Produktdetails
- Verlag: Frankfurt am Main ; Zürich ; Wien Büchergilde Gutenberg
- ISBN-13: 9783763255320
- ISBN-10: 376325532X
- Artikelnr.: 24639006
- Herstellerkennzeichnung Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.07.2004Traurig ist der Ozelot
Perfekte Beobachterin: Ein früher Roman von Paula Fox
Wer einen perfekten modernen Roman lesen möchte, sollte sich "Pech für George" kaufen. Das 1967 erschienene Meisterwerk von Paula Fox ist lakonisch, plastisch, aufregend und vollkommen durchkomponiert. Man könnte es als das Buch zu Hoppers Bildern von der Einsamkeit der zivilisierten Kreatur bezeichnen. Die Geschichte des vierunddreißigjährigen Lehrers George Mecklin trägt sich an seinem Arbeitsplatz in New York und in einer von Apfelbäumen umringten Vorstadtsiedlung zu. Dorthin ist George kürzlich mit seiner Frau Emma gezogen. Auf den ersten Blick handelt es sich bei ihrem neuen Domizil um eine Mittelklassenidylle: Die Frauen haben kleine Nebenjobs oder bleiben zu Hause, Kinder gehören ins Bild, und das ist buchstäblich zu verstehen: "Sie setzt die Kinder auf die Treppe wie Milchflaschen und macht dann die Tür zu", berichtet Emma über Martha von nebenan. Eine aus dem Fenster geworfene Puppe, die Emma artig ins Haus trägt, klärt sie über den Zustand ihrer Nachbarin auf: Die Küche ist verkommen, die Kinder verwahrlost, die Mutter eine Kassandra, die im Dauersuff hellsichtig über die zerschellten Illusionen ihrer Generation parliert: "Wissen Sie", sagt sie, "es gibt im Leben nicht viel zu tun, wenn man einmal durch die Oberfläche der Dinge gestürzt ist." Das bezieht sich zunächst auf Marthas Schürzenjäger-Gatten, doch darüber hinaus ist es das Fazit eines kollektiven Scheiterns.
Die Figuren von Paula Fox sind zu einem Leben im Klischee verdammt, das für ihre Wünsche und Begierden viel zu klein ist: "Er war ein Mann, dem man für den Rest seines Arbeitslebens nicht mehr als achttausend Dollar im Jahr zahlen würde, und das nur, wenn er sich gut führte", sinniert George und betrachtet mißmutig das Sammelsurium seiner schäbigen Möbel. Bei der Auflösung des Haushalts seiner verstorbenen Mutter hatte er großspurig alles auf den Müll geworfen. Jetzt bedauert er die vorschnelle Entscheidung, denn das schicke Interieur, in dem sein Leben sich abspielen sollte, ist unerschwinglich geblieben. Es geht in "Pech für George" auch um die an den Nagel gehängte Tradition, um die Arroganz einer Gesellschaft, die unter den Weihen der entfesselten Konsumtion nur im Hier und Jetzt leben will. Genau bei dieser Fiktion setzt Paula Fox an. Ihr Buch entfaltet das komplexe System wechselseitiger Beobachtung, durch das ihre Protagonisten einander und sich selbst belauern. Die vorgesehenen Rollen vermögen sie nicht zu füllen. "Glaubst du, ich bin nur da, wenn du mich ansiehst?" erwidert Emma gereizt über die Verblüffung ihres Mannes, als sie die Pathologien eines Nachbarn erbarmungslos analysiert.
In dieses Pulverfaß des ländlichen Unglücks führt die Autorin eine Zündrute ein: George erwischt bei der Heimkehr Ernest in seinem Gästezimmer. Der vagabundierende Junge hat es zu seiner Spezialität gemacht, die Häuser der Zugezogenen auszuspionieren. Frech gibt er über seine kompromittierenden Entdeckungen Auskunft. Auge in Auge mit dem Eindringling passiert etwas Seltsames: Statt den Jungen anzuzeigen und auszuliefern, verbündet George sich mit ihm. Ohne Rücksprache mit Emma erteilt er ihm einen freien Passierschein für sein Haus. Ernest ist der Beobachter par excellence, und er führt vor, welche unheimliche Natur in jedem der so harmlos auftretenden Nachbarn steckt. Ernest besitzt einen untrüglichen Sinn für das Staffagenhafte der kulturellen Versatzstücke, mit denen George ihn traktiert, und wird erst wach, als der ihm aus Conrads "Herz der Finsternis" vorliest. Der kaltblütige Dschungelroman spricht nicht nur Ernests täglichen Überlebenskampf am unteren Ende der sozialen Skala an, er sagt auch die Wahrheit über das sittliche Ethos der in Wohlstandsparzellen Gebannten: "Wenn man mit ihnen zusammenlebt, sind alle Menschen Wilde", bemerkt Joe, Marthas in fremden Betten wildernder Mann.
