeichnen. Oder so: "Das Gesetz muß etwas Schlechtes tun, weil Gott durch Jesus Christus rettet." So wird nur eine Art des Psychologisierens durch eine andere ersetzt. Und die unvereinbaren Blöcke im paulinischen Denken schroff immer wieder nur gegeneinanderzuhalten tut in entgegengesetzter Hinsicht nun auch wieder zuviel des Guten.

Niemand kann für diese muntere und zum Teil bunte Querdenkerei rundum Zustimmung erwarten. Die überraschend detaillierten Ausführungen über verschiedenste homosexuelle Praktiken in der Antike sind wohl mehr zum Zweck der Irritation frommer angelsächsischer und allenfalls österreichischer Prüderie verfaßt, als daß sie über Pauli Innen- und Außenleben Wesentliches sagen könnten. Und darin, daß Paulus den Unzuchtssünder von Korinth, der es mit seiner Mutter hatte, feierlich dem Teufel übergeben lassen will, daß er ihn physisch zerstöre, kann ich nicht gerade fröhliches neues Christendenken erkennen.

Ein kritisches Wort zur Übersetzung, die offensichtlich noch einmal in der Korrektur einen Fachmann hat sehen dürfen: Paulus schuf nicht "(heidnische) Konvertiten", sondern Neuchristen oder Heidenchristen. Er war kein Zelot, nämlich Terrorist, wohl aber ein Eiferer. Was sind, bitte, "unzüchtige Handlungen", zu deren Vermeidung man laut Paulus lieber heiraten soll? Wo muß ich da nachschlagen? Und die Apostelgeschichte enthält nicht mehrere Briefe des Petrus, sondern seine Predigten. Der Tempel in Jerusalem hatte nicht einen Vorhof der Heidenchristen, sondern natürlich nur einen für Heiden. Dies nur, damit Anfänger und Fortgeschrittene, die diese spannende Einführung lesen, sich nicht auch gewisse Fehlinformationen, wie man sagt, reinziehen. KLAUS BERGER

E. P. Sanders: "Paulus". Eine Einführung. Aus dem Englischen von Ekkehard Schöller. Reclam Verlag, Stuttgart 1995. 179 S., br., 9,- DM.

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