Paula Fox hat ihren Roman zur Zeit der Kubakrise situiert. Eindringlinge in die schöne, neue Welt werden mißtrauisch belauert. Doch der Feind, auf den versteckte Polizeiwagen an den Ausfahrtsstraßen harren, wohnt im Innern, in der undomestizierten Seele des Amerikaners selbst. So irrt sich Emma, als sie ihre Wohnung ein "verdammtes Puppenhaus" nennt. Als dessen heimlicher Herrscher erweist sich ein aztekischer Fetisch, den sie von einer Reise mitgebracht hat. Es ist sein "heimtückisches, zur Decke gerichtetes steinernes Grinsen", das am Ende recht behält, wenn Emma die Figur einsteckt und geht. Männer und Frauen passen nur in Werbefilmen zusammen, eingepfercht in Einfamilienhäusern leiden sie wie traurige Tiere. Unterwegs zu seiner New Yorker Schwester entschließt sich George zu einem Zoobesuch, wo er dem "harten Gewimmer" der Ozeloten lauscht.
Paula Fox' Diagnose über ihre Zeitgenossen ist einschneidend, aber keineswegs vernichtend. Die fein gewebte, poetische Prosa wird vom sarkastischen Chor ihrer Protagonisten flankiert. Die Virtuosin des emotionalen Realismus versteht sich als eine der Ihren und empfiehlt ihren gespaltenen Helden, was sie selber tut: das Erzählen. Ihr Roman beginnt mit der rhetorischen Frage: "Wer hört zu? Niemand, sagte George Mecklin." Doch am Ende hat er so viele vexierende Spiegelwelten zerschlagen, daß es wirklich etwas zu sagen gibt. Mit dem Leben davongekommen, von Emma verlassen, findet er sich bei seinem Kollegen Walling ein und richtet den kühlen Beobachterblick auf die Geschichte seiner wunden Gefühle: "Walling setzte sich und hörte zu."
Paula Fox: "Pech für George". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Susanne Röckel. C. H. Beck Verlag, München 2004. 254 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perfekte Beobachterin: Ein früher Roman von Paula Fox
Wer einen perfekten modernen Roman lesen möchte, sollte sich "Pech für George" kaufen. Das 1967 erschienene Meisterwerk von Paula Fox ist lakonisch, plastisch, aufregend und vollkommen durchkomponiert. Man könnte es als das Buch zu Hoppers Bildern von der Einsamkeit der zivilisierten Kreatur bezeichnen. Die Geschichte des vierunddreißigjährigen Lehrers George Mecklin trägt sich an seinem Arbeitsplatz in New York und in einer von Apfelbäumen umringten Vorstadtsiedlung zu. Dorthin ist George kürzlich mit seiner Frau Emma gezogen. Auf den ersten Blick handelt es sich bei ihrem neuen Domizil um eine Mittelklassenidylle: Die Frauen haben kleine Nebenjobs oder bleiben zu Hause, Kinder gehören ins Bild, und das ist buchstäblich zu verstehen: "Sie setzt die Kinder auf die Treppe wie Milchflaschen und macht dann die Tür zu", berichtet Emma über Martha von nebenan. Eine aus dem Fenster geworfene Puppe, die Emma artig ins Haus trägt, klärt sie über den Zustand ihrer Nachbarin auf: Die Küche ist verkommen, die Kinder verwahrlost, die Mutter eine Kassandra, die im Dauersuff hellsichtig über die zerschellten Illusionen ihrer Generation parliert: "Wissen Sie", sagt sie, "es gibt im Leben nicht viel zu tun, wenn man einmal durch die Oberfläche der Dinge gestürzt ist." Das bezieht sich zunächst auf Marthas Schürzenjäger-Gatten, doch darüber hinaus ist es das Fazit eines kollektiven Scheiterns.
Die Figuren von Paula Fox sind zu einem Leben im Klischee verdammt, das für ihre Wünsche und Begierden viel zu klein ist: "Er war ein Mann, dem man für den Rest seines Arbeitslebens nicht mehr als achttausend Dollar im Jahr zahlen würde, und das nur, wenn er sich gut führte", sinniert George und betrachtet mißmutig das Sammelsurium seiner schäbigen Möbel. Bei der Auflösung des Haushalts seiner verstorbenen Mutter hatte er großspurig alles auf den Müll geworfen. Jetzt bedauert er die vorschnelle Entscheidung, denn das schicke Interieur, in dem sein Leben sich abspielen sollte, ist unerschwinglich geblieben. Es geht in "Pech für George" auch um die an den Nagel gehängte Tradition, um die Arroganz einer Gesellschaft, die unter den Weihen der entfesselten Konsumtion nur im Hier und Jetzt leben will. Genau bei dieser Fiktion setzt Paula Fox an. Ihr Buch entfaltet das komplexe System wechselseitiger Beobachtung, durch das ihre Protagonisten einander und sich selbst belauern. Die vorgesehenen Rollen vermögen sie nicht zu füllen. "Glaubst du, ich bin nur da, wenn du mich ansiehst?" erwidert Emma gereizt über die Verblüffung ihres Mannes, als sie die Pathologien eines Nachbarn erbarmungslos analysiert.
In dieses Pulverfaß des ländlichen Unglücks führt die Autorin eine Zündrute ein: George erwischt bei der Heimkehr Ernest in seinem Gästezimmer. Der vagabundierende Junge hat es zu seiner Spezialität gemacht, die Häuser der Zugezogenen auszuspionieren. Frech gibt er über seine kompromittierenden Entdeckungen Auskunft. Auge in Auge mit dem Eindringling passiert etwas Seltsames: Statt den Jungen anzuzeigen und auszuliefern, verbündet George sich mit ihm. Ohne Rücksprache mit Emma erteilt er ihm einen freien Passierschein für sein Haus. Ernest ist der Beobachter par excellence, und er führt vor, welche unheimliche Natur in jedem der so harmlos auftretenden Nachbarn steckt. Ernest besitzt einen untrüglichen Sinn für das Staffagenhafte der kulturellen Versatzstücke, mit denen George ihn traktiert, und wird erst wach, als der ihm aus Conrads "Herz der Finsternis" vorliest. Der kaltblütige Dschungelroman spricht nicht nur Ernests täglichen Überlebenskampf am unteren Ende der sozialen Skala an, er sagt auch die Wahrheit über das sittliche Ethos der in Wohlstandsparzellen Gebannten: "Wenn man mit ihnen zusammenlebt, sind alle Menschen Wilde", bemerkt Joe, Marthas in fremden Betten wildernder Mann.
Paula Fox hat ihren Roman zur Zeit der Kubakrise situiert. Eindringlinge in die schöne, neue Welt werden mißtrauisch belauert. Doch der Feind, auf den versteckte Polizeiwagen an den Ausfahrtsstraßen harren, wohnt im Innern, in der undomestizierten Seele des Amerikaners selbst. So irrt sich Emma, als sie ihre Wohnung ein "verdammtes Puppenhaus" nennt. Als dessen heimlicher Herrscher erweist sich ein aztekischer Fetisch, den sie von einer Reise mitgebracht hat. Es ist sein "heimtückisches, zur Decke gerichtetes steinernes Grinsen", das am Ende recht behält, wenn Emma die Figur einsteckt und geht. Männer und Frauen passen nur in Werbefilmen zusammen, eingepfercht in Einfamilienhäusern leiden sie wie traurige Tiere. Unterwegs zu seiner New Yorker Schwester entschließt sich George zu einem Zoobesuch, wo er dem "harten Gewimmer" der Ozeloten lauscht.
Paula Fox' Diagnose über ihre Zeitgenossen ist einschneidend, aber keineswegs vernichtend. Die fein gewebte, poetische Prosa wird vom sarkastischen Chor ihrer Protagonisten flankiert. Die Virtuosin des emotionalen Realismus versteht sich als eine der Ihren und empfiehlt ihren gespaltenen Helden, was sie selber tut: das Erzählen. Ihr Roman beginnt mit der rhetorischen Frage: "Wer hört zu? Niemand, sagte George Mecklin." Doch am Ende hat er so viele vexierende Spiegelwelten zerschlagen, daß es wirklich etwas zu sagen gibt. Mit dem Leben davongekommen, von Emma verlassen, findet er sich bei seinem Kollegen Walling ein und richtet den kühlen Beobachterblick auf die Geschichte seiner wunden Gefühle: "Walling setzte sich und hörte zu."
Paula Fox: "Pech für George". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Susanne Röckel. C. H. Beck Verlag, München 2004. 254 S., geb., 19,90 [Euro].
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"Paula Fox ist vergleichbar mit Virginia Woolf." Sigrid Löffler
Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
Paula Fox, so die Rezensentin Gisa Funck, gehört zu jenen Schriftstellern, die von dem Lob eines berühmten Kollegen aus dem Vergessen gerissen wurden - in ihrem Fall Jonathan Franzen. In der Tat seien Fox' Romane seitdem nicht nur neu aufgelegt worden, sondern in den "souveränen" Übersetzung von Susanne Röckel nach und nach auch auf Deutsch erschienen. In ihrem Erzähldebüt "Pech für George" aus dem Jahr 1967 beschreibt Fox das trostlose Leben des Englischlehrers George Mecklin, der an einer für die Rezensentin sehr aktuellen Pathologie leidet, nämlich "dem Leiden an der scheinbaren Willkür existenzieller Zwänge, die immer erst ein selektiver Blick zu einem Schicksal adelt". George bringe diesen heilsspendenden Blick einfach nicht auf. Doch als er und seine Mehr-Schlecht-als-Recht-Ehefrau sich mitten im "Summer of Love" in die Einöde zurückziehen, wird George durch einen Nachhilfeschüler "auf den Boden der Tatsachen" zurückgeholt, mit der Einsicht, dass die "Lust am Denken" für das Denken unerlässlich ist. Doch während George sozusagen wiedergeboren wird, so die Rezensentin, stört sich seine Frau an der Anwesenheit des Teenagers, was sich in gewohnter Fox-Manier zum "kammerspielartig verdichteten" Ehedrama auswächst, "das plätschernd, geradezu beiläufig in die Katastrophe schlittert". Die Figuren erscheinen der Rezensentin zwar zuweilen übermäßig "resigniert", doch Fox' "nüchtern-personaler Erzählton" wirkt für sie wie ein Bann.
© Perlentaucher Medien GmbH
